"Guten Tag, vom Deutschlandfunk, mit Herrn Dress verabredet."
"Hallo, und mit Herrn Kwasniok und den Syrern. Wenn Sie mal kurz hier durchschauen, bitte."
Montagfrüh am Ratsgymnasium in Goslar. An einem runden Tisch im Zimmer des stellvertretenden Schulleiters sitzen drei junge Männer mit schwarzen Haaren, modisch frisiert. Bahi, Raman und Abdulmoeen, alle 17 Jahre alt. Seit drei Monaten besuchen sie das Ratsgymnasium. Bahi gibt sogar schon Interviews auf Deutsch. Nach dem spektakulären Vorschlag des CDU-Oberbürgermeisters Oliver Junk, die Abwanderung in Goslar mit Flüchtlingen aufzufangen, waren Zeitungen und auch das Fernsehen da. Bahi erzählt gerne von seinem neuen Leben in Deutschland:
"Ich finde Goslar ist eine sehr schöne Stadt und eine sehr schöne Stadt zum Studieren und zum Lernen."
Und Abdulmoeen ergänzt:
"Wir sind hier Ausländer, aber ich fühle mich nicht so. Die Leute behandeln mich wie jemanden, der hier geboren ist."
Auf Empfehlung von syrischen Freunden sind die drei nach Goslar gekommen. Geflohen vor Gewalt und Bürgerkrieg. Unbegleitet, minderjährig tauchten sie hier vor rund drei Monaten auf. Im Gepäck: Übersetzte und beglaubigte Zeugnisse von einem sehr guten Gymnasium in Aleppo. Und einen großen Wissensdurst.
Es wirkt wie Schüleraustausch – wenn auch unter ganz anderen Vorzeichen. Flüchtlinge wie Bahi, Raman und Abdulmoeen hätten viele Kommunen gerne mehr: jung, gebildet, zielorientiert – und das trotz großer traumatischer Erlebnisse. Gemeinsam wohnen und lernen sie in einer WG, werden von einem Vormund betreut. Der hat jetzt verfügt, dass dies erst einmal das letzte Interview ist. Sie brauchen Ruhe, um sich einzugewöhnen – und sollen nicht herhalten, um positive Geschichten von Flüchtlingen zu erzählen.
Dabei könnte Goslar mal wieder eine positive Geschichte brauchen, das weiß auch Oliver Junk. Geschichten wie sie das Glockenspiel am Marktplatz erzählt, vor dem täglich die Touristen stehen. Mechanische Figuren zeigen Ritter des Mittelalters, die Bergleute in den Silber-Minen. Das, was Goslar einst groß und reich machte. Heute kämpft Oberbürgermeister Oliver Junk mit den Folgen des demografischen Wandels. Junge, gut ausgebildete Flüchtlinge, so glaubt Junk, könnten dieses Problem lösen.
"Die Jungs die wir hier gerade aktuell exzellent in Goslar integrieren und die sich wohlfühlen, und die hier ihren Schulabschluss machen, und um die wir uns extrem gut kümmern, da besteht natürlich eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die sagen: Das ist eine tolle Stadt. Ich könnte mir vorstellen, hier in der Nähe zu studieren, und muss nicht nach Hamburg oder Aachen gehen."
Junk hatte vor einem halben Jahr einmal öffentlich davon geträumt, das schrumpfende Goslar könnte noch mehr Flüchtlinge aufnehmen: aus Großstädten mit Wohnungsnot. Eine logische Idee, sagen die Unterstützer. Der Profilierungsversuch eines potenziellen Ministerpräsidenten, sagen Junks Kritiker. Doch sein Vorschlag, der bundesweit diskutiert wurde, stieß ziemlich schnell an seine Grenzen: im Landkreis.
Ehrgeizige Pläne
Denn obwohl Junk seine Idee lautstark verkündet hatte, ist er dafür schlicht nicht zuständig. Es ist der Landkreis Goslar, in dem die Stadt Goslar eben nur eine von zehn Gemeinden ist. Landrat Thomas Brych von der SPD hat vor zwei Jahren ein eigenes Flüchtlings-Konzept entwickeln lassen – und ist darauf ziemlich stolz. Für jeden Flüchtling steht ein Platz in einer Wohnung zur Verfügung. Massenunterkünfte in ehemaligen Kasernen oder in Turnhallen gibt es im Landkreis Goslar nicht, sagt Brych im Landratsamt. Dieses Konzept aber, so Brych, ist schon jetzt am Anschlag.
"Voriges Jahr, als der Vorschlag von Herrn Junk kam, lagen wir noch bei 500 Flüchtlingen, dieses Jahr sind wir in der Prognose schon weit über 1000. Und nächstes Jahr werden wir weit über 1000 kommen. Ich sag dann in aller Deutlichkeit, dass wir für diejenigen zuständig sind, die uns zugewiesen worden sind weil wir da 'ne Verantwortung haben, bevor wir anderen Kommunen helfen."
Landrat Brych hat klar gemacht, dass Flüchtlingspolitik in Goslar in seiner Zuständigkeit liegt – und nicht in der des Oberbürgermeisters. Der hat das zähneknirschend akzeptiert.
"Das ist die Verabredung zwischen uns und ich hoffe, dass wir da insgesamt noch weiter kommen."
Allerdings: Mehr Flüchtlinge nach Goslar – die Forderung erfüllt sich aktuell angesichts steigender Zahlen von selbst. Allerdings sind es nicht die jungen dynamischen Syrer oder gut gebildete Iraker, die Junk gerne hätte. 90 Prozent Flüchtlinge im Landkreis Goslar kommen vom Balkan:
"Ich bin gegen diesen Nützlichkeitsrassismus, also nur ein Flüchtling, der Steuern zahlt, ist ein guter Flüchtling, sondern die Menschen haben verschiedene Gründe zu kommen. Die fliehen vor Katastrophen, die fliehen aus wirtschaftlichen Gründen, und es sind auch oft bildungsferne Menschen dabei. Aber: Man kann nicht sagen: Du bist ein guter Flüchtling und du bist ein schlechter und du darfst bleiben und du darfst nicht bleiben."
Susanne Ohse kümmert sich ehrenamtlich um Flüchtlinge. Bei der Arbeit im Verein "Leben in der Fremde" bekommt sie es regelmäßig mit der Kehrseite der gut gemeinten Worte und der bunten Bilder zu tun. Nicht bei allen läuft es so gut wie bei Bahi, Raman und Abdulmoeen am Goslarer Ratsgymnasium.
Die wollen in den Ferien fleißig Deutsch lernen und dann bald das Abitur machen, sagt Raman. Und dann in Goslar bleiben?
"Wir wollen studieren, wie alle, an der Universität, aber in Goslar gibt es glaube ich keine Universität."
Sie werden ihren Weg in Deutschland gehen. Auch wenn OB Junk hofft, dass sie bleiben: Bahi, Raman und Abdulmoeen können nicht die Probleme von schrumpfenden Kommunen wie Goslar lösen. Erstmal müssen die drei sowieso ihre eigenen Probleme angehen: Ihre Eltern sind noch in Syrien. Hier immerhin zeichnet sich allerdings eine Lösung ab: Bald schon sollen sie nachkommen, aus Syrien nach Goslar.