Die Veranstalter der Weltcup-Abfahrt in Garmisch-Partenkirchen wollten in diesem Jahr ein Jubiläum feiern: Zum 70. Mal sollte das Kandahar-Rennen stattfinden. Aber mehr als zwei Wochen vor dem Event wurde das Rennen abgesagt. Es lag einfach zu wenig Schnee, der Zielbereich war sogar noch grün.
Es ist nicht die erste Absage in diesem Winter. Der Weltcup der Nordischen Kombinierer im französischen Chaux-Neuve, die WM der Para-Snowboarder im spanischen La Molina, die Abfahrt am Matterhorn - alle abgesagt oder verschoben wegen Schneemangels.
"Man kann nicht einfach sagen, wir schaffen den Schneesport ab"
"Ich hatte wirklich ein bisschen Angst, dass es dieses Jahr nichts wird mit Winter", sagt Marlen Marconi, Nachhaltigkeitsbeauftrage beim Schweizer Skiverband SwissSki. "Man stellt sich vielleicht auch selber die Frage: Macht das jetzt noch Sinn, was wir hier machen?"
Marconis Antwort darauf: "Also man kann nicht einfach sagen: 'Wir schaffen den Schneesport ab, wir machen keine Rennen mehr!' Ich glaube, das wäre auch nicht sinnhaftig."
Die Erderwärmung wird aber dafür sorgen, dass die Bedingungen für den Wintersport schwieriger werden. "Man muss davon ausgehen, dass mit wärmer werdenden Klima solche Verhältnisse häufiger auftreten werden", sagt Robert Steiger.
Der Forscher von der Uni Innsbruck hat untersucht, welche Auswirkungen die Erderwärmung auf die bisherigen Austragungsorte von Olympischen Winterspielen hat. Von den 21 Orten sind bis zur Mitte des Jahrhunderts nur noch vier bis neun verlässliche Austragungsorte - je nachdem, wie viele Emissionen bis dahin in die Atmosphäre dazugekommen sind.
Je niedriger ein Skigebiet, desto gefährdeter ist es
Gerade auf Skigebiete unter 1.500 Meter sieht Marlen Marconi Einschränkungen zukommen. "Da stelle ich mir schon die Frage: Macht es Sinn, diese mit künstlichem Schnee wieder ins Leben zu rufen, obwohl man weiß, dass langfristig oder mittelfristig wahrscheinlich keine Überlebenschancen bestehen?"
Ein Verlust von solchen Skigebieten würde aber auch bedeuten, dass weniger Kinder frühzeitig mit dem Schneesport in Berührung kommen würden, weil diese Gebiete häufig von Familien bevorzugt werden.
Anders sehe es mit höher liegenden Gebieten aus, die zusätzlich künstlich beschneit würden. "Die technische Beschneiung hilft, auch eine gewisse Unsicherheit aus dem ganzen Thema zu nehmen, weil wichtig ist, dass die Leute über Weihnachten Neujahr Skifahren können."
Ist das "Kulturgut" Skifahren in Gefahr?
Sollte es aber häufiger vorkommen, dass es in Skigebieten nur noch weiße Kunstschnee-Bänder gibt und die Umgebung grün oder braun ist, könnte das Skisport-Fans abschrecken, meint Robert Steiger. "Es kann passieren, dass es objektiv gesehen vielleicht gute Ski- und Schneeverhältnisse gibt, aber dass der Gast sagt ‚Nein, ich fahre doch lieber in die Region, wo auch Naturschnee liegt."
Auch Marlen Marconi fürchtet, dass die gesellschaftliche Verankerung des Schneesports durch die Erderwärmung abnehmen könnte. Niedrig gelegene Skigebiete würden häufig von Familien genutzt. In Zukunft könnte es also schwieriger werden, überhaupt den ersten Schritt im Schneesport zu machen. Man müsse sich damit beschäftigen, wie das "Kulturgut" Schneesport bewahrt werden können. "Da gibt es aktuell noch nicht so viele Antworten drauf. Aber da müssen wir in naher Zukunft Antworten finden."
Gleichzeitig stellt Robert Steiger fest: Schneesport werde es auch noch am Ende des Jahrhunderts geben, nur eben nicht mehr überall dort, wo es heute möglich sei. Für Skigebiete sei es deshalb wichtig, das Klimarisiko zu kennen. "Dann kann sich darauf einstellen und eben auch entscheiden: Nein, uns ist das Risiko zu groß."
