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Winter und Hörbelt
Kunst zum Anfassen und Benutzen

Das Frankfurter Künstlerduo Wolfgang Winter und Berthold Hörbelt zeigt derzeit in Dortmund modulare Konstruktionen aus Alltagsmaterialien, wie Getränkekisten oder dem Innenleben von Federkernmatratzen. Bei dieser Schau unter dem spielerischen Titel "Körpermaumau" ist anfassen der Skulpturen ausdrücklich erlaubt.

Von Peter Backof |
    Das leuchtende Dortmunder U bei Nacht.
    Die Ausstellung "Körpermaumau" wird im Museum Ostwall im Dortmunder U gezeigt. (picture alliance / dpa - Rolf Vennenbernd)
    "Das macht Spaß, Wollen Sie mal ausprobieren?"
    Kunst mit Freizeitwert, Mit-Kuratorin und Volontärin Daniela Ihrig erklärt, wie es geht: Da ist ein zwei Daumen breites Metallband, bunt bedruckt.
    "Es gibt eine Handhaltung und einen Grad, in dem man die Hände positionieren muss."
    Ein Drittel der Schleife zwischen die Hände packen, und dann in sich verwinden.
    "Genau, sehr gut!"
    Es geht! Die große Schleife hat sich in drei elliptische Kreise verwandelt. Schon wenn man den Oberlichtsaal im Dortmunder U betritt, sieht man Variationen des Tricks, hinten an der Wand. Filigrane Wand-Tattoos als eine Art Tapetenmuster in Spiegelei-Optik, sehr gefällig. Bitte anfassen, benutzen, mitmachen! - heißt es bei den meisten Skulpturen von "Körpermaumau", die zunächst einmal aus banalen Metallbändern, Federkernmatratzenbauteilen oder Getränkekästen bestehen.
    "Weil wir die Überlegung haben: Wo es so viele vorproduzierte Sachen in der Welt gibt – sogenannte Halbzeuge, ja – dass wir das Material nehmen, anstatt, was der Bildhauer früher gemacht hat, dass er in den Steinbruch gegangen ist, sich einen Stein geholt hat und den formt."
    In Saftkisten auf Lederkissen
    Temporäre Entnahmen aus allgegenwärtigen Wirtschaftskreisläufen: 1997 sind Wolfgang Winter und Berthold Hörbelt bekannt geworden. Für die Münsteraner Skulptur Projekte hatten sie vier Pavillons aus handelsüblichen Obstsaftkästen konstruiert und in den öffentlichen Raum gestellt. Ein aktuelles Objekt dieser Bauart steht jetzt im Museum Ostwall. Leiter Kurt Wettengl beschreibt die Röhre- ganz in Rot, die durch die Saftkisten etwas technoid wirkt, aber, wenn man darin liegt, auf Lederkissen, auch recht beschaulich:
    Kurt Wettengl: "Ein verschatteter Raum, durch den das Licht der Decke einfällt, als würde man in einem Laubwald, einem kleinen Pavillon liegen."
    Wolfgang Winter: "Und wenn man das als Hamsterrad sehen möchte, dann sind wir auch ganz froh darüber, weil das in unserer Zeit eine besondere Bedeutung hat, dass man sich in einer Mühle befindet, aber eigentlich ist dieses Ding zunächst mal dazu gedacht, dass man sich da reinlegt und ein bisschen entspannt."
    Laube oder Hamsterrad? Was für eine Dialektik! Tatsächlich kann ich die Röhre durch Gewichtsverlagerung leicht in Bewegung versetzen, wie ein großes schweres Rhönrad. So sinnierend, lockt weiteres bewegliches Objekt: ein Pendel, eine Schaukel, mit einer Sitzfläche - wieder sehr gefällig - aus Ledermosaik, das, von innen indirekt beleuchtet, durch den Raum strahlt. Und wieder dieser Effekt: Erst wenn ich auf der Schaukel sitze und hin und her schwinge, bekomme ich ein Gefühl für die Größe des Objekts, das sich bis unter die Museumsdecke auftürmt. Man spürt die Länge der Seile, ganz anders als bei einer typischen Schaukel im Garten. Ein Indiz auch für den rätselhaften Namen der Schau: "Körpermaumau" – erst wenn ich das banale Kartenspiel Maumau spiele, macht es Sinn.
    Collage aus Autohupen
    Ein letztes Spiel: Wolfgang Winter tappt über eine Art Verkehrsinsel, federkerngelagert wie ein Trampolin und zusammengestanzt aus den typischen bunten Blechen des Schilderwalds, der unsere Mobilität reguliert.
    "Es gibt einen Punkt auf dieser Plattform, wen man den betritt, ertönt ein Klang. Da ist er!"
    Collage aus Autohupen oder doch etwas Spirituelles, Transzendentes, klingt so das Licht am Ende des Tunnels, die Ausfahrt aus einem Verkehrsstau? Humor und wieder diese Dialektik: Die aber jeder im Nu versteht wie die Regeln von Maumau.
    "Diesen Anspruch, das Museum für viele zu öffnen, haben wir ja seit Anfang an, Kunst und Alltag zu verbinden."
    Oder Objekt, Beweglichkeit und Einbezug der Besucher. Museumsleiter Wettengl erklärt, dass man die historischen Wurzeln interaktiver Kunst im Fluxus oder im Nouveau Realisme der 1950er finden könnte. Berthold Hörbelt und Wolfgang Winter machen aus solchen Entwicklungslinien Objekte mit aktueller Strahlkraft. Wir haben alle gleich eine ganze Reihe von Assoziationen. Aus massenproduziertem Material etwas Individuelles, formal völlig Eigenständiges zu formen, das ist die eine – künstlerische – Ebene. Aber vor allem: Wir können nicht nur, wir wollen beim Körpermaumau tatsächlich auch alles anfassen, begehen, benutzen. Das macht Sinn und Spaß.