Es ist der 25. Oktober vergangenen Jahres. Papst Franziskus verliest von seinem Balkon am Petersplatz die Namen derjenigen Männer, die er wenig später zu Kardinälen ernennen wird. Es ist auch der Name Wilton Gregory dabei. Viele Beobachter hatten mit der Ernennung des Erzbischofs von Washington DC gerechnet – trotzdem sei er selbst völlig überrascht gewesen, erzählt Gregory später in einem Fernsehinterview.
Wilton Gregory: "Es gab überhaupt keine Vorwarnung; und ich habe das selbst auch nur mitbekommen, weil ich ungefähr fünf Minuten nach dem Angelus-Gebet an diesem Sonntag einen Anruf von einem anderen Kardinal bekam, der sagte, er wollte der erste sein, der mir zu meiner Ernennung gratuliert."
"Krönung seiner unglaublichen Karriere"
Diese Ernennung ist ein historischer Schritt: Wilton Gregory ist der erste schwarze Kardinal in der Geschichte der USA.
Gregory: "Wenn der erste in der Familie eine bestimmte öffentliche Anerkennung erfährt, dann feiert die ganze Familie. Das ist es wohl, was gerade in der afro-amerikanischen Gemeinschaft passiert."
Mit der Rolle afro-amerikanischer Katholiken in den USA beschäftigt sich auch Religionswissenschaftler Matthew Cressler vom College of Charleston in South Carolina. Er hält die Entscheidung des Papstes für einen schwarzen US-Kardinal für überfällig.
Cressler: "Kardinal Gregorys Ernennung ist sehr bedeutsam: Einerseits als Krönung seiner unglaublichen Karriere, in der er immer wieder eine führende Rolle unter den US-Bischöfen eingenommen hat, andererseits - und noch wichtiger - als symbolische Anerkennung für schwarze Katholiken. Es gibt schwarze Katholiken in den USA, seit es hier Katholiken gibt, aber sie sind in der Geschichte der Kirche so lange übersehen und marginalisiert worden."
Anerkennung für "Black Catholics"
Auch Kathleen Bellow sagt, die schwarze Community habe die Nachricht mit Stolz und Freude aufgenommen. Sie leitet das Institute for Black Catholic Studies an der Xavier University of Louisiana. Es ist die einzige US-Uni, die katholische und afroamerikanische Wurzeln hat. Es sei wohltuend, sagt sie in New Orleans, jemanden aus ihrer Mitte in einer so wichtigen Position in einer Kirche zu wissen, die ihren schwarzen Mitgliedern lange keine Aufmerksamkeit geschenkt habe.
Bellow: "Ein Einzelner wird für uns zwar nicht die gesamte Situation ändern können. Der erste Schwarze irgendwo zu sein, das macht immer einsam und es macht Angst. Also wird es sehr wichtig, dass Kardinal Gregory und die schwarze katholische Gemeinschaft eine gute Beziehung haben. Gerade in den USA, wo unsere Kirche – bei allen Vor- und Nachteilen - so sehr mit der Kultur verwoben ist – und diese Kultur krankt an Rassismus und dem Glauben an weiße Vorherrschaft."
Wilton Daniel Gregory wurde 1947 in Chicago in eine Baptistenfamilie geboren und konvertierte während seiner Schulzeit zum Katholizismus. Schon im Alter von 36 Jahren wurde er zum Weihbischof von Chicago ernannt. Es folgten Stationen als Bischof von Belleville – im Süden des US-Bundesstaats Illinois - und später als Erzbischof von Atlanta, Georgia. Landesweit bekannt wurde Gregory vor allem als Leiter der Bischofskonferenz der Vereinigten Staaten zu Beginn der 2000er-Jahre.
Zusammenarbeit mit Biden
Matthew Cressler: "Er ist ein eher moderater und sanftmütiger Kardinal und Erzbischof, also niemand, der für radikale Aussagen bekannt wäre. Aber gleichzeitig ist er – wahrscheinlich genau deswegen – anerkannt als Führungspersönlichkeit, die das moralische Zentrum der Kirche verkörpert. Am stärksten sichtbar war das wohl damals 2002, nach den Enthüllungen über sexuellen Missbrauch in der Katholischen Kirche."
Gregory machte sich damals einen Namen als ernsthafter Aufklärer, der sich wiederholt öffentlich bei den Missbrauchs-Opfern entschuldigte. Spätestens mit seiner Ernennung zum Erzbischof von Washington, D.C. 2019 mischte sich Gregory auch verstärkt in die politische Diskussion ein. Wiederholt kritisierte er Präsident Donald Trump, unter anderem als der mit einer Bibel in der Hand vor einer Kirche in Washington posierte, nachdem friedliche Demonstranten von dort mit Tränengas vertrieben worden waren. Für die Amtszeit des Katholiken Joe Biden im Weißen Haus hofft Gregory auf eine gute Zusammenarbeit:
Wilton Gregory: "Ich habe mich selbst immer als jemanden gesehen, dem Dialog und Austausch wichtig sind. Ich hoffe, dass sich das in meiner Beziehung zur neuen Regierung zeigen wird. Auch wenn ich weiß, dass es Bereiche gibt, in denen unsere Ansichten auseinandergehen."
Gegen Abtreibung, für Black Lives Matter
Damit meint Gregory wohl vor allem die für US-Katholiken entscheidende Frage der Abtreibung. Joe Biden unterstützt die Linie des "pro choice"-Lagers, das sich für die Wahlfreiheit von Frauen einsetzt. Kathleen Bellow von der Xavier University sagt, Katholiken sollten sich nicht auf dieses Thema fixieren.
Kathleen Bellow: "Natürlich ist Abtreibung falsch. Aber es gibt so viele andere Themen wie die Todesstrafe oder unser Verhalten gegenüber Einwanderern. Das sind auch Sünden, die unser Land begeht, und gegen die unsere Kirche nicht laut genug protestiert. Kardinal Gregory wird hier einen Balance-Akt schaffen und sehr stark gegenüber denjenigen in der katholischen Kirche sein müssen, die andere Vorstellungen von der Heiligkeit des Lebens haben als er."
"Franziskus‘ Neuausrichtung der Kirche"
Wilton Gregory hat wiederholt die Anliegen der "Black Lives Matter"-Bewegung unterstützt. Auf Nachfrage eines Transgender-Katholiken antwortete er einmal, Transgender-Personen gehörten zum "Herzen der Kirche". Religionswissenschaftler Matthew Cressler hält die Ernennung Gregorys mit seinen vergleichsweise liberalen Ansichten für einen wichtigen Baustein in einer strategischen Neuausrichtung der katholischen Kirche weltweit.
Matthew Cressler: "Seine Ernennung ist die jüngste von verschiedenen Entscheidungen des Papstes, die zeigen, dass Franziskus sich für eine bestimmte Führungskultur einsetzt. Er möchte, dass die Leitung der katholischen Kirche die Zusammensetzung der christlichen Gemeinschaft weltweit widerspiegelt. Und die wird immer stärker repräsentiert durch den globalen Süden, durch nicht-weiße Gläubige."
Was das allerdings für die katholische Kirche in den USA bedeute, fügt er hinzu, müsse man abwarten. Denn so wie die politische Landschaft polarisiere sich auch die Kirche im Land zunehmend. Vor Kardinal Gregory liegt viel Arbeit – in Rom und in Washington.