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Wikileaks-Gründer vor Gericht
Es wird nicht nur über Julian Assange verhandelt

Im Prozess gegen Wikileaks-Gründer Julian Assange in Großbritannien geht es nicht nur um seine Auslieferung an die USA, wo er wegen Geheimnisverrats angeklagt werden soll. Seine Unterstützer und selbst der UNO-Sonderberichterstatter für Folter sehen darin eine Bewährungsprobe für freie Demokratien.

Von Friedbert Meurer und Christoph Sterz |
Eine Unterstützerin von Julian Assange hält vor ihrer Brust ein Schild, auf dem das Gesicht von Assange zu sehen ist. Der Mund von Assange ist auf dem Bild mit einer US-amerikanischen Flagge zugeklebt. Darunter steht auf dem Plakat "Free Assange" ("Befreit Assange").
Weltweit setzen sich Mensche für Julian Assange ein und verurteilen das Vorgehen gegen ihn (dpa / picture alliance / Sputnik / Justin Griffiths-Williams)
"Collateral Murder" heißt das Video, das vor knapp zehn Jahren um die Welt geht. Veröffentlicht hat es die Enthüllungsplattform Wikileaks. Es zeigt einen Einsatz der US-Armee im Irak. Zu sehen ist, wie mehrere Menschen getötet werden; und zu hören, wie US-amerikanische Soldaten ihre Opfer verhöhnen. Später stellt sich heraus, dass bei dem Angriff mehrere Zivilisten gestorben sind, darunter zwei Journalisten. Die USA kommen dadurch stark in die Kritik – und der Mann, der das Video veröffentlicht hat, hat auch heute noch mit den Folgen dieser und anderer Veröffentlichungen zu tun:
Julian Assange, Australier, Jahrgang 1971, schlohweißes Haar, abgebrochenes Physik-Studium, Hacker – und Gründer von Wikileaks. Ein Mann, der viele Geheimnisse enthüllt hat, egal wie vertraulich sie waren; vom Vorgehen der Scientology-Sekte über Kriegsverbrechen der USA, Lauschangriffe der US-amerikanischen Geheimdienste bis zu illegalen Hinrichtungen in Kenia.
Der Fall Julian Assange
"Wir wollen eine transparente Regierung, keine transparenten Menschen. Wir sagen auch nicht, dass das Außenministerium keine Geheimnisse haben sollte. Wir sagen vielmehr, dass, wenn es Leute im Außenministerium gibt, die meinen, dass dort etwas schief läuft, und es keine geeigneten Maßnahmen zur internen oder externen Aufklärung gibt, dass es einen Kanal braucht. Einen Kanal, um solche Informationen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Und wir sind dieser Kanal."
Julian Assange sagt das 2011 dem Fernsehsender CBS News. Das Interview findet in Großbritannien statt, wenige Monate bevor Assange in die ecuadorianische Botschaft in London flieht. Er sucht dort Asyl, weil es einen europäischen Haftbefehl gegen ihn gibt, wegen Ermittlungen in Schweden zu einer mutmaßlichen Vergewaltigung. Assange sieht die Ermittlungen als Vorwand, um ihn an die USA ausliefern zu können; an den Staat also, der besonders stark von Wikileaks-Enthüllungen betroffen ist.
"Schießt nicht auf den Boten! Freiheit für Assange!"
Im April 2019 wird Julian Assange schließlich von der britischen Polizei festgenommen. Es ist das Ende einer Flucht. Am kommenden Montag beginnt der Prozess gegen Assange im "Westminster Magistrates Court", wo Terror- und Auslieferungsverfahren abgehandelt werden.
Schon Ende Januar gab es einen Gerichtstermin zum Verfahren. Ein Dutzend Sympathisanten demonstriert vor dem Gericht in London und ruft "Free, free Julian Assange". "Freiheit für Julian Assange!" Eine Frau trägt einen orangefarbenen Overall und hat ihre beiden Hände aneinander gekettet. Ihr Gesicht versteckt sie hinter einer Maske mit dem Konterfei des Wikileaks-Gründers. Eine andere Frau, sie ist US-Amerikanerin, hält ein Pappschild hoch.
