Elfriede Jelineks "Winterreise" ist eine Reise in die Kälte des Herzens. Und als ferne Erinnerung klingt Schuberts "Winterreise" nach: In Jelineks Sprachspielen und Wort-Wendungen, im Klang-Arrangement und immer dann, wenn Singen das Sprechen auf der Bühne ablöst. Die Stationen dieser Reise: der Verlust der Gegenwart, Menschen, die am Leben vorbei leben; die "verkaufte Braut": ein Blick auf den Hypo Alpe Adria-Skandal, die Bankenpleite als Bauernhochzeit; am Beispiel der Natascha Kampusch: ein Entführungsopfer und wir, die Mehrheitsgesellschaft; die Unermesslichkeit des Netzes; der Sportwahn; lebenslänglich in der Kralle der Mutter; und der im Irrenhaus weg gesperrte Vater. Eine Spurensuche vom Gedankenspiel über Angst- und Besorgnis-erregende soziale Missstände bis in die persönliche, traumatisierende Vergangenheit der Autorin.
Sieben Personen suchen in Johan Simons Uraufführungsinszenierung ihre Geschichte hinter der Fassade aus Konventionen, Klischees, medienbeherrschtem Wortgeklingel und dem Unwillen, das Leiden anderer überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Wie eine Sturzgeburt landen die Figuren im Bühnenleben auf dem aus rohen Brettern gezimmerten zuschauernahen Podest. Ein starker, von gigantischen Windmaschinen hinten auf der Bühne entfachter Sturm presst sie durch die einzige Tür im eisernen Vorhang, die sich gegen den Winddruck kaum öffnen lässt: Aus der eisigen Kälte der Natur in den sozialen Kälteraum.
Sie formieren sich mit Hilfe von Lauten, bevor sie Worte finden. Die monströse Braut trägt schwarz, der Freier ist ein frisch in den Frack gesteckter Wandersmann, der blindlings und gierig die Chance seines Lebens wittert. Das zu lange im Keller gehaltene Kind: eine androgyne, ganz in sich eingesperrte Figur, die, mit unbewegter Miene redend und unausgesetzt fahrig, eckig gestikulierend, über die Bretter dieses exponierten und wenig anheimelnden Ortes geistert, an dem die öffentliche Meinung in Form einer mehrstimmigen Menschenwand herrscht.
Der zweite Außenseiter ist ein stummer alter Mann mit Anzug und Hut, meist starr wie ein Möbelstück. Nur manchmal büchst er aus. Und plötzlich zeigt er Interesse, als das Video einer Sturmflut an der düsteren Wand aufflimmert. Schaut versinkenden Häusern nach und Kühen, die von den Fluten fortgetragen werden, merkt nicht, dass alle anderen schon Pause machen. Der ganze letzte Teil, nicht des Textes, aber der Aufführung, ist ihm gewidmet: dem verrückt gewordenen und ausgegrenzten Vater von Elfriede Jelinek. André Jung macht diesen Monolog zum unzweifelhaften und ergreifenden Höhepunkt der Aufführung. Was die Worte offen lassen, zeigt er körpersprachlich, meist in minimalsten Regungen, einem Zittern oder dem Verstecken, dem Fummeln einer Hand, dem abgebrochenen Versuch, einen Schritt zu machen. Welche Tücken seiner beiden Familienmenschen er durchschaut oder für Gemeinheit hält, zeigt sein Gesicht. Auch, was er dabei fühlt, vom spitzbübisch überlegenen Grinsen bis zur völligen Verzweiflung. Die Sprachspiele sind selten geworden, die niemals zur Ruhe kommenden obsessiven Wortkaskaden sind Ausdruck eines Mühlrads im Kopf, das niemals stille steht und alle Worte und Blicke und Situationen immerzu quälend wiederholt, weil ein Mensch besessen ist von seinem Unglück und seiner Ohnmacht.
