Ich habe einen Traum, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben werden, in der man sie nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern ihrem Charakter beurteilen wird.
Weltbekannte Worte: Martin Luther King spricht sie am 19. August 1963 auf dem Protestmarsch nach Washington. Worte, die wie ein spätes Echo auf William Edward Burghardt Du Bois klingen:
Eines mächtigen Morgens wird es dämmern, der Schleier wird sich lüften, und die Gefangenen werden frei sein. Ich werde das nicht mehr erleben, ich werde in meinen Fesseln sterben, aber frische junge Seelen, die die Nacht nicht gekannt haben, werden an diesem Morgen erwachen, an einem Morgen, an dem nicht mehr gefragt wird "Ist er weiß?", sondern "Kann er arbeiten?", und man nicht mehr fragt "Sind sie schwarz?", sondern "Sind sie gebildet?
Arbeitsam und gebildet, das war Du Bois, aus dessen Buch "The Souls of Black Folk" das Zitat stammt. Dem Verlag Orange Press ist es zu danken, dass einhundert Jahre nach seiner Erstpublikation eine deutsche Übersetzung dieser Schrift vorliegt. Sie ist nicht nur ein Klassiker der amerikanischen Literatur, sondern auch ein Markstein für das Selbstverständnis der Schwarzen in den USA.
Geboren 1868 im Norden der Vereinigten Staaten, wird der hochbegabte Du Bois auf eine der wenigen Universitäten für Schwarze in den Süden der USA geschickt. Seine außergewöhnlichen Fähigkeiten verschaffen ihm schließlich Zugang zur Elite-Universität Harvard und ein Auslandsstipendium in Berlin, wo er das Interesse und die Freundschaft des deutschen Soziologen Max Weber gewinnt.
Nach seinem Doktortitel, dem ersten, den ein Afroamerikaner an der Harvard-Universität in den Geisteswissenschaften erhält, arbeitet er als Pionier auf dem Gebiet der Soziologie, in den USA damals eine kaum anerkannte Wissenschaft.
Die Entstehung seines Buchs "Die Seelen der Schwarzen" ist eng verknüpft mit dem Aufstieg von Booker T. Washington zum Schwarzenführer. Der befürwortete den Verzicht der Schwarzen auf politische Mitbestimmung und gleiche Bildungschancen. Stattdessen sollten sie gezielt zu Industriearbeitern und Handwerkern ausgebildet werden. Nur so, glaubte Washington, könnten sie der US-Gesellschaft integriert werden. Mit dieser These war er sehr erfolgreich. Denn seine Kompromisshaltung sicherte ihm die Unterstützung der politischen und industriellen und damit weißen Elite Amerikas. Du Bois erhebt Einspruch. Er, dessen eigener Lebensweg den Vorstellungen Booker T. Washingtons grundsätzlich widerspricht, will die Chancengleichheit für Schwarze. Als ihn ein Verlag um eine Aufsatzsammlung ersucht, bietet sich der Anlass zur Stellungnahme. Mit scharfen Worten erteilt er Washintons Ideen eine Absage:
Geboren aus der Sklaverei und zu neuem Leben erwacht durch den wahnwitzigen Imperialismus des Augenblicks gibt es die Tendenz, menschliche Wesen als Teil der materiellen Ressourcen des Landes zu betrachten und sie allein in Hinblick auf künftige Dividenden hin auszubilden. Das Rassenvorurteil, das braune und schwarze Menschen auf ihren ‘angestammten Plätzen’ belassen will, ist ein nützlicher Verbündeter solcher Theorie, die die Herzen der sich abmühenden Menschen vergiftet.
Arbeit, Kultur, Freiheit, das alles brauchen wir, nicht vereinzelt, sondern zusammen, nicht nacheinander, sondern gleichzeitig.
Wer arbeitet, aber von Bildung und politischer Mitbestimmung ausgeschlossen bleibt, gehört, so Du Bois, weiterhin zu den Ausgebeuteten. Er macht klar, dass nominelle Freiheit, ja selbst der Zugang zu den Wahlurnen allein nicht ausreichen werden, um lange Phasen von Diskriminierung und Ausgrenzung zu überwinden:
Schließlich hat man das Gehirn einer ganzen Rasse 250 Jahre k.o. geschlagen und systematisch auf Unterwerfung, Sorglosigkeit und Diebstahl abgerichtet.
