Karin Fischer: Die Kulturnachricht des Tages kommt aus Braunschweig und aus dem eigenen Haus, denn Deutschlandfunk und die Stadt Braunschweig vergeben den hoch, nämlich mit 30.000 Euro dotierten Wilhelm-Raabe-Preis, den in diesem Jahr Christian Kracht bekommt für seinen Roman "Imperium". Es gab Klagen in diesem Sommer, auch von den Literaturredakteuren des Deutschlandfunks, dass Kracht es mit diesem umstrittenen Buch nicht auf die Long- beziehungsweise Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft habe. Ist - und diese Frage geht an Hubert Winkels, den Kollegen aus der Redaktion "Büchermarkt" und Vorsitzender der Jury des Wilhelm-Raabe-Preises -, ist diese Zuerkennung ein Akt der Wiedergutmachung?
Hubert Winkels: Ja ich finde schon. Ich würde es auch gerne begründen. Ich finde nur schon die Formulierung "umstrittenes Buch", die alle verwenden, auch schon nicht zutreffend. Also ich muss quasi vorziehen, worauf wir wahrscheinlich sowieso zu sprechen gekommen wären, dass dieser Roman "Imperium" von einem jungen Journalisten in Verbindung gesetzt wurde mit einem Briefwechsel, den Christian Kracht mit einem amerikanischen Künstler (Performer) hatte, die in diesem Briefwechsel, den es nur auf Englisch gibt im übrigen, so einen seltsamen Schabernack- und Performance-Unsinn treiben, so auf der Ebene wie Martin Kippenberger, mit bestimmten totalitären Phänomenen auf dieser Welt. Die reichen von Nordkorea, der nordkoreanischen Ästhetik, bis hin zu dieser – weiß ich nicht, wie es heißt – Nova Germania im argentinischen Urwald, wo so Neonazi-Camps existierten und man kokettiert und spielt mit diesen Versatzstücken des Wahnsinns, sofern er totalitäre Gestalt angenommen hat, in diesem Briefwechsel.
Fischer: Sie sagen Schabernack, Hubert Winkels, und das ist ja auch der Kern der Debatte. Es ging um die Frage, ist das eigentlich rechtsnational oder rassistisch, oder eine sehr kluge Form der Ironie.
Winkels: Genau. Da ist meine Haltung jetzt eindeutig. Ich finde, die ist auch unmissverständlich. Eigentlich auch bei Kracht selbst innerhalb des Briefwechsels, finde ich, ist die Linie klar, die er einhält, nur sein Briefpartner nicht. Aber was jetzt ja passiert ist, ist noch mal was anderes. Es wurde gesagt, diese meines Erachtens gar nicht vorhandene Gesinnung, die da an abgelegener Stelle zum Ausdruck gekommen sei, die sei auch die Gesinnung des Romans "Imperium", und deshalb ist "Imperium" im Kern oder tendenziell ein rassistischer Roman, der an neorechtes Gedankengut anknüpft, und diesen Vorwurf kann man auf keinen Fall machen. Nichts daran stimmt. Das Gegenteil stimmt. Über diesen Roman kann man viel sagen. Zum Beispiel könnte man überlegen, wie stark ist das Leben des August Eberhard, des Helden des Romans, der Kokosnüsse anbietet als Vegetarier, auf einer Südseeinsel eine Kolonie und ein Volk gründen will, eigentlich die Geschichte Hitlers, nur verrutscht ins Wahnsinnige. Diesen August Eberhard gab es ja wirklich. Also man zeigt einmal, wie ein Verrückter seine Wahnideen lebt und daran auf groteske Weise scheitert, und man hat im Hinterkopf immer, dass der Wahnsinn so gefährlich ist, wenn er nicht gebremst wird durch die Vernunft, dann kann er kollektiv werden wie im Dritten Reich bei Hitler. Wenn man so will, könnte man eine Art antinationalistische oder Warnung vor dem Nationalsozialismus, Warnung vor dem Faschismus, indem man Irrsinn und Wahnsinn nicht hofiert, daraus lesen, aber auf keinen Fall umgekehrt sagen, er arbeitet dem vor.
Fischer: Also Wiedergutmachung auf der einen Seite, aber auch die Auszeichnung für ein hoch intelligent gemachtes Buch?
