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Windkraftanlagen
Gefahr für Fledermäuse

Auch wenn es keine belastbaren Zahlen gibt: Forscher gehen davon aus, dass durch Windräder jedes Jahr über 100 000 Fledermäuse in Deutschland zu Tode kommen - vor allem während der Migrationszeit. Forscher wie Christian Voigt fürchten um die Populationen.

Christian Voigt im Gespräch mit Ralf Krauter |
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Schätzungen zufolge kommen jedes Jahr bis zu 300.000 Fledermäuse durch Windräder zu Tode ( imago | blickwinkel)
Ralf Krauter: Am Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin beginnt heute eine dreitägige Konferenz, bei der Fachleute diskutieren, welche ökologischen Nebenwirkungen der geplante Ausbau der Windenergie in Deutschland hat und wie sie sich abmildern ließen. Im Fokus steht dabei der Schutz von Fledermäusen, von denen hierzulande jedes Jahr Hundertausende Windrädern zum Opfer fallen. Dr. Christian Voigt leitet die Abteilung Evolutionäre Ökologie am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin. Ich habe ihn vor der Sendung gefragt: Gibt's eigentlich belastbare Zahlen, wie vielen Fledermäusen Windräder in Deutschland tatsächlich zum Verhängnis werden?
Christian Voigt: Man weiß es eigentlich gar nicht so genau. Man findet Schlagopfer unter den Anlagen. Wie viel das hochgerechnet ist auf alle Anlagen, die es in Deutschland gibt im Onshore-Bereich – das sind ungefähr 30.000 Anlagen –, das weiß man nicht. Man kann nur hochrechnen. Es gibt verschiedene Schätzungen, die besagen, dass ungefähr zehn bis zwölf Schlagopfer zu verzeichnen sind von Fledermäusen an Windkraftanlagen. Da gibt es aber andere Untersuchungen, die geben lediglich drei bis fünf an, aber andere wiederum 20.
Schätzungsweise 300 000 tote Fledermäuse pro Jahr
Also man hat die ganze Spannbreite, und deswegen sind die Zahlen mit sehr großer Ungenauigkeit behaftet. Aber wenn man jetzt diese zehn Schlagopfer pro Windkraftanlage pro Jahr zugrunde legen würde - bei 30.000 Anlagen ist das eine stattliche Zahl von 300.000. Aber – und dieses Aber muss gleich kommen – das ist unter der Annahme, dass keine Abschaltzeiten beauflagt werden. Und eine ganze Reihe von Anlagen laufen tatsächlich unter Abschaltzeiten: Und das sind solche Zeiträume, in denen die Fledermäuse besonders aktiv sind, also während der Migration, bei hohen Temperaturen, bei geringen Windgeschwindigkeiten.
Dann ist es oft so, dass die Anlagen behördlich beauflagt abgeschaltet werden aus Fledermausschutzgründen und diese Tiere eben nicht zu Tode kommen. Die Frage ist nur, wie viele Anlagen in Deutschland laufen unter diesen Voraussetzungen. Das weiß niemand genau. Aber wir haben in einer Umfrage herausgefunden, dass vermutlich lediglich 25 Prozent bis 50 Prozent mit diesen Auflagen betrieben werden. Weil alle früheren Anlagen, die vor 2008 in Betrieb genommen wurden, in der Mehrheit ohne diese Auflagen betrieben werden. Das heißt: Wir haben in der Tat sicherlich eine hohe Schlagopferzahl zu verzeichnen. Wir kennen auch Anlagen, die jedes Jahr tatsächlich mehrere Dutzend Schlagopfer produzieren. Und da die Genehmigung über 20 Jahre läuft, werden diese Anlagen auch noch weiterhin Schlagopfer produzieren.
Auf ihrer Migration überqueren viele Tiere Deutschland
Krauter: Jetzt ist es ja so, dass unter diesen Opfern offenbar auch viele Tiere sind, die nur auf der Durchreise sind. Zum Beispiel Zwergfledermäuse und Rauhautfledermäuse aus dem Baltikum und Russland oder große und kleine Abendsegler aus Skandinavien. Weiß man schon, wie gravierend die Verluste dieser Fledermausarten sind, wenn die zweimal jährlich quasi ihren Deutschlandüberflug starten?
Voigt: Das sind tatsächlich massive Probleme, denn Deutschland befindet sich gerade in der zentralen Migrationsroute zwischen Fennoskandinavien, Baltikum und Südfrankreich, Westfrankreich und Spanien. Zwischen diesen Ländern fliegen diese Fledermäuse hin und her, zweimal im Jahr, im Frühling und Herbst oder Spätsommer. Und dann kollidieren sie potenziell mit den Windkraftanlagen hier in Deutschland - und das vermutlich in großen Zahlen. Das Problem ist hier, wir wissen nicht genau, was für einen Effekt das tatsächlich hat auf die Herkunftspopulation, denn diese sind schlecht untersucht. Wir haben es meistens mit Fledermäusen zu tun, die in Baumhöhlen ihr Quartier haben, und diese sind schlecht einsehbar.
Die Folgen der Verluste bereiten Experten Sorgen
Das ist auch ein Grund, weshalb sie tatsächlich migrieren, weil natürlich im Winter diese Baumhöhlen durchfrieren würden, und deswegen müssen sie in südlichere Gefilde wandern. Wie viel genau umkommen aus dem Baltikum und aus Fennoskandinavien hier bei uns, das weiß man nicht, aber die Leute vor Ort, die ich kenne, aus Schweden oder Lettland und anderen Staaten, die sind natürlich sehr besorgt. Der Grund der Sorge ist natürlich, dass im nördlichen Verbreitungsgebiet die Populationen ausdünnen und jedes zusätzliche Opfer natürlich sehr stark zum Tragen kommt.
