"Ich geb jetzt einfach mal ein: 'Stieglitz zu verkaufen'. Das ist einfach nur bei Google. Da kann man erst einmal gucken." Ein schlichtes Büro im Bonner Südwesten. Axel Hirschfeld sucht nach heißer Ware. "Das sind ja schon mal 155 Anzeigen, die das Wort Stieglitz enthalten. Das zeigt erst einmal schon: Es gibt einen großen Markt für Stieglitze, für lebende Stieglitze."
Genau, der Stieglitz. Ein kleiner, bunter Allerweltsvogel. "Was haben wir noch? Hier bietet einer an: Stieglitz, männlich. In einem sehr, sehr kleinen Käfig. Jetzt muss man sich mal die Fotos durchgucken."
Axel Hirschfeld ist Sprecher des "Komitees gegen den Vogelmord", einem unabhängigen Verein zum Schutz von Vögeln. "Wir sammeln in erster Linie Informationen, die uns, aber vor allen Dingen am Ende den Behörden helfen sollen, illegalen Vogelhandel aufzudecken und vor allen Dingen auch zu bestrafen."
Er sucht kriminelle Vogelhändler. Kleine Fälle wie die Leute im Internet. Aber auch große. Und dabei geht es nicht um seltene Papageien aus den Tropen. "Wir machen ja letztendlich den Job der Behörden."
Der Stieglitz - ein buntes, symbolträchtiges Vögelchen
Franz Böhmer hat mich mit der Aussicht nach Bad Godesberg gelockt, einen Stieglitz zu sehen. Er ist am Bundesamt für Naturschutz einer der obersten Artenschützer Deutschlands. Die Gebäude der Behörde sind umgeben von Wiesen, auf denen die Gräser hoch stehen und gerade die letzten Kräuter verblühen. Von einem kleinen Teich aus machen Libellen ihre Patrouillenflüge. An den Obstbäumen hängen reife Früchte. Der Damm zur Bundesstraße hinauf bietet mit seinen hohen Bäumen und Gesträuch Deckung – so mag es der Vogel.
"Dann hoffen wir jetzt auf den Stieglitz…" "Hoffen wir. Das kann sein, kann auch nicht sein, vielleicht haben wir Glück mit der Mönchsgrasmücke, die ist auch hierum, kann auch sein, dass sie alle ein bisschen Schiss haben im Moment, weil wir hinten drin im Wäldchen ein Sperberpaar sitzen haben. Und die räumen natürlich hier. Kleine Singvögel sind da schon mal durchaus begehrt." "Ja, nicht nur bei Sperbern." "Nein, es ist wohl wahr."
Der Stieglitz ist beim Menschen so begehrt, dass er bei Naturschützern als der am häufigsten gehandelte einheimische Singvogel gilt. Der Stieglitz ist bunt. Der Dichter Oskar Dähnhardt mutmaßte, Gott habe an ihm all seine Farbreste aufgebraucht.
"Es ist ein schöner Vogel, das muss man ja mal sehen, wenn man ihn sieht von vorne und das rote Köpfchen, gelb dran, ein bisschen dunkel - es ist ein schöner Vogel, relativ klein, und er gehört ja zu den relativ häufigen Brutvögeln in Deutschland."
Wildvögel sind eigentlich streng geschützt
Und er ist ein symbolträchtiges Vögelchen: Im Mittelalter bauten christliche Maler ihn in ihre Gemälde ein – wegen seiner Vorliebe für stachelige Pflanzen und seiner roten Stirn als Reminiszenz an die Dornenkrone. Außerdem ist er ein guter Sänger. Die Männchen singen fast das ganze Jahr über. Weil er gern die Samen von Kratzdisteln frisst, wird er auch Distelfink genannt.
"Es werden viele Leute ihn auch kennen, vom Bild her, weil man ihn, wenn man in den entsprechenden Regionen ist, was weiß ich, wenn irgendwo ein Distelfeld ist, dann sieht man ihn noch relativ häufig." "Bei was für Menschen ist denn der Stieglitz beliebt?" "Das ist eigentlich gar nicht hier festzumachen, was das für Leute sind. Es sind alle möglichen Leute, die Singvögel halten wollen. Es gibt keine, ich sage mal, spezielle soziale Schicht, die da eine Rolle spielt."
