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Willibald Rudka : Genosse Barmixer. Kleiner "Politischer Bildungszirkel" für Ossis, Wessis, Südis und Nordis.

Zur letzten Rezension unserer heutigen Sendung, eine autobiographische Geschichte aus der DDR, einem Staat, in dem bekanntlich so ziemlich alles Politik war und selbst der Dackelzüchter oder Briefmarkensammler wenigstens Kulturbundmitglied zu sein hatte. Dass aber selbst noch vom Barmixer in gehobenen Etablissements Parteitreue und tschekistische Zubringerdienste erwartet wurden, mag manchen DDR-Unkundigen denn doch überraschen. Aber nur, bis er "Genosse Barmixer" von Willibald Rudka gelesen hat. Jacqueline Boysen stellt Ihnen das Buch vor:

Jacqueline Boysen | 23.12.2002
    Als ich die Mixer im Dresdner Hotel Altmark damals sah, ...elegant, schicke Klamotten,... rührten oder schüttelten, hat mich mächtig beeindruckt.

    Willibald Rudkas Augen blitzen bei der Erinnerung daran, wie er als junger Mann in der gleichfalls noch jungen DDR schwungvoll seine Laufbahn einschlug. War der Großvater noch bodenständig Destillateur in Schlesien, so sah der abenteuerlustige Enkel seine Zukunft im Nachtleben schicker Hotelbars: den legendenumwobenen Beruf des Barmixers wollte der junge Rudka ergreifen, wenn nicht am Hudson River, so immerhin an der Elbe. Nachdem er einen kurzen Ausflug in die Kohlegruben im Ruhrpott - um düstere Erfahrung und blutige Verletzungen reicher - beendet hatte und zu seiner Familie - wie sagten Zeitgenossen - "in die Zone" zurückgekehrt war, begann Rudka seinen Beruf als Gastronom von der Pieke auf zu lernen: Büffetier war er - und schon dieser Begriff zeigt deutlich, wie stark sich einzelne Branchen in der frühen DDR nicht am goldenen Westen, sondern in erster Linie am Lebensstil der untergegangenen Vorkriegswelt orientierten und noch nicht vom Kleingeist spießbürgerlicher Parteigenossen benebelt waren. Schillernd also waren die Vorstellungen des ehrgeizigen Barkeepers im realen Frühsozialismus:

    Da musste ich mich tüchtig auf den Hosenboden setzen... hab mir das Große Buch der Bar aus dem Westen mitbringen lassen. Ich wollte dann irgendwann in die großen führenden Hotels der DDR, in die Interhotels. Dass das so schreckliche Formen annimmt und dort die Staatssicherheit das Sagen hatte, habe ich so nicht geahnt. Es war klar, wir machten das gleiche wie die hinter der Mauer. Das haben die auch gemerkt. Ich bekam damals Post vom Präsidenten der Deutschen Barmixer Union, auch das Fachjournal immer zugeschickt. Es begann Kontakt, aber das hat die Staatssicherheit auch gemerkt.

    Und genau die hat Willibald Rudka, hinter der Bar kosmopolitisch gern "Charly" genannt, schließlich die Karriere als schnieker Cocktailmixer zerstört, wie der heute 65-Jährige in seinen leider nicht eben literarischen Lebenserinnerungen unter dem Titel "Genosse Barmixer" erzählt. Genosse war Rudka übrigens nie, wohl trat er der LDPD, der vermeintlich liberalen Blockpartei bei, aber das Mitglied im "Fachgremium Barwesen der DDR" hatte schon früh eine Aversion gegen kulturlose Emporkömmlinge entwickelt, die ihr Parteibuch als Passepartout auch an den Tresen der Republik ausnutzten und hemmungslos auf Kosten von Partei und Staat prassten.

    Natürlich ... es gab viele Leute, die mit Parteiabzeichen, die heute ganz unschuldige Gesichter haben, die den Geist gar nicht hatten, die Bildung, um Leitung zu übernehmen. Ich hab ja solche Geister zu Hunderten im Laufe meines Berufes an der Bar sitzen gehabt, manchmal war's zwar innerlich amüsant, aber nie etwas anmerken lassen.

    Vielleicht war es auch seine Professionalität, die Mielkes Mannen neugierig machte. Gastronomen waren generell für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR ergiebige Quellen, hatten sie doch ihre Ohren unauffällig immer dort, wo alkoholselig mit gelöster Zunge vom Leder gezogen wurde.

    Ich bin insofern interessant geworden, weil ich begonnen hatte, Barmixer-Lehrgänge zu veranstalten, hab junge Leute hinter der Bar ausgebildet - wahrscheinlich wollte man mich haben, weil man dachte, wenn wir den haben, der bildet unsere Leute aus, und dann können wir die Leute einsetzen, wie wir das wollen. Dass nun ausgerechnet der hinterher nicht mitgemacht hat, damit hat man nun nicht gerechnet.

