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Willy Brandt als Karikatur

Im Dezember wäre Willy Brandt 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass zeigt die SPD in ihrem Berliner Parteikonvent eine umfangreiche Karikaturenausstellung. Sie dokumentiert das politische Leben des bedeutenden SPD-Politikers.

Von Oliver Kranz |
    So einen könnte die SPD auch heute gut brauchen. Willy Brandt steht als überlebensgroße Skulptur im Foyer der Parteizentrale, nun hängt er als Karikatur auch an den Wänden. 100 Zeichnungen schildern 35 Jahre einer politischen Biografie.

    "Wir machen ja meist Fotoausstellungen, aber in diesem Fall fand ich Karikaturen noch geeigneter."

    sagt Gisela Kayser vom Freundeskreis des Willy-Brandt-Hauses, die die Ausstellung organisiert hat.

    "Der Kurator hat auch Begleittexte verfasst, die die Zeitgeschichte verdeutlichen, für ein jüngeres Publikum zu verstehen, denn wer kennt heute Rainer Barzel? Aber auch für politisch interessierte und wache Menschen zeigt diese Ausstellung schnell auf den Punkt gebracht die wichtigsten Daten im Leben und Wirken von Willy Brandt."

    Der Kurator der Ausstellung ist Helmut G. Schmidt, der langjährige Chefredakteur der SPD-Pressedienste. Er liefert in seinen Begleittexten alle Informationen, die man zum Verständnis der Karikaturen braucht. Die ältesten stammen aus dem Jahr 1957, als Brandt in Westberlin zum Regierenden Bürgermeister gewählt wurde – jung, dynamisch, mit einem Sinn für glanzvolle Auftritte. Sein Stil war für die damalige Bundesrepublik völlig neu. Eine Karikatur zeigt ihn in einem schicken Sportwagen, der von Hunden angekläfft wird, die die Gesichter von CDU-Politikern tragen. Brandt blickt einfach nur lächelnd nach vorn.

    1966, als die SPD zum ersten Mal mit der CDU eine Große Koalition bildet und Brandt Außenminister wird, fallen die Karikaturen nicht mehr ganz so schmeichelhaft aus. Da sieht man ihn mit seinen Kabinettskollegen mürrisch an einem Tisch sitzen und eine dünne Koalitionssuppe löffeln.

    "Das gibt so ein bisschen das wieder, was ja heute auch diskutiert wird, dass sich alle anpassen und die scharfen Kanten, die im Wahlkampf noch deutlich waren, plötzlich verschwinden würden usw. "

    Ästhetisch erinnern die Willy-Brandt-Karikaturen durchaus an das, was man heute noch in Zeitungen findet. Es überwiegen flüchtig hingekritzelte schwarz-weiß Bilder. Doch es gibt auch aufwendige Grafiken und Aquarelle.

    "Willy Brandt hat das, was man einen Charakterkopf nennt."

    sagt der Illustrator Rainer Ehrt, der heute Abend die Ausstellung eröffnen wird.

    "Er ist vielleicht kein landläufig schöner Mensch, aber diese mächtige Stirn, diese hohen Wangenknochen, diese charakteristischen Geheimratsecken, dieses Lächeln, das man nicht vergisst. Ich will es nennen: ein Gesicht wie ein offenes Visier. Dieses Charisma strahlt selbst aus den bescheidensten Zeichnungen noch heraus – also Welten entfernt von den eher eindimensionalen Interpretationen eines Helmut Kohl zum Beispiel, den man gern als Birne dargestellt hat."

    Und auch meilenweit entfernt von heutigen Angela-Merkel-Karikaturen. Die Bundeskanzlerin wird meist mit hängenden Wangen und vorm Bauch gefalteten Händen gezeichnet.

    "Angela Merkel ist, glaube ich, schon seit längerer Zeit zu der politischen Ikone unseres Landes geworden. Was dabei auffällt, ist, dass die Frage, was sie an Kleidung trägt oder wie ihre Haare frisiert, sind wesentlich wichtiger geworden ist, als die Vermittlung ihrer politischen Haltung und ihrer Ziele."

    erklärt der Kunsthistoriker und Comic-Experte Jens Meinrenken. Er hat auch festgestellt, dass bei heutigen Angela-Merkel-Karikaturen das Gesicht oft nur schwer zu erkennen ist. Die Ursache sei nicht die Politik der Kanzlerin, sondern der allgemeine Trend, Karikaturen am Computer zu zeichnen..

    "Es hat eine Tendenz zur Vereinfachung, in dem man einen einfachen Strich zieht, die Kolorierung mit einem einfachen Klick setzen kann und nicht mehr mühsam mit dem Zeichenstift das Ganze zu Papier bringt. Das, denke ich, ist ein wesentlicher Unterschied zu früheren Karikaturen. Der Vorteil liegt vielleicht darin, dass Karikaturen wesentlich schneller über das Internet verbreitet werden können. Die Wirkungsmacht einer solchen Verbreitung haben wir sehr stark an den sogenannten Mohammed-Karikaturen gemerkt."

    Während im Internet heute sehr viele, teilweise extrem polarisierende Zeichnungen erscheinen, gibt es in Tageszeitungen weniger Karikaturen als früher. Viele Blätter stehen ökonomisch unter Druck und können sich die Beschäftigung eigener satirischer Zeichner nicht mehr leisten. Die Szene ist nicht mehr so vielfältig wie früher, sagt Rainer Ehrt, der als Grafiker aufwändig gestaltete Karikaturen für Zeitschriften liefert. Deshalb sei die Ausstellung im Berliner Willy-Brandt-Haus nicht nur historisch, sondern auch künstlerisch interessant.

    "Hier haben wir doch eine Menge zeichnerisches Können. Ich möchte zwei Namen besonders hervorheben: Das ist der Walter Hanel, Eleganz und Prägnanz der reinen Linie erreicht, die wirklich einsam da steht in der deutschen Pressezeichnung. Der andere ist Horst Haitzinger aus München, der besonders in den aquarellierten Blättern einen wirklich psychologischen und originellen Witz auch gerade mit der Gestalt Willy Brandts verbindet."

    Die Ausstellung ist also nicht nur interessant, weil sie auf das Leben eines Politikers zurückblickt, der in diesem Land viel bewegt hat, sondern auch weil sie eine Kunstform feiert, die heute an Bedeutung verliert – die tagesaktuelle Pressekarikatur.