Das Problem dabei: Den größten Teil der Nachfrage decken Wilderer. Sie fangen wilde Stieglitze und verkaufen sie dann als gezüchtete Vögel. Wie alle europäischen Wildvögel sind Stieglitze streng geschützt. Franz Böhmer: "Das ist die Situation die man sieht, dass man hier halt nicht alles, was draußen rumläuft und rumfliegt, automatisch fangen und in Besitz nehmen darf."
Wilderei trägt zum Populations-Rückgang bei
In Deutschland leben geschätzt um die 80 Millionen Vögel aus 300 Arten. Der Dachverband Deutscher Avifaunisten erfasst, welche Vogelarten in Deutschland brüten und wie häufig sie sind. Die Bestände des Stieglitzes sind in den letzten 24 Jahren des Berichtszeitraums um 70 Prozent zurückgegangen – wie viele Arten, die in der offenen Landschaft leben.
"Es ist ja nicht so, dass wir eine stabile Population der häufigen Arten haben, wenn man über einen langen Zeitraum betrachtet. Vielleicht 20, 30, 40 Jahre wird man auch bei den häufigeren Arten Rückgänge feststellen."
Als wichtigster Grund gilt die Intensivierung der Landwirtschaft. Brachflächen und Grünland verschwinden. Ackergifte wirken sich mindestens indirekt aus: Auch der Insektenschwund belastet die Vögel, denn die allermeisten Arten brauchen Insekten als Protein-Nahrung für ihre Küken. Welche Rolle Wilderei und krimineller Vogelhandel spielen – dazu gibt es keine gezielte Erhebung. Böhmer:
"Der Stieglitz selber ist eine relativ häufige Brutvogelart in Deutschland. Der Bestand ist wahrscheinlich durch den illegalen Handel nicht im gleichen Maße bedroht wie z.B. beim Bienenfresser. In Deutschland haben wir nur ganz geringe Bienenfresserpopulationen. Wenn da einer dran geht, sieht es ganz anders aus. Das heißt, es geht hier eigentlich um die Grundfrage: Warum müssen freilebende Vögel, die unter Naturschutz stehen, in der freien Natur gefangen werden, gegebenenfalls auch unter Verletzung der Vögel mit manipulierten Ringen wieder neu beringt werden, um sie dann auf den Markt zu bringen?"
Schlecht für die Vögel - aber ein profitables Geschäft
Ob die Wilderei die Vogelbestände bedroht oder nicht – das ist allerdings die falsche Frage. Jeder geklaute Vogel fehlt in seinem Lebensraum. Axel Hirschfeld kennt die Beliebtheit des Stieglitz als Stubenvogel: "Er ist relativ leicht an Gefangenschaft zu gewöhnen, und man kann ihn also eine gewisse Zeit lang dann halt halten. Ob das für den Vogel jetzt so schön ist, das sei mal dahingestellt."
Wohl kaum: Für die Vögel verkürzt die Gefangenschaft das Leben drastisch. Stieglitze leben in Freiheit acht bis neun Jahre. Ein Wildvogel im Käfig verendet oft schon nach wenigen Wochen. Der Stieglitz mag der am häufigsten gehandelte Vogel in Deutschland sein, er ist lange nicht der einzige. Axel Hirschfeld:
"Der illegale Fang und auch der illegale Handel mit einheimischen Vogelarten, der hier in Deutschland stattfindet, nicht im Ausland, im Mittelmeerraum oder so, der ist also weit verbreitet, also viel verbreiteter als mancher denkt. Wenn ich da eine Schätzung abgeben sollte, gehe ich von einer fünfstelligen Anzahl; vielleicht auch eine niedrige sechsstellige Anzahl von Tieren aus, die in Deutschland jedes Jahr der Natur entnommen werden, um sie z.B. als angebliche Nachzuchten zu verkaufen oder auf irgendeine andere Weise auch z.B. als Präparate zu Geld zu machen."