Im Vordergund demonstrieren drei Menschen mit Pappschildern und Masken für die Freilassung von Julian Assange. Im Hintergrund ist der Eingang vdes Westminster Magistrates Courts  zu sehen.
Demonstranten protestieren vor dem Westminster Magistrates Court für die Freilassung von Julian Assange (AFP / Tolga Akmen )
"Hier steht: ‚Schießt nicht auf den Boten! Freiheit für Assange!‘ Das Verfahren pervertiert die Gerechtigkeit. Viele Länder wirken da zusammen. Sie wollen an ihm ein Exempel statuieren. Du sollst keine Kriegsverbrechen der Amerikaner öffentlich machen!"
"Ich bin hier, damit Julian Gerechtigkeit erfährt. Seit zehn Jahren wird ihm die Freiheit genommen. Er ist ein Journalist, der versucht, die Wahrheit zu berichten. Aber jene, die nicht wollen, dass die Wahrheit ans Tageslicht kommt - das sind die, die die Verbrechen begangen haben."
Etwa 30 Unterstützer von Julian Assange stehen vor der Einlasstür Schlange, teilweise warten sie schon seit dem frühen Morgen. Einer davon ist Moritz Müller, ein Deutscher. Er arbeitet für das Online-Medium "Nachdenkseiten".
"Es war ja angesetzt, dass das um 10 Uhr losgeht. Um 9 Uhr machen hier die Türen auf. Wir waren um fünf nach sechs da und waren Nummer zehn und elf in der Reihe. Man hat auch das Gefühl, wenn man drei Stunden vorher anstehen muss, dass dann natürlich das auch einen Haufen Leute abschreckt."
Alle, Unterstützer und Journalisten, müssen durch die Sicherheitskontrolle. Aufnahmegeräte und Kameras müssen sie abgeben, Handys nicht. Es bleibt alles friedlich. Innen geht es die Treppe hoch. Wieder eine halbe Stunde anstehen. Dann öffnen zwei Justizbeamte die schwere Tür zum Gerichtssaal. Die Unterstützer nehmen in den hinteren Reihen Platz, getrennt vom Geschehen durch eine Glaswand.
Verlegung aus Einzelhaft
Julian Assange erscheint jetzt auf einem Videobildschirm. Er ist aus dem Hochsicherheitsgefängnis "Belmarsh Prison" zugeschaltet. Assange vermittelt den Eindruck, die Anhörung an diesem Tag aufmerksam zu verfolgen. Sein Anwalt plädiert dafür, dass der Prozess zweigeteilt wird: eine Woche ab dem 24. Februar, dann noch einmal drei Wochen im Mai. Man brauche mehr Zeit, alles juristisch zu prüfen. Staatsanwältin und Richterin sind einverstanden. Viel mehr passiert nicht an diesem Morgen. Anwälte und Unterstützer werden anschließend vor dem Gerichtsgebäude mit Fragen der Sympathisanten bestürmt, die nicht in den Saal hinein durften. Sie wollen vor allem wissen, ob Assange aus der Einzelhaft freikommt.
Assanges Anwältin Jen Robinson und Kristinn Hrafnsson, Chefredakteur von Wikileaks, stehen von Journalisten umringt vor einem Londoner Gerichtsgebäude
Assanges Anwältin Jen Robinson und Kristinn Hrafnsson, Chefredakteur von Wikileaks, beantworten vor dem Gericht die Fragen von Journalisten und Anhängern (dpa / picture alliance / Sputnik / Justin Griffiths-Williams)
"Kommt er aus der Einzelhaft frei?"
"Wir werden das morgen über Twitter mitteilen".
Kristinn Hrafnsson gibt die Antwort. Der Isländer ist Chefredakteur von Wikileaks. Tags darauf wird es auf Twitter heißen, dass Assange aus der Einzelhaft in einen Bereich verlegt wurde, wo er zu anderen Häftlingen Kontakt hat. Hrafnsson erzählt jetzt von seinen Besuchen bei Julian Assange.
"Es ist schrecklich. Man geht durch drei Doppeltüren. Zweimal wurde ich untersucht, musste meinen Mund öffnen und die Zunge herausstrecken. Das ist demütigend."
