Damit reagierte Sensburg auf Enthüllungen der Plattform Wikileaks, wonach nicht nur die Regierung Merkel von der NSA ausspioniert worden sein soll, sondern auch schon deren Vorgänger unter den Kanzlern Schröder und Kohl. "Wir sehen hier vermutlich erst die Spitze des Eisbergs", sagte der Vorsitzende des NSA-Bundestagsuntersuchungsausschusses im DLF und warnte davor, blauäugig zu sein. Die deutsche Politik sei auch für andere Länder interessant. Vermutlich seien bis heute viele Nachrichtendienste in Deutschland aktiv, um politische Entscheidungen ihrer Regierungen vorzubereiten.
Sensburg riet davon ab, sich als Reaktion auf die neuen Wikileaks-Berichte erneut offiziell bei der US-Regierung zu beschweren. "Es hat doch keinen Sinn, jede Woche den Botschafter einzubestellen." Vielmehr müssten Wege gefunden werden, die Kommunikation in Deutschland sicherer zu machen.
Das Interview in voller Länge:
Dirk-Oliver Heckmann: Schon lange ist ja bekannt, dass der amerikanische Geheimdienst NSA das Handy der Bundeskanzlerin abgehört hat, auch wenn es dazu nie eine wirklich offizielle Bestätigung aus Washington gab. Jetzt hat die Enthüllungsplattform Wikileaks aber eine Liste von Telefonnummern veröffentlicht, die ebenfalls aus dem Bestand der NSA stammen soll. Da stehen rund 60 Telefonnummern drauf. Und wenn es zutrifft, was diese Liste nahelegt, dann haben die Amerikaner das Kanzleramt seit Jahrzehnten abgeschöpft, schon zu Zeiten von Gerhard Schröder und Helmut Kohl.
Darüber sprechen können wir jetzt mit dem Vorsitzenden des NSA-Untersuchungsausschusses, mit Patrick Sensburg von der CDU. Guten Morgen, Herr Sensburg!
Darüber sprechen können wir jetzt mit dem Vorsitzenden des NSA-Untersuchungsausschusses, mit Patrick Sensburg von der CDU. Guten Morgen, Herr Sensburg!
Patrick Sensburg: Schönen guten Morgen! Ich grüße Sie.
Heckmann: Gehen Sie davon aus, dass die Liste der abgehörten Telefonnummern authentisch ist?
Sensburg: Man kann davon ausgehen, dass diese Nummern auch im Fokus nachrichtendienstlicher Überwachung standen. Wir können die Liste noch nicht in Gänze überprüfen. Das werden wir aber peu a peu machen. Es handelt sich wohl nicht um die Selektoren, über die wir in den letzten Wochen und Monaten geredet haben. Es handelt sich hier wohl um die direkte Überwachung durch die Amerikaner, durch den amerikanischen Nachrichtendienst NSA. Aber das müssen wir noch im Detail prüfen.
"Deutsche Politik für nachrichtendienstliche Ausspähung interessant"
Heckmann: Sie müssen das im Detail prüfen. Aber wenn sich herausstellt, dass es zutrifft, dass diese Angaben zutreffen, was bedeutet das aus Ihrer Sicht dann?
Sensburg: Ich glaube, wir sehen in diesen Tagen wieder, wie interessant doch die deutsche Politik für nachrichtendienstliche Ausspähung ist. Ich glaube, das politische Berlin steht im Zentrum vieler Nachrichtendienste. Wir liegen geografisch in der Mitte Europas, die transatlantischen Beziehungen sind intensiv. Ich glaube, wenn man schaut, wie weit diese Ausforschungen zurückgehen - und wir reden ja jetzt nur von den Amerikanern -, dann kann man sich sicherlich vorstellen, dass Ende der 80er-Jahre, Anfang der 90er-Jahre in Zeiten der Wiedervereinigung, wie intensiv da die nachrichtendienstlichen Tätigkeiten gewesen sein müssen.
Heckmann: Hätten Sie das denn den amerikanischen Diensten zugetraut, oder gehören Sie zu denen, die mittlerweile sagen, wir wundern uns eigentlich über gar nichts mehr?
Sensburg: Ich glaube, dass nicht nur die Amerikaner, dass viele Nachrichtendienste bei uns aktiv sind, dass sie versuchen, möglichst viele Erkenntnisse zu gewinnen, um ihre politischen Entscheidungen vorzubereiten. Von daher: Wir fokussieren uns ja jetzt sehr stark, auch die Medien auf die Amerikaner. Ich glaube, wir würden feststellen, wenn wir in die Breite gehen, dass wir ganz, ganz viele nachrichtendienstliche Aktivitäten in Berlin und in Deutschland haben. Von daher sollte man auch nicht blauäugig sein. Nachrichtendienste forschen aus, tief in der Breite, und die Frage stellt sich, was machen wir dagegen.
"Ich glaube, dass wir hier erst die Spitze des Eisberges sehen"
Heckmann: Aber Tatsache ist, es handelt sich um einen amerikanischen Dienst, der hier offenbar erhebliche Aktivitäten an den Tag gelegt hat. Vergangene Woche, da wurde der amerikanische Botschafter einbestellt oder auch zum Gespräch gebeten. Kommt jetzt wieder eine lauwarme pflichtschuldige Beschwerde Richtung Washington?
