Der Antritt wurde allgemein als die ‚Neue Ära‘ der preußischen Geschichte begrüßt", schreibt der Historiker Fritz Stern in seinem Buch "Gold und Eisen" über Wilhelm Friedrich Ludwig von Preußen. "Wilhelm I. war ein ernster, praktisch denkender Herrscher. Das Pathos der preußischen Armee hatte Sinn und Persönlichkeit geformt. Er schien von neuem Realismus durchdrungen.“
Zunächst liberaler Hoffnungsträger
Mit ihm, im reifen Alter von 63 Jahren zum preußischen König gekrönt, verbanden sich die Hoffnungen auf eine Abkehr vom reaktionären Obrigkeitsstaat und eine liberale Regierungspolitik - Erwartungen, die sich nicht unbedingt erfüllen sollten.
Wilhelm, geboren am 22. März 1797 in Berlin, genießt eine strenge militärische Erziehung und gilt als pflicht- und verantwortungsbewusst, ein „echter Preuße": 1810 schreibt seine Mutter Luise, Sohn Wilhelm werde, "wenn nicht alles trügt, wie sein Vater einfach, bieder und verständig.“
Wie Wilhelm I. zum Beinamen „Kartätschenprinz" kam
Schon als junger Mann zieht er an der Seite seines Vaters in den Krieg, später befehligt er ein Armeekorps. Preußens Größe sieht er in einem starken Heer und einer uneingeschränkten Monarchie: Als Prinz von Preußen lehnt er demokratische Reformen ab und fordert in der Revolution von 1848, rücksichtslos gegen Demonstranten vorzugehen, was ihm den wenig schmeichelhaften Beinamen „Kartätschenprinz“ einbringt. In einem Gespräch mit Otto von Bismarck überkommen ihn böse Vorahnungen:
"Ich sehe ganz genau voraus, wie alles enden wird. Da vor dem Opernplatz, unter meinen Fenstern, wird man Ihnen den Kopf abschlagen und etwas später mir.“
Eher zufällig auf den preußischen Thron gekommen
Ganz so schlimm sollte es nicht kommen. Er stirbt Jahrzehnte später friedlich im Bett. Von seinem schwer erkrankten Bruder Friedrich Wilhelm IV. übernimmt er 1858 die Regierungsgeschäfte und wird drei Jahre später preußischer König. Dazu der Historiker Andreas Rose:
"Wilhelm war ja schon durch einen Zufall, durch die Krankheit seines Bruders, auf den Thron gekommen. Er selbst war von Hause aus Militär, und er scheute so ein bisschen auch die Verantwortung.“
Wilhelm I. und Bismarck - eine turbulente Beziehung
Wilhelm I. beruft den späteren Reichskanzler Otto von Bismarck zum Ministerpräsidenten von Preußen. Dieser wird zum wichtigsten Berater und bestimmt auf Jahrzehnte die politische Entwicklung Preußens und des Deutschen Reiches. Aber, so Andreas Rose:
„Die haben sich erbittert gestritten, es ist Geschirr zu Bruch gegangen, Türen wurden geschlagen, sodass sie aus den Angeln fielen. Aber es war letzten Endes auch schon eine kongeniale Partnerschaft, weil Bismarck Wilhelm die Arbeit abnahm, die er scheute.“
Wie Bismarck Preußens Hegemonie sicherte
Otto von Bismarck betreibt eine aggressive Außenpolitik, um die Vormachtstellung Preußens in Deutschland zu stärken. Die Feldzüge gegen Dänemark und Österreich verlaufen siegreich, ebenso der Krieg gegen Frankreich. Während Bismarck die Grundzüge eines geeinten deutschen Reiches ausarbeitet, triumphieren die preußischen Truppen, unterstützt von den süddeutschen Staaten, und ziehen in Paris ein. Damit ist der Weg frei für die deutsche Einheit unter Führung Preußens, die sogenannte kleindeutsche Lösung ohne Österreich.
Aber Wilhelm sträubt sich, den Titel eines Deutschen Kaisers anzunehmen – und klagt am 17. Januar 1871: "Morgen ist der unglücklichste Tag meines Lebens! Da tragen wir das preußische Königtum zu Grabe"
Gleichwohl folgt einen Tag später im Spiegelsaal von Versailles die Kaiserproklamation. 17 Jahre herrscht Wilhelm I. als Kaiser einer aufstrebenden Großmacht, er überlebt mehrere Attentate, darunter im Juni 1878 in Berlin Unter den Linden den Anschlag eines jungen Landwirts namens Karl Eduard Nobiling. Der Kaiser, von dreißig Schrotkörnern an Kopf und Armen schwer getroffen, überlebt dank der schützenden Pickelhaube - Theodor Fontane reimt auf das misslungene Attentat:
"Das war nicht nobel, Nobiling!
Du nahmst die Sache zu gering.
Man schießt mit ein paar Körnern Schrot
Nicht einen deutschen Kaiser tot!"
Du nahmst die Sache zu gering.
Man schießt mit ein paar Körnern Schrot
Nicht einen deutschen Kaiser tot!"
Am 9. März 1888 stirbt Wilhelm I., fast 91-jährig, eine Integrationsfigur für die Einzelstaaten des Deutschen Reiches, aber in erster Linie König von Preußen. Über den Tod hinaus genießt er vor allem in der preußischen Bevölkerung Sympathien.