Das ist schlecht für die Vögel. Aber ein profitables Geschäft. Im Internet, aber auch auf Vogelmärkten im In- und Ausland. "Es gibt die Gelegenheit und es gibt den Bedarf. Es gibt Leute, die zahlen Geld dafür und deshalb machen das viele. Es gibt die kleinen Leute, die das machen, die fangen fünf, sechs Stieglitze, verkaufen die auf Ebay-Kleinanzeigen und haben dann ein paar hundert Euro. Es gibt aber auch die Profis, die machen das ganze Jahr nichts anderes und verdienen damit wirklich viele, viele Euros. Also da geht es ja wirklich um fünfstellige Summen."
Razzia bei verdächtigen Vogelhändlern
Am frühen Morgen des 3. März 2016 klingeln Staatsanwaltschaft und Polizei an der Tür von Karl und Hans L. In Wirklichkeit heißen sie anders. Die beiden füttern gerade Vögel, sagt eine Ermittlerin.
"Das war so, dass dort in einer Halle ganz viele große Volieren vorgefunden wurden und kleine Käfige auch, also mit ganz, ganz vielen Vögeln. In der Masse waren das Stieglitze, Erlenzeisige, Gimpel, Pirole, es waren dabei Nachtigallen, Grasmücken - also schon seltene, eben auch Zugvögel, das war ein ganz bunter Strauß von Arten."
Karl L. ist als Vogelhändler angemeldet – mit Homepage und allem. 1999 hat er das Geschäft von seinem Vater Hans übernommen, der ihm immer noch hilft. Händler dürfen Wildvögel halten und verkaufen - aber nur, wenn die Tiere schon in Gefangenschaft geschlüpft sind. Vögel zu züchten ist aufwändig. Und doch bieten die beiden Männer große Mengen Vögel an, von denen sie behaupten, sie gezüchtet zu haben. Darum sind sie den Behörden aufgefallen.
"Die Vogelhandlung hat in ganz Deutschland Vögel verkauft, und dort wurden wir immer wieder darauf angesprochen, dass die Vögel sich auffällig verhalten, und dass die sehr unruhig sind..." Ein Zeichen dafür, dass ihnen das Leben im Käfig fremd ist. "…dass einfach die Menge auffällig ist. Und wir haben dann an dem Tag dort über 400 Vögel beschlagnahmt, weil sie entweder überhaupt nicht beringt waren, weil keinerlei Unterlagen zur Herkunft vorlagen und weil Ringe Manipulationsspuren aufwiesen."
Metallring am Fuß soll Zucht nachweisen
Alle Vögel in der Halle stehen nach dem Bundesnaturschutzgesetz unter Schutz: Pirol, Schwanzmeise, Mönchsgrasmücke, Gartengrasmücke, Klappergrasmücke, Dorngrasmücke, Braunkehlchen, Nachtigall, Hausrotschwanz, Buchfink, Bergfink, Gimpel, Girlitz, Grünfink, Stieglitz, Erlenzeisig, Bluthänfling, Berghänfling, Birkenzeisig, Grauammer, Goldammer, Rohrammer und Braunkopfammer. Einhundertsechs Tiere ohne Ring, mehr als 300 mit.
Wer Vögel züchtet, muss den frisch geschlüpften Küken geschlossene Metallringe über den Fuß ziehen. Darauf ist eine Nummer eingraviert, aus der hervorgeht, in welchem Jahr ein Tier geschlüpft ist. Die bei den Ermittlungen beteiligte Vogelexpertin:
"Die Größe ist speziell für die Art vorgegeben und ist so bemessen, dass sich der Ring nicht mehr entfernen lässt, wenn der Vogel ausgewachsen ist. Wenn ich jetzt einen Vogel fange, dann habe ich ja das Problem, dass der nicht mehr klein ist, sondern er ist schon ausgewachsen, der Fuß ist schon groß, da kriege ich diesen vorgeschriebenen Ring nicht mehr über den Fuß."
