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Winfried Hermann kritisiert Veröffentlichung des Stuttgart-21-Stresstests

Laut Deutscher Bahn hat der geplante neue Bahnhof in Stuttgart seinen Stresstest bestanden und kann gegenüber dem alten Bahnhof 30 Prozent mehr Verkehr verkraften. Winfried Hermann weist die Bewertung scharf zurück: Er habe keine Informationen darüber - und der Test sei nur ein Element der Überprüfung.

Winfried Hermann im Gespräch mit Jürgen Liminski |
    Jürgen Liminski: Das Thema "Stuttgart 21" ist wieder da, und das Projekt hat offenbar den Stresstest bestanden, auf den man sich in den Schlichtungsverhandlungen geeinigt hatte. Die zentrale Forderung lautete: In Spitzenzeiten muss 30 Prozent mehr Verkehr verkraftbar sein.
    Mitgehört hat der Minister für Verkehr und Infrastruktur der rot-grünen Landesregierung in Baden-Württemberg, Winfried Hermann. Guten Morgen, Herr Hermann.

    Winfried Hermann: Guten Morgen!

    Liminski: Herr Hermann, ist das eine Überraschung für Sie, oder haben Sie mit dem Ergebnis gerechnet?

    Hermann: Na Moment mal! Wie zuletzt in Ihrem Bericht dargelegt wurde, ist das ja nicht das Ergebnis, sondern das ist die durchgesickerte Bewertung seitens der Bahn und der Stresstest ist ja erst dann gültig, wenn überprüft wird, dass in guter Qualität die Züge fahren, also nicht irgendwie Züge durch den Bahnhof fahren mit der Stückzahl 49, sondern es muss ein vernünftiger Betriebsablauf sein, die Fahrpläne müssen einigermaßen vernünftig sein, die Übergangszeiten und Übergangsmöglichkeiten müssen klappen und so weiter. Also das ist die Voraussetzung, nicht den Stresstest bestehen, sondern in guter Qualität, so hat Heiner Geißler formuliert. Und im Übrigen ist das zweite wichtige Element dieser Überprüfung, dass nicht die Bahn sich selber sagt, wir können, sondern dass ein unabhängiger Gutachter, also diese Firma SMA, die spezialisiert ist auf Fahrpläne, dass die das zertifiziert, ob das eine gute Qualität ist oder nicht. Das ist die entscheidende Frage. Das wissen wir noch nicht. Ärgerlich ist, dass die Bahn uns, den Projektpartnern und auch dem Aktionsbündnis die Informationen verweigert hat. Wir haben die Materialien nicht, auf die sie jetzt angeblich zurückführt ihre Einschätzung. Sie hat gesagt, sie braucht noch mindestens bis zum 11. Juli, bis wir das vorgelegt bekommen, geprüft von SMA. Und jetzt wird in der Öffentlichkeit sozusagen das Ergebnis in der Interpretation der Bahn gespielt. Das ist, um in der Sprache des Fußballs zu bleiben, das ist "Foul" gespielt.

    Liminski: Eine Überprüfung steht noch aus, sagen Sie, aber die Bahn wird ja wohl kaum so dumm sein, eine Falschmeldung zum Stresstest zu verbreiten. Hat das Schweizer Unternehmen noch eine Chance, ein völlig anderes Ergebnis vorzulegen?

    Hermann: Na das kann ich Ihnen wirklich nicht sagen, weil wir ja keine Unterlagen haben darüber, was die Bahn der SMA gegeben hat. Und wie gesagt, ob die betriebliche Qualität was taugt, das kann erst danach beurteilt werden. Ich will aber den Blick etwas weiten, denn Heiner Geißler hat in seinem Schlichterspruch in den sogenannten entscheidenden Punkten Elf und Zwölf eine ganze Reihe von Verbesserungsmaßnahmen vorgeschlagen, die er für unabdingbar hält, und der Stresstest ist da nur eine der Forderungen. Ich will Ihnen mal ein paar Beispiele nennen. Zum Beispiel hat er gesagt, die Verkehrssicherheit muss entscheidend verbessert werden für Behinderte, für Familien mit Kindern, für Ältere und Kranke müssen die Durchgänge deutlich verbreitert werden. Oder beim Brandschutz müssen die Standards der Stuttgarter Feuerwehr angewendet werden. Er hat übrigens auch vom neunten und zehnten Gleis als notwendig gesprochen. Er hat deutlich gemacht, dass natürlich auch ein Notfallkonzept da sein muss. Stellen Sie sich vor: Eine dieser Röhren ist blockiert, der ganze Verkehr ist blockiert. Oder wenn die S-Bahn nicht fahren kann, dann kann sie nicht ausweichen. Das sind alles ganz grundlegende und entscheidende Kriterien, ob dieser Bahnhof wirklich was taugt, und insofern ist der Stresstest, selbst wenn er bestanden würde, was ich noch ja bestreite, weil es eben nicht vorliegt, nur ein Element der Überprüfung und der Verbesserung.

