Christoph Heinemann: Die Londoner Polizei hat Wikileaks-Gründer Julian Assange aufgrund eines Auslieferungsantrages der US-Behörden festgenommen. Die Strafverfolgungsbehörden wollen Assange vor Gericht stellen. Wikileaks hatte geheimes Material der ehemaligen Mitarbeiterin der US-Armee Manning veröffentlicht. Aus Schweden wird nun berichtet, die Anwältin einer Frau, die behauptet, 2010 von Assange vergewaltigt worden zu sein, wolle diesen Fall jetzt in Schweden neu aufrollen.
In dieses Durcheinander wollen wir jetzt mit Nikolaos Gazeas Ordnung bringen. Er ist Anwalt für internationales Strafrecht und Lehrbeauftragter an der Universität Köln, bei uns jetzt im Studio. Guten Morgen!
Nikolaos Gazeas: Guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Wieso konnte Assange überhaupt festgenommen werden?
Gazeas: Die Festnahme war nur deshalb möglich, weil der Botschafter Ecuadors in London den britischen Behörden erlaubt hat, das Botschaftsgelände zu betreten. Es ist grundsätzlich so, dass das Gelände, auf dem sich eine Botschaft befindet, besonderen völkerrechtlichen Schutz genießt und dass das Gastgeberland, hier Großbritannien, dieses Gelände nicht ohne Einwilligung des Missionschefs betreten hat. Diese Einwilligung lag lange Jahre nicht vor; gestern ist sie erteilt worden.
"Ein ganz kluger Schachzug der Amerikaner"
Heinemann: Also nur, weil sich da jetzt etwas geändert hat innerhalb der Botschaft. – Unter welchen Bedingungen kann Julian Assange ausgeliefert werden?
Gazeas: Die Auslieferung richtet sich hier nach dem Auslieferungsvertrag, der zwischen den USA und Großbritannien besteht. Das ist ein Vertrag aus dem Jahre 2003. Grundsätzlich muss man hier hinzufügen, dass die Auslieferungsbeziehungen zwischen den USA und dem Vereinigten Königreich gute sind. Das heißt, die Länder arbeiten gut und vertrauensvoll zusammen.
Und wenn man sich die Anklage anschaut, die hier gegen Herrn Assange erhoben wurde – sie ist vor kurzem gestern auch vom Departement of Justice, dem zuständigen Justizministerium veröffentlicht worden -, dann hat man den Eindruck, dass dies eine maßgeschneiderte Anklage ist, gezielt nur für diese Auslieferung. Denn es fehlen dort Straftatbestände, die alle mal die letzten Jahre im Raum kursierten, vor allem Delikte, die in den Bereich des Staatsschutzes, des Spionage-Act gehen, Spionagedelikte. All diese Delikte sind herausgenommen.
Das mag den einen oder anderen wundern. Bei Licht betrachtet ist das jedoch ein ganz kluger Schachzug der Amerikaner, denn das wären alles Delikte, die entweder große rechtliche Fragen aufgeworfen hätten, oder nicht auslieferungsfähige Taten wären, weil sie als politische Straftaten zu beurteilen wären.
Das, worum es jetzt geht in der Anklage, der Straftatbestand, der ihm vorgeworfen wird, das ist eine auslieferungsfähige Tat. Konkret wird Assange hier beschuldigt, er habe Chelsea Manning geholfen, das Passwort eines Computernetzwerks zu knacken. Diese Tat ist kein politisches Delikt und öffnet insoweit den Weg für eine Auslieferung.
Heinemann: Sollte der Prozess in Schweden wieder aufgerollt werden, wohin würden oder müssten die Briten dann ausliefern, nach Skandinavien oder in die USA?
Gazeas: Für diesen Fall hätten wir zwei Auslieferungsersuchen vorliegen, konkurrierend, und da sieht auch das britische Recht vor, dass dann das Außenministerium, das hierfür zuständig ist, am Ende entscheiden müsste, welcher Auslieferung hier der Vorrang gewährt wird. Es besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass dem US-amerikanischen Auslieferungsersuchen hier Vorrang gewährt werden würde, weil dies auch prioritär hier eingereicht worden ist. Insoweit würde ich eher davon ausgehen, dass eine Auslieferung an die USA erfolgt.
Sie müssen aber, Herr Heinemann, auch berücksichtigen, dass Auslieferungen immer auch politische Fragen aufwerfen und letztlich auch Entscheidungen sind, die nicht nur die Gerichte, sondern am Ende des Tages immer der jeweilige Staat und damit die Politik trifft – die Exekutive. Ich kann mir gut vorstellen, dass Schweden sich hier diese Last der Auslieferung und aller Folgen, die damit einhergehen, gar nicht erst auferlegt, denn wenn Assange irgendwann nach Schweden ausgeliefert werden würde, ist es so gut wie sicher, dass Schweden eines Tages ein Auslieferungsersuchen aus den USA erreichen würde, und vielleicht möchte Schweden nicht als dasjenige Land dastehen, gerade als so ein liberales Land, das so jemand wie Julian Assange ausliefert.
Heinemann: Assange bezeichnet sich selbst ja als Whistleblower und als Journalist. Wenn das zuträfe, würde ihn dieser Status schützen?