Winkels: Ja Wiedergutmachung im Sinne, dass ihm tatsächlich durch diese Diskussion natürlich ein Schaden zugeführt wird, ein Schrecken, der bis heute dazu führt, dass er mit keinem Journalisten mehr redet. Es hat gravierende Folgen gehabt für diese Person und ich finde es sehr, sehr unfair, was da passiert ist, und in dem Sinne meinte ich Wiedergutmachung. Natürlich ist das überhaupt nicht das Motiv, das in einer Jury von neun Leuten maßgeblich ist. Es war gar nicht Thema. Ich sage es jetzt im Nachhinein, dass mich das freut.
Fischer: Wofür haben Sie Christian Kracht ausgezeichnet?
Winkels: Faktisch haben wir über ein Buch gesprochen und ihn verglichen mit Clemens J. Setz' Roman "Indigo" und mit Sibylle Bergs Roman "Vielen Dank für das Leben" – noch drei andere, aber die waren relativ stark im Gespräch -, und dann hat man überlegt, welche ästhetischen Qualitäten dieser Roman hat. Keiner konnte eigentlich leugnen, dass diese Abenteuergeschichte stilistisch sehr preziös kunstvoll erzählt ist. Die Frage ist nur: ist es besseres Kunsthandwerk mit Augenzwinkern, oder ist es quasi eine Aufhebung bestimmter Avantgarde-Ansprüche einerseits und realistisch direkter Zugriffe in diesem opulenten Erzählen der jüngsten Zeit. Ich tendiere zu zweitem.
Fischer: Hat eigentlich, Hubert Winkels, Christian Kracht irgendetwas mit Wilhelm Raabe gemein, oder ist das keine notwendige Bedingung für die Zuerkennung des Preises?
Winkels: Raabe hat auch immer eine sehr komplexe hintergründige Annäherung an sein Thema oft vielfach gebrochen. Also er ist gerade nicht der einfache Realist, als der er immer bezeichnet wird. Und zumindest diese Form der Umwegigkeit, diese Geste, würde ich sagen, hat er mit Raabe gemein. Und davon abgesehen gibt es bei Raabe immer wieder diese Themen von jemandem, der aus den Kolonien nach Hause kommt und erzählt, was da war. Von daher wäre er, wenn das die Bedingung wäre, sogar ein ausgezeichneter Raabe-Preisträger, aber es ist, was das angeht, Kontingent, man muss keine Raabe-Bezüge aufweisen.
Fischer: Dank an Hubert Winkels für diese Erläuterungen. - Christian Kracht erhält den Wilhelm-Raabe-Preis des Deutschlandfunks und der Stadt Braunschweig.
Hubert Winkels: Ja ich finde schon. Ich würde es auch gerne begründen. Ich finde nur schon die Formulierung "umstrittenes Buch", die alle verwenden, auch schon nicht zutreffend. Also ich muss quasi vorziehen, worauf wir wahrscheinlich sowieso zu sprechen gekommen wären, dass dieser Roman "Imperium" von einem jungen Journalisten in Verbindung gesetzt wurde mit einem Briefwechsel, den Christian Kracht mit einem amerikanischen Künstler (Performer) hatte, die in diesem Briefwechsel, den es nur auf Englisch gibt im übrigen, so einen seltsamen Schabernack- und Performance-Unsinn treiben, so auf der Ebene wie Martin Kippenberger, mit bestimmten totalitären Phänomenen auf dieser Welt. Die reichen von Nordkorea, der nordkoreanischen Ästhetik, bis hin zu dieser – weiß ich nicht, wie es heißt – Nova Germania im argentinischen Urwald, wo so Neonazi-Camps existierten und man kokettiert und spielt mit diesen Versatzstücken des Wahnsinns, sofern er totalitäre Gestalt angenommen hat, in diesem Briefwechsel.
Fischer: Sie sagen Schabernack, Hubert Winkels, und das ist ja auch der Kern der Debatte. Es ging um die Frage, ist das eigentlich rechtsnational oder rassistisch, oder eine sehr kluge Form der Ironie.
