Ich nenne es einfach das Buch, ohne nähere Bezeichnung und ohne Epitheta, und in dieser Abstinenz und Beschränkung liegt ratloses Seufzen, eine stille Kapitulation vor der Unfassbarkeit des Transzendenten, denn kein Wort und keine Andeutung kann so funkeln und so duften, kann uns mit solchen Schreckensschaudern überlaufen, kann eine Ahnung dieses namenlosen Etwas sein, dessen alleiniger Vorgeschmack auf der Zungenspitze das Fassungsvermögen unseres Entzückens übersteigt.
Ein Erzählungsband, der mit einem solchen Satz beginnt, hätte durchaus auf Skepsis oder gar Ablehnung stoßen können. Im Falle von Bruno Schulz verhielten sich die Dinge aber ein wenig anders. Im Jahre 1937, als "Das Sanatorium zur Sanduhr" erschien, war er längst eine Berühmtheit, und dies verdankte er eben seinem Stil, der sich allen semantischen Regeln entzog. Drei Jahre zuvor war nämlich sein Erstlingsband "Die Zimtläden" erschienen, und die Warschauer Kritiker erkannten in ihm sofort ein neues, ungewöhnliches Erzähltalent: Seine Geschichten spielten in einer rätselhaften Welt, die teils Kindheitserinnerung, teils traumatische Vision war. Es war die Welt des exzentrischen Tuchhändlers Jakob, dessen Schwäche für Schneiderpuppen und die lasterhafte Krokodilstrasse ihn bald zu einer der interessantesten Figuren der polnischen Literatur machen sollte. In dieser Welt spielt auch "Das Sanatorium zur Sanduhr". Die dortige Realität macht stets einen fragmentarischen Eindruck, der Mensch scheint Gefahr zu laufen, sich in ihr wie in einem Labyrinth zu verlieren, und die Natur – und sei es nur die eines kleinen Stadtparks – nimmt ungewöhnliche Formen an.
Wenn die Baumwurzeln sprechen wollen, wenn sich unter dem Rasen allzu viel Vergangenheit, Romane von früher und uralte Geschichten angesammelt, wenn sich unter den Wurzeln zu viel keuchendes Flüstern, unartikulierter Brei und das atemlose Dunkel, das jedem Wort vorangeht, angehäuft haben – dann schwärzt sich die Rinde der Bäume und zerbröckelt, sie bildet dicke Schuppen und tiefe Furchen, und dann öffnet das Mark seine dunklen Poren, wie ein Bärenfell.
Es war seine Doppelbegabung – die eines Zeichners und eines Erzählers –, die Schulz half, diese in sich geschlossene Welt zu schaffen. Hinzu kam seine psychische Grunddisposition: das Gefühl der Einsamkeit, das im Laufe seines Lebens um so deutlicher zutage trat, je stärker die existenziellen Zwänge wurden. Anfangs schien seiner künstlerischen Laufbahn nichts im Wege zu stehen. Er durfte in Lemberg Architektur studieren und in Wien die Kunstakademie besuchen. Doch dann zwang ihn eine plötzliche Erkrankung des Vaters nach Drohobycz zurück. Jetzt musste er für den Unterhalt der Familie sorgen und dafür eine Stellung als Zeichenlehrer annehmen. So geriet er allmählich in jenen emotionalen Zwiespalt, der ihn sein Leben lang begleiten sollte: ein Schwanken zwischen Ablehnung und Hingabe, zwischen Pflicht und Traum. Eine Art Asyl fand er in seiner umfangreichen Korrespondenz. Er suchte in seinen Briefpartnern nach geistiger Verwandtschaft, und er tat es um so hartnäckiger, je leichter er sich den äußeren Lebensumständen beugte.
Das ist auch der Ursprung seiner beiden Erzählungsbände, wobei "Das Sanatorium zur Sanduhr" – obwohl später erschienen – seine frühesten Geschichten enthält. Ihr jugendlicher Ich-Erzähler erlebt seinen Wohnort als ein Universum voller fantastischer Bilder und grotesker Gestalten. Der Wechsel der Jahreszeiten gleicht in seinen Augen einem großen mythologischen Zyklus, in dem auf den Tod die Wiedergeburt folgt. Und die Stille, die an manchen Tagen herrscht, hat für ihn etwas Magisches und Verheißungsvolles an sich.