Dies erkläre, warum die meisten Schwarzen ihre Freiheit bisher nicht hätten nutzen können. Eine kurze Phase der Eigenverantwortung genüge nicht, vor allem, wenn den Schwarzen außer Freiheit nichts zugestanden würde. Die unterschiedliche Leistungsfähigkeit ließe sich deshalb nicht mit dem Unterschied der Rassen begründen:
Stillschweigend gewinnt die herrschende Annahme unserer Zeit immer mehr Zustimmung, dass die Bewährungszeit der Rassen vorüber sei, dass die zurückgebliebenen Rassen von heute ihre Leistungsfähigkeit erwiesen hätten und es nicht verdient hätten, geschont zu werden. Solche Aussagen dokumentieren die Arroganz von Völkern gegenüber der Geschichte und ihre Ignoranz gegenüber den Taten von Menschenhand.
Du Bois findet eindrucksvolle Worte und Bilder für seine Empörung. Geschickt komponiert er aus einzelnen Essays einen Text, der die Misere der Schwarzen präzise erfasst und zugleich anschaulich macht. Melancholisch getönte Momentaufnahmen aus dem Leben der Schwarzen im Süden wechseln mit glasklaren Analysen ihrer sozialen Lage. Dies stimmt den Leser ein auf das leidenschaftliche Plädoyer für Anerkennung und Gleichberechtigung.
Auch wenn sich die Lage der Schwarzen seit 1903 in den USA sicherlich gebessert hat: Du Bois’ Buch bleibt aktuell. Dies liegt nicht nur an seiner historischen und literarischen Bedeutung. Der Verfasser macht seinen Lesern klar, was es heißt, Angehöriger einer Minderheit zu sein. Er erklärt, wie die Erfahrung des Fremd- oder Andersseins zur Selbstentfremdung führt, wenn die ethnische Zugehörigkeit nicht als Bereicherung, sondern als Makel verstanden wird. Für diese Entfremdung findet Du Bois ein überzeugendes Bild, das sich als Leitmotiv durch das ganze Buch zieht: Es ist das Bild des Schleiers. Mit ihm verdeutlicht er die erzwungene Schizophrenie des Afroamerikaners: Der Schwarze ist...
...geboren mit einem Schleier und einer besonderen Gabe - dem zweiten Gesicht - in diese amerikanische Welt, die ihm kein wahres Selbstbewusstsein zugesteht. Es ist sonderbar, dieses doppelte Bewusstsein, dieses Gefühl, sich selbst immer nur durch die Augen anderer wahrzunehmen, der eigenen Seele den Maßstab einer Welt anzulegen, die nur Spott und Mitleid für einen übrig hat. Stets fühlt man seine Zweiheit, als Amerikaner und als Neger.
Du Bois benutzt übrigens durchgängig das Wort "Negro" - Neger, zu seiner Zeit eine neutrale Bezeichnung für Schwarze. --
Am 18. August 1963 stirbt Du Bois in Ghana. Es ist der Vorabend des "March on Washington", einer entscheidenden Kundgebung der Schwarzenbewegung. Aus Du Bois’ Forderung nach Taten wird Martin Luther Kings Prophetie:
Heute sage ich euch, meine Freunde, trotz der Schwierigkeiten von heute und morgen, habe ich einen Traum. Es ist ein Traum, der tief wurzelt im amerikanischen Traum. Ich habe einen Traum, dass eines Tages diese Nation sich erheben und der wahren Bedeutung ihres Credos gemäß leben wird: ‘Wir halten diese Wahrheit für selbstverständlich, dass alle Menschen gleich erschaffen sind.
Du Bois’ Buch ist ein wichtiger Text, und man darf dem Verlag für die deutsche Ausgabe danken. Das Vorwort von Henry Louis Gates jr. widmet sich der Wirkung des Buches in den USA. Im Nachwort bemüht sich der Übersetzer, Jürgen Meyer-Wendt, Einflüsse der Hegelschen Philosophie auf Du Bois nachzuweisen. Dokumente und Photographien aus dem Nachlass des Bürgerrechtlers runden das Buch ab. Leider wird die Übersetzung dem stilistisch brillanten Original nicht immer gerecht, außerdem fallen die Anmerkungen zu knapp aus.
