Silvia Engels: Der geplante Tiefbahnhof in Stuttgart, bekannt unter dem Stichwort "Stuttgart 21", hat die Gemüter in Baden-Württemberg vor gut sieben Jahren erregt wie kaum ein anderes Thema. Um die Bauarbeiten überhaupt starten zu können, musste ein langwieriges Mediationsverfahren zwischen Befürwortern und Kritikern durchgeführt werden und 2011 noch eine Volksabstimmung. Man sollte also meinen, dass es das am besten durchgeprüfte Bauvorhaben des Landes sei: Und dennoch wurden gestern Berichte bekannt, wonach die Kosten womöglich von 6,5 auf 7,5 Milliarden Euro steigen und sich die Bauzeit womöglich auch verlängert.
Ein langjähriger Kritiker von dem Projekt Stuttgart 21 ist der grüne Verkehrsminister des Landes Baden-Württemberg, Winfried Hermann. Er ist nun am Telefon. Guten Morgen, Herr Hermann.
Winfried Hermann: Guten Morgen!
Engels: Sie haben die Verzögerung und diese Mehrkosten für Stuttgart 21 eigentlich erwartet, oder?
Hermann: Ja, natürlich! Man hat ja schon lange Erfahrungswerte. Wir hatten ja auch in den letzten Monaten immer wieder Hinweise, dass sich das wohl verzögert, dass es sich verteuert. Insofern war es nicht überraschend und ist trotzdem immer wieder erschreckend.
Engels: Wie kann es denn sein, wo dieses Verkehrsprojekt vor sieben Jahren so genau durchgeprüft wurde, dass trotzdem noch solche Überraschungen jetzt auftreten?
"Nie so genau durchgeprüft"
Hermann: Ja, weil es eben nie so genau durchgeprüft war, nie so genau berechnet war, wie die Befürworter immer behauptet haben. Und es gibt ja heute noch welche, die das selber glauben, dass das irgendwie gut geplant war. Das war nie durchgeplant, vor allem in den Kosten war es nie durchgeplant. Die Befürworter haben immer die Risiken runtergeredet und immer wieder diejenigen, die gesagt haben, das ist aber teuer, aufwendig, riskant zu bauen, deswegen vermutlich mehr Kosten, das ist immer wieder dargelegt worden, als wäre das einfach Schwarzmalerei. Heute muss ich sagen, dass meine schwärzesten Prognosen inzwischen von der Realität übertroffen sind.
Engels: Nun wird es zu Mehrkosten kommen. Sie erwarten, dass Bahn und Bund sich diese Mehrkosten teilen werden. Was tun Sie denn, wenn der Bund da einfach nicht mitmacht?
Hermann: Na ja. Wir haben ja schon eine klare Rechtsposition. Das Land Baden-Württemberg hat ja vor meiner Zeit und vor unserer Zeit einen Vertrag abgeschlossen. In diesem Vertrag hat das Land gesagt, wenn Kostensteigerungen kommen, dann übernehmen wir einen Teil der Kostensteigerung, aber nur bis 930 Millionen. Heute tut man so, als wären die 930 Millionen schon selbstverständliche Grundfinanzierung. Dann kommt noch was obendrauf. Nein: Man hat damals einen Puffer eingeplant, und wir haben damals bei der Volksabstimmung ganz deutlich gemacht, für uns gilt der Kostenrahmen und der Kostendeckel und das Land wird nicht mehr bezahlen. Es gibt zahlreiche Parlaments- und Kabinettsbeschlüsse, dass das so ist. Wir haben dem Bund und dem Aufsichtsrat der Bahn im Jahre 2012/13, als damals die letzte Kostensteigerung bekannt geworden ist – da ging es ja um zwei Milliarden hoch –, haben wir damals gesagt: ‚Macht euch eines klar: Wir werden uns an den Mehrkosten nicht beteiligen.‘ Das hat auch die Stadt gesagt, die Region gesagt, und von daher war die Ansage klar. Der Aufsichtsrat hat damals mit Unterstützung – oder man könnte auch sagen gestützt und gefördert und getrieben von der Bundesregierung – gesagt, wir machen dieses Projekt. Der damalige Finanzminister Schäuble hat gesagt, das ist von nationaler, ja, von überragender internationaler Bedeutung, das müssen wir machen. Die Kanzlerin hat gesagt, das machen wir. Jetzt müssen sie auch finanziell liefern. Sie haben damals das Risiko übernommen. Vor vier Jahren wäre die letzte Chance gewesen, das Projekt abzubrechen.
