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Wildschweine erobern die Städte

Die Wildschweinpopulation in Mitteleuropa hat sich seit den 70er-Jahren nahezu verzehnfacht. Zunehmend begegnen einem die Allesfresser auch in Städten. Meistens sind die sie nachts in Gärten und auf städtischen Grünflächen unterwegs. Doch durch die Jagd allein wird sich das nicht ändern.

Von Barbara Schäder | 19.12.2012
    Das Wiesbadener Ordnungsamt sitzt in einer ehemaligen US-Kaserne. Seit einigen Monaten wird von hier aus der Kampf gegen einen ungewöhnlichen Gegner geführt: eine Wildschweinrotte. Die Tiere wurden erstmals im September im Kurpark gesichtet, mitten im Herzen der Stadt. Ordnungsamt, Polizei und Feuerwehr versuchten die Tiere mit einem Gatter wieder einzufangen. Leider vergeblich, berichtet der stellvertretende Ordnungsamtschef Hans-Peter Erkel:

    "Wir haben dann den ganzen Nachmittag und den Abend Meldungen gehabt unterschiedlichster Art – Wildschweine im Swimmingpool, Wildschweine im Garten – also die hatten sich verteilt in mehrere private Grundstücke."

    Seither gehen Ordnungsamt-Mitarbeiter regelmäßig auf die Pirsch, um der Schweinerei Herr zu werden. Ungebetenen Besuch bekam zum Beispiel das Ehepaar Korbach. Die beiden leben in einer Schrebergartenanlage, sie haben die alte Laube zu einem richtigen Haus umgebaut. Eine Wildsau hat sich unter ihrem Zaun durchgezwängt und eine tiefe Furche durch den Rasen gegraben. Kurz zuvor hatte Karl Korbach schon Schweine auf dem Nachbargrundstück gehört:

    "Mein Mann hat sie gehört - muss eine ganze Horde gewesen sein, hier auf dem Grundstück. Der ist ja morgens, der geht um fünf weg, und da ist er raus und da hat er gehört, dass da viel, viel Bewegung war." -"Und da hört ich dann: oink, oink – dann wusst ich, dass es halt Wildschweine waren, und das müssen bestimmt sechs, sieben, acht, neun Wildschweine gewesen sein vom Geräusch her, aber seitdem hab’ ich sie nicht mehr gesehen und nicht mehr gehört."

    Es ist der Hunger, der die Schweine in die Stadt treibt. Ein weit verbreitetes Problem, sagt Ordnungsamt-Vizechef Erkel:

    "Das wird sich auch wieder normalisieren, vielleicht schon nächstes Jahr wieder, wenn mehr Eichelmast, mehr Futterangebot im Wald vorhanden ist, wir haben dies Jahr das Problem, dass es kein Futter im Wald gibt und es gibt in vielen Städten, nicht nur in Wiesbaden, das Problem, dass die Tiere in die Stadt kommen."

    Nicht nur in den Städten suchen die Schweine nach Nahrung, sondern vor allem auf den Feldern. Der verstärkte Anbau nahrhafter Pflanzen wie Mais und Raps hat dazu geführt, dass sich die Wildschweinpopulation in Mitteleuropa seit den 70er-Jahren nahezu verzehnfacht hat. Als Reaktion darauf wurde die Jagd ausgeweitet. Doch es gibt Studien, denen zufolge sich Wildschweine in intensiv bejagten Wäldern schneller vermehren. Lovis Kauertz vom Verein Wildtierschutz Deutschland erklärt, woran das liegen könnte:

    "Das liegt daran, dass insbesondere Tiere mit starken sozialen Bindungen in der Lage sind, ihre Verluste dadurch, dass mehr Tiere an der Vermehrung teilnehmen, zu kompensieren. Wird nun ein relativ starkes soziales System, welches auch kontrolliert wird durch – bei den Wildschweinen die Leitbachen, das sind weibliche Tiere – wird dieses System gestört durch die Tötung der Leitbachen, führt das dazu, dass sich auf einmal alle Wildschweine einer Rotte vermehren können, und das zu jeder Zeit."

    Kauertz schlägt deshalb vor, zumindest im Umkreis der Städte anstelle der Jagd eine ganz andere Methode auszuprobieren:

    "Wir sehen einen Ansatzpunkt in der Empfängnisverhütung für Wildschweine. Das funktioniert durch eine Impfung mit einem Impfstoff, der EU-weit zugelassen ist, zum Beispiel für die Ferkelkastration."

    Allerdings kann man Wildschweinen nicht mal eben eine Spritze geben. Legt man mit Impfstoff präpariertes Futter aus, könnten es andere Tiere fressen. Für diese Probleme wurde noch keine Lösung gefunden. Auf absehbare Zeit dürfte die Antwort auf das rasante Wachstum der Wildschweinpopulation deshalb weiter so klingen: Schuss!

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