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Wiesbaden
Radfahren im Feindesland

Wiesbaden ist die fahrradfeindlichste Großstadt Deutschlands: Im jüngsten Fahrradklima-Test des Fahrradclubs ADFC landet die hessische Landeshauptstadt noch hinter Köln, Bochum und Mönchengladbach auf dem letzten Platz. DLF-Landeskorrespondent Ludger Fittkau hat all seinen Mut zusammengenommen und sich trotzdem aufs Rad geschwungen.

Von Ludger Fittkau |
    Eine Frau steht am 18.02.2015 in Wiesbaden (Hessen) mit ihrem Fahrrad an einer belebten Kreuzung.
    Zwischen Autos eingeklemmt: Radfahren in Wiesbaden (picture alliance / dpa / Arne Dedert)
    Wiesbaden-Hauptbahnhof, Bahnhofsvorplatz. Ich steige auf mein Fahrrad und fahre auf dem Gustav-Stresemann-Ring Richtung Westen. Eine schmale Fahrradspur ist zunächst durch eine weiße Markierung am rechten Rand der mehrspurigen Autostraße ausgewiesen. Doch schon nach rund 150 Metern hört die Spur einfach auf - Radfahrer müssen sich ohne Vorwarnung auf der stark von Autos befahrenen Straße einfädeln. Kein Einzelfall, sagt Sven Geyer. Er leitet in Wiesbaden das Sozialprojekt "Der Radler". Das ist eine Fahrradwerkstatt in einem alten Eisenbahnwaggon auf einem Bahnsteig des Hauptbahnhofs. Radwege, die abrupt enden, seien in Wiesbaden keine Seltenheit, weiß Sven Geyer aus eigener Erfahrung:
    "Ja, die hören dann mittendrin auf, oder man nutzt Fußgänger- und Radweg zusammen, das ist immer ein bisschen Risiko. Gut, du hast eine Schelle aber trotzdem. Die erschrecken dann manchmal schon, auch wenn du schellst."
    Kein Platz für Fahrräder
    Sven Geyer fährt selbst jeden Tag mit dem Rad zu seinem Arbeitsplatz, der Fahrradwerkstatt im Wiesbadener Hauptbahnhof. Auf dem Waggon, in dem die Werkstatt eingerichtet ist hängt ein Schild mit der Aufschrift: "In Kooperation mit dem ADFC" - dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club. Dieser ADFC war es, der Wiesbaden jetzt zur fahrradunfreundlichsten Großstadt Deutschlands erklärt hat. Sven Geyer wundert das nicht. Er hat den täglichen Vergleich mit Mainz, wo er lebt:
    "Also, was ich so mit bekomme, von unseren Kunden, ich komme ja aus Mainz, fahre auch rüber nach Wiesbaden. Ich würde sagen, die Mainzer Radwege sind auf jeden Fall um einiges besser ausgebaut. Und auch die Infrastruktur für Radfahrer ist in Mainz schon besser. Also Wiesbaden ist jetzt nicht gerade so fahrradfreundlich."
    Das liege allerdings nicht nur daran, dass die Stadt zu wenig mache, glaubt der Fahrradmechaniker. Wiesbaden habe an vielen Stellen aufgrund der engen Straßen einfach weniger Platz für Radwege als etwa seine Heimatstadt Mainz:
    "Die Frage ist, was müsste die Stadt machen? Ich glaube auch, die Infrastruktur gibt es nicht so her. Wenn ich jetzt mal die Äppelallee anschaue, da sind auch rechts und links Wohngebäude. Und die Straße und ein Trottoir. Wo soll ich da den Fahrradweg noch hinbauen? Und zurückbauen? Ich denke, dass ist unbezahlbar."
    Verkehrsministerium gelobt Besserung
    Mathias Samson kennt die Raumprobleme Wiesbadens sehr genau. Er ist Staatssekretär im hessischen Verkehrsministerium, das nur einen Steinwurf von Wiesbadener Hauptbahnhof entfernt liegt. Dass die hessische Landeshauptstadt im Ranking des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs nur auf dem letzten Platz aller vergleichbaren Großstädte liegt - das will der grüne Verkehrspolitiker ändern:
    "Langfristige Verkehrsplanung muss durchgängige Radwegenetze vorbereiten. Radfahren wird nur attraktiv, wenn es bequem ist, wenn es sicher ist und wenn eine vernünftige Linienführung möglich ist. Wenn man keine großen Umwege machen muss und so weiter. Das ist nicht einfach. Gerade in engen Stadtlagen wie hier in Wiesbaden, aber das ist sicherlich ausbaufähig."
    Mathias Samson denkt auch an die alternde Bevölkerung in Wiesbaden. Die Stadt ist ja nicht nur Landeshauptstadt, sondern auch Kurstadt mit vielen Rentnern, die den Bäderbetrieb gerne in Anspruch nehmen. Gerade bei den Älteren gibt es großes Interesse an Fahrrädern mit Elektrounterstützung, glaubt Samson:
    "Im Nahverkehr werden wir in den nächsten Jahren noch eine große Dynamik erleben. Nicht zuletzt durch das Inverkehrbringen von Pedelecs, das heißt elektrisch unterstützter Fahrräder werden viel mehr Menschen auf das Rad als wichtigem Alltagsverkehrsmittel zurückgreifen können. Und ich glaube, da muss Politik sich drum kümmern und die notwendigen Voraussetzungen schaffen, dass diese Räder dann auch sicher unterwegs sind."
    Immer mehr Pendler steigen aufs Rad um
    Auch von einer gut ausgebauten und direkten Radverbindung zwischen Wiesbaden und der Nachbarstadt Mainz träumen viele Fahrradfreunde in der hessischen Landeshauptstadt. Die Sperrung der maroden Schiersteiner Autobrücke über den Rhein zeigt nämlich: Es steigen viele Pendler zwischen beiden Städten schon jetzt aufs Fahrrad um, anstatt in endlosen Staus an den verbliebenen Rheinbrücken zu stecken. Sven Geyer erlebt das jetzt täglich selbst:
    "Ich würde sagen, das Verkehrsproblem ist eigentlich momentan nicht so hoch, weil die Pendler entsprechend flexibel geworden sind. Bahn, Rad, Fahrgemeinschaft."
    Wäre Wiesbaden nicht die fahrradunfreundlichste Großstadt Deutschlands, so könnte also gerade die Sperrung der Schiersteiner Brücke einen regelrechten Fahrradboom auslösen. Doch so lange Radwege wie auf dem viel befahrenen Gustav-Stesemann-Ring noch im Nichts enden, bleibt das wohl ein Wunschtraum.