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Wiener Stil-Melange

Zwar hat der Historismus die Ringstraße in Wien maßgeblich geprägt, die Einheimischen halten ihn aber eher für einen Nicht-Stil. Nun aber ehrt die "Oesterreichische Postsparkasse" den Architekten Theophil Hansen und den Historismus mit einer Ausstellung.

Von Beatrix Novy |
    In der Wiener Innenstadt gibt es zurzeit eine größere Baustelle: Ein Investor mit offenbar unbegrenzten Mitteln modelt einen ganzen Häuserblock aus mehreren Epochen zur Luxuszone um, der Name spricht für sich: "Goldenes Quartier". Auf der einen Seite Vuitton und Co., auf der anderen Wohnungen: mit Quadratmeterpreisen bis zu 30.000 Euro. Hier ziehen demnächst Leute ein, die ihre ebenfalls unbegrenzten Mittel gern in Städten mit hoher Lebensqualität anlegen. Vor 150 Jahren baute der Architekt Theophil Hansen an der durch Schleifung der alten Festungswälle neugeschaffenen Wiener Ringstraße mächtige Paläste im Renaissance-Stil für eine neue, schwerreiche Klasse von Geschäftsleuten.

    Sollte jemand jetzt einen Vergleich ziehen wollen: Hier endet er schon. Die neue Klasse der Superreichen von heute wird hin und wieder zum Shoppen in Wien einfliegen. Die Bankiers und Industriellen der Gründerjahre von damals lebten in ihren repräsentativen Palais, waren Gastgeber und Mäzene für Künstler und Wissenschaftler, hatten am Kulturleben des Wiener fin de siècle wichtigen Anteil. Ohne ihr Geld hätte die Wiener Ringstraße mit ihrem Kranz großartiger öffentlicher Gebäude gar nicht gebaut werden können. Bei diesem damals größten europäischen Stadtumbau kamen einige Architekten des damals herrschenden Historismus zu Ruhm und Ehre - Gottfried Semper, Heinrich von Ferstel, August von Siccardsburg. Aber dass es Theophil Hansen war, dessen Handschrift den größten Einfluss auf den Städtebau in Wien hatte, davon ist der Wohnbauforscher Wolfgang Förster überzeugt.

    "Er hat ja nicht nur das Parlament und den Musikverein gebaut, er hat vor allem durch seine Entwürfe im Bereich des Wohnbaus diese Bereiche ... Wien würde heute nicht so ausschauen wenn es Theophil Hansen nicht gegeben hätte."

    Theophil Hansen, geboren 1813 in Dänemark, hatte sein Rüstzeug des historistischen Bauens auf langen Studienreisen erworben, den nordischen Klassizismus und in Italien die Renaissance und Palladio studiert und schließlich acht Jahre lang in Griechenland gearbeitet. Nach Wien kam er im historischen Glücksmoment des gewaltigen Umbaus, der die Stadt von der kaiserlichen Residenz zur viertgrößten des Kontinents machte.

    "Diesem Wandel von der aristokratischen Stadt zur bürgerlichen Stadt, dem hat Hansen Ausdruck gegeben."

    Wie diese neue Stadt aussehen sollte, war keineswegs ausgemacht. Griechisch, gotisch, oder was noch? Heinrich von Ferstel hätte das englische Modell bevorzugt, also niedrige Häuser mit Vorgärten

    "Dann hätte die Ringstraße wie Kensington ausgesehen."

    Dann hätte allerdings auch die Rendite anders ausgesehen. Der Wiener Stadterweiterungsfonds dekretierte lukrative vier bis fünf Geschosse; in die großzügigen Beletagen der Ringstraßenpalais passten Ballsäle so gut hinein wie in die alten Adelspalais, die Hansen außen wie innen als Gesamtkunstwerk gestaltete: Das neue Bürgertum wollte sich den alten Eliten gleichstellen. Dass Theophil Hansens bevorzugter Renaissance-Stil diesem Ansinnen besonders gut Ausdruck verlieh, weil das Bankwesen Italiens in dieser Epoche entstand, klingt hergeholt, wäre aber historistischen Denken nicht fremd: Für Theophil Hansen verstand es sich, dass sein Parlament im griechischen Stil an die ersten Demokratien erinnern sollte. Diese lange als mechanisch-fremdbestimmt empfundene Denkweise, dazu die oft überladene Ausführung historistischer Bauten hat die ganze Richtung lange eher suspekt gemacht. Wien liebte sein Biedermeier, es liebte seinen Jugendstil und seit einiger Zeit auch die Gemeindebauten des Roten Wien, den Historismus nahm es nur hin. Wie Theophil Hansen seine Renaissance-Fassaden für das moderne Mietshaus, ja ganze Blöcke nutzbar zu machen verstand, wurde erst spät begriffen, sagt Wolfgang Förster

    "Wenn man heute in x-beliebige Straße in einen Außenbezirk geht, dann wird man nicht die Fassaden von Siccardsburg finden, sondern die von Hansen, er hat das gründerzeitliche Wien geprägt."

    Das konnte Hansen, weil die Stadt damals wuchs wie nie zuvor. Deshalb zeigt die Ausstellung nicht nur seine Palais für die Familien Ephrussi, Epstein, Todesco und andere, sondern auch die riesigen Mietzinshäuser, die heute so selbstverständlich zum Stadtbild am Wiener Ring gehören: Es gehörte zu Hansens Leistungen, dass er nicht nur mehrere Bauherren unter einen Hut, will sagen: hinter eine einheitliche Fassade brachte, sondern diesen Gebäuden eine eherne Substanz mitgab - und gleichzeitig Flexibilität. Sein Palais Epstein ließ sich umstandslos vom Wohnhaus zum Hotel zum Amtsgebäude und wieder zurück modeln

    "Der Historismus war da viel moderner als die meisten Gebäude, die wir heute errichten."