Darum sind die Ringe momentan für Ermittler der wichtigste Ansatzpunkt, um Wilderer und Hehler zu überführen. Denn die Kriminellen helfen nach. "Ich muss sie vorher weiten, dem Vogel über den Fuß ziehen, das ist eine sehr schmerzhafte Prozedur, muss man auch sagen, das geht auch nicht selten mit Verletzungen des Vogelfußes einher, und anschließend muss ich den Ring dann wieder zusammendrücken, damit er wieder am Vogelfuß eng ansitzt."
Die Wilderer können bei dieser Behandlung die streichholzdünnen Beine der Vögel brechen. Die Manipulation hinterlässt außerdem Spuren an dem Ring, zum Beispiel kann Lack abplatzen. Das erkennen aufmerksame Menschen mit bloßem Auge.
Stieglitze fangen ist nicht übermäßig schwer
Axel Hirschfeld erläutert: "Es gibt bestimmte Artengruppen, die besonders beliebt sind, vor allen Dingen der Stieglitz spielt eine große Rolle, Buchfink, Grünling, Gimpel, Zeisige, Girlitze, das sind die klassischen Arten, die da gehandelt werden. Da gibt es auch tatsächlich Leute, die die nachzüchten, aber es gibt eben viel, viel, viel mehr Leute, die die zum Verkauf anbieten. Und diese Lücke zwischen Zucht und Bedarf wird eben gedeckt durch den Fang."
Für so ein Vögelchen kriegen die Hehler zwischen 50 und 150 Euro. Für seltenere Arten wie Bienenfresser auch deutlich mehr. Auf sein Körpergewicht gerechnet, bringt ein Stieglitz soviel ein wie Cannabis.
Es ist einfach, ein Exemplar zu fangen. Ein Lockvogel, eine Tonaufnahme. Große Netze, Fangkäfige, die oben offen stehen. Wenn sich ein Vogel auf die Stange setzt, fällt der Deckel über ihm zu. Oder Schmetterlingsfallen, deren Flügel den Vogel umschließen, sobald er landet. Hirschfeld:
"Es gibt sowohl in Deutschland als auch im Mittelmeerraum eine sehr, sehr große Tradition, Stieglitze zu fangen, die sind auch praktisch überall in Anführungsstrichen verfügbar, gerade zur Zugzeit. Auf den abgeernteten Feldern, den Sonnenblumenfeldern sieht man ja die Stieglitzschwärme rumfliegen - und ich will hier keine Anleitung zum illegalen Vogelfang geben, aber ich sag mal so: Die sind jetzt nicht so schwer zu fangen."
Illegaler Vogelfang ist verbreitet - genaue Zahlen fehlen
"Das Fangen der Vögel stellt insofern eine Bedrohung dar, dass diese vielleicht jetzt noch häufigen Arten, die aber natürlich auch unter Lebensraumverlust und so weiter leiden, dann noch zusätzlich dezimiert werden." - "Was wir sagen können, ist, dass es weit verbreitet ist. Also es gibt praktisch aus allen Regionen Deutschlands Meldungen und auch praktisch aus allen Regionen Deutschlands Großverfahren."
"Deswegen ist für uns das Erschreckende, dass wir z.B. gesehen haben, dass in den Städten Käfige mit Lock-Tieren aufgehängt werden, um Stieglitze oder andere kleine Vögel zu fangen. Und das nur, um sie dann in einem Käfig weiter zu halten." - "Wir finden, ein Stieglitz ist - ganz egal wie selten die Art ist oder nicht - ein Vogel, der in die Natur gehört und eben nicht in einen Käfig."