Winkels: Genau. Da ist meine Haltung jetzt eindeutig. Ich finde, die ist auch unmissverständlich. Eigentlich auch bei Kracht selbst innerhalb des Briefwechsels, finde ich, ist die Linie klar, die er einhält, nur sein Briefpartner nicht. Aber was jetzt ja passiert ist, ist noch mal was anderes. Es wurde gesagt, diese meines Erachtens gar nicht vorhandene Gesinnung, die da an abgelegener Stelle zum Ausdruck gekommen sei, die sei auch die Gesinnung des Romans "Imperium", und deshalb ist "Imperium" im Kern oder tendenziell ein rassistischer Roman, der an neorechtes Gedankengut anknüpft, und diesen Vorwurf kann man auf keinen Fall machen. Nichts daran stimmt. Das Gegenteil stimmt. Über diesen Roman kann man viel sagen. Zum Beispiel könnte man überlegen, wie stark ist das Leben des August Eberhard, des Helden des Romans, der Kokosnüsse anbietet als Vegetarier, auf einer Südseeinsel eine Kolonie und ein Volk gründen will, eigentlich die Geschichte Hitlers, nur verrutscht ins Wahnsinnige. Diesen August Eberhard gab es ja wirklich. Also man zeigt einmal, wie ein Verrückter seine Wahnideen lebt und daran auf groteske Weise scheitert, und man hat im Hinterkopf immer, dass der Wahnsinn so gefährlich ist, wenn er nicht gebremst wird durch die Vernunft, dann kann er kollektiv werden wie im Dritten Reich bei Hitler. Wenn man so will, könnte man eine Art antinationalistische oder Warnung vor dem Nationalsozialismus, Warnung vor dem Faschismus, indem man Irrsinn und Wahnsinn nicht hofiert, daraus lesen, aber auf keinen Fall umgekehrt sagen, er arbeitet dem vor.
Fischer: Also Wiedergutmachung auf der einen Seite, aber auch die Auszeichnung für ein hoch intelligent gemachtes Buch?
Winkels: Ja Wiedergutmachung im Sinne, dass ihm tatsächlich durch diese Diskussion natürlich ein Schaden zugeführt wird, ein Schrecken, der bis heute dazu führt, dass er mit keinem Journalisten mehr redet. Es hat gravierende Folgen gehabt für diese Person und ich finde es sehr, sehr unfair, was da passiert ist, und in dem Sinne meinte ich Wiedergutmachung. Natürlich ist das überhaupt nicht das Motiv, das in einer Jury von neun Leuten maßgeblich ist. Es war gar nicht Thema. Ich sage es jetzt im Nachhinein, dass mich das freut.
Fischer: Wofür haben Sie Christian Kracht ausgezeichnet?
Winkels: Faktisch haben wir über ein Buch gesprochen und ihn verglichen mit Clemens J. Setz' Roman "Indigo" und mit Sibylle Bergs Roman "Vielen Dank für das Leben" – noch drei andere, aber die waren relativ stark im Gespräch -, und dann hat man überlegt, welche ästhetischen Qualitäten dieser Roman hat. Keiner konnte eigentlich leugnen, dass diese Abenteuergeschichte stilistisch sehr preziös kunstvoll erzählt ist. Die Frage ist nur: ist es besseres Kunsthandwerk mit Augenzwinkern, oder ist es quasi eine Aufhebung bestimmter Avantgarde-Ansprüche einerseits und realistisch direkter Zugriffe in diesem opulenten Erzählen der jüngsten Zeit. Ich tendiere zu zweitem.
Fischer: Hat eigentlich, Hubert Winkels, Christian Kracht irgendetwas mit Wilhelm Raabe gemein, oder ist das keine notwendige Bedingung für die Zuerkennung des Preises?
Winkels: Raabe hat auch immer eine sehr komplexe hintergründige Annäherung an sein Thema oft vielfach gebrochen. Also er ist gerade nicht der einfache Realist, als der er immer bezeichnet wird. Und zumindest diese Form der Umwegigkeit, diese Geste, würde ich sagen, hat er mit Raabe gemein. Und davon abgesehen gibt es bei Raabe immer wieder diese Themen von jemandem, der aus den Kolonien nach Hause kommt und erzählt, was da war. Von daher wäre er, wenn das die Bedingung wäre, sogar ein ausgezeichneter Raabe-Preisträger, aber es ist, was das angeht, Kontingent, man muss keine Raabe-Bezüge aufweisen.
Fischer: Dank an Hubert Winkels für diese Erläuterungen. - Christian Kracht erhält den Wilhelm-Raabe-Preis des Deutschlandfunks und der Stadt Braunschweig.