An einem solchen Tag kommt der Messias bis an den Rand des Horizonts und blickt von dort auf die Erde. Und wenn er sie sieht, so still und weiß, so himmelblau und nachdenklich, dann kann es geschehen, dass er die Grenze aus den Augen verliert, dass die bläulichen Wolkenstreifen sich zu einem Durchgang formieren, und er, ohne zu wissen, was er tut, auf die Erde herabkommt.
Auf Deutsch erschien der Band erstmals im Jahre 1961. Als Übersetzer fungierte der Slawist Joseph Hahn. Nun liegt er in der Neuübersetzung von Doreen Daume vor, die für ihre Arbeit höchstes Lob verdient. Zum einen ist es ihr gelungen, die ganze Kraft und Originalität von Schulz' Sprache wiederzugeben. Und dies ist nicht allein wegen der vielen Wortwucherungen und Lautkaskaden schwierig – in seiner Prosa gibt es auch zahllose Archaismen.
Zum anderen hat sie so mancher Wortbildung ihre richtige Bedeutung zurückgegeben. Vor allem dem Titel des Bandes, der ursprünglich "Das Sanatorium zur Todesanzeige" lautete. Das polnische Wort "klepsydra" kann nämlich sowohl eine Sanduhr als auch eine Todesanzeige bezeichnen. In diesem Fall aber muss man der Übersetzerin recht geben, die in ihrem Nachwort die Wahl ihres Vorgängers kritisiert.
Die scharf konturierte, schwarz umrandete "Todesanzeige" will sich, ganz abgesehen von ihrem Missklang, schon auf den ersten Blick nicht allzu geschmeidig in den Schulzschen Kosmos des allgegenwärtigen Verwandelns und des täuschenden Anscheins fügen.
Der "von niemandem überwachte Zerfall der Zeit", wie Schulz es nennt, zieht sich leitmotivisch durch den ganzen Band. In der Titelerzählung thematisiert er ihn allerdings auf eine besonders raffinierte Weise: Der Ich-Erzähler macht sich auf den Weg in ein entlegenes Sanatorium, um seinen sterbenden Vater zu besuchen. Er hofft, ihn noch lebend anzutreffen, was sich zwar erfüllt, doch dann wird er Zeuge von Ereignissen, die mit einer Reihe grotesker Metamorphosen des Vaters einhergehen. Er kann sich genauso schnell in ein Kind zurückverwandeln wie zwischen Diesseits und Jenseits hin und her wandern. Schuld daran ist eben die fast völlige Unkontrollierbarkeit der Zeit.
Wir alle wissen, dass sich dieses disziplinlose Element eigentlich nur mit unablässigen Züchtigungen, fürsorglicher Pflege, sorgfältiger Regulation und der Korrektur seiner Mutwilligkeiten notdürftig unter Kontrolle halten lässt. Ohne diese Betreuung neigt es sofort zu Überschreitungen, zu wilden Aberrationen, zu unberechenbaren Streichen und plumpen Clownerien.
Die Geschichten von Bruno Schulz leben genauso von seiner Fabulierkunst wie von seinem Sinn fürs Skurrile und Paradoxe. Und nicht zuletzt von der Tatsache, dass er in seinen literarischen Bildern auch die eigenen Neurosen festhält: seine irrationale Lebensangst, seine Affinität für Drohobycz, dessen Name dennoch kein einziges Mal fällt, oder seine komplizierte Beziehung zu Frauen. Im wahren Leben verband ihn mit vielen eine tiefe Freundschaft oder heftige Leidenschaft – in seinen Erzählungen zeichnet er sie mit einer Mischung aus Bewunderung und leiser Ironie.
Bianka ist ganz grau. Ihr dunkler Teint enthält so etwas wie ein aufgelöstes Ingrediens aus erloschener Asche. Ich bin fest davon überzeugt: Ihre Hand zu berühren, überträfe alles Vorstellbare. Ganze Generationen der Dressur stecken in ihrem disziplinierten Blut. Diese resignierte Unterwerfung unter das Gebot des Taktes ist rührend, sie zeugt von besiegtem Eigensinn und gebrochener Rebellion, von nächtlichem stillen Schluchzen und der Gewalt, die ihrem Stolz angetan wurde.