Große und kleine Fälle überall in Deutschland – wie viele es genau sind, weiß niemand, sagt Franz Böhmer vom Bundesamt für Naturschutz: "Das ist ja auch eines der Probleme, die wir im Vollzug haben, dass wir keine zentrale Datenbank irgendwo haben, wo diese Fälle abgelegt werden. Es gibt zwar ein Meldesystem beim BKA zur Umweltkriminalität, wo die Dinge aber dann so nicht wirklich nach unserer Kenntnis in vollem Umfang erfasst werden. Wo zum Teil auch die Fälle nicht zum Beispiel als Artenschutzverstoß, sondern Tierschutzverstoß registriert werden. Deswegen gibt's für Deutschland im Bereich des Singvogelhandels keine abschließenden umfassenden Zahlen."
Unkenntnis und Desinteresse bei Ermittlungsbehörden
Dadurch erscheint das Ausmaß des kriminellen Vogelfangs und des kriminellen Vogelhandels viel kleiner, als es ist. Hinzu kommt, dass die Leute in Ämtern, bei Polizei und Staatsanwaltschaft zu oft zu wenig Ahnung davon haben, welche Gesetze die Natur wie schützen und für welche Vergehen welche Strafen drohen. Dabei gilt der Schutz schon seit 1979.
"Da kann man den Kolleginnen und Kollegen nicht mal einen großen Vorwurf draus machen, weil sie hören das weder im Studium oder in der Ausbildung. Da spielt das Artenschutzrecht bei denen keine Rolle. Anders als beim Zoll. Der Zoll hört es schon in der Ausbildung."
Franz Böhmer hat selbst beim Zoll angefangen, später Kollegen in Seminaren unterrichtet. Heute ist er beim Bundesamt für Naturschutz zuständig für Rechtsangelegenheiten und die Durchsetzung von Artenschutzvorschriften. "So ein Seminar packt 20, 25 Teilnehmer, dann hat es sich. Das findet einmal pro Jahr vielleicht statt. Und das Problem ist daneben, neben der rechtlichen Bewertung: Das sind ja alles Leute, die wissen, wie man Rechtsanwendung macht. Das ist ja die andere Frage: Erkennen die, was da passiert?"
In Unkenntnis sieht auch Axel Hirschfeld vom "Komitee gegen den Vogelmord" das größte Problem: "Im Polizeialltag und auch in der Ausbildung von Polizisten kommt sowas nicht vor."
Artenschutzvollzug funktioniert in anderen Ländern besser
Wohin das führt, zeigt der Stapel auf seinem Schreibtisch. "Hier vorne, das ist jetzt hier ein ganzer Stapel, der besteht zu 50 Prozent aus Einstellungsbescheiden." Die Staatsanwälte haben also das Verfahren beendet. "Da geht es auch um Vergiftungen und Abschuss von Greifvögeln, Habichten usw., da erleben wir zurzeit einen starken Anstieg der Einstellungen. Also Einstellungen, weil die Staatsanwaltschaft der Ansicht war, dass da kein öffentliches Interesse an einem Strafverfahren besteht."
Das war zumindest in Nordrhein-Westfalen bis zum Wechsel zur schwarz-gelben Landesregierung im Jahr 2017 besser: "Da gab es die Stabsstelle Umweltkriminalität. Das war jetzt keine Schwerpunktstaatsanwaltschaft, sondern eine im Umweltministerium angesiedelte Stelle, die aber genau diesen Link hergestellt hat zwischen den Leuten, also den NGOs, die die Informationen sammeln und den Strafverfolgungsbehörden, die mit diesen Informationen letztendlich arbeiten müssen. Und dadurch, dass die dazwischengeschaltet war, haben die Behörden diese Strafverfahren meiner Ansicht nach viel, viel ernster genommen."
Wie es besser laufen kann, hat der Biologe im Ausland gesehen: "Wir arbeiten ja viel auch in anderen Ländern, Italien, Zypern, Malta, wo es überall spezialisierte Polizeieinheiten gibt, also in Italien z.B. die Carabinieri forestale. Da gibt's natürlich viel mehr Wilderei, aber trotzdem, da gibt's einen funktionierenden Artenschutzvollzug, und das kann man von Deutschland leider nicht behaupten."
Aufwendige Ermittlungen - und am Ende nur geringe Strafe?
