Archiv


Windkraft in der Nordsee

Bis 2020 will die Bundesregierung 15.000 Megawatt Strom mit Windparks im Meer produzieren. Um das zu verwirklichen, werden schnell neue Anlagen benötigt, meint Jurist Christian Dahlke. 15 Jahre lang hat er die Abteilung "Ordnung der Meere" beim Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie geleitet.

Von Axel Schröder |
    In der Ecke stehen schon die Umzugskartons. Und die vielen kleinen Modelle von Offshorewindrädern hat Christian Dahlke längst von der Fensterbank geräumt und verpackt. 15 Jahre nach seinem Dienstantritt als Leiter der "Abteilung 5 / Ordnung der Meere" verlässt der Jurist das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie, kurz: BSH. 1998 bekam Dahlke den Auftrag: Regeln sie den Aufbau von Windparks auf der Nord- und Ostsee. Das Problem damals: Es gab keine Regeln.

    "Als ich ins BSH kam, war es komplettes Neuland. Da gab es eigentlich noch nichts. Genau genommen gab es so ein Kochbuch mit schönen Bildern ohne Textteil. Also: Man wusste nicht, wie man das Gericht zubereiten sollte."

    Zwar gab es damals schon die sogenannte "Seeanlagen-Verordnung". Darin war zu lesen, was beim Verlegen von Telekommunikationsleitungen oder Erdgaspipelines im Meer zu beachten ist. Offshorewindkraft kam darin nicht vor. Das neue Feld beackerte Dahlkes Abteilung: Welche Auswirkungen haben die Windparks im Wasser, die Flora und Fauna, welche Gefahren könnten entstehen: für Zugvögel, Schweinswale, Robben und Fische oder für die Kleinstlebewesen im Sediment?

    Wie viel Zentimeter stark müssen die Stahltürme der Anlagen sein, um Wind und Wellen standzuhalten? Wie tief müssen sie eingerammt werden? Wo sind überhaupt geeignete Gebiete, wo können Stromtrassen verlegt werden, wie weit muss die Schifffahrt Abstand halten von den Parks?

    Heute hat Dahlkes Abteilung 30 Windparks genehmigt, die Verfahren sind klar, die Grenzwerte, zum Beispiel für den Rammschall beim Errichten der Türme, sind festgelegt. Und trotzdem, so Dahlke, sei er sich auch in jüngster Zeit vorgekommen wie die Tellerdreher im Zirkus.

    "Wie der Tellerdreher so ist: Der hat dann schon immer so zehn Teller oben auf der Stange. Und er muss an jeder Stange immer so ein bisschen schütteln, damit die Dinge denn auch weitergehen. Gerade jetzt in der Phase, wo sowieso parallel Genehmigungsverfahren laufen zu den Vollzugsverfahren, wir daneben noch einen Übertragungsnetzbetreiber in der Nordsee haben mit Tennet, der viel zu spät die Genehmigungsverfahren angeleiert hat.

    Und das alles dann parallel so hinzukriegen, dass dann auch Windparks entstehen können, und die Steckdosen parallel gestellt werden – das ist sicherlich eine ziemlich schwierige Aufgabe für eine Baugenehmigungsbehörde."

    Vor allem eine Aufgabe, bei der Überstunden dazugehören. Zum Beispiel dann, wenn Probleme auf den Offshorebaustellen auftreten und schnelle und trotzdem effektive Lösungen her müssen. Immerhin kosten allein die Spezialschiffe zum Aufbau der Parks rund 100.000 Euro pro Tag. Dass mittlerweile nur sechs von 30 genehmigten Parks im Bau sind und zuletzt zwei Projekte auf Eis liegen, hat, so Dahlke, eine ganze Reihe von Ursachen: Nach wie vor gibt es Probleme bei der Netzanbindung der Parks, nach wie vor gibt es keine Installationsroutine. Keine Baustelle, kein Baugrund gleicht dem anderen, oft behindern Munitionsfunde aus dem 2. Weltkrieg die Arbeiten. Und nach wie vor – daran wird sich auch nichts ändern – herrschen, vor allem auf der Nordsee raue Wetterverhältnissen.

    Dazu kommt, heißt es aus den Unternehmen, das Sperrfeuer der schwarz-gelben Koalition. Erst im Frühjahr hatten Bundesumweltminister Peter Altmaier und sein Kabinettskollege Philip Rösler vorgeschlagen, die Fördersätze für die schon seit Jahren geplanten Projekte abzusenken und damit massiv in die Investitionsgrundlagen einzugreifen. Wie schätzt Christian Dahlke die Wirkung dieser am Ende wieder aufgegebenen Ideen ein?

    "Für die Bauherren der Windparks ist es wichtig, dass sie Rechtssicherheit haben. Und wenn sie keine Rechtssicherheit haben – oder manchmal auch nur Rechtsunsicherheiten spüren – dann sind die Investoren häufig schnell im Unterholz verschwunden."

    Denn schließlich geht es um Milliardeninvestments in einem neuen Terrain, bei denen so launischen Variablen wie das Wetter eine große Rolle spielen. Die Verunsicherung durch die Politik lähmt zurzeit den Aufbau deutscher Offshorewindparks. Die ersten Fabriken für Rotorblätter wurden schon wieder geschlossen, Werften für die dringend nötigen Spezialschiffe mussten Insolvenz anmelden.

    Und aus dem Bundesumweltministerium heißt es: Offshore ist eine tolle Sache. Nur feste Zusagen – oder Absagen an unveränderte Fördersätze - gibt es erst nach der Bundestagswahl, vielleicht Ende des Jahres. Viel Zeit bleibt aber nicht, so Dahlke.

    "Wenn jetzt keine Nachfolgeprojekte kommen, dann haben wir ein echtes Problem. Weil dann die Leute, die das jetzt alles gelernt haben, die diese Erfahrung jetzt umsetzen können und die dann tatsächlich auch effizienter werden und auch lernen, mit anderen zusammenzuarbeiten, weil alles auf See sehr teuer ist – wenn die aufgrund einer Offshorepause, weil es keine Nachfolgeprojekte mehr gibt, dann abwandern und woanders ihr Brot verdienen, dann haben wir ein Problem, wenn wir dann Offshore wieder anfangen."

    Denn dann müssten die mühsam erarbeiteten Routinen im Zusammenspiel Unternehmen und Behörde wieder neu erlernt werden. Das wäre dann die Aufgabe von Dahlkes Nachfolger. Christian Dahlke wechselt als Referatsleiter ins nordrhein-westfälische Umweltministerium. Dort kümmert er sich um das Thema "Systemintegration" bei der Energiewende. Beackert ein neues Feld, für das es bisher kaum Regeln gibt, macht Überstunden, schafft Rechtssicherheit für die Akteure der Energiewende.