Engels: Herr Hermann, jetzt höre ich daraus, dass Sie politische Verantwortungsübernahme erwarten, dass sie viele angekündigt hätten. Dagegen steht aber die vertragliche Situation: Die Bahn hat das Land Baden-Württemberg bereits verklagt, denn sie bezieht sich natürlich auf die alten Verträge und auf eine Klausel, wonach – wenn die Kostensteigerungen zu gewaltig werden würden –dieser feste Zuschuss von 930 Millionen für Baden-Württemberg nicht mehr greifen würde, sondern dann seien Sie als Landesregierung dabei. Das heißt, am Ende haben Sie im Rechtsstreit doch schlechtere Karten, oder?
"Gute Karten vor Gericht"
Hermann: Das glauben wir überhaupt nicht, denn es stimmt ja gar nicht, was Sie gesagt haben. Die Bahn hat uns als Land ja noch gar nicht verklagt. Wie will die Bahn eigentlich gegen das Land Baden-Württemberg klagen, wenn noch nicht mal klar ist, wann das Projekt fertig wird und was es wirklich kostet. Das ist ja die Voraussetzung für eine Klage. Wir haben Gespräche geführt zwischen den Rechtsanwälten des Landes und zwischen denen der Deutschen Bahn und dort hat das Land eindeutig und noch mal klar gemacht, die Leistungen des Landes und der Stadt Stuttgart und der Region waren freiwillig. Und es wäre ja wirklich ein Treppenwitz der Geschichte, wenn eine Stadt, eine Region, ein Land freiwillig der Bahn und dem Bund bei einem Projekt der Bahn und des Bundes Zuwendungen gibt in Höhe von 930 Millionen, was wirklich einmalig ist – wie gesagt, das sind ja nur die Millionen des Landes, die Stadt hat ja auch noch was dazugegeben und die Region auch –, wenn also dann diejenigen, die freiwillig geben, per Gericht von demjenigen, der das Geld bekommen hat, gezwungen werden, noch mehr zu zahlen. Dann würde niemals jemand sich irgendwie an Kosten der Bahn beteiligen, denn er muss immer das Risiko mit bedenken, dass er dann auch nachträglich noch zu mehr freiwilligen Leistungen gezwungen wird. Ich glaube, dass wir da ziemlich gute Karten vor Gericht haben, wir haben auch die beste Kanzlei, die man finden konnte. Es ist im Übrigen ohnehin eigentlich eine ziemlich merkwürdige Geschichte, dass ein Bundesunternehmen und die Bundesregierung gegen ein Land klagt, das ein Hauptkunde, ein Hauptnutzer der Deutschen Bahn ist.
Engels: Nur um das noch mal klarzustellen: Die Bahn hat die Klage schon eingereicht. Die Wirksamkeit ist natürlich noch nicht abgerufen, aber dieser Rechtsstreit droht ja. Ich möchte aber auf etwas anderes zu sprechen kommen: Es ist ja nun so, dass Sie diese riesen Baustelle mitten in der Stadt haben und möglicherweise auch noch eine ganze Weile. Muss es nicht auch im Interesse des Landes Baden-Württemberg sein – statt möglicherweise auf Klagewege zu gehen – sich mit der Bahn und auch dem Bund irgendwie zu einigen, damit Sie nicht ewig diese Baustelle haben?