    Liminski: Für Sie ist also alles offen. Glauben Sie, dass die Bahn Stimmung macht mit dieser Nachricht?

    Hermann: Mit Sicherheit! Man fragt sich ja, warum haben die das in die Öffentlichkeit gebracht. Dann kann man nur sagen, die wollten die öffentliche Meinung beherrschen nach dem Motto, wir zeigen es denen mal, wir können es. Aber wir haben, glaube ich, nach wie vor wichtige und gute Argumente. Ich will noch ein anderes nennen. Zum Beispiel wird ja jetzt nur verglichen, ob der Bahnhof, der unterirdische Bahnhof, 49 Züge schafft. Aber Tatsache ist, dass viele Experten inzwischen belegen, dass der alte Kopfbahnhof deutlich auch in dieser Größenordnung Züge schafft. Man vergleicht ja nicht, was der Kopfbahnhof könnte, sondern man vergleicht, was der Kopfbahnhof im Jahre 2010 an Zügen abgewickelt hat, und darauf hat man 30 Prozent draufgeschlagen. Jetzt stellen Sie sich mal vor, dieser neue Bahnhof wird 20 Jahre lang gebaut, dann ist der quasi in 20 Jahren schon am Ende seiner Kapazität, denn in den letzten 20 Jahren ist der Bahnverkehr in Stuttgart etwa um 30 Prozent gewachsen. Also das ist nicht wirklich ein ausreichendes Qualitätskriterium für die Leistungsfähigkeit dieses Bahnhofes.

    Liminski: Sie halten das Ergebnis völlig für offen und warten jetzt auf die Schweizer. Die Bahn wird wahrscheinlich an ihrem Ergebnis festhalten. Muss Heiner Geißler wieder aktiv werden?

    Hermann: Natürlich! Heiner Geißler ist schon aktiv. Ich habe mich ja gestern mit ihm in Tübingen getroffen, wir haben darüber gesprochen. Erstens wurde sozusagen noch mal klargestellt, was die Elemente seines Schlichtungsspruchs sind, und auch Heiner Geißler ist überzeugt davon, dass der Stresstest nur dann aussagekräftig ist, wenn in guter Qualität von der SMA festgestellt wird, und er verweist auch auf die anderen Elemente seines Schlichterspruchs, die ja offenbar bisher von der Bahn völlig ignoriert worden sind, oder die allermeisten sind ignoriert worden. Und wir werden im Laufe dieser Woche spätestens uns mit allen Beteiligten des Projektes und allen, die am Schlichtungsprozess teilgenommen haben, treffen für ein Vorgespräch, um den Ablauf der öffentlichen Veranstaltung zu diesem Thema am 14. Juli zu besprechen, denn Heiner Geißler hat ganz klar gesagt, das muss irgendwie im Konsens geschehen, dass man sich auf den Ablauf, um die Vorgehensweise und auch über das Vorhandensein bestimmter Informationen verständigt, und zwar möglichst im Konsens.

    Liminski: Mehrere Zeitungen machen heute mit dieser Nachricht auf, es wird sicher ein großes Thema heute werden. Rechnen Sie jetzt auch wieder mit mehr Protesten? Das bewegt ja doch die Gemüter.

    Hermann: Na ja, "Stuttgart 21" bewegt pausenlos die Gemüter. Ich bin gerade aus dem Bahnhof ausgestiegen, in ein Taxi rein, und gleich ruft mir der Taxifahrer hinterher, "aber oben bleiben, nicht nachgeben". Sie merken an diesem Beispiel, der Widerspruch gegen dieses Bahnprojekt ist sehr breit. Die Leute ärgert immer noch am allermeisten, dass wir einen funktionierenden Kopfbahnhof haben. Das ist der sicherste und das ist auch der fahrplanstabilste Großstadtbahnhof in Deutschland, und der wird ohne Not vergraben, dafür werden mindestens fünf Milliarden ausgegeben, und man hat am Ende, wenn man Glück hat, einen Bahnhof, der maximal das leistet, was der Kopfbahnhof heute schon kann, und das ist natürlich keine wirklich lohnende Investition. Deswegen wird es nicht nur um Stresstest bei diesem Protest und in den nächsten Tagen in der Diskussion gehen, sondern auch um die Fragen der Kosten und auch um die Frage der Bedienqualität, denn der Kopfbahnhof ermöglicht einen integralen Taktfahrplan, dass alle Züge aufeinander abgestimmt sind. Ein unterirdischer Durchgangsbahnhof, der kann gar keinen integralen Taktfahrplan fahren, er kann eine bestimmte Menge Züge fahren, aber nicht einen wirklich gut aufeinander abgestimmten Fahrplan. Auch das ist ein entscheidender Nachteil, da kann man, Stresstest hin oder her, nicht dran drehen, das liegt im Wesen dieses Durchgangsbahnhofs.