Assange befindet sich in Untersuchungshaft, denn anders als 2010 kommt er nicht wieder gegen Kaution auf freien Fuß. Er darf laut Hrafnsson Zeitungen lesen, hat aber keinen Zugang zum Internet - wie die allermeisten anderen Häftlinge auch.
"Sie müssen ihn nicht in ein Hochsicherheitsgefängnis sperren, wo Terroristen und Mörder einsitzen. Das ist ungeheuerlich."
Die Vokabel "outrageous", "ungeheuerlich", benutzt Hrafnsson immer wieder. Die Justizbehörden selbst geben keine Einzelheiten bekannt. Lediglich der inzwischen abgelöste britische Innenminister Sajid Javid hatte einmal im Unterhaus kurz Stellung genommen:
"Julian Assange sitzt in Haft, weil er sich einem britischen Gericht entzogen hat. Das sind die üblichen Verfahrensweisen nach britischem Recht. Niemand in diesem Land steht über dem Gesetz."
"Psychische Folter"
Assange droht die Abschiebung in die USA, darum geht es in dem Verfahren. Die US-Justiz hat ihn wegen Spionageverdachts angeklagt. Das Vergewaltigungsverfahren in Schweden dagegen wurde eingestellt. Assange war unter anderem vorgeworfen worden, im Jahr 2010 eine Frau zu ungeschütztem Geschlechtsverkehr genötigt zu haben. Im vergangenen November teilte die Staatsanwaltschaft mit, dass der Vorfall so lange zurückliege, dass sich die Beweislage deutlich abgeschwächt habe. Die Beweise reichten für eine Anklage nicht aus.
Ein Transporter mit einem Aufdruck der Gesichter von Julian Assange und Chelsea Manning steht vor der Botschaft Ecuadors in London
Der Fall Julian Assange / "Entwicklung der Pressefreiheit ohne Wikileaks nicht zu denken"
Wikileaks sei wichtig für die Pressefreiheit gewesen, habe heute jedoch keinen Heldenplattform-Status mehr, sagte Sven Herpig, Stiftung Neue Verantwortung, im Dlf.
Das Abschiebeverfahren in Großbritannien bleibt davon unberührt. Kristinn Hrafnsson von Wikileaksglaubt, dass es, wie immer es verläuft, in die Berufung gehen wird. Assange wird also wohl noch lange in Haft bleiben, in der er sich seit über siebeneinhalb Jahren befindet, wenn man das selbst gewählte Asyl auf engstem Raum in der Botschaft Ecuadors dazu rechnet. Die lange Haftdauer wirke wie "psychische Folter", sagt der UNO-Sonderberichterstatter Nils Melzer. Hier solle ein kritischer Journalist mundtot gemacht werden, behauptet Hrafnsson. Moritz Müller sieht das auch so. Aber das Verfahren selbst scheint dem zu entsprechen, was in Großbritannien juristisch üblich ist, für Beobachter Müller nur schwer zu durchschauen.
"Auf jeden Fall wirkt das alles ein bisschen wie ein Spiel fast. Aber es ist wirklich schwer. Also ich bin ein bisschen ratlos rausgegangen."
Assange drohen bis zu 175 Jahre Haft
Der Prozess wird international mit Spannung erwartet, vor allem in den USA. Dort finden sich die meisten Kritiker von Assange; zum Beispiel Mike Pompeo, heutiger Außenminister und früherer CIA-Chef. Er hat schon vor drei Jahren klargemacht, was er von Whistleblowern wie Chelsea Manning hält, also derjenigen, die das "Collateral Murder"-Video weitergegeben hat; und von Geheimnis-Enthüllern wie Julian Assange:
"Wikileaks verhält sich wie ein feindlicher Geheimdienst und spricht wie ein feindlicher Geheimdienst. Ja, sie versuchen erfolglos, sich und ihre Handlungen zu tarnen, in der Sprache der Freiheit und der Privatsphäre. Tatsächlich geht es ihnen aber nur um ihren eigenen Ruhm. Ihr moralischer Kompass ist nicht vorhanden. Ihre Mission: persönliche Selbstverherrlichung durch die Zerstörung westlicher Werte."
Gerhart Baum (l-r), Bundesminister a.D., Günter Wallraff, Journalist, Sigmar Gabriel, ehemaliger Parteivorsitzender der SPD, und Sevim Dagdelen (Die Linke), Abgeordnete stehen nebeneinander.
