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Willy Brandt
Flüchtling, Kanzler, Nobelpreisträger

Als Herbert Frahm wurde er vor 100 Jahren in Lübeck geboren und floh später vor den Nazis; als Willy Brandt wurde er Bundeskanzler, bekam 1972 den Friedensnobelpreis - zwei Jahre später musste er abdanken.

von Hartmut Goege |
    Als der Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen am 7. Dezember 1970 in Warschau unterzeichnet werden soll, treten Brandt und sein Gefolge vor das Mahnmal der Opfer des Warschauer Ghettos. Nachdem Brandt gemäß dem Protokoll einen Kranz niedergelegt hat, verharrt er kurz.
    Dann geschieht das Unerwartete. In einer fast biblischen Geste sinkt er auf die Knie. Das Bild geht um die Welt und wird zum Symbol einer neuen Ostpolitik. "Ich konnte dann letztlich nichts anderes tun als ein Zeichen zu setzen", erklärte Brandt später. "Ich bitte für mein Volk um Verzeihung, bete auch darum, dass man uns verzeihen möge."
    Mauerbau als größte Herausforderung
    Brandt floh 1933 selber vor den Nazis. Der damals 20-jährige Sohn einer ledigen Verkäuferin, als Herbert Frahm am 18. Dezember 1913 in Lübeck geboren, war schon früh in der Sozialistischen Arbeiterjugend aktiv. Im Exil in Norwegen arbeitete er unter dem Decknamen Willy Brandt fortan im Untergrund. Als Korrespondent skandinavischer Zeitungen kehrte er nach dem Krieg zurück.
    1949 wurde er in den Berliner Senat gewählt. Geschickt manövrierte sich Brandt an die Spitze seiner Partei und wurde am 3. Oktober 1957 Regierender Bürgermeister. Ihm ging es vor allem um die Verbesserung der Situation der Westberliner Bevölkerung. In dieser Phase wurde der Mauerbau 1961 seine größte Herausforderung: "Der Senat von Berlin erhebt vor aller Welt Anklage gegen die widerrechtlichen und unmenschlichen Maßnahmen der Spalter Deutschlands, und der Bedroher Westberlins."
    Geste der Demut und Entschuldigung: Willy Brandts berühmter Kniefall vor dem Denkmal für die ermordeten Juden in Warschau, 6.12.1970
    Ein Bild, das um die Welt ging: Willy Brandt am Mahnmal des Warschauer Ghettos (AP-Archiv)
    Sieg bei der Bundestagswahl 1969
    Als in Bonn 1966 die schwarz-gelbe Koalition auseinanderbrach, holte die CDU, um Neuwahlen zu vermeiden, die SPD ins Regierungsboot. Brandt bot sich nun als Außenminister unter Kurt Georg Kiesinger die Chance, seine Vorstellungen einer Ostwest-Entspannung voranzutreiben. "Wandel durch Annäherung" hieß das Konzept. Der Sieg bei der Bundestagswahl 1969 brachte ihn diesem Ziel ein Stück näher.
    "Meine Damen und Herren, in den letzten Jahren haben manche in diesem Land befürchtet, die zweite deutsche Demokratie werde den Weg der ersten gehen", erklärte er. "Wir stehen nicht am Ende unserer Demokratie, wir fangen erst richtig an. Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein und werden. Im Innern und nach außen."
    Als Verräter beschimpft
    Begleitet von den kritischen Stimmen vieler Konservativer, die einen "Ausverkauf deutscher Interessen" befürchteten und Brandt als Verräter beschimpften, gelang es der sozialliberalen Koalition, die Ostverträge durchzusetzen. In ihnen akzeptierte die Bundesrepublik die Nachkriegsgrenzen und damit den Verlust der alten Ostgebiete.
    Die Frage der deutschen Einheit in freier Selbstbestimmung blieb weiterhin offen. Noch am Abend des 12. August 1970, nach der Unterzeichnung des Moskauer Vertrages, erklärte Brandt: "Es entspricht dem Interesse des ganzen deutschen Volkes, die Beziehungen gerade zur Sowjetunion zu verbessern. Sie ist nicht nur eine der großen Weltmächte, sie trägt auch ihren Teil der besonderen Verantwortung für Deutschland als Ganzes und für Berlin."
    1972 erhielt Brandt den Friedensnobelpreis
    Transitabkommen und Besuchsregelungen für Verwandte brachten erste Erleichterungen zwischen den beiden deutschen Staaten. Für das allmähliche einsetzende Ost-West-Tauwetter erhielt Brandt 1971 den Friedensnobel-Preis. Er brachte ihm den Popularitätsschub, um bei der Bundestagswahl 1972 für die Sozialdemokratie den größten Triumph in ihrer Geschichte einzufahren.
    Doch es war gleichzeitig auch der Beginn seines politischen Abstiegs. Von Intrigen einiger Kabinettskollegen gezeichnet, entzog er sich innerparteilichen Konflikten. Die Enttarnung des DDR-Spions Günter Guillaume, der sein persönlicher Referent gewesen war, beendete 1974 Brandts Kanzlerschaft.
    Willy Brandt (l) und Bundeskanzler Helmut Schmidt (r) im Gespräch auf dem SPD-Parteitag in Berlin 1979
    Willy Brandt (l) und Bundeskanzler Helmut Schmidt (r) im Gespräch auf dem SPD-Parteitag in Berlin 1979 (dpa/Martin Athenstädt)
    International geachtet
    "Mein Rücktritt geschah aus Respekt vor ungeschriebenen Regeln der Demokratie und auch um meine persönliche und politische Integrität nicht zerstören zu lassen", erklärte er später. "Es ist und bleibt grotesk, einen deutschen Bundeskanzler für erpressbar zu halten. Ich bin es jedenfalls nicht."
    SPD-Vorsitzender blieb Brandt bis 1987. International als moralische Institution geachtet, beteiligte er sich weiterhin am politischen Geschehen, unterstützte als Präsident der Sozialistischen Internationale Bemühungen zur Lösung des Nahostkonflikts und war Mitglied des Europaparlaments. Willy Brandt starb am 8. Oktober 1992.