    Liminski: Die Leistungsunterschiede, darüber wird wahrscheinlich noch diskutiert werden. Vorrangig ist jetzt wahrscheinlich mit mehr Stimmung einfach auf der Straße zu rechnen und die Bahn mag vielleicht die Stimmung beeinflussen. Aber haben das die Parkschützer nicht auch schon getan, und zwar durch Randalieren? Muss man da nicht auch politisch etwas gegen tun?

    Hermann: Ach das tun wir auch ja schon die ganze Zeit. Ich habe wirklich in aller Deutlichkeit klar gemacht, dass Gewalt gegen Sachen gar nicht geht, aber auch gegen Menschen erst recht nicht geht, dass das auch nicht mit Recht und Gesetz vereinbar ist und dass es zu verurteilen ist. Das ist also ganz eindeutig. Ich sage aber auch dazu, dass nicht alle Parkschützer gewaltbereit sind. Im Gegenteil: die große Mehrheit auch der Parkschützer sind ganz friedliche Menschen und die große Mehrheit des gesamten Protestes hält nichts von Gewalt, sondern demonstriert friedlich, kreativ und vielfältig, und das seit eineinhalb Jahren in einer Zahl, wie das republikweit eigentlich bei keinem einzigen Großprojekt je zu sehen war und auch in der sozialen Breite des Protestes. Also das ist nach wie vor, glaube ich, das Besondere an dem Stuttgarter Protest und das zeigt einfach, dass die Bevölkerung ganz breit überhaupt nicht von diesem Großprojekt überzeugt ist und wahrscheinlich auch nur schwer davon überzeugt werden kann, wenn überhaupt, wahrscheinlich überhaupt nicht, dass das eine vernünftige Sache ist, denn in Stuttgart kann man rechnen und man kann rechnen, dass dieses Projekt sehr teuer wird und hoch riskant ist und man noch nicht alle Zahlen auf dem Tisch hat, was die Kosten und Baukostenrisiken hat. Da sind die Schwaben skeptisch, und nicht nur die Schwaben, auch die vielen Zugereisten. Auch die können rechnen.

    Liminski: Herr Hermann, als Sie angetreten sind, haben Sie gesagt, Sie träten zurück, wenn "S 21" gebaut würde. Halten Sie daran fest? Rückt dieser Zeitpunkt vielleicht näher?

    Hermann: Also daran muss ich nicht festhalten, weil das ja ein völlig falsches Zitat ist. Ich habe überhaupt nie gesagt, dass ich zurückträte, sondern ich habe damals gesagt, dass ich nicht unbedingt derjenige Minister sein müsste, der das Projekt begleitet. Daraufhin habe ich ja einen ganz breiten Widerspruch bekommen. Die Opposition hat gesagt, geht gar nicht, die Grünen haben gesagt, geht gar nicht, und ich habe daraus die klare Konsequenz gezogen, alle sind der Meinung, wenn einer dieses Projekt wirklich gut begleiten kann, dann ist das der Verkehrsminister, und der bin ich und ich werde das hoffentlich noch lange bleiben. Jedenfalls werde ich alles tun, das lange zu bleiben, denn "Stuttgart 21" ist ja nur eines meiner großen Projekte. Wir wollen ja im Rheintal den Schienenverkehr anwohnerfreundlich ausbauen, da gibt es richtig viel zu tun, das ist eigentlich ein ganz vernünftiges großes Projekt, auch ein großes Projekt. Auch hier gilt es, mit den Anwohnern zusammen umzuplanen, und wir haben natürlich auch Konzepte, den Schienenverkehr in Baden-Württemberg endlich nach vorne zu bringen, ihn zu elektrifizieren. Er ist ja noch vielfach nicht einmal elektrifiziert. Also wir haben richtig viel vor. Deswegen werde ich nicht aufgeben. Das war noch nie so in meinem Leben, dass ich aufgegeben habe.

    Liminski: Abwarten, das Ergebnis des Stresstests der Bahn ist noch nicht das letzte Wort. Das war Winfried Hermann, Verkehrsminister in Baden-Württemberg. Besten Dank für das Gespräch, Herr Hermann.

    Hermann: Ich danke auch. Schönen Tag!


    Hintergrund:
    Gegen den geplanten Neubau des Stuttgarter Bahnhofs liefen wochenlang protestierende Bürger Sturm, die den alten Bahnhof für völlig ausreichend halten. Erst der eingesetzte Schlichter <li_1332072>Heiner Geißler konnte einen Kompromiss für Stuttgart 21 erringen.<li_1332072>Die Bahnhofsplanung bleibt jedoch weiter Gegenstand erbitterter Auseinandersetzungen, insbesondere weil zwischenzeitlich die CDU die Regierungsmacht an eine grün-rote Koalition abgeben musste. Von der neuen Regierung erwarten viele Bürger ein klares "Nein" zum Neubau.</li_1332072></li_1332072>