Gerhart Baum (FDP), Bundesminister a.D., Günter Wallraff, Journalist, Sigmar Gabriel, ehemaliger Parteivorsitzender der SPD, und Sevim Dagdelen, Linke-Bundestagbgeordnete, stellen einen Appell zur Freilassung von Wikileaks-Gründer Julian Assange vor (dpa / dpa-Zentralbild / picture alliance / Britta Pedersen)
In Deutschland findet sich kaum jemand, der sich so offen gegen Assange ausspricht. Im Gegenteil: In den vergangenen Wochen haben sich viele Menschen mit Assange solidarisiert; in einem gemeinsamem Appell, unterzeichnet von Ex-Außenminister Sigmar Gabriel, der Schauspielerin Mariele Millowitsch bis hin zum Wissenschafts-journalisten Ranga Yogeshwar. Sie haben Zweifel an einem fairen Verfahren – und berufen sich dabei vor allem auf Nils Melzer, den Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen zum Thema Folter. Melzer hat Assange im Gefängnis besucht und befasst sich seit Monaten mit dem Fall:
"Was die amerikanischen Behörden behaupten, ist, dass Assange versucht haben soll, ein Passwort zu knacken, damit Chelsea Manning ihre Spuren verwischen kann im System. Das ist ihm aber offenbar nicht gelungen. Das ist ein relativ kleines Delikt, also die Maximalstrafe bei schwersten Konsequenzen, und es gab hier ja keine Konsequenzen, es war ja erfolglos, wären fünf Jahre Gefängnis, also nicht 175 Jahre. Und die ganzen anderen Strafklagen, die beziehen sich auf Veröffentlichung von geheimen national security Informationen. Und das ist ja das Kerngeschäft der investigativen Journalisten. Vor allem, wenn es darum geht, Informationen über Verbrechen zu verbreiten."
Günter Wallraff im Februar 2020 bei der Vorstellung seiner Unterschriftenaktion für die Freilassung von Julian Assange. Nach einer etwaigen Abschiebung in die USA würden Assange bis zu 175 Jahre Gefängnis drohen.
Wikileaks-Gründer / Petition für Julian Assanges Freilassung
Über 130 Unterschriften Prominenter hat der Journalist Günter Wallraff für die Freilassung von Julian Assange gesammelt. Die Unterzeichner befürchten, der Wikileaks-Gründer könnte in die USA ausgeliefert werden.
Dass Assange bis zu 175 Jahre Haft drohen, dass die USA seit Jahren seine Auslieferung fordern, liegt nach Ansicht von Melzer daran, dass sich Assange mit den Mächtigen der Vereinigten Staaten angelegt hat, dass er ihre schmutzigsten Geheimnisse verraten hat.
"Man darf auch nicht vergessen, dass Wikileaks ja schwerste Verbrechen, einschließlich Kriegsverbrechen, bewiesen hat mit seinen Veröffentlichungen und dass dafür niemand belangt worden ist bis heute – also, dass dort die Glaubwürdigkeit des Rechtsstaates schon sehr stark angeschlagen ist. Stattdessen wird jetzt der verfolgt, der diese Informationen veröffentlicht hat."
Die Kritiker von Assange verweisen an dieser Stelle gerne darauf, dass Assange durchaus fehlbar ist. Dass der Australier die Vergewaltigungs-vorwürfe in Schweden nie ein für allemal hat klären lassen; dass er selbstverliebt wirke und egoistisch handle; sogar, dass er sich zwischenzeitlich von Russland habe instrumentalisieren lassen.
Nils Melzer 
Der Schweizer Nils Melzer ist UNO-Sonderberichterstatter für Folter (APF/ Adem Altan )
Seine Unterstützer sagen, dass es im aktuellen Verfahren gar nicht um die streitbare Person Julian Assange gehe – sondern um viel mehr. So sieht es der ehemals enge Vertrauter von Assange, der Informatiker und frühere Wikileaks Mitarbeiter Daniel Domscheit-Berg:
"Das, was da passiert, und auch die Art von Prozess, die ihn in den USA erwarten würde, ist überhaupt nicht vereinbar mit unserem Wertegerüst hier in Deutschland, mit unserer Erwartungshaltung und was die Arbeit der freien Presse angeht. All diese Dinge, das verstößt ganz grundsätzlich gegen die Art und Weise, wie wir, glaube ich zumindest, hier in Deutschland die freie Welt wahrnehmen. Und da sollten wir natürlich uns dagegen positionieren und was dazu sagen."