Sensburg: Nach meiner Meinung macht es jetzt keinen Sinn, jede Woche, wenn neue Veröffentlichungen an den Tag kommen, wieder den Botschafter einzubestellen. Es ist richtig, man muss miteinander reden, wie Zusammenarbeit funktioniert, wie auch die Basis der Zusammenarbeit sein soll. Aber noch mal: Entscheidend ist, welche Schlussfolgerungen wir ziehen aus der Tatsache, dass Nachrichtendienste in einem digitalen Zeitalter, in dem wir uns bewegen, alle Möglichkeiten nutzen, um Erkenntnisse zu gewinnen. Ich glaube, dass wir hier erst die Spitze des Eisberges sehen. Wir müssen handeln und ich glaube, die Frage der Sicherheit der Daten, die wir angehen müssen, das ist die entscheidende.
Heckmann: Die Opposition ruft die Bundesregierung dennoch dazu auf, sie müsse endlich härter auftreten gegenüber den USA. Weshalb ist die Koalition so leisetreterisch? Man könnte ja trotzdem die Konsequenzen ziehen, die Sie gerade angesprochen haben.
Sensburg: Ja, das ist richtig. Man könnte erneut den amerikanischen Botschafter einbestellen. Ich glaube, dass wir alle dann nicht sicherer kommunizieren am nächsten Tag. Vielleicht kann man auch den russischen, den französischen, den britischen, den indischen Botschafter einbestellen und die Liste wäre jetzt wahrscheinlich endlos. Alle Staaten, die Nachrichtendienste haben. Dann glaube ich auch nicht, dass wir beide, die Bürgerinnen und Bürger, die Bundesregierung sicherer kommunizieren wird.
Heckmann: Ist der Grund für diese Zurückhaltung vielleicht darin begründet, dass der Bundesnachrichtendienst möglicherweise ähnliche Aktivitäten an den Tag legt?
Sensburg: Ich glaube, nach alledem, was wir wissen und auch das Parlamentarische Kontrollgremium, was ja kontinuierlich unsere Dienste überwacht, haben wir einen anderen Ansatz. Ich glaube, dass wir auch alleine vom Umfang her solche Aktivitäten nicht durchführen könnten, und wir haben ja auch eine Philosophie, die in der parlamentarischen Kontrolle fußt, dass wir bei der Ausrichtung unserer Nachrichtendienste einen anderen Ansatz wählen. Aber noch mal: Ich glaube, entscheidend ist, ob jetzt Fakten geschaffen werden, ob wir Ansätze finden im Bereich Spionageabwehr, Sicherheit unserer Daten, dass sich wirklich etwas ändert.
"Der Untersuchungsausschuss hat in über einem Jahr sehr viele Dinge herausgefunden"
Heckmann: Der Bündnis-Grüne Konstantin von Notz, der spricht von einer hoch peinlichen Angelegenheit auch für Angela Merkel, denn sie lege eine Verweigerungshaltung an den Tag. Sie verspreche zwar öffentlich immer wieder gerne Aufklärung; de facto hintertreibe sie aber jedoch die Aufklärungsbemühungen des Parlaments, wo es nur irgendwie geht. Stichwort: Liste der Selektoren, die die Parlamentarier nicht einsehen dürfen. Stichwort: Edward Snowden, der hier in Deutschland nicht vernommen werden kann.
Sensburg: Das muss eine Opposition natürlich sagen. Darum ist sie Opposition.
Heckmann: Vielleicht ist ja auch was dran!
Sensburg: Ich glaube, dass es ganz entscheidend ist, dass wir in der Tiefe wirklich schauen - und das macht der Untersuchungsausschuss -, was läuft in Deutschland falsch, und die Konsequenzen daraus gezogen werden. Ich glaube, dass dieser Untersuchungsausschuss in über einem Jahr jetzt sehr viele Dinge herausgefunden hat. Viele sind auch durch Veröffentlichungen herausgekommen, die nicht der Untersuchungsausschuss hervorgebracht hat, aber vieles auch durch den Untersuchungsausschuss. Und ich denke, es wird ja auch Konsequenzen geben. Wir werden jetzt bei den Selektorenlisten, die einen anderen Sachverhalt betreffen, mit einem ersten Schritt mit einer Vertrauensperson, Herrn Dr. Graulich, versuchen, Licht ins Dunkele zu bringen, und der Untersuchungsausschuss hat ja nicht gesagt, dass er auf die Selektorenlisten verzichtet, sondern hat gesagt, dass er als einen ersten Schritt mit einer Vertrauensperson hier einen Einblick in die Listen erhalten will. Wenn dieses nicht erfolgreich ist, kann weiterhin gefordert werden, dass der Untersuchungsausschuss selber diese Listen einsieht.
Heckmann: Wir werden das weiter beobachten und das Thema wird uns sicherlich auch das eine oder andere Mal wieder beschäftigen. - Patrick Sensburg war das, der Vorsitzende des NSA-Untersuchungsausschusses. Er gehört der CDU an. Herr Sensburg, danke Ihnen für das Gespräch. Danke für Ihre Zeit und schönen Tag.
Sensburg: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.