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Kommentar zu Winnetou-Büchern
Ravensburger hat Kritik für „Cancel Culture“ selbst provoziert

Der Ravensburger Verlag hat die Auslieferung von zwei Winnetou-Kinderbüchern gestoppt. Doch nicht dadurch, sondern mit seiner Begründung für diesen Schritt hat er Kritik provoziert, kommentiert Jan Drees. Und das auf Kosten einer viel wichtigeren Debatte.

Ein Kommentar von Jan Drees |
Schauspieler Adrian Can bei der Premiere des Kinofilms "Der Junge Häuptling Winnetou" in München 2022
Schauspieler Adrian Can bei der Premiere des Kinofilms "Der Junge Häuptling Winnetou" in München 2022 (imago / Future Image / Steffi Adam)
Vor knapp 150 Jahren ersann der deutsche Abenteuerschriftsteller Karl May die fiktive Figur des stolzen Mescalero-Apachen Winnetou, über die ein anderer deutscher Schriftsteller, nämlich Arno Schmidt, knapp 100 Jahre später sagen wird: „What a man!“ Was für ein Mann – diese Figur des Winnetou, die als eine der großen popkulturellen Phänomene unseres Landes gelten kann.
Die Filme aus den 1960er-Jahren mit Lex Barker und Pierre Brice in der Hauptrolle bedienten eine neu erwachte Sehnsucht nach dem vermeintlich Anderen … das zu jener Zeit freilich in nachbarschaftlicher Nähe zum Bekannten liegen musste; ein bisschen Sirtaki, ein wenig Rimini, auch die eigentlich in den USA spielenden Winnetou-Filme wurden in Jugoslawien gedreht.

Vertreterin US-amerikanischer Ureinwohner kritisiert Stereotypen

Die Welt hat sich seitdem verändert, nur die deutsche Filmindustrie ist an vielen Ecken und Enden steckengeblieben, sodass selbst im Jahr 2022 ein neuer Winnetou-Film erscheinen kann, der nun Gruppen unserer Gesellschaft irritiert, die ihr Recht zur freien Rede wahrnehmen, wie Carmen Kwasny von der Native American Association of Germany, die für Abkömmlinge der amerikanischen Ureinwohner spricht, und gegenüber "Focus online" anmerkt, die im Film gezeigte Darstellung indigener Menschen sei, "nicht mehr zeitgemäß". Die Kultur einer Stammesnation, in diesem Fall die der Mescalero-Apache, werde „auf die gängigen stereotypen Vorstellungen reduziert".

Verlag nimmt Bücher aus dem Programm

Carmen Kwasny steht mit dieser Einschätzung nicht alleine da – und jene, die sich an besagtem Film und zwei den Film begleitenden Kinderbüchern stören, nutzen die derzeit modernen Kommunikationskanäle der Sozialen Medien, um sich zu beschweren. Daraufhin beschließt der Verlag, eben diese Kinderbücher nicht mehr zu verkaufen und veröffentlicht ein bemerkenswertes Statement:
„Wir haben die vielen negativen Rückmeldungen zu unserem Buch „Der junge Häuptling Winnetou“ verfolgt und wir haben heute entschieden, die Auslieferung der Titel zu stoppen und sie aus dem Programm zu nehmen.

Wir danken Euch für Eure Kritik. Euer Feedback hat uns deutlich gezeigt, dass wir mit den Winnetou-Titeln die Gefühle anderer verletzt haben. Das war nie unsere Absicht und das ist auch nicht mit unseren Ravensburger Werten zu vereinbaren. Wir entschuldigen uns dafür ausdrücklich.

Unsere Redakteur*innen beschäftigen sich intensiv mit Themen wie Diversität oder kultureller Aneignung. Die Kolleg*innen diskutieren die Folgen für das künftige Programm und überarbeiten Titel für Titel unser bestehendes Sortiment. Dabei ziehen sie auch externe Fachberater zu Rate oder setzen "Sensitivity Reader" ein, die unsere Titel kritisch auf den richtigen Umgang mit sensiblen Themen prüfen. Leider ist uns all das bei den Winnetou-Titeln nicht gelungen. Die Entscheidung, die Titel zu veröffentlichen, würden wir heute nicht mehr so treffen. Wir haben zum damaligen Zeitpunkt einen Fehler gemacht und wir können euch versichern: Wir lernen daraus!“
Ein Ausschnitt des Statements, mit dem der Ravensburger Verlag vor fünf Tagen auf Instagram begründet, weshalb es die beiden Kinderbücher zum Kinofilm „Der junge Häuptling Winnetou“ zurückzieht.

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Schlecht gemachte Merchandising-Produkte

Es ist kein Verlust für die Verlagslandschaft, denn beide Veröffentlichungen sind schlecht gemachte Merchandising-Produkte, die entlang von Drehbuch und Filmbildern eine erschütternd dürre Kino-Geschichte nacherzählen. Mit der Kreativität eines Karl May haben diese Bücher nicht einmal aus der Ferne etwas zu tun. Solche Filmbücher gibt es seit vielen Jahrzehnten, auch dürften ältere Semester die Filmnacherzählungen aus der einmal sehr wichtigen Popzeitschrift „Bravo“ kennen. Nach dem gleichen Prinzip sind die beiden Winnetou-Bücher von Ravensburger entstanden, als reine Lizenzprodukte, die lediglich das Drehbuch des Films vertexten, um es auf diese Weise lesbar zu machen.

Verlag provoziert erwartbare konservative Kritik

Nun gibt es gegen die Rücknahme der beiden Winnetou-Bände harsche Einwände aus dem konservativen Lager. So beklagte Jurist Joachim Steinhöfel in seiner Kolumne für die "Bild"-Zeitung, unsere Gesellschaft unterwerfe sich einer radikalen Minderheit – gemeint ist hier die laute, nervende, die vermeintlich „woke“ Instagram-Gemeinde.
Diese Kritik hat der Ravensburger Verlag durch missliche Kommunikation selbst provoziert, indem nicht etwa die problematische Darstellung von Mescalero-Apachen im Buch als Anlass des Rückzugs nennt, sondern zunächst einmal „die vielen negativen Rückmeldungen“. Mit dem Hinweis auf „sensible Inhalte“ und „Sensitivity Reader“ wurden Reizworte der sogenannten „Cancel Culture“-Debatte auf eine Weise bedient, die eines der herausgehobenen Probleme des Buchs auf die Ebene der „Empfindlichkeit“ verschiebt.

Das Thema "Freiheit" werde durch die Debatte degradiert

Das zweite Problem an dieser Geschichte ist die neuerliche Verhandlung eines wichtigen Themas entlang eines ästhetisch vollkommen belanglosen Produkts der Kulturindustrie. Wir debattieren das gesellschaftspolitisch wichtige Thema Freiheit inzwischen entlang von Zeilen wie „Ich hab 'n Puff und meine Puffmama heißt Layla / Sie ist schöner, jünger, geiler“ aus dem Song von DJ Robin und Schürze oder, bei den inkriminierten Winnetou-Filmbüchern des Ravensburger Verlags, mithilfe von Sätzen wie „Sikari-zinu saß auf einer prächtigen Decke, die sie selbst gewebt hatte. Die alte weise Frau stand mit den Kräften der Natur in Verbindung.“
Kitsch as kitsch can – eine erwachsene Gesellschaft sollte in der Lage sein, ihre Probleme auf komplexerer Ebene zu behandeln – und nicht nur entlang sexistischer Ballermann-Schlager oder sprachlich unbeholfener Kinderbücher.