Personalmangel, Wissenslücken, Desinteresse – eine Mischung, die Wilderern und kriminellen Händlern beste Bedingungen bietet. Hirschfeld: "In Deutschland ist es halt so, dass selbst überführte Vogelfänger oder Vogelhändler eine gewisse Chance haben, am Ende doch mit einer Einstellung davonzukommen oder mit einer sehr, sehr geringen Geldbuße."
In der Halle der Vogelhandlung L. beginnt die Fleißarbeit. Der Vogelhändler streitet ab und leugnet, verstrickt sich in Widersprüche. Die Beweisaufnahme ist aufwändig. Die Ermittlerinnen und Ermittler schauen sich jeden einzelnen Vogel an.
"Es wurde dann dokumentiert. Das heißt, die Ringe mit den Manipulationen, sie wurden fotografiert, es wurde genau aufgeschrieben, welche Manipulationen man festgestellt hat."
Und später untersucht ein Sachverständiger die Ringe unter dem Mikroskop. Viele Vögel sind in einem schlechten Zustand. Einige haben Abschürfungen an den Beinen, verheilte Brüche, Zehen sind gebrochen oder abgerissen, ganze Beine fehlen. Sie haben Kopfverletzungen, die typisch sind für Wildvögel im Käfig: Sie sind es nicht gewöhnt, eingesperrt zu sein, und verletzen sich, weil sie gegen die Gitter fliegen. All das vermerken die Beamten im Protokoll, fotografieren es, beschlagnahmen die Tiere.
Wildtierhandel - ein weltweites Milliardengeschäft
Bernhard Misof, der Leiter des Leibniz-Instituts zur Analyse des Biodiversitätswandels und Direktor des Forschungsmuseums Alexander Koenig in Bonn: "Wenn ein Zollbeamter am Flughafen steht, und plötzlich entdeckt er, dass hier in einem Koffer ein Tier vorhanden ist. Das könnte lebend sein, das könnte ausgestopft sein, und er sieht sofort: Da stimmt was nicht."
Misofs Fachleute haben den Behörden schon in einigen Fällen geholfen, Tiere zu bestimmen – erst kürzlich bei einem prominenten Fall mit Schildkröten am Flughafen Köln-Bonn. Zollbeamte haben gleich mehrere Probleme: Die Tiere auf herkömmliche Weise bestimmen lassen – das dauert. Und selbst wenn Fachleute eine Art zweifelsfrei erkennen, bleibt oft die Frage offen, woher die Tiere tatsächlich stammen. "Bisher ist es eigentlich für alle Behörden – Exekutivbehörden und Zollbehörden – nicht möglich, eindeutige und klare Evidenzen anzuführen, die dafür sprechen, dass dieses oder jenes Tier illegal gehandelt wurde."
Dabei wächst dieser Handel weltweit und über alle Arten betrachtet so rasant wie der Drogenhandel. "Wir reden hier von Summen von 20 bis 50 Milliarden Dollar, die weltweit umgesetzt werden, möglicherweise noch sehr, sehr viel mehr. Die Dunkelziffer ist hier gar nicht wirklich einzuschätzen. Und damit ist das Ganze ein ungeheures System, woran Geld verdient wird, was wir eigentlich unterbinden müssen. Weil es nicht nur ums Geldverdienen geht, sondern weil es auch darum geht, dass viele Tiere, die aus der Natur entnommen werden, hier durch diesen illegalen Handel akut gefährdet sind."
Arten- und Herkunftsbestimmung mit Gen-Analyse
In Indonesien ist die Wilderei so weit verbreitet, dass Vogelschützer schätzen: Auf der Insel Java leben inzwischen mehr Vögel in Käfigen als in Freiheit. In den Wäldern ist es still. Silent Forests. So schlimm ist es in Europa zum Glück noch nicht. Aber schlimm genug: Wegen des illegalen Handels machen sich Vogelschützer in der Ukraine Sorgen um die Bestände der lokalen Unterart des Stieglitz. In Marokko ist der Vogel in manchen Gegenden ausgestorben.