"Das Sanatorium zur Sanduhr" ist der Frau gewidmet, die im Leben von Bruno Schulz die wichtigste Rolle spielte: Józefina Szelinska, von Freunden und ihm selbst Juna genannt. Hochgewachsen, schlank, dunkelhaarig, galt sie in den Augen vieler als eine Schönheit. Schulz war von ihrem Äußeren so fasziniert, dass er sie bat, ein Porträt von ihr zeichnen zu dürfen. Bald verband sie eine Liebesbeziehung, die schließlich zu ihrer Verlobung führte. Sein Mangel an Alltagstauglichkeit war ihr bewusst, und sie versuchte, ihn mit dem eigenen Mut und Lebenshunger anzustecken. Als sie 1935 nach Warschau zog, hoffte sie, damit auch ihn zu diesem Schritt zu bewegen. Doch stattdessen reagierte er wieder mit Unruhe und Lebensangst, und zwei Jahre später wurde die Verlobung aufgelöst. Seine Traurigkeit darüber vertraute Schulz einer Warschauer Brieffreundin an.
Juna tut mir sehr leid, ich weiß nicht, wie es ihr geht nach all den schweren Erlebnissen, auf meine Briefe antwortet sie nicht. Wir beide tun mir leid samt unserer Vergangenheit, die dazu verurteilt ist, vernichtet zu werden. So eine wie sie werde ich nicht mehr finden.
Damit sollte er recht behalten. Er blieb für den Rest seiner Tage allein – mit seinem Talent, seiner Melancholie, seinen familiären Pflichten und der ständigen Belastung durch den Alltag. Er fand nie den Mut, etwas daran zu ändern. Im Sommer 1939 erreichte seine Depression einen neuen Höhepunkt, doch kurze Zeit später hatte das keine Bedeutung mehr: Es begann der Zweite Weltkrieg, zu dessen Opfern bekanntlich auch Bruno Schulz gehörte.
Bruno Schulz: Das Sanatorium der Sanduhr
Aus dem Polnischen von Doreen Daume
Carl Hanser Verlag, München
366 Seiten, 24,90 Euro
Ein Erzählungsband, der mit einem solchen Satz beginnt, hätte durchaus auf Skepsis oder gar Ablehnung stoßen können. Im Falle von Bruno Schulz verhielten sich die Dinge aber ein wenig anders. Im Jahre 1937, als "Das Sanatorium zur Sanduhr" erschien, war er längst eine Berühmtheit, und dies verdankte er eben seinem Stil, der sich allen semantischen Regeln entzog. Drei Jahre zuvor war nämlich sein Erstlingsband "Die Zimtläden" erschienen, und die Warschauer Kritiker erkannten in ihm sofort ein neues, ungewöhnliches Erzähltalent: Seine Geschichten spielten in einer rätselhaften Welt, die teils Kindheitserinnerung, teils traumatische Vision war. Es war die Welt des exzentrischen Tuchhändlers Jakob, dessen Schwäche für Schneiderpuppen und die lasterhafte Krokodilstrasse ihn bald zu einer der interessantesten Figuren der polnischen Literatur machen sollte. In dieser Welt spielt auch "Das Sanatorium zur Sanduhr". Die dortige Realität macht stets einen fragmentarischen Eindruck, der Mensch scheint Gefahr zu laufen, sich in ihr wie in einem Labyrinth zu verlieren, und die Natur – und sei es nur die eines kleinen Stadtparks – nimmt ungewöhnliche Formen an.
Wenn die Baumwurzeln sprechen wollen, wenn sich unter dem Rasen allzu viel Vergangenheit, Romane von früher und uralte Geschichten angesammelt, wenn sich unter den Wurzeln zu viel keuchendes Flüstern, unartikulierter Brei und das atemlose Dunkel, das jedem Wort vorangeht, angehäuft haben – dann schwärzt sich die Rinde der Bäume und zerbröckelt, sie bildet dicke Schuppen und tiefe Furchen, und dann öffnet das Mark seine dunklen Poren, wie ein Bärenfell.