Gazeas: Der Zustand des Journalisten möglicherweise in einzelnen Teilen durchaus, denn da ginge es dann um Fragen der Pressefreiheit, des ersten Zusatzartikels der US-amerikanischen Verfassung, und das könnte eine gewisse Auswirkung auf die Frage der Strafbarkeit haben. Die US-Behörden stellen sich indes auf den Standpunkt, dass er kein Journalist sei, auch und vor allem, weil der maßgebliche Unterschied zum Journalismus darin bestehen solle, dass ein Journalist analysiert, kritisiert und kommentiert, und Julian Assange über seine Plattform Wikileaks, wenn Sie so wollen, unreflektiert einfach nur das gesamte geleakte Material öffentlich macht. Das sei kein Journalismus.
Was den Whistleblower-Status anbelangt ist zu sagen, dass Whistleblowing in gewisser Hinsicht und in ganz vielen unterschiedlichen Gesetzen in den USA zwar unter Schutz steht und Whistleblower geschützt werden, der Fall von Herrn Assange aber nicht darunter fällt, denn er ist kein Regierungsmitarbeiter, kein staatlicher Mitarbeiter gewesen, der unter irgendeines der vielen Gesetze dort fallen könnte und entsprechenden Schutz genieße.
"Vergleichbare Situation wie bei Puigdemont"
Heinemann: Hieße jetzt, es wäre dann wahrscheinlich nicht strafmildernd, wenn Assange sagen würde, ich habe die Sachen nur veröffentlicht, ich habe sie nicht gestohlen?
Gazeas: Das wäre ein anderer Straftatbestand, der ihm hier vorgeworfen wird. So ist es im Übrigen auch. Das was nun in der Anklageschrift steht, die aus den USA kommt, ist ein Straftatbestand, der ein bisschen mit Computer-Manipulation zu tun hat, auf den es ohnehin nur eine Höchststrafe von fünf Jahren gäbe. Das heißt, das, was Herrn Assange in den USA erwarten würde, wären maximal diese Strafen.
Jetzt kommt ein ganz besonderer Grundsatz noch zur Geltung, der hier, so meine ich, auch noch mal besondere Bedeutung erfährt. Im Auslieferungsrecht gilt grundsätzlich immer der sogenannte Grundsatz der Spezialität. Das heißt, ein Verfolgter, eine Person darf nur wegen der Tat verfolgt werden, derentwegen sie auch tatsächlich ausgeliefert wurde. Das würde am Ende bedeuten, dass Assange in den USA nur wegen dieses einen, ich sage mal, bescheidenen Delikts verurteilt werden könnte. All die anderen Delikte, derentwegen etwa Chelsea Manning sehr, sehr hohe Haftstrafen - 35 Jahre waren es bei Chelsea Manning - erreicht hat, kommen bei ihm nicht zur Anwendung.
Wir haben insoweit eine ein Stück weit vergleichbare Situation wie bei Puigdemont vor einem Jahr, wo die spanische Regierung sich irgendwann vor der Alternative sah, ihn ausliefern zu lassen, dann aber nur wegen ganz, ganz eingeschränkter Delikte, und das Hauptdelikt nicht zur Anklage bringen zu können.
Heinemann: Herr Gazeas, Sie haben eben gesagt, das ist geradezu eine maßgeschneiderte Anklage. Ist das maßgeschneidert, um die Schwelle für die Auslieferung vielleicht sogar abzusenken?
Gazeas: Genauso stelle ich mir das hier vor, denn die Deliktsbereiche, die Probleme bereiten könnten, schon von Anfang an, die sind hier von Anfang an rausgelassen worden. Das ist sicherlich kein Versehen gewesen, sondern ich glaube insoweit ein Schachzug der Amerikaner.
"Auch bei Asylangebot würde nichts passieren"
Heinemann: Was würde passieren, wenn ein europäisches Land Julian Assange jetzt Asyl anbieten würde?
Gazeas: Auch für diesen Fall würde an sich nichts passieren, denn Julian Assange befindet sich nun in Haft in Großbritannien und von dort würde er auch dann nicht entlassen werden, wenn ihm ein europäisches Land Asyl gewähren würde. Denn die Festnahme erfolgte zum einen wegen des Verstoßes gegen britisches Recht. Da ging es um einen Kautionsverstoß, der strafbar ist in Großbritannien. Er erfolgte aber zugleich auch aufgrund eines Festnahmeersuchens der USA, und hier ist es so, dass Großbritannien keinen Anlass hätte, Assange nur deshalb freizulassen, weil vielleicht ein EU-Staat die Hand hebt und sagt, wir würden ihm politisches Asyl gewähren. Das wäre nur dann und solange, wenn Sie so wollen, eine realistische Option, dass der Fall eine andere Wendung nimmt, solange Assange auf freiem Fuß ist und in dieses Land flüchten könnte.
Heinemann: Herr Gazeas, Sie sind Jurist und Hochschullehrer, Wissenschaftler. Ich möchte Sie jetzt als Wahrsager missbrauchen. Wo wird sich Julian Assange in, sagen wir, einem Jahr befinden?
Gazeas: Das wäre tatsächlich ein kleiner Blick in die Glaskugel. Aber ich meine, dass man ihn hier wagen kann, und ich meine, dass man ihn vor einem amerikanischen Gericht sehen wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.