Jetzt sollen molekularbiologische Methoden helfen: Im Projekt "Forensic Genetics for Species Protection", kurz FOGS, bauen die Fachleute vom Museum Koenig eine Datenbank auf, die frei zugänglich sein wird und für zunächst knapp 200 Arten genetische Marker bestimmt. Bernhard Misof: "Es muss jetzt nochmal für eine erhebliche Anzahl an Tierarten gezeigt werden, dass es prinzipiell gut funktioniert, routinemäßig eingesetzt werden kann, das heißt, das ist noch sehr viel Arbeit, die Routinen zu etablieren und dann geht es los."
Dafür ermitteln sie für jede Art 20 ganz neue kleine genetische Marker oder "SNPSTR". Die bestehen aus sogenannten Mikrosatelliten und genetischen Sequenzen aus deren Umgebung. "Wir suchen in den Regionen, die außerhalb der Mikrosatelliten liegen, nach einzelnen Nukleotiden, die zwischen den Individuen sich unterscheiden. Sogenannte Single Nucleus Polymorphisms, also einzelne Positionen sind unterschiedlich, und mit denen in Kombination mit dem Mikrosatelliten können wir sehr schön die einzelnen Individuen den Populationen zuordnen."
FOGS soll Zollbeamten und ehrlichen Züchtern das Leben erleichtern
Mit FOGS soll der Zollbeamte aus dem Beispiel mehrere Fragen gleichzeitig beantworten können: "Welche Art ist das eigentlich? Ist es tatsächlich eine Art, die nicht gehandelt werden darf? Und zweitens: Aus welcher Population stammt das Individuum? Das ist häufig noch eine kritische Frage, die gar nicht so leicht zu beantworten ist, um herauszufinden, woher das Tier wirklich kommt. Denn wenn man z. B. über die Netzpythons nachdenkt. Die Netzpythons sind in Südostasien, wo sie natürlicherweise vorkommen, stark bedroht. Die Netzpythons in Florida, wo sie invasiv sind, sind genau das Gegenteil."
Bislang ließen sich diese Fragen nur mit mehreren Verfahren und viel Artenkenntnis beantworten. Und auch dann nur, wenn die Ermittler Zugriff auf Eltern oder Geschwister der Tiere hatten, was beim Handel über Grenzen hinweg kaum der Fall ist.
Außerdem soll die FOGS-Methode schnell sein. Sie soll ehrlichen Züchtern das Leben erleichtern, weil die sich damit zertifizieren lassen können. Franz Böhmer, der Artenschützer vom Bundesamt für Naturschutz, sitzt im Beirat für das FOGS-Projekt. Er hat konkrete Erwartungen an die Methode:
"FOGS ist das technische Hilfsmittel, das Hilfen gibt bezüglich: a), der sicheren Artbestimmung; b), der sicheren Bestimmung, ob es ein Hybrid ist, vielleicht irgendwas gekreuzt ist; vielleicht sogar c), einer geografischen Herkunft. Was ja durchaus hilfreich sein kann, wenn ich hier jemanden habe, der behauptet: ‚Die Tiere hab ich bei mir zu Hause gezüchtet‘, und ich kann aufgrund der Untersuchungen feststellen: Das stimmt gar nicht. Das wäre eine enorme Hilfe, die natürlich auch vor Gericht eine enorme Rolle spielt."
Gen-Analytik wäre für Strafverfolgung und Abschreckung hilfreich
Auch Praktiker wie die Biologin von der Razzia erwarten sich positive Auswirkungen: "Wenn es da was gäbe, wäre das toll für den Artenschutzvollzug. Ich brauche eigentlich in der Regel einen Anfangsverdacht. Wenn ich dann aber die Methodik habe, dass ich dort eine DNA-Probe untersuchen lassen kann und kriege dann ein Ergebnis: legal oder nicht, gezüchtet oder nicht – dann wäre das natürlich eine totale Unterstützung. Und es würde natürlich auch abschrecken. Also sobald das bekannt würde, würde das natürlich auch dazu führen, dass man sich natürlich dreimal überlegt, ob man da einen illegalen Vogel sitzen hat, wenn der Nachweis so einfach wäre."