Verständlich, dass Regisseur Johan Simons hier, bei dem Verlöschen einer Person, nicht noch stärker kürzen wollte. Und ein überzeugender Einfall, dass er dem Alten in der Anstalt einen Jungen zur Seite stellt, der von sportlichen Glanzleistungen träumt und den am Klavier zusammengesunkenen alten Mann mit einem bestürzend schönen Holzschuhtanz für Momente sogar glücklich macht. Dennoch hätte es dem Rhythmus der Inszenierung gut getan, Jelineks Wortflut insgesamt noch etwas mehr einzudämmen und den Abend zu verdichten: gerade weil die fantastischen Schauspieler so viele Nuancen erspielen.
Sieben Personen suchen in Johan Simons Uraufführungsinszenierung ihre Geschichte hinter der Fassade aus Konventionen, Klischees, medienbeherrschtem Wortgeklingel und dem Unwillen, das Leiden anderer überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Wie eine Sturzgeburt landen die Figuren im Bühnenleben auf dem aus rohen Brettern gezimmerten zuschauernahen Podest. Ein starker, von gigantischen Windmaschinen hinten auf der Bühne entfachter Sturm presst sie durch die einzige Tür im eisernen Vorhang, die sich gegen den Winddruck kaum öffnen lässt: Aus der eisigen Kälte der Natur in den sozialen Kälteraum.
Sie formieren sich mit Hilfe von Lauten, bevor sie Worte finden. Die monströse Braut trägt schwarz, der Freier ist ein frisch in den Frack gesteckter Wandersmann, der blindlings und gierig die Chance seines Lebens wittert. Das zu lange im Keller gehaltene Kind: eine androgyne, ganz in sich eingesperrte Figur, die, mit unbewegter Miene redend und unausgesetzt fahrig, eckig gestikulierend, über die Bretter dieses exponierten und wenig anheimelnden Ortes geistert, an dem die öffentliche Meinung in Form einer mehrstimmigen Menschenwand herrscht.
Der zweite Außenseiter ist ein stummer alter Mann mit Anzug und Hut, meist starr wie ein Möbelstück. Nur manchmal büchst er aus. Und plötzlich zeigt er Interesse, als das Video einer Sturmflut an der düsteren Wand aufflimmert. Schaut versinkenden Häusern nach und Kühen, die von den Fluten fortgetragen werden, merkt nicht, dass alle anderen schon Pause machen. Der ganze letzte Teil, nicht des Textes, aber der Aufführung, ist ihm gewidmet: dem verrückt gewordenen und ausgegrenzten Vater von Elfriede Jelinek. André Jung macht diesen Monolog zum unzweifelhaften und ergreifenden Höhepunkt der Aufführung. Was die Worte offen lassen, zeigt er körpersprachlich, meist in minimalsten Regungen, einem Zittern oder dem Verstecken, dem Fummeln einer Hand, dem abgebrochenen Versuch, einen Schritt zu machen. Welche Tücken seiner beiden Familienmenschen er durchschaut oder für Gemeinheit hält, zeigt sein Gesicht. Auch, was er dabei fühlt, vom spitzbübisch überlegenen Grinsen bis zur völligen Verzweiflung. Die Sprachspiele sind selten geworden, die niemals zur Ruhe kommenden obsessiven Wortkaskaden sind Ausdruck eines Mühlrads im Kopf, das niemals stille steht und alle Worte und Blicke und Situationen immerzu quälend wiederholt, weil ein Mensch besessen ist von seinem Unglück und seiner Ohnmacht.
Verständlich, dass Regisseur Johan Simons hier, bei dem Verlöschen einer Person, nicht noch stärker kürzen wollte. Und ein überzeugender Einfall, dass er dem Alten in der Anstalt einen Jungen zur Seite stellt, der von sportlichen Glanzleistungen träumt und den am Klavier zusammengesunkenen alten Mann mit einem bestürzend schönen Holzschuhtanz für Momente sogar glücklich macht. Dennoch hätte es dem Rhythmus der Inszenierung gut getan, Jelineks Wortflut insgesamt noch etwas mehr einzudämmen und den Abend zu verdichten: gerade weil die fantastischen Schauspieler so viele Nuancen erspielen.