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Wilhelm Kienzl: ''Don Quixote''

Thema heute: die Gesamtaufnahme von Wilhelm Kienzls ''musikalischer Tragikomödie'' Don Quixote vor, die kürzlich beim Label cpo erschienen ist. * Musikbeispiel: Wilhelm Kienzl - ‚Don Quixotes Tod' aus: ''Don Quixote'' Der alte Don Quixote ist am Ende nach Hause zurückgekehrt, müde, resigniert und traurig. Er musste geloben, von seinen Ritterträumen Abschied zu nehmen. Er macht sein Testament, verbrennt seine Bücher, erkennt, dass er getäuscht wurde und stirbt. Vorher hatte er im Laufe der dreiaktigen Oper die unterschiedlichsten Abenteuer zu bestehen, begleitet von seinem getreuen Diener Sancho Pansa. Dabei fällt es nicht ins Gewicht, dass sämtliche Heldentaten des fahrenden Ritters ausschließlich in seiner Imagination stattfinden. Gnädigerweise spielt seine Umwelt mit und verwandelt die banalsten Ereignisse und Gegenstände in Requisiten seiner Ritterwelt und seines Abenteuerdrangs. Don Quixotes Nichte Mercedes und ihr Verlobter, der Barbier Carrasco hingegen, sind darum bemüht, den ''Ritter von der traurigen Gestalt'' wieder in die Wirklichkeit und somit nach Hause zurückzuholen, was schließlich auch gelingt. Nach Don Quixotes Tod steht ihrer Verbindung nichts mehr im Wege, Sancho Pansa bleibt allein und verzweifelt über den Tod seines Herrn zurück. * Musikbeispiel: Wilhelm Kienzl - ‚ Tafelrunde Artus´' aus: ''Don Quixote'' Was sich hier wie ein verirrtes Thema aus Wagners ''Parsifal'' anhört, findet sich gleich zu Beginn der Oper und bezieht sich auf die wortreichen Szenen- und Regieanweisungen im Libretto, das Kienzl selbst nach Cervantes´ Vorlage anfertigte. Der Titelheld träumt lesend in seinem Wohnzimmer vor sich hin, und seine Träume sollen szenisch auf der Hinterwand dargestellt werden. Gleichzeitig aber spricht hier zudem die Musik Bände, wenn es heißt: ''Ein zweites Traumbild wird im Hintergrund sichtbar. Es stellt die Ritter von der ´Tafelrunde´ mit König Artus in der Mitte dar.'' Immer wieder im Laufe des sage und schreibe rund dreieinhalbstündigen ''Don Quixote'' ist der große Einfluss Richard Wagners auf Kienzls Kompositionsstil zu erkennen. Der 1857 in Oberösterreich geborene Wilhelm Kienzl sah sich zeitlebens als Traditionalist - seine spätromantische Tonsprache orientierte sich deutlich an Wagners Deklamationstechnik, Instrumentationskunst, der chromatisch erweiterten Harmonik und der ineinander verschränkten Motivik. Wie beispielsweise Karl Goldmark, Viktor Neßler, Peter Cornelius, Engelbert Humperdinck gehörte auch Kienzl einer Komponistengeneration an, die sich aus dem Schatten des Giganten des Musikdramas im Grunde nicht lösen konnten. Nachdem die Uraufführung seines ''Don Quixote'' 1898 an der Berliner Königlichen Hofoper lediglich zu einem Achtungserfolg geraten war, zog sich Kienzl enttäuscht von der Opernbühne zurück. Schließlich musste er erkennen, dass seine Zeit eindeutig vorbei war. Zwölftonmusik, Songspiel, die Experimente der Berliner und Pariser Musik-Avantgarde verdrängten ein- für allemal seine Opern aus den Spielplänen. Kienzl musste diesen Prozess des schleichenden Aus-der-Mode-Geratens dann bis zu seinem Tode 1941 nach und nach mitverfolgen. Don Quixote bietet glücklicherweise mehr als nur Wagner-Anklänge. Auch