Es war seine Doppelbegabung – die eines Zeichners und eines Erzählers –, die Schulz half, diese in sich geschlossene Welt zu schaffen. Hinzu kam seine psychische Grunddisposition: das Gefühl der Einsamkeit, das im Laufe seines Lebens um so deutlicher zutage trat, je stärker die existenziellen Zwänge wurden. Anfangs schien seiner künstlerischen Laufbahn nichts im Wege zu stehen. Er durfte in Lemberg Architektur studieren und in Wien die Kunstakademie besuchen. Doch dann zwang ihn eine plötzliche Erkrankung des Vaters nach Drohobycz zurück. Jetzt musste er für den Unterhalt der Familie sorgen und dafür eine Stellung als Zeichenlehrer annehmen. So geriet er allmählich in jenen emotionalen Zwiespalt, der ihn sein Leben lang begleiten sollte: ein Schwanken zwischen Ablehnung und Hingabe, zwischen Pflicht und Traum. Eine Art Asyl fand er in seiner umfangreichen Korrespondenz. Er suchte in seinen Briefpartnern nach geistiger Verwandtschaft, und er tat es um so hartnäckiger, je leichter er sich den äußeren Lebensumständen beugte.
Das ist auch der Ursprung seiner beiden Erzählungsbände, wobei "Das Sanatorium zur Sanduhr" – obwohl später erschienen – seine frühesten Geschichten enthält. Ihr jugendlicher Ich-Erzähler erlebt seinen Wohnort als ein Universum voller fantastischer Bilder und grotesker Gestalten. Der Wechsel der Jahreszeiten gleicht in seinen Augen einem großen mythologischen Zyklus, in dem auf den Tod die Wiedergeburt folgt. Und die Stille, die an manchen Tagen herrscht, hat für ihn etwas Magisches und Verheißungsvolles an sich.
An einem solchen Tag kommt der Messias bis an den Rand des Horizonts und blickt von dort auf die Erde. Und wenn er sie sieht, so still und weiß, so himmelblau und nachdenklich, dann kann es geschehen, dass er die Grenze aus den Augen verliert, dass die bläulichen Wolkenstreifen sich zu einem Durchgang formieren, und er, ohne zu wissen, was er tut, auf die Erde herabkommt.
Auf Deutsch erschien der Band erstmals im Jahre 1961. Als Übersetzer fungierte der Slawist Joseph Hahn. Nun liegt er in der Neuübersetzung von Doreen Daume vor, die für ihre Arbeit höchstes Lob verdient. Zum einen ist es ihr gelungen, die ganze Kraft und Originalität von Schulz' Sprache wiederzugeben. Und dies ist nicht allein wegen der vielen Wortwucherungen und Lautkaskaden schwierig – in seiner Prosa gibt es auch zahllose Archaismen.
Zum anderen hat sie so mancher Wortbildung ihre richtige Bedeutung zurückgegeben. Vor allem dem Titel des Bandes, der ursprünglich "Das Sanatorium zur Todesanzeige" lautete. Das polnische Wort "klepsydra" kann nämlich sowohl eine Sanduhr als auch eine Todesanzeige bezeichnen. In diesem Fall aber muss man der Übersetzerin recht geben, die in ihrem Nachwort die Wahl ihres Vorgängers kritisiert.
Die scharf konturierte, schwarz umrandete "Todesanzeige" will sich, ganz abgesehen von ihrem Missklang, schon auf den ersten Blick nicht allzu geschmeidig in den Schulzschen Kosmos des allgegenwärtigen Verwandelns und des täuschenden Anscheins fügen.
Der "von niemandem überwachte Zerfall der Zeit", wie Schulz es nennt, zieht sich leitmotivisch durch den ganzen Band. In der Titelerzählung thematisiert er ihn allerdings auf eine besonders raffinierte Weise: Der Ich-Erzähler macht sich auf den Weg in ein entlegenes Sanatorium, um seinen sterbenden Vater zu besuchen. Er hofft, ihn noch lebend anzutreffen, was sich zwar erfüllt, doch dann wird er Zeuge von Ereignissen, die mit einer Reihe grotesker Metamorphosen des Vaters einhergehen. Er kann sich genauso schnell in ein Kind zurückverwandeln wie zwischen Diesseits und Jenseits hin und her wandern. Schuld daran ist eben die fast völlige Unkontrollierbarkeit der Zeit.