"Erpressbar sind wir nicht"
Hermann: Um das auch ganz klar zu sagen: Auch wenn ich Kritiker dieses Projektes war und bin, mit der Volksabstimmung ist völlig klar, dass dieses Projekt gebaut wird. Und als Minister habe ich die Pflicht, dafür zu sorgen, dass das auch möglichst schnell passiert, denn in der Tat ist es eine schwere Belastung für die Stadt Stuttgart und übrigens für den Schienen-Personennahverkehr, den wir als Land ja bestellen. Wir haben einen riesigen Ärger, weil ständig Züge sich verspäten und ausfallen, und das hat nicht nur mit der Baustelle zu tun, aber auch mit der Baustelle zu tun. Wir wollen, dass es beschleunigt wird, und wir wollen natürlich auch das Gespräch mit dem Bund führen – selbstverständlich!
Engels: Damit sind Sie doch auch erpressbar, was möglicherweise weitere finanzielle Nachschüsse angeht.
Hermann: Nein, erpressbar sind wir nicht, denn die Bahn und der Bund haben ja selber auch ein Interesse, denn es bedeutet ja auch für den Schienenverkehr des Bundes ein Riesenproblem, wenn ein wichtiger Knoten wie Stuttgart auf Dauer nicht funktioniert. Die ganzen Gleisanlagen sind ja quasi auf Verschleiß gefahren, weil man angenommen hat, dass man 2008 einen neuen Bahnhof hat. Jetzt ist 2017, wir haben ihn immer noch nicht und die Ankündigung lautet 2024 Ende, also rund 2025. Da kann sich keiner leisten, dass das noch lange rausgezögert wird. Wir müssen das natürlich jetzt zügig beenden und der Bund und die Bundesregierung muss jetzt endlich mal zu der Verantwortung stehen. Sie haben das politisch entschieden, politisch durchgedrückt und haben immer gehofft, dass andere zahlen. Das geht nicht!
Engels: Haben Sie denn Anzeichen irgendwo vom Bund bekommen, dass dort das Thema genauso gesehen wird, wie Sie es hier skizzieren?
Hermann: Es gibt sicherlich auf Bundesebene verantwortliche Politiker und auch Bahnverantwortliche, die sagen, das ist klar, dass man das nicht dem Land weiter in die Schuhe schieben kann, und man muss da eine politische Lösung finden. Und wir werden auch an einer politischen Lösung arbeiten. Wir werden sicherlich vorstellig werden auch bei der Bundesregierung und sagen, das ist jetzt auch eure Pflicht und eure Aufgabe, das ist ja schließlich euer Unternehmen.
Engels: Kurz zum Schluss: Was lernen Sie aus Stuttgart 21 für künftige Baugroßprojekte in Ihrem Bundesland?
"Mir blutet heute das Herz"
Hermann: Na ja. Solche Projekte sind einfach in der Summe so aufwendig, so riskant und am Ende auch so teuer, dass man sich kostengünstige Lösungen immer überlegen muss. Mir blutet heute das Herz, wenn ich mir überlege: Das Geld, was bis jetzt ausgegeben worden ist, hätte locker gereicht, um den Bahnhof, das Gleisvorfeld des bisherigen Bahnhofs komplett zu modernisieren, schön zu gestalten wie Leipzig oder Frankfurt, und den Rest des Geldes hätte man dann dafür verwenden können, insgesamt den Schienenverkehr im ganzen Land zu elektrifizieren, zu modernisieren. Stattdessen fließen jetzt Milliarden in ein einziges Projekt und im Land fehlt das Geld für die Modernisierung. Das ist bitter und das ist für mich die Botschaft, die an alle geht, die sich solche Wahnsinnsprojekte ausdenken. Das ist einfach immer ein hohes Risiko. Man muss abwägen, lohnt sich das. Ich glaube, es hat sich nicht gelohnt, aber es ist so. Es führt jetzt kein Weg mehr zurück. Das ist zu spät. Über die Hälfte des Projekts ist realisiert. Da kann man jetzt nicht mehr sagen wie die Parkschützer, da machen wir mal eine Tiefgarage draus. Das ist ziemlich naiv.
Engels: Stuttgart 21 kommt später und es wird wohl teurer. Wir sprachen darüber mit dem grünen Verkehrsminister des Landes Baden-Württemberg, Winfried Hermann. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen.
Hermann: Gerne. Schönen Tag noch.
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