UN Sonderberichterstatter Nils Melzer auf dem Pariser Platz in Berlin.
Nils Melzer / "Glaubwürdigkeit des Rechtsstaats stark angeschlagen"
Im Umgang mit Julian Assange werde ein Präzendenzfall geschaffen, sagte der UN-Sonderberichterstatter über Folter, Nils Melzer, im Dlf. Das könne großen Einfluss auf zukünftige Prozesse gegen Journalisten und ihre Informanten haben.
Aber nicht jeder legt sich so eindeutig fest wie Nils Melzer oder Daniel Domscheit-Berg. Die Bundesregierung zum Beispiel hält sich im Fall Assange sehr zurück. Und das ist genau richtig so, findet der CDU-Bundestagsabgeordnete Patrick Sensburg:
"Also wir sollten jetzt der USA nicht immer unterstellen, sie wären kein Rechtsstaat und hätten keine Rechtsstaatlichkeit. Die USA haben keine zwei Weltkriege angefangen und hatten diese Terrorjustiz, wie Deutschland sie hatte. Also, wir sollten da doch sehr zurückhaltend sein. Also ich vertraue dem amerikanischen Justizsystem genauso wie dem Justizsystem der EU. Ich würde Amerika nicht unterstellen, sie wären kein Rechtsstaat. Von daher glaube ich auch, da gilt die Gewaltenteilung. Und auch da sollte man nicht aus deutscher Sicht rechtsstaatliche Verfahren torpedieren, sondern man sollte ihnen die Möglichkeit geben."
Die Grenze sei das Strafrecht
Sensburg hatte selbst mit Wikileaks zu tun, als Vorsitzender des NSA-Untersuchungsausschusses im Deutschen Bundestag. In dem Ausschuss ging es um das Abhören und Ausspähen durch ausländische Geheimdienste in Deutschland. Diese Überwachung wurde unter anderem von Wikileaks öffentlich gemacht, mithilfe des Whistleblowers Edward Snowden. Und auch zum Untersuchungsausschuss selbst stellte Wikileaks tausende Dokumente online. Dokumente, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren.
"Wir haben ja eine Riesentransparenz gehabt wie noch nie ein Untersuchungsausschuss davor. Wir haben nicht nur politische Spitzenbeamte und die Abteilungsleiterebene öffentlich vernommen. Wir haben das bis in die Sachbearbeiterebene, wir haben einen Riesenstapel an Dokumenten öffentlich zugänglich gemacht, und wir haben auch einen viele hundert Seiten starken Abschlussbericht öffentlich gemacht. Also da ist schon viel passiert. Gleichzeitig wird man sagen müssen: Dokumente, dass sie eingestuft werden, das hat auch einen Grund. Überhaupt Geheimnisse haben einen Grund. Und ich glaube, wenn wir bei Julian Assange sind: Er hat ja auch viele Geheimnisse. Er sagt ja nicht alles und veröffentlich nicht alles."
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Patrick Sensburg
Patrick Sensburg / "Keine Verschwörung von Staaten"
Julian Assange habe Geheimnisverrat begangen und dies sei nicht nur in den USA eine Straftat, sagte der CDU-Politiker Patrick Sensburg im Dlf. Zwar traue er Geheimdiensten viel zu, dennoch sei Amerika ein Rechtsstaat.