Weltbekannte Worte: Martin Luther King spricht sie am 19. August 1963 auf dem Protestmarsch nach Washington. Worte, die wie ein spätes Echo auf William Edward Burghardt Du Bois klingen:
Eines mächtigen Morgens wird es dämmern, der Schleier wird sich lüften, und die Gefangenen werden frei sein. Ich werde das nicht mehr erleben, ich werde in meinen Fesseln sterben, aber frische junge Seelen, die die Nacht nicht gekannt haben, werden an diesem Morgen erwachen, an einem Morgen, an dem nicht mehr gefragt wird "Ist er weiß?", sondern "Kann er arbeiten?", und man nicht mehr fragt "Sind sie schwarz?", sondern "Sind sie gebildet?
Arbeitsam und gebildet, das war Du Bois, aus dessen Buch "The Souls of Black Folk" das Zitat stammt. Dem Verlag Orange Press ist es zu danken, dass einhundert Jahre nach seiner Erstpublikation eine deutsche Übersetzung dieser Schrift vorliegt. Sie ist nicht nur ein Klassiker der amerikanischen Literatur, sondern auch ein Markstein für das Selbstverständnis der Schwarzen in den USA.
Geboren 1868 im Norden der Vereinigten Staaten, wird der hochbegabte Du Bois auf eine der wenigen Universitäten für Schwarze in den Süden der USA geschickt. Seine außergewöhnlichen Fähigkeiten verschaffen ihm schließlich Zugang zur Elite-Universität Harvard und ein Auslandsstipendium in Berlin, wo er das Interesse und die Freundschaft des deutschen Soziologen Max Weber gewinnt.
Nach seinem Doktortitel, dem ersten, den ein Afroamerikaner an der Harvard-Universität in den Geisteswissenschaften erhält, arbeitet er als Pionier auf dem Gebiet der Soziologie, in den USA damals eine kaum anerkannte Wissenschaft.
Die Entstehung seines Buchs "Die Seelen der Schwarzen" ist eng verknüpft mit dem Aufstieg von Booker T. Washington zum Schwarzenführer. Der befürwortete den Verzicht der Schwarzen auf politische Mitbestimmung und gleiche Bildungschancen. Stattdessen sollten sie gezielt zu Industriearbeitern und Handwerkern ausgebildet werden. Nur so, glaubte Washington, könnten sie der US-Gesellschaft integriert werden. Mit dieser These war er sehr erfolgreich. Denn seine Kompromisshaltung sicherte ihm die Unterstützung der politischen und industriellen und damit weißen Elite Amerikas. Du Bois erhebt Einspruch. Er, dessen eigener Lebensweg den Vorstellungen Booker T. Washingtons grundsätzlich widerspricht, will die Chancengleichheit für Schwarze. Als ihn ein Verlag um eine Aufsatzsammlung ersucht, bietet sich der Anlass zur Stellungnahme. Mit scharfen Worten erteilt er Washintons Ideen eine Absage:
Geboren aus der Sklaverei und zu neuem Leben erwacht durch den wahnwitzigen Imperialismus des Augenblicks gibt es die Tendenz, menschliche Wesen als Teil der materiellen Ressourcen des Landes zu betrachten und sie allein in Hinblick auf künftige Dividenden hin auszubilden. Das Rassenvorurteil, das braune und schwarze Menschen auf ihren ‘angestammten Plätzen’ belassen will, ist ein nützlicher Verbündeter solcher Theorie, die die Herzen der sich abmühenden Menschen vergiftet.
Arbeit, Kultur, Freiheit, das alles brauchen wir, nicht vereinzelt, sondern zusammen, nicht nacheinander, sondern gleichzeitig.
Wer arbeitet, aber von Bildung und politischer Mitbestimmung ausgeschlossen bleibt, gehört, so Du Bois, weiterhin zu den Ausgebeuteten. Er macht klar, dass nominelle Freiheit, ja selbst der Zugang zu den Wahlurnen allein nicht ausreichen werden, um lange Phasen von Diskriminierung und Ausgrenzung zu überwinden:
Schließlich hat man das Gehirn einer ganzen Rasse 250 Jahre k.o. geschlagen und systematisch auf Unterwerfung, Sorglosigkeit und Diebstahl abgerichtet.
