Oktober 2006, der Beginn
Wikileaks geht an den Start. Viele Medien bezeichnen Julian Assange, zum Teil bis heute, als "Gründer" der Enthüllungsplattform. Tatsächlich ist der Australier Teil eines Teams, das, wie der "Spiegel" 2011 über die Entstehungsgeschichte schreibt, von einer "weltweiten Bewegung" träumt.
In diesem Sinne gelingt Wikileaks im Spätsommer 2007 der erste große mediale Aufschlag: Der Guardian berichtet über Korruption in Milliardenhöhe in Kenia – mit Hilfe von Material, das die Plattform offenbar aus Regierungskreisen erhält und der britischen Tageszeitung zur Verfügung stellt.
In den folgenden Jahren kommt es zu zahlreichen weiteren Medienkooperationen und Enthüllungen. unter anderem über Interna des US-Geheimdienstes und -Militärs. So spielt die US-Soldatin Chelsea Manning Wikileaks Material über mutmaßliche Kriegsverbrechen der USA zu.
Parallel wächst der Druck auf Assange und seine Mitstreiter. Verschiedene Länder – darunter auch Deutschland – sperren kurz- oder langfristig Domains von Wikileaks, Server werden angegriffen, Bezahldienste verweigern ihre Angebote.
Assange befürchtet bereits 2010 eine Auslieferung durch Schweden, wo er sich damals aufhält, in die USA. Doch offiziell erhebt erst die US-Regierung von Präsident Donald Trump neun Jahre später Anklage gegen ihn.
August 2010, der Bruch
In Schweden zeigen zwei Frauen Assange wegen sexueller Vergehen an. In der Folge ermitteln die Behörden wegen Vergewaltigung gegen ihn, ein internationaler Haftbefehl wird erlassen.
In Großbritannien stellt sich Assange der Polizei und wird gegen Kaution unter Auflagen – wie dem Tragen einer elektronischen Fußfessel – freigelassen. Anfang 2011 ordnet ein britisches Gericht seine Auslieferung nach Schweden an.
Nach einem knapp anderthalbjährigen Rechtsstreit flüchtet Assange in die ecuadorianische Botschaft in London. Dort erhält er Ende 2012 Asyl – und mischt sich weiterhin via Twitter oder Video-Chats ins Weltgeschehen ein.
April 2019, die Verhaftung
Ecuador entzieht Assange nach sechseinhalb Jahren den Asylstatus. Vorangegangen waren ein Regierungswechsel in dem südamerikanischen Land. Am 11. April nimmt ihn die britische Polizei fest.
Schweden stellte zwar seine Ermittlungen bereits 2017 ein. Dennoch landet Assange in einem Londoner Gefängnis. Großbritannien begründet die Verhaftung mit einem Verstoß des 48-Jährigen gegen Kautionsauflagen und einer Bitte der USA. Dort droht ihm inzwischen offiziell wegen der Veröffentlichung geheimer Dokumente und Verstößen gegen das Anti-Spionage-Gesetz eine lebenslange Gefängnisstrafe.
Assange sitzt in Einzelhaft. Im November warnen mehr als 60 internationale Ärzte in einem Brief an die britische Innenministerin, Assange benötige dringend physische und psychologische Hilfe. Die Ärzte stützen ihre Einschätzung auf Augenzeugenberichte über einen Auftritt Assanges im Oktober vor einem Londoner Gericht sowie einen Bericht des UN-Sonderberichterstatters für Folter, Nils Melzer. Dieser hatte gesagt, Assange zeige typische Anzeichen von "psychologischer Folter".
Und die Solidarität?
Ende November warnen Medienvertreter im Bundestag vor den Folgen eines Feldzugs gegen Wikileaks für die freie Presse. Bei der Anhörung, zu der die Linksfraktion eingeladen hat, ist auch Assanges Vater John Shipton anwesend. Shipton fordert Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, sich politisch für seinen Sohn einzusetzen.
Mehr als 800 Journalisten weltweit (wie SZ-Investigativ-Chef Bastian Obermayer) engagieren sich mittlerweile unter dem Schlagwort "Speak up for Assange" für den Inhaftierten.
Dennoch titelt die Wochenzeitung "Der Freitag" am 12. Dezember: "Julian Assange, Journalist. Er kämpfte für unsere Freiheit. Er sitzt in Isolationshaft. Die Welt schaut weg." Herausgeber Jakob Augstein schreibt auf Twitter: "Was mit Assange geschieht, ist ein großes Unrecht. Wer dazu schweigt, sollte über Demokratie und Menschenrechte im Rest der Welt schweigen."
Auch Daniel Domscheit-Berg, bis 2010 bei Wikileaks und dann von Assange nach einem Streit entlassen aus dem Projekt, beobachtet nachlassende öffentliche Aufmerksamkeit für den Fall. Zu Beginn sei Assange "auf dem Weg zum nächsten Popstar" gewesen,
sagte Domscheit-Berg im Deutschlandfunk
. Damals habe dieser auch noch viel Solidarität genossen.
Doch zum einen sei es schwer, diese Art von Solidarität aufrechtzuerhalten, glaubt Domscheit-Berg. Und zum anderen habe Assange als "streitbarer Mensch" auch "große Teile der Öffentlichkeit und auch der Presselandschaft von sich entfremdet".
Verschiedene Faktoren würden dazu beitragen, dass "in dem Moment, wo er die Öffentlichkeit das erste Mal wahrscheinlich wirklich braucht, die Öffentlichkeit nicht da ist".