Krauter: Welche Lösungsstrategien gäbe es denn, um speziell diese Überfliegern besser zu schützen?
Voigt: Es gibt verschiedene Ansatzmöglichkeiten. Zum einen muss man davon ausgehen, dass im Grunde genommen überall Fledermäuse herumfliegen, und gerade zur Zugzeit. Die neuesten Befunde deuten darauf hin, dass die Tiere einen Flächenzug machen. Das heißt: Jede Anlage ist potenziell betroffen. Und deswegen ist der Konsens unter Naturschützern, dass es eigentlich eine pauschale Abschaltzeit geben muss, die eventuell aufgeweicht werden kann, wenn der Anlagenbetreiber nachweisen kann, dass die Fledermausaktivität dort geringer als angenommen ist. Das heißt, wenn eine Anlage gebaut wird, muss die erst mal unter pauschalen Abschaltzeiten betrieben werden. Und dann ist der Betreiber in der Nachweispflicht, dass die Fledermäuse dort gar nicht so aktiv sind, und dann kann man diese pauschalen Abschaltzeiten entsprechend anpassen.
Der Abendsegler - die Art mit dem höchsten Schlagopferrisiko
Krauter: Das heißt, die Idee, dass man bestimmte Zugkorridore regional sperrt, würde nicht funktionieren? Weil das ein Flächenzug ist - man also gar nicht so genau weiß, wo bestimmte Arten wann vorbeikommen?
Voigt: Das kann durchaus von Art zu Art verschieden sein. Für den großen Abendsegler, der sicherlich die Art ist mit dem höchsten Schlagopferrisiko, weisen alle Indizien darauf hin, dass diese Art einen Flächenzug macht. Andere Fledermäuse, wie zum Beispiel Rauhautfledermäuse, könnten möglicherweise entlang von Flusssystemen wandern, aber auch da wissen wir relativ wenig. Das liegt zum einen daran, dass die Arten sehr kryptisch sind - sie wandern im Dunkeln der Nacht, man sieht sie nicht -, und deswegen verstehen wir eigentlich bisher noch sehr wenig, an welchen Landschaftsstrukturen die entlang fliegen und wo sie zum Beispiel rasten.
Details der Fledermausmigration liegen im Dunkeln
Krauter: Nun findet ja diese Tagung statt am Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin, wo letztlich drüber diskutiert werden soll, wie man die künftige Nutzung der Windenergie in Deutschland in Einklang bringen kann mit dem Schutz der Fledermäuse. Welche Maßnahmen stehen da im Raum, ergänzend zu den Abschaltzeiten, die Sie gerade ja schon genannt haben?
Voigt: Also ein Trend ist momentan, dass die Anlagen größer werden. Das heißt, wir haben es nicht mehr mit Anlagen zu tun, die 60 Meter Rotordurchmesser haben, sondern die 120 Meter und noch mehr Rotordurchmesser haben, und sie sind auch größer insgesamt. Das hängt damit zusammen, dass die Energieeffizienz sicherlich größer ist. Aber der andere Trend ist, dass wir in Bereiche jetzt gehen, die windschwächer sind, also mehr inländig, und dass diese großen Anlagen dann noch das Beste rausholen. Das Problem an den großen Anlagen ist aber, dass wir tatsächlich Fledermäuse dort sehr schwer nur monitoren können. Das hängt damit zusammen, dass die bisherige Begutachtung meistens sich der Akustik bedient. Das heißt: Die Gutachter bringen an der Gondel einer Windkraftanlage ein Mikrofon an. Im Ultraschallbereich nimmt es dann die Rufe auf, und darüber kann man die Aktivität der Fledermäuse bestimmen.
Das akustische Monitoring der Fledermäuse ist lückenhaft
Man muss allerdings wissen, dass die hochfrequenten Ultraschallrufe sehr schnell gedämpft werden in der Umgebungsluft. Das heißt, sie reichen gar nicht über 60 Meter – das ist die Rotorlänge normalerweise –, sondern meistens nur über 20 Meter. Was wir in Gondelhöhe erfassen, deckt also nicht alles ab, was eigentlich in dem Einzugsbereich des Rotors stattfindet. Und das ist ein großes Problem. Wir haben große Anlagen, die technisch machbar sind, aber wir können eigentlich die Aktivität der Fledermäuse gar nicht gut erfassen, weil die Fledermäuse zu leise und zu hoch rufen.
Das andere Problem ist, dass wir jetzt, wie gesagt, in diese windschwachen Gebiete reingehen, in Waldgebiete, die auch tatsächlich Biodiversitätshotspots sind in Deutschland. Gerade auch für Fledermäuse, die ja alle geschützt sind nach dem Bundesnaturschutzgesetz und nach der EU-Habitat-Direktive. Und hier haben wir ein größeres Konfliktpotenzial in diesen Waldstandorten. Das wird sicherlich noch sehr viele Gerichtsverfahren nach sich ziehen. Deswegen sind einige auch aus der Wirtschaft inzwischen zu der Überzeugung gekommen, dass wir eigentlich gar nicht notwendigerweise auf Windkraft setzen sollten, weil einfach das Konfliktpotenzial mit dem Naturschutz so riesengroß ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.