Dies erkläre, warum die meisten Schwarzen ihre Freiheit bisher nicht hätten nutzen können. Eine kurze Phase der Eigenverantwortung genüge nicht, vor allem, wenn den Schwarzen außer Freiheit nichts zugestanden würde. Die unterschiedliche Leistungsfähigkeit ließe sich deshalb nicht mit dem Unterschied der Rassen begründen:
Stillschweigend gewinnt die herrschende Annahme unserer Zeit immer mehr Zustimmung, dass die Bewährungszeit der Rassen vorüber sei, dass die zurückgebliebenen Rassen von heute ihre Leistungsfähigkeit erwiesen hätten und es nicht verdient hätten, geschont zu werden. Solche Aussagen dokumentieren die Arroganz von Völkern gegenüber der Geschichte und ihre Ignoranz gegenüber den Taten von Menschenhand.
Du Bois findet eindrucksvolle Worte und Bilder für seine Empörung. Geschickt komponiert er aus einzelnen Essays einen Text, der die Misere der Schwarzen präzise erfasst und zugleich anschaulich macht. Melancholisch getönte Momentaufnahmen aus dem Leben der Schwarzen im Süden wechseln mit glasklaren Analysen ihrer sozialen Lage. Dies stimmt den Leser ein auf das leidenschaftliche Plädoyer für Anerkennung und Gleichberechtigung.
Auch wenn sich die Lage der Schwarzen seit 1903 in den USA sicherlich gebessert hat: Du Bois’ Buch bleibt aktuell. Dies liegt nicht nur an seiner historischen und literarischen Bedeutung. Der Verfasser macht seinen Lesern klar, was es heißt, Angehöriger einer Minderheit zu sein. Er erklärt, wie die Erfahrung des Fremd- oder Andersseins zur Selbstentfremdung führt, wenn die ethnische Zugehörigkeit nicht als Bereicherung, sondern als Makel verstanden wird. Für diese Entfremdung findet Du Bois ein überzeugendes Bild, das sich als Leitmotiv durch das ganze Buch zieht: Es ist das Bild des Schleiers. Mit ihm verdeutlicht er die erzwungene Schizophrenie des Afroamerikaners: Der Schwarze ist...
...geboren mit einem Schleier und einer besonderen Gabe - dem zweiten Gesicht - in diese amerikanische Welt, die ihm kein wahres Selbstbewusstsein zugesteht. Es ist sonderbar, dieses doppelte Bewusstsein, dieses Gefühl, sich selbst immer nur durch die Augen anderer wahrzunehmen, der eigenen Seele den Maßstab einer Welt anzulegen, die nur Spott und Mitleid für einen übrig hat. Stets fühlt man seine Zweiheit, als Amerikaner und als Neger.
Du Bois benutzt übrigens durchgängig das Wort "Negro" - Neger, zu seiner Zeit eine neutrale Bezeichnung für Schwarze. --
Am 18. August 1963 stirbt Du Bois in Ghana. Es ist der Vorabend des "March on Washington", einer entscheidenden Kundgebung der Schwarzenbewegung. Aus Du Bois’ Forderung nach Taten wird Martin Luther Kings Prophetie:
Heute sage ich euch, meine Freunde, trotz der Schwierigkeiten von heute und morgen, habe ich einen Traum. Es ist ein Traum, der tief wurzelt im amerikanischen Traum. Ich habe einen Traum, dass eines Tages diese Nation sich erheben und der wahren Bedeutung ihres Credos gemäß leben wird: ‘Wir halten diese Wahrheit für selbstverständlich, dass alle Menschen gleich erschaffen sind.
Du Bois’ Buch ist ein wichtiger Text, und man darf dem Verlag für die deutsche Ausgabe danken. Das Vorwort von Henry Louis Gates jr. widmet sich der Wirkung des Buches in den USA. Im Nachwort bemüht sich der Übersetzer, Jürgen Meyer-Wendt, Einflüsse der Hegelschen Philosophie auf Du Bois nachzuweisen. Dokumente und Photographien aus dem Nachlass des Bürgerrechtlers runden das Buch ab. Leider wird die Übersetzung dem stilistisch brillanten Original nicht immer gerecht, außerdem fallen die Anmerkungen zu knapp aus.