Für den Ski-Weltcup könnte das bedeuten, den Rennkalender anzupassen. Entweder, indem Rennen zeitlich nach hinten verschoben werden, um die Wahrscheinlichkeit von Schnee zu erhöhen, oder, indem Rennen ganz aus dem Kalender genommen werden. Ständige Weltcup-Absagen könnten nämlich für die Veranstalter einen Image-Verlust bedeuten. "Eine Absage ist auch ein Signal an den Tourismus oder an den Gast. Es suggeriert: Man kann dort nicht Skifahren. Dabei muss es ja gar nicht zutreffen."
"Es geht schlussendlich um ein Business"
Auch aus Sicht von Marlen Marconi würde es rein klimatisch Sinn ergeben, die Saison bis in den April hineinzuziehen. "Aber das Problem ist: Im Frühling interessiert sich niemand mehr für Skirennen. Die Saison beginnt unter anderem so früh, weil man im Oktober auch den Ski-Verkauf lancieren möchte. Es geht schlussendlich auch um ein Business."
Einen Ausweg aus dieser Denkweise sei schwer zu finden: "Klar kann man versuchen, aus diesen Gedanken rauszukommen. Aber ich glaube, in einer kapitalistischen Welt ist das schon eher schwierig." Das Schneesport-System sei traditionsgeprägt und träge. "Da wirklich eine Denkweise hinzubekommen, die das Klima in den Fokus stellt anstelle des Business und des Leistungssports, dass wird lange dauern. Und da bräuchten sie jemanden, der diese Änderung der Denkweise antreibt. Und den gibt es aktuell nicht."
Gerade beim internationalen Ski-Verband sieht Marconi noch Defizite. "Also ich glaube, bei der FIS ist das Erwachen noch nicht so, wie man es eigentlich sich wünschen möchte." Gerade für FIS-Präsident Johann Eliash sei das Business weiterhin ein wichtiger Faktor.
"Schlussendlich muss auch Geld verdient werden. Aber andererseits finde ich es auch schon ein bisschen paranoid, wenn man eigentlich sehr vom Schnee abhängig ist und direkt vom Klimawandel betroffen ist und man jetzt noch nicht realisiert hat, dass man etwas machen sollte." Ein Gegenbeispiel sei der Internationale Biathlon-Verband, der viel in eine Nachhaltigkeitsstrategie und Forschung investiert habe.
"Die ersten, die Alternativen anbieten, werden die Nase vorn haben"
Auch das Skispringen passt sich den klimatischen Bedingungen an. Das erste Weltcup-Springen in dieser Saison wurde von Anfang an als Springen auf Matten geplant. Dies könnte in Zukunft häufiger der Fall sein. "Ich denke, das Skispringen kann sehr gut in eine schneelose Variante überführt werden", sagt Marconi. Auch im Biathlon und Langlauf gibt es mit Rollskiern bereits jetzt Alternativen zum Skifahren, die bisher aber nur im Sommer genutzt werden.
Robert Steiger rät Verbänden und Veranstaltern, nicht zu lange damit zu warten, sich auch mit solchen Alternativen zu beschäftigen. "Wenn man als schnee-unsicherer Skisport gilt, dann ist es nicht mehr so einfach, das Image zu drehen und zu sagen: ‚Wir machen jetzt auf einmal Alternativen‘. Die, die als erstes Alternativen zum Schnee anbieten werden, die werden dann vermutlich künftig auch die Nase vorne haben, weil sie sich schon einen Namen gemacht haben. Und das passiert eben nicht von einem aufs nächste Jahr."
Der aktuelle Winter könnte dafür ein Anlass sein: "Man kann den aktuellen Winter als Stresstest fürs System Wintertourismus und Hochleistungs-Wintersport verstehen. Und man sieht, was für Probleme wir aktuell haben. Und es wird häufiger auftreten. Und man muss sich zwangsläufig mit der Frage auseinandersetzen: was tun? Man sollte nicht darauf hoffen, nächstes Jahr wird es schon wieder besser. Man muss sich eigentlich auf das Schlimmste einstellen, dann ist man gut vorbereitet."