die pseudo-religiöse ''Tümelei'' und ''Frömmelei'' wie im Evangelimann fehlt hier. Kienzl identifizierte sich durchaus mit dem ''edlen Wahn'' seines idealistischen Helden Don Quixote und dessen Sehnsucht nach Rittertum, also vergangenen großen Zeiten. Mit Humor, Ironie der Vorlage tat sich der Komponist hingegen schwer: Durchgängig vollzieht sich Komik im Szenischen - im Musikalischen jedoch ist sie nicht wahrzunehmen. Und das obwohl Kienzl absichtsvoll hier auch der deutschen ''Spieloper'' Lortzings, Flotows, Nicolais Reverenz erwies, deren Ensemblekunst ja nichts anderes als ein ins deutsche Biedermeier transponierter Versuch der Stilannäherung an Mozart und auch an Rossini darstellte. * Musikbeispiel: Wilhelm Kienzl - ‚Don Quixote setzt die Barbierschüssel aufs Haupt' aus: ''Don Quixote'' Der Gestus von Komik und die Handlung vollzieht sich in ''Don Quixote'' über die Inszenierung, die Aufführung also. Dass Kienzls Musik selbst dabei wenig Auskunft über die Vorgänge gibt, verschiebt bei einer Plattenproduktion die Akzente in eine Schieflage. Gnadenlos würden das Epigonale und die resignativ-tragischen Elemente in den Vordergrund treten, gäbe es nicht immer wieder große lebendige Chorszenen und eine ausgedehnte Ballettmusik im 2. Akt, die in der Aufnahme zusammen mit den Orchestervor- und -zwischenspielen zu den Höhepunkten zählen. Hier überzeugen besonders der Rundfunkchor und das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin. Dessen dunkler, warmer Klang passt sehr gut zur herbstlichen Abendstimmung der Oper. Gustav Kuhn als musikalischer Leiter führt energisch durch die Chor- und Ensembleszenen, lässt Chor und Sängern Zeit zum Atmen und das Orchester wachsam und einfühlsam mit ihnen zusammen agieren. Es wundern einige textliche Ungereimtheiten und Fehler, die so nicht hätten stehen bleiben müssen. Die Hauptpartien sind teilweise mehr als solide besetzt. Dabei ragt Thomas Mohr in der Titelrolle aus dem Ensemble heraus. Mit großer Eindringlichkeit, klarer Diktion und sicherer Intonation zeichnet er die verblendete Hingabe des Helden nach. Vielleicht klingt sein heller heldischer Bariton etwas zu jung und zu schön für die Gestalt des alten ''Ritters von der traurigen Gestalt''. Nicht ganz auf dieser Höhe dann die übrige Besetzung. Hervorzuheben bleibt hier Thomas Hay in der Basspartie des Clavijo, der mit nötiger Sonorität und auch Komik aufwartet, weniger mit Textverständlichkeit. Als einziger ''Ausfall'' enttäuscht der Tenor James Wagner als Sancho Pansa, der oftmals weder zu verstehen ist, noch zu verstehen scheint, was er zu singen hat. Die Frauenrollen mit Michelle Breedt in der Mezzo-Partie der Nichte Mercedes, Celina Lindsley, Sopran, als Herzogin und vor allem Kirsten Blanck in der Episodenrolle der Maritornes überzeugen in ihren kleineren Aufgaben. Ob diese Vorzüge allesamt reichen werden, Kienzls Don Quixote auch für die Theaterpraxis interessant werden zu lassen, bleibt indes fraglich. * Musikbeispiel: Wilhelm Kienzl - ‚Am Hofe des Herzogs wird Quixote begrüßt' aus: ''Don Quixote'' Soweit Ausschnitte aus Wilhelm Kienzls ''musikalischer Tragikomödie'' Don Quixote - als Gesamtaufnahme neu eingespielt mit Berliner Rundfunkklangkörpern und kürzlich erschienen beim Osnabrücker CD-Label ''cpo''.

Dieter Kroll |