Niklas Potthoff: Damit der Kohleausstieg gelingt, bräuchte man mehr Ökostrom; also müsste der Ausbau von erneuerbaren Energien schnell vorangehen. Danach sieht es bei der Windkraft nicht mehr aus. 2017 war noch ein Rekordjahr; 2018 wurden schon weniger Anlagen gebaut, knapp 740, und jetzt berichtet das Internationale Wirtschaftsforum für regenerative Energien, in diesem Jahr seien bislang nur 60 neue Anlagen gebaut worden - ein massiver Einbruch. Ich habe dazu mit Patrick Graichen gesprochen, Direktor der Denkfabrik Agora Energiewende, und habe ihn zuerst gefragt, wie diese Zahl einzuordnen ist.
Patrick Graichen: Ja, das ist dramatisch. Der Windzubau hat dramatisch nachgelassen. In diesem Monat waren es gerade mal fünf neue Windräder.
Es hat zwei Ursachen. Das eine ist, dass die Bundesländer keine Flächen mehr ausweisen beziehungsweise in diesen ganzen Verfahren extrem langsam sind, jetzt viele Runden drehen. Und das zweite ist, dass die Genehmigungsbehörden neue Genehmigungen auch nur sehr langsam erteilen. Die durchschnittliche Dauer der Bearbeitung von Anträgen hat sich von einem halben Jahr auf über zwei Jahre vervierfacht.
Potthoff: Aber warum hakt es da? Warum wird das so zögerlich behandelt?
Graichen: Alle haben jetzt Angst vor den Windkraft-Gegnern, die sehr organisiert jetzt durch die Lande ziehen und mit sehr professionellem Rechtsbeistand da eine Klage nach der anderen über neue Genehmigungen erteilen. Insofern zieht sich das und die Genehmigungsbehörden sind eingeschüchtert.
"Naturschutz und Klimaschutz zueinander bringen"
Potthoff: Diese Windkraftgegner - Sie haben sie gerade erwähnt -, die dem Bau dieser Anlagen kritisch gegenüberstehen, da geht es auch ganz viel um Naturschutzgründe. Wie kann man denn Energiewende und Naturschutz in dem Punkt besser zueinander führen, dass das wieder besser läuft?
Graichen: Ja, es ist Naturschutz, um den es jeweils geht, der abgewogen werden muss. Das wird von vielen Windkraftgegnern natürlich auch benutzt, das Argument. Das sind welche, die eigentlich gegen die Energiewende sind, aber dann den Rotmilan vorschieben.
Was wir brauchen ist ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Naturschutz und Klimaschutz, und wir sehen jetzt, wie zum Beispiel beim Rotmilan - das ist ja ein Vogel, der insgesamt einen enormen Zuwachs hat, aber nach wie vor noch eine bedrohte Art ist. Dann muss man jeweils vor Ort abwägen: Ist das hier jetzt ein Windrad, das hinpasst, und im Rest der Fläche des Landes nicht, so dass der Rotmilan im Rest der Landesfläche seinen Platz bekommt und rundum den Windräder der Vorrang für den Klimaschutz gilt. Diese Abwägung, die haben wir bisher nicht so richtig im Gesetz.
Potthoff: Sebastian Scholz vom Naturschutzbund NABU, der hat kürzlich bei uns im Deutschlandfunk gesagt, es gäbe hinsichtlich der Bundesländer ein Ungleichgewicht, was das Bauen der Anlagen angeht. Die südlichen würden sich ihm zufolge sehr erfolgreich gegen den Ausbau wehren. Wie kann man so ein Problem denn angehen?
Graichen: Es gibt Bayern, die konkret gesagt haben, wir machen jetzt hohe Abstandsregelungen von Windrädern. Das kann man ändern. Das gleiche gilt für Nordrhein-Westfalen, das gleiche gilt jetzt hier für Brandenburg. Das ist eine politische Regelung.
Das zweite ist aber: Ich meine, die Baden-Württemberger wollen gerne Windräder bauen. Es ist jetzt an sich nicht der Süden. Sondern es ist dann die Frage, Naturschutz und Klimaschutz mit einem guten Verhältnis zueinander zu bringen, und was es dafür bräuchte, sind Leitlinien für die Auslegung des Naturschutzrechts im Kontext von Windkraftanlagen, die bundesweit verbindlich gemacht werden.
Potthoff: Das klingt ja alles auch nach zeitintensiven Maßnahmen, die man dort tätigen muss. Kann man sagen, wie viele Windanlagen man in Deutschland eigentlich pro Jahr bräuchte, um die ambitionierten Ziele der Bundesregierung zu erreichen?
Graichen: Wir haben ungefähr 4.000 Megawatt zusätzlichen Wind, den wir pro Jahr bräuchten. Wenn man jetzt mal davon ausgeht, dass eine Anlage im Schnitt drei Megawatt hat, dann bräuchten wir etwa 1.300 Anlagen pro Jahr.
"Es ist eine Katastrophe"
Potthoff: Wenn man die 60 als Grundlage nimmt, kommt man auf nicht mal 150 im Jahr. Das ist ja schon eine riesige Diskrepanz.
Graichen: Wir hoffen natürlich, dass das in den letzten beiden Quartalen besser wird. Aber Sie haben recht: Es ist eine Katastrophe, was sich da im Moment anbahnt. Wenn das so weitergeht, dann ist die Energiewende in Gefahr.
Potthoff: Es gibt ja noch andere Aspekte. Bei Fotovoltaik und bei Solarenergie zum Beispiel sieht man ja in letzter Zeit, dass die Kosten zur Erzeugung sehr stark gesunken sind, es sich immer mehr rentiert. Wie ist das eigentlich bei der Windkraft, diese Entwicklung?
Graichen: Bei der Windkraft ist die Kostenentwicklung ja auch positiv vorangegangen. Anfang der 2000er waren wir ungefähr bei neun Cent die Kilowattstunde und heute liegen wir bei fünf bis sechs Cent die Kilowattstunde im Schnitt. Insofern: Wir haben ähnliche Preise inzwischen für Wind und Solar und wir brauchen auch beides für den Erfolg der Energiewende.
Potthoff: Ich habe eben schon gesagt, die Bundesregierung hat ja ambitionierte bekannte Ziele ausgegeben. Der Anteil erneuerbarer Energien soll bis zum Jahr 2030 auf 65 Prozent hochgeschraubt werden. Wie realistisch ist es derzeit denn, dass das klappt?
Graichen: Wir haben noch zehn Jahre. Insofern würde ich das Ziel noch nicht abschreiben. Aber ich brauche eine sehr aktive Bundesregierung, die jetzt in diesem Jahr an das Thema Erneuerbare-Energien-Gesetz herangeht, die für mehr Akzeptanz für Windräder sorgt, indem man zum Beispiel eine kommunale Windabgabe macht, damit die Kommunen Geld davon haben, indem man Bürgerenergie-Windparks fördert und indem wir beim Thema Naturschutz und Klimaschutz bundesweite Leitlinien bekommen.
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