Ja, Menschenskind! Es ist doch bekannt, dass Karl May dem Publikum einen vom Pferd erzählt hat. Und genauso, dass die "Bild"-Zeitung manchmal Zeitungsenten nährt.
Wie alles begann: Verlag zieht Buch zurück
Der Ravensburger Verlag hätte das „Erstlesebuch“ zum Film „Der junge Häuptling Winnetou“ so ähnlich verteidigen können, wie die Karl-May-Liebhaber nun medienauf, medienab dessen Werke. Es seien eben Werke der Fiktion, Fantasy-Romane ohne belastbares Faktengerüst und mit Blick auf die Winnetou-Story zwar klischeefreudig, aber anti-rassistisch und anti-kolonialistisch gestimmt.
Doch natürlich stand es dem Verlag auch zu, das Buch nach den kritischen Einwürfen zurückzuziehen. Schließlich ist es ein Machwerk des 21. und nicht des 19. Jahrhunderts – und wegen dieser Differenz hatte schon der Film Senge bezogen.
Dumm, provinziell und ignorant - oder "Woke-Wahnsinn"?
Er sei „dumm, provinziell, ignorant und arrogant gegenüber […] der Geschichte und Realität der indigenen Amerikaner“, schimpfte die FAZ, die nicht als Windkanal für vulgäre Shitstorms gilt.
Das war der "Bild" aber egal. Sie jammerte, 'dank' mit 'wegen' verwechselnd: „Dank der Zensurposse [des Verlags] landet der Held unserer Kindheit einfach am Marterpfahl“; und heulte apokalyptisch, der Apachen-Häuptling drohe „wegen des Woke-Wahnsinns in den ewigen Jagdgründen zu verschwinden.“
Keine Zensur, sondern abgelaufene Fernseh-Lizensen
Da schwamm sie nun, die Zeitungsente - angeblicher Shitstorm zwingt Verlag in die Knie – und blieb nicht lange allein. Tage später posaunte "Bild": „Sender zieht Schlussstrich. ARD zeigt keine 'Winnetou'-Filme mehr.“ Und Bild.de steuerte den Unfug-Satz bei: „Winnetou ist auch bei den Öffentlich-Rechtlichen erst mal abgemeldet.“
Tatsächlich hatte die ARD die Lizenzen bereits 2020, lange vor der aktuellen Debatte, auslaufen lassen; durchs ZDF reitet Winnetou indessen munter weiter.
Das hinderte Markus Söder als Prominentestem unter den Leichtgläubigen nicht daran, im Zeitungsenten-Teich der "Bild" baden zu gehen; er maulte bei Twitter: „Es ist falsch, dass Buchverlage und Sender aus Sorge vor Kritik einzelner Winnetou verbannen.“ Kaskaden von Richtig-Stellungen konnten Söder nicht zur Korrektur des auch orthographisch fehlerhaften Tweets bewegen.
Mit "Bild"-Artikel startet der eigentliche Shitstorm
Aber egal, längst hatte die Phantom-Debatte Publizistik und Publikum erfasst. Laut der Content-Agentur Scompler haben die Menschen in Deutschland nach dem 21. August - als "Bild" die erste Ente schwimmen ließ - das Stichwort „Winnetou“ häufiger gegoogelt als „Strompreis“, „Benzinpreis“ und „Inflation“.
Ist das verzweifelter Eskapismus in Zeiten multipler Krisen? Ach, nein! Glauben wir lieber, dass die Leute sich noch um ihre geliebten Kulturgüter scheren. So oder so lassen sich im medialen Krawall auch differenzierende Kleinode entdecken.
Indigene sprechen besser für sich selbst
Die Zeit etwa war mit dem Navajo Kevin Manygoats im Karl-May-Museum in Radebeul – und Manygoats argumentierte so ausgewogen, wie es die schaumlippigen biodeutschen Woke- und Anti-Woke-Aktivisten einfach nicht hinkriegen.
Und ausgerechnet die "Welt", "Bilds" höhere Schwester aus der Familie Springer, warnte Konservative kenntnisreich davor, Karl May blindlings zu verteidigen. Schließlich sei dessen Wilder Westen „queer, traumatisiert und lernbehindert“ – quasi ein Traumland woker Linker.
"Bild" selbst brüstete sich übrigens damit, das letzte Exemplar des zurückgezogenen Winnetou-Buches ergattert zu haben – und hat es verlost. Nun denn! Vermutlich denken die jetzt bei "Bild", sie hätten mit winnetou-gleicher Schläue die böse Zensur ausgetrickst.