Leise rieselt der Schnee. Das Stück spielt im unwirtlichen Norwegen, folglich schneit es die ganze Zeit. Der Regisseur Simon Stone hat die gesamte Bühne weiß einschäumen lassen, die Figuren erheben sich, schaumgeboren, aus der weißen Pampe und stolzieren in Sommerkleid und Pumps durch die eiskalte Einöde, jedenfalls die verletzlichen Damen. Das sind so die Regieeinfälle. Dass sie auch Schaum vor dem Mund haben, erweist sich gleich in der ersten Szene: Die Schwestern Gunhild und Ella Rentheim liefern sich einen Zickenkrieg, wie er in den Talkshows des Privatfernsehens nicht schöner stattfinden kann.
Der Regisseur Simon Stone hält so etwas für authentisch und aktuell. Er glaubt, dass er ein Stück an die Gegenwart heranrückt, wenn die Menschen ständig über YouTube und Google reden, SMS senden oder skypen oder "du verficktes Arschloch" sagen wie auf dem Schulhof.
Simon Stone möchte besser sein als Henrik Ibsen, dabei steckt er nur bis zum Hals im Geblubber der auf jung und ordinär getrimmten Mediengesellschaft - und kann vor lauter Schaum das Stück nicht mehr sehen.
Simon Stone möchte besser sein als Henrik Ibsen, dabei steckt er nur bis zum Hals im Geblubber der auf jung und ordinär getrimmten Mediengesellschaft - und kann vor lauter Schaum das Stück nicht mehr sehen.
Hypernervöses Beziehungsgeschwafel
Bankier Borkman hat Gelder veruntreut, verspekuliert wahrscheinlich, und war länger im Gefängnis. Jetzt hockt er im Dachzimmer, bei Stone: In Schnee herum und hofft auf ein Comeback. Schuldeinsicht: null. Wenigstens ist er witterungsresistent gekleidet. Zudem hat er eine Frau geheiratet, die er nicht liebt, und dafür deren Zwillingsschwester sitzenlassen, die er einem aufstrebenden Kollegen überließ, der ihm dafür geschäftliche Vorteile verschaffte. Ein richtiges Aas also. Die Frage aber ist: Kommt man diesem Stück, das von den vorletzten Psycho-Zuckungen eines dekadenten Bürgertums handelt, wirklich näher, indem man es in den Jargon der finanzkrisengestählten Yuppie-Gesellschaft übersetzt?
Die Antwort ist, leider: nein. Am ehesten schafft diesen Spagat noch der mit vollendeter Chuzpe ausgestattete Großschauspieler Martin Wuttke, weil dem die Inszenierung sowieso egal ist. Er könnte auch Wikipedia oder das Telefonbuch spielen; hier spielt er den alternden Bankier als langhaarigen Clochard, und egal, ob er still ist oder brüllt, ob er jungen Dingern an die Wäsche geht oder den Sohn anherrscht, es ist (fast) immer gut, was Wuttke tut – weil er der einzige Fremdkörper in diesem jargongeschüttelten Erregungs-Kosmos, diesem yuppiesken, hypernervösen Beziehungs-Stammtischgeschwafel ist.
Eigentlich handelt das Stück von enttäuschten, vernachlässigten Frauen und einem größenwahnsinnigen großbürgerlichen Psychopathen. Bei Simon Stone aber werden die Frauen zu merkwürdigen Boutiquen-Schrapnells und der psychotische Bürger Borkman zum Waldschrat. Dass dieser pleite gegangene Späthippie am Ende seinen emanzipationswilligen Sohn schüttelt, wo doch eher der bedauernswerte Sohn den bescheuerten Vater schütteln müsste, zeigt Stones ganzes Missverständnis des Stücks.
Birgit Minichmayr als Borkmans Ehefrau ist so schwach wie noch nie: ihre Gunhild ist eine daueralkoholisierte, stets heiser herumkrächzende hohle hysterische Schachtel, die zu nichts zu gebrauchende Oberschichts-Mutti, deren frühere Attraktivität kaum noch durchscheint, die aber schreckschraubenhaft und verbittert um den Sohn kämpft. Das ist völlig eindimensional und vordergründig gespielt. Caroline Peters als krebskranke Ella Rentheim, als Gunhilds Zwillingsschwester, hat die besseren Karten: Sie agiert meist viel vorsichtiger und stiller, und die Szene, als sie mit dem heruntergekommenen Borkman allein ist und seinen Verrat, ihre gescheiterte Liebe bespricht, lässt als einzige etwas von Ibsens Tragik ahnen.
Leblose Schaufensterpuppen statt echte Charaktere
Simon Stone aber interessiert sich gar nicht für ein altes Stück, das uns in seiner Fremdheit die Gegenwart erklären könnte. Für ihn sind die Ibsen-Figuren nur Demonstrationsobjekte, Schaufensterpuppen, die man mit heutigen Denk- und Sprachschablonen ausstatten kann. Zugegeben: Langweilig ist es nicht, es ist schwer was los im Schaumbad im Akademietheater, und es salbadert wie bei Pollesch. Aber, mit Verlaub: Es ist nur Eventkultur. Unterhaltungstheater – bestenfalls.