Wir alle wissen, dass sich dieses disziplinlose Element eigentlich nur mit unablässigen Züchtigungen, fürsorglicher Pflege, sorgfältiger Regulation und der Korrektur seiner Mutwilligkeiten notdürftig unter Kontrolle halten lässt. Ohne diese Betreuung neigt es sofort zu Überschreitungen, zu wilden Aberrationen, zu unberechenbaren Streichen und plumpen Clownerien.
Die Geschichten von Bruno Schulz leben genauso von seiner Fabulierkunst wie von seinem Sinn fürs Skurrile und Paradoxe. Und nicht zuletzt von der Tatsache, dass er in seinen literarischen Bildern auch die eigenen Neurosen festhält: seine irrationale Lebensangst, seine Affinität für Drohobycz, dessen Name dennoch kein einziges Mal fällt, oder seine komplizierte Beziehung zu Frauen. Im wahren Leben verband ihn mit vielen eine tiefe Freundschaft oder heftige Leidenschaft – in seinen Erzählungen zeichnet er sie mit einer Mischung aus Bewunderung und leiser Ironie.
Bianka ist ganz grau. Ihr dunkler Teint enthält so etwas wie ein aufgelöstes Ingrediens aus erloschener Asche. Ich bin fest davon überzeugt: Ihre Hand zu berühren, überträfe alles Vorstellbare. Ganze Generationen der Dressur stecken in ihrem disziplinierten Blut. Diese resignierte Unterwerfung unter das Gebot des Taktes ist rührend, sie zeugt von besiegtem Eigensinn und gebrochener Rebellion, von nächtlichem stillen Schluchzen und der Gewalt, die ihrem Stolz angetan wurde.
"Das Sanatorium zur Sanduhr" ist der Frau gewidmet, die im Leben von Bruno Schulz die wichtigste Rolle spielte: Józefina Szelinska, von Freunden und ihm selbst Juna genannt. Hochgewachsen, schlank, dunkelhaarig, galt sie in den Augen vieler als eine Schönheit. Schulz war von ihrem Äußeren so fasziniert, dass er sie bat, ein Porträt von ihr zeichnen zu dürfen. Bald verband sie eine Liebesbeziehung, die schließlich zu ihrer Verlobung führte. Sein Mangel an Alltagstauglichkeit war ihr bewusst, und sie versuchte, ihn mit dem eigenen Mut und Lebenshunger anzustecken. Als sie 1935 nach Warschau zog, hoffte sie, damit auch ihn zu diesem Schritt zu bewegen. Doch stattdessen reagierte er wieder mit Unruhe und Lebensangst, und zwei Jahre später wurde die Verlobung aufgelöst. Seine Traurigkeit darüber vertraute Schulz einer Warschauer Brieffreundin an.
Juna tut mir sehr leid, ich weiß nicht, wie es ihr geht nach all den schweren Erlebnissen, auf meine Briefe antwortet sie nicht. Wir beide tun mir leid samt unserer Vergangenheit, die dazu verurteilt ist, vernichtet zu werden. So eine wie sie werde ich nicht mehr finden.
Damit sollte er recht behalten. Er blieb für den Rest seiner Tage allein – mit seinem Talent, seiner Melancholie, seinen familiären Pflichten und der ständigen Belastung durch den Alltag. Er fand nie den Mut, etwas daran zu ändern. Im Sommer 1939 erreichte seine Depression einen neuen Höhepunkt, doch kurze Zeit später hatte das keine Bedeutung mehr: Es begann der Zweite Weltkrieg, zu dessen Opfern bekanntlich auch Bruno Schulz gehörte.
Bruno Schulz: Das Sanatorium der Sanduhr
Aus dem Polnischen von Doreen Daume
Carl Hanser Verlag, München
366 Seiten, 24,90 Euro