Die Grenze sei das Strafrecht, meint Sensburg – und daran müssten sich auch Whistleblower halten, also Menschen, die geheime oder geschützte Informationen weitergeben. Welche Regeln genau es gibt für die Weitergabe von Geheimnissen, wird gerade neu bestimmt - zumindest in der Europäischen Union. Die EU hat vor wenigen Monaten eine neue Whistleblower-Richtlinie auf den Weg gebracht. Thomas Kastning vom deutschen "Whistleblower-Netzwerk" begrüßt das grundsätzlich. Allerdings ist fraglich, welchen Schutz die Regelung tatsächlich bieten wird:
"Bei einer Eins-zu-eins-Umsetzung der EU-Richtlinie wäre Assange nicht geschützt. Assanges Fall betrifft zwei sehr spezielle Bereiche. Das eine ist das so genannte öffentliche Whistleblowing, sprich es ist nicht das Whistleblowing, was unternehmensintern oder organisationsinternen passiert, auch nicht das Whistleblowing, was an die Staatsanwaltschaft oder Polizei passiert, sondern der direkte Gang an die Öffentlichkeit. Und der zweite Sachbereich, den Assanges Fall berührt, ist das Veröffentlichen von klassifizierten Dokumenten, sprich Dokumente, die als geheim eingestuft wurden, in die Öffentlichkeit zu tragen. Und beides, die Regelungen zu diesen Bereichen, überlässt die EU-Richtlinie, vor allem den Bereich der Geheimhaltung, überlässt die Ausgestaltung den Nationalstaaten."
Angst vor dem Chilling Effect
Deutschland und die anderen EU-Länder müssen bis Oktober 2021 jeweils eigene Gesetze auf den Weg bringen, um die europäische Richtlinie umzusetzen. Kastning glaubt, dass am Ende das Weitergeben und vor allem das Veröffentlichen von Geheimnissen nicht nur in den USA ein großes Risiko bleiben könnte sondern auch in der EU.
Daniel Domscheit-Berg
Daniel Domscheit-Berg war Wikileaks-Mitarbeiter (picture alliance / dpa /Steffen Schmidt)
Auch deswegen sei der aktuelle Fall um Julian Assange von immenser Bedeutung, meint der ehemalige Wikileaks-Mitarbeiter Daniel Domscheit-Berg – weil es eben nicht um das Einzelschicksal eines australischen Aktivisten gehe:
"Ich glaube, wir sind mit der Causa Wikileaks an so einer Art Weggabelung der freien Presse gerade, wo, je nachdem wie das ausgeht, sich die freie Presse hinterher unterschiedlich entwickeln wird. Und das Eine kann sein, dass es das Ganze stärkt. Und das wäre, glaube ich, ein richtiges Signal. Und das andere wäre, dass jeder Journalist implizit doch gesagt bekommt, dass das alles mächtig nach hinten losgehen kann, dass auch für Whistleblower klarer wird, dass das nach hinten losgehen kann. Und das ist dieser Chilling Effect, von dem alle reden und vor dem auch alle Angst haben. Und ich glaube, dass wir davor auch ganz berechtigt Angst haben."
Dazu trägt bei, dass sich derzeit nicht allein die USA gegen Geheimnis-Veröffentlicher und Whistleblower wehren. In Brasilien zum Beispiel wird dem investigativen US-Journalisten Glenn Greenwald vorgeworfen, Teil einer "kriminellen Organisation" zu sein; in Australien durchsuchte die Polizei die Gebäude des Rundfunksenders ABC, nachdem dieser öffentlich gemacht hatte, dass australische Spezialeinheiten bei Einsätzen in Afghanistan unschuldige Menschen getötet haben sollen. Wenn dazu nun auch noch eine Auslieferung und eine Verurteilung von Julian Assange komme, dann sei das fatal, meint UNO-Sonderberichterstatter Nils Melzer:
"Wenn sich das als Präzedenzfall etabliert, dann heißt das, dass, wenn Sie jetzt von jemandem geheime Informationen bekommen über schwerste Verbrechen von Staatsvertretern, dass Sie das nicht mehr veröffentlichen dürfen, wenn Sie nicht als Spion im Gefängnis verschwinden wollen für den Rest Ihres Lebens. Und das, denke ich, ist also ganz fundamental gefährlich. Nicht nur für die Journalisten, sondern auch für die Demokratie im Allgemeinen. Weil die demokratische Bevölkerung kann ja nur über freie Medien Überhaupt die Machtausübung ihrer Regierung noch überwachen. Und wenn das nicht mehr gegeben ist, dann haben wir eigentlich unüberwachte Macht. Und wo das hinführt, da können wir nur in die dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts gucken. Und dann wissen wir, wo das hinführt."