Wikileaks veröffentlichte am Dienstagabend in Zusammenarbeit mit der französischen Tageszeitung Libération und der Investigativ-Webseite Mediapart Dokumente, die die Praktiken des US-Geheimdienstes belegen sollen. In den veröffentlichten Konversationen der Staatschefs Jacques Chirac, Nicolas Sarkozy und Hollande geht es unter anderem um die griechische Schuldenkrise, die Beziehungen zu Deutschland - und ironischerweise um amerikanische Spionage. Auch weitere hochrangige französische Politiker sind betroffen.
Der französische Premierminister Manuel Valls sprach von einem "sehr schweren Vertrauensbruch." Er sagte vor der Nationalversammlung in Paris, es sei nicht legitim, im Namen der nationalen Interessen die politische Kommunikation seiner engen Verbündeten und ihrer Mitarbeiter zu überwachen. Valls berichtete von "Emotion und Wut" unter französischen Spitzenpolitikern. Die USA müssten schnell handeln, um den Schaden zu reparieren, sagte der Premierminister.
In der Nacht zu Mittwoch versicherte das Weiße Haus, dass Hollande nicht überwacht wird. "Wir nehmen die Kommunikation von Präsident Hollande nicht ins Visier und werden sie nicht ins Visier nehmen", sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats, Ned Price, am Dienstag in Washington der Nachrichtenagentur AFP. Zur Praxis in der Vergangenheit äußerte er sich allerdings nicht. Frankreichs Regierungssprecher Stéphane Le Foll bezeichnete die Abhöraktionen als "inakzeptabel unter Verbündeten".
Zahlreiche Dokumente öffentlich
Wikileaks listete auf ihrer Internetseite den Inhalt von fünf ausgewählten Konversationen aus der Zeit bis 2012 auf, an denen auch die französischen Präsidenten beteiligt sind. Themen sind unter anderem die Beziehung zu Deutschland, eine hochrangige Berufung bei den Vereinten Nationen, der Nahost-Friedensprozess und das Vorgehen in der Euro-Krise, wie die Frankreich-Korrespondentin des Deutschlandfunks, Ursula Welter, berichtet. Ein Bericht vom 24. März 2010 beschreibt Sarkozys Frustration über die Ablehnung der USA, einen Spionagepakt zu unterschreiben. Die Haupthürde sei, dass die USA weiterhin Frankreich ausspionieren wollten, heißt es.
Eine Bestätigung der Echtheit des von Wikileaks veröffentlichten Materials lag zunächst nicht vor. Der Sprecher der Plattform, Kristinn Hrafnsson, sagte der Nachrichtenagentur AP, er sei zuversichtlich, dass die Dokumente authentisch seien. Er verwies auf frühere Massenenthüllungen der Plattform, die sich als echt erwiesen hätten. Wie Wikileaks an die Dokumente gelangte, wollte Sprecher Hrafnsson nicht sagen. Auf die Frage, was sonst noch in der französischen Presse auftauchen könnte, sagte er: "Sie können weitere Enthüllungen in naher Zukunft erwarten." Auf ihrem Twitterkanal veröffentlichte Wikileaks eine Anrufliste vom Mobiltelefon Hollandes.
Frankreichs Politiker wütend
Die Enthüllung führte zu wütenden Reaktionen von französischen Politikern. Ein Krisentreffen von Hollandes Verteidigungsrat wurde für Mittwochmorgen einberufen. Seine Sozialistische Partei kritisierte die mutmaßlichen NSA-Methoden als nicht tolerierbar. Ein Berater von Sarkozy sagte der AP, der frühere Präsident betrachte diese Methoden generell als inakzeptabel. Besonders, wenn es sich um einen politischen Verbündeten handele. Aus dem Umfeld Chiracs gab es bislang keinen Kommentar. Hollande hatte nach eigenen Angaben seine Bedenken über die NSA-Überwachung 2014 bei einem USA-Besuch in einem Gespräch mit Obama geäußert. Meinungsverschiedenheiten seien dabei ausgeräumt worden.
Alliierte spähen ihre politischen Freunde seit jeher aus. Die Abhörpraktiken der NSA gegen Staats- und Regierungschefs verbündeter Länder wie beispielsweise Bundeskanzlerin Angela Merkel hatten jedoch heftigen Protest vor allem aus Europa nach sich gezogen. Auch Merkel äußerte 2013 nach den Enthüllungen des NSA-Whistleblowers Edward Snowden scharfe Kritik an der Abhörpraxis der NSA. US-Präsident Barack Obama reagierte mit einer kompletten Überprüfung der Arbeit der NSA. Eine Reform scheiterte jedoch zuletzt.
Überwachungsgesetz in Frankreich diskutiert
Die Enthüllungen kamen einen Tag, ehe das Parlament in Paris selbst über ein Überwachungsgesetz entscheiden will. Bei der Vorlage geht es um eine Ausweitung der Beschattung von Terrorverdächtigen. Hintergrund ist der Terroranschlag auf die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" im Januar, bei dem zwölf Menschen getötet wurden. Menschenrechtsgruppen und Datenschützer sind gegen das Gesetz. Die Regierung führt an, dass ein Gesetz aus dem Jahr 1991 lediglich reformiert werde. Von einer Massenüberwachung im Stile der USA distanzierte sich Paris.
(nch/hba)