    Rudka, der von Dresden über das niegelnagelneue Hotel Lunik in der sozialistischen Musterkommune Eisenhüttenstadt schließlich ins Interhotel nach Halle befördert wurde, shakte in den sechziger Jahren mit größter Begeisterung - bis er sich als Chef der Barmixer im Hotel Stadt Halle einem unsittlichen Anwerbungsversuch ausgesetzt sah - und sich erdreistete, den angebotenen einträglichen Nebenjob als Zuträger des MfS abzulehnen. Damit war das vorzeitige Ende seiner Karriere erreicht, und das, obwohl die Arbeit im ersten Haus am Orte ihn mit soviel Stolz erfüllt hatte:

    Es war eine tolle Ausstattung, für damalige Verhältnisse, das Personal war erstklassig, der Stock einer Bar, ich hatte alles, alle internationalen Spirituosen, französischen Cognac, wir hatten Früchte, es machte einen Heidenspaß. Und dort raus zu müssen, auf einen Dorfgasthof, das war schon eine enorme Demütigung.

    Eine schlichte Grillbar, unrentable Kleinstadtgasthöfe, überlaufene Abfütterungsplätze für Ostseeurlauber, aber auch Besuchermagneten wie ein privat wirtschaftendes Eiscafe und schließlich das Berliner Operncafe oder auch der Bacchuskeller im Nikolaiviertel - der gebürtige Breslauer und seine Frau haben eine Odyssee durch die kulinarisch oft zweifelhaften Stätten der Republik hinter sich.

    Der passionierte Wirt - in die DDR-Mixgetränke-Geschichte als Erfinder der Klapperstorch-Bowle und des Freundschaftspipeline-Cocktails eingegangen - beschreibt in seinem Band, wie er sich als selbständiger Gastwirt durchschlägt und tapfer den Widrigkeiten der Mangelwirtschaft trotzt. Er erzählt, wie sein Sohn einen tragischen, nie verwundenen Fall vom Chefsteward auf der "MS Arkona" ins berufliche Aus erleben muss. Rudka berichtet auch darüber, wie es ihm nach der Wende erging, hin- und hergerissen zwischen Erleichterung über den Fall der Mauer und der Empörung über raffgierige westdeutsche Geschäftemacher: Nicht der ostdeutsche Stammtisch, wohl aber Volkes Stimme ist da zusammengerührt, Rudkas Anspruch ist nicht hoch. Aber das schadet nicht, denn sein gesunder Menschenverstand lässt ihn meist sicher urteilen. Der von ihm angerichtete Mix aus Kindheitserinnerungen, Betrachtungen zum Leben in Ost und West und vor allem seine Schilderungen des Alltagslebens in der DDR ist doch gehaltvoll. Letztere Zutat ist der eigentliche Clou des Gebräus: Die allmählich versinkende Erinnerung an die DDR-Normalität lässt den Leser manchmal schon bei lapidaren Nebensätzen stutzen, eine kleine Kostprobe:

    Der Besuch der Oberschule wurde mir verweigert, weil meine Eltern Angestellte waren (und) nur Arbeiterkinder dort Zutritt hatten.

    Schon vergessen? Das war in den Fünfzigern, natürlich. Aber die Barmixerchronik zählt vieles aus vierzig Jahren DDR auf, was Nostalgikern heute entfallen zu sein scheint, Geschichten über die Stasi-gesteuerte Prostitution in Devisenhotels, über die Absurditäten einer durch und durch fehlgeplanten staatlichen Versorgung und den räuberischen, valutakräftigen Antiquitätenhandel. Abschließend Erinnerungen an die Schiffsreise der 1964 noch nicht in Ungnade gefallenen Rudkas auf der "MS Völkerfreundschaft":

    Leider durften wir als DDR-Bürger in den vielen schönen Westhäfen nicht an Land gehen. Aber wir waren begeistert von dem schönen Schiff, das vordem mal unter schwedischer Flagge fuhr, auf Gläsern, Geschirr und Decken konnte man noch eingeprägt die schwedische Königskrone sehen. Tagsüber lagen wir auf Deck in der Sonne, nachmittags hin zum Kaffeekonzert bei leckerem Gebäck, das an Bord mit Butter gebacken wurde, an Land damals aber nicht üblich war. ...

    Bei der Durchfahrt durch den Bosporus durfte das Schiff mit Lotsen an Bord nicht halten... Vorher hatte man alle Kabinen geräumt, die Fenster verschlossen und die Türen zur Kontrolle weit geöffnet. Auf den Gängen liefen Wachen. Das Schiff wurde von ca. 20 türkischen Motorbooten begleitet, die mit Winkzeichen genau anzeigten, wann es günstig war zu springen. Die Türken nannten die "Völkerfreundschaft" das Sklavenschiff, denn alle drei Meter stand einer von der Besatzung. Die Reling war mit Seilen abgespannt, sechs Leute versuchten dennoch mit einem Sprung ins Wasser ihr Glück und wurden in Sekundenschnelle von den türkischen Booten aus dem Wasser gefischt. ... Noch deutlicher konnte man uns nicht zeigen, dass wir Gefangene eines Staates waren. Uns war schlecht vom Zusehen, ... jeder holte sich einen Weinbrand, um das Erlebte schnell hinwegzuspülen, ja, so war er, der freie Sozialismus.


    Jacqueline Boysen über Willibald Rudka: Genosse Barmixer. Kleiner "Politischer Bildungszirkel" für Ossis, Wessis, Südis und Nordis. Fischer & Fischer Medien AG Frankfurt / Main, Preis: 12 Euro und 90 Cent.