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"Wintersonnenwende" von Roland Schimmelpfennig
Gefährliche Sehnsucht nach alten Werten

Am Königlichen Theater Dramaten in Stockholm hatte ein neues Stück des deutschen Erfolgsdramatikers Roland Schimmelpfennig Premiere. Der ist kaum 50 Jahre alt und lässt seine Stücke auch schon mal in Havanna, Tokio oder Kopenhagen uraufführen. Im Zentrum von "Wintersonnenwende" stehen Albert und Bettina, die sich in liebevoller Abneigung verbunden fühlen.

Von Michael Laages |
    Das könnte eine hübsche kleine Fingerübung sein im Strindberg-Stil; "Wintersonnenwende", auf Schwedisch "Vintersolstand", versammelt zunächst mal das gnadenlos ineinander verbissene Ehepaar, wie es in den Zimmerschlachten des schwedischen Psycho-Dramatikers ja öfter vorkommt. Intellektuelle par excellence prügeln da mit Worten aufeinander ein: die vielseitige, aber nicht recht erfolgreiche Filmemacherin, die auch schon viele andere Künste ausprobiert hat, und der Top-Autor, der Buch um Buch immer wieder dem Fluch des Faschismus in Europa nachspürt. Beide sind untrennbar vereint in gegenseitiger Verachtung, haben obendrein (und wie zu erwarten) Affären nebenbei: er mit einer Nachwuchs-Kollegin aus dem Verlag, der er Geld gibt (was die nicht will), sie mit seinem besten Freund, einem erfolglosen Maler, von dem ein Bild im Wohnzimmer hängt. Ein Paar also wie aus dem liberalen Bilderbuch, in Schweden wie in Deutschland wie fast überall in Europa: Albert und Bettina.
    Sie streiten am Vorweihnachtsabend. Bettinas Mutter hat sich für einen vermutlich längeren Besuch angesagt, und wo diese einsame, frustrierte, zugleich aber lebenslustig-anspruchsvolle Corinna hin kommt, folgt schnell (und mithilfe von reichlich Rotwein) das Chaos. Für später hat sich auch noch Konrad angekündigt, der erfolglose Maler, Bettinas Lover. Weil nun aber Schimmelpfennig natürlich viel mehr will als nur ein Strindberg-Kammerspiel, bringt die alternde Dame eine Reisebekanntschaft aus dem Zug mit; längere Zeit steckte der im Schnee fest, und am Zielbahnhof gab's für Herrn Rudolph kein Weiterkommen mehr. Mit ihm beginnt mehr als nur der Alkohol die Festtags-Vorbereitungen zu stören.
    "Die Mixtur, die der Mann mitbringt, ist irgendwie ausgesprochen giftig und ausgesprochen verführerisch. Er bezieht sich auf ganz harmlose alte Werte, alte Namen und alte Traditionen, auch die heidnischen Traditionen, Wintersonnende und so was. Wir wissen natürlich, dass es Leute gibt, die diese Dinge auch missbrauchen. Dieser Rudolph hat aber noch mehr in petto. Der hat auch so italienisch-faschistische Fragmente drin, also der Wunsch, dass sich die ausgeschlossenen der Gesellschaft zusammenschließen."
    Das sagt Autor Schimmelpfennig gestern in der Pause selber über den sehr speziellen Horizont des Anti-Helden aus dem Zug. Herr Rudolph ist Arzt und kommt aus Paraguay, stammt aber nicht von dort - flohen nicht nach dem Krieg besonders viele alte Nazis samt Familien eben dorthin? Gibt's dort nicht noch bis heute die vor Urzeiten von Nietzsches schlimmer Schwester initiierte Rassewahn-Kommune? Rudolph liebt Musik, aber eigentlich nur Bach und dessen strenge Ordnung, bestenfalls Wagner; schon Chopin wird nur geduldet. Gibt's außer Chopin Komponisten in Polen, fragt er rhetorisch. Und der Jude Gustav Mahlers ist ihm besonders verhasst.
    Rudolph kann manipulieren, bringt die kleine Versammlung sogar zum chorischen Singen - und fragt jeden streng nach dem jeweiligen Lebensplan. Alte Werte, große Ziele müssen wieder her, sagt er - und bringt die "Wintersonnenwende" des Stück-Titels ins Spiel. Das winterliche "Sonnwendfest" will er feiern - und verteilt kurz vor Schluss an alle "heiliges Wasser", das "ewiges Leben" verspricht. Nur der Hausherr hält der Verführung stand, schmeißt den Sonnwend-Priester schließlich raus - und wird dafür als "Saujude" beschimpft, auf Schwedisch. Das ist der eine Schluss. Im anderen ist der Hausherr zusammen gebrochen vor lauter Tabletten und Rotwein im Laufe des Abends - und Rudolph, der Arzt, hilft ihm auf.
    So setzt Schimmelpfennig stark politische Akzente, speziell in diesen Zeiten, wo rechtes Denken in die Mitte der Gesellschaft rückt. Gleichzeitig setzt er vor alle Regiebemühung eine starke Herausforderung - denn die Kommentar-Ebene, von Regie-Anweisungen über Zusatz-Szenen etwa mit Marie, dem nie sichtbaren Kind, bis zu sehr ironischen Charakterisierungen des Personals, nimmt mehr Platz ein als der eigentliche Spieltext und soll, so will es der Autor, auch tatsächlich gesprochen werden. So müssen Szene und Ensemble immer wieder anhalten, um die Stimmen aus dem Off durchzulassen, und dieser ständige Interruptus ist zwar manchen Lacher wert, hält aber auch mächtig auf.
    Staffan Valdemar Holm, Ex-Chef vom Düsseldorfer Schauspielhaus (und auch schon Direktor am "Dramaten" in Stockholm), kann das Problem noch nicht lösen: mit gut 50 unsichtbaren Stimmen, vielen Video- und Bild-Projektionen. Das sehr animierte Ensemble, dankbar für Schimmelpfennigs Schauspieler-Futter, wirkt in manchen langen Kommentar-Passagen eher ein bisschen unterbeschäftigt. Diese Hürde bleibt zu überwinden vor dem Erfolg der "Wintersonnenwende".