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Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth

Das Mediengetöse rund um Brigitte Hamanns neues Buch war schon vor dem Erscheinungstermin beträchtlich. Dabei scheint das Sujet des Werks alles andere als bestsellerverdächtig. Hamann zeichnet das differenzierte Porträt von Winifred Wagner, der 1980 verblichenen Schwiegertochter Richard Wagners, die bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs das Schicksal der Bayreuther Festspiele bestimmt hat.

Günter Kaindlstorfer |
    Winifred Wagner, eine geborene Britin, kam 1907 als Waise zu Verwandten nach Berlin. Die Pflegeeltern waren großdeutsche Antisemiten reinsten Wassers, Richard Wagner wurde im durchaus kunstsinnigen Hause praktisch wie ein Gott verehrt. Im September 1915 heiratet Winifred den Wagner-Sohn Siegfried und steigt dank ihres Organisationstalents rasch zur energischen Herrin über den Grünen Hügel auf. In den frühen 20er-Jahren entdeckt sie ihre Begeisterung für Adolf Hitler. Über die Beziehung der schönen Bayreuth-Chefin zum wahrscheinlich ruchlosesten Massenmörder der Weltgeschichte ist viel gemunkelt worden. Brigitte Hamann glaubt zu wissen, wie es wirklich war:

    Adolf Hitler kam oft und gern nach Bayreuth. In der Villa Wahnfried präsentierte sich der Messias der deutschen Rechten schon in den 20er Jahren als biedersinniger Kunstgenießer, als treuer Freund der Familie, der sich von den Wagners leutselig "Onkel Wolf" nennen lässt. Hausherrin Winifred lernt den nationalsozialistischen Volkstribunen als sensiblen Hausgalan kennen, als charmanten Österreicher, der die Kunst des Handkusses in Vollendung beherrschte. Was sie an meisten an Hitler schätzt: Dass er - seit seinen Linzer Tagen schon glühender Wagner-Anhänger ist.

    Winifred Wagner verstand sich als irdische Sachwalterin ihres verewigten Schwiegervaters. Der Nachwelt ist sie freilich vor allem als fanatische Judenhasserin bekannt, spätestens nachdem sie 1975, fünf Jahre vor ihrem Tod, in Hans Jürgen Syberbergs berühmtem Film ungeniert über ihre ungebrochene Liebe zu Adolf Hitler schwadroniert hat. Für Brigitte Hamann sind die Dinge allerdings komplizierter, als sie auf den ersten Blick scheinen.

    Winifred Wagner nützte ihre exzellenten Beziehungen bis in die untersten Kader der NSDAP hinein, um Verfolgten aller Couleurs zu helfen, Sozialisten und Kommunisten, Homosexuellen, Juden und anderen Opfern des Naziterrors.

    Brigitte Hamanns Buch wartet nicht mit sensationellen Enthüllungen über den Wagner-Clan auf. Imponierend ist die Fülle an Material, die die Historikerin da zusammengetragen hat. Winifred und die ihren - in Hamanns 700-Seiten-Werk steht die Wagner-Sippe beispielhaft für den reaktionären Flügel des deutschen Bürgertum am Beginn des 20. Jahrhunderts.

    Vor einigen Monaten hat das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Deutschland mit einer opulent aufbereiteten Familiensaga der "Manns" für sensationelle Quotenerfolge gesorgt. Die Geschichte des deutschen Exilanten Thomas Mann bot dem Publikum eine politisch korrekte Identifikationsmöglichkeit. Wie wäre es, fragt man sich nach der Lektüre von Brigitte Hamanns Buch, mit einem ähnlich aufwendig produzierten Mehrteiler über die Wagners? Denn die Nachfahren des genialien Gesamtkunstwerkers aus Bayreuth repräsentieren das deutsche Großbürgertum der zwanziger und dreißiger Jahre - mit all seinen Ressentiments und all seinen Widersprüchlichkeiten - wohl um einiges wirklichkeitsnäher als die linksliberalen Exilantenfamilie rund um den Verfasser der Buddenbrooks. Die Wagners waren völkisch, sie waren revanchistisch, und: sie waren antisemitisch. So haben die Bewohner der Villa Wahnfried - und nicht nur sie - den Aufstieg Hitlers erst möglich gemacht.