Franz Böhmer: "Es erleichtert der Staatsanwaltschaft die Arbeit, weil die sagen können Wir haben hier ein Untersuchungsergebnis, da hat der der Gutachter XY, die DNA-Analytik ergeben: Das und das kann nicht sein, was der Beteiligte und sein Verteidiger geltend machen."
Längst nicht für alle Vögel, die die Behörden bei den Vogel-Dealern L. beschlagnahmen, gibt es ein Happy End. Die Vögel, die überleben, kommen zwar frei, so die Vogelexpertin: "Das ist ein schöner Moment, wenn man sieht, dass die Vögel dann wieder in ihren natürlichen Lebensraum zurückkönnen."
Doch das sind eben längst nicht alle. Das zeigt: Die Vögel, die letztlich im Handel landen, sind nur ein Bruchteil derer, die gefangen werden. "Viele dieser Vögel sind auch relativ schnell gestorben, denn man muss sich das vorstellen: das sind ja Tiere, wenn sie aus der Freiheit entnommen werden, die keinerlei Begrenzungen gewohnt sind. Dieser Fang, die Haltung, diese Nähe zum Menschen stellt für die Tiere unglaublichen Stress dar."
Glimpfliche Bewährungsstrafen im Vogelhändler-Prozeß
Den Vater des Vogelhändlers verurteilt das Amtsgericht zu anderthalb Jahren Haft, seinen Sohn Karl belegt das Landgericht nach der Berufung mit einem Jahr Gefängnis. Beide Strafen sind zur Bewährung ausgesetzt. "Und in Zukunft darf nicht mehr mit einheimischen Singvögeln gehandelt werden bei diesem einen Händler."
Ein Erfolg, aber die Männer kommen verhältnismäßig glimpflich davon. Solche Verurteilungen decken so gut wie immer nur einen Bruchteil der tatsächlich begangenen Taten ab, sagt Axel Hirschfeld vom "Komitee gegen den Vogelmord": "Die Leute werden ja an einem bestimmten Tag bei einer bestimmten Handlung erwischt. Und niemand weiß: Wie viele Vögel haben die in den Jahren zuvor gefangen? Deshalb also letztendlich nach Aktenlage geht’s dann halt nur um das, was am Tattag geschehen ist."
Vogelschützer machen trotz Beschimpfungen weiter
Der Vogelschützer und seine Kolleginnen machen weiter. Es gibt einen großen Fall in NRW. In einem weiteren großen Fall hat er gerade massenhaft Beweise gesammelt. Details kann er noch nicht nennen, nur dass jemand seinen kompletten Garten mit Netzen und Käfigen in eine einzige große Vogelfalle umgebaut hat. Während das Manuskript zu diesem Feature entsteht, bekommt der Wilderer Besuch von der Staatsanwaltschaft.
"Also es ist viel Detektivarbeit?" "Ja, viel Detektivarbeit. Viel Glück, und letztendlich aber auch viel Werbung sozusagen. Wenn man im Internet bestimmte Schlagwörter eingibt: ‚Vogelfalle gefunden, was tun?‘ oder ‚Toter Greifvogel gefunden‘ oder eben ‚Stieglitzfänger‘ oder sowas, dann kommt man in der Regel auf unsere Seiten. Und die Leute, die sowas beobachten, rufen dann bei uns an und melden uns das."
Die Wilderer reagieren wenig erfreut. Axel Hirschfeld: "Natürlich Beschimpfungen und sowas. Also auch im Internet. In diversen Foren wird natürlich auch über uns entsprechend gelästert. Aber gut, das zeigt ja auch, dass sie uns ernst nehmen und dass sie Angst vor uns haben - also zumindest der Teil der Szene, der die illegalen Sachen macht. Und das ist ja gut, so oder so. Ja, genau das, was wir möchten."