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Winzige Übeltäter

Tiermedizin. - Seit einem Jahr breitet sich die Blauzungenkrankheit buchstäblich wie der Wind über ganz Europa aus – allein in Deutschland registrierten die Behörden in diesem Jahr knapp 13.000 Schafe, Rinder und Ziegen, die an der Tierseuche erkrankt sind. Gnitzen, winzige Stechmücken übertragen das Virus, doch in der Forschung haben sie bis vor einem Jahr kaum eine Rolle gespielt. Seitdem läuft ein Monitoringprogramm. Gestern haben sich Insektenforscher zudem bei einem Workshop an der Uni Bochum über das Insekt fortgebildet.

Von Joachim Budde | 12.10.2007
    "Ah ja, schwierige Aufgabe. Also das eine ist mit Sicherheit keine Gnitze hier, weil die Flügeläderung komplett anders ist. "

    Es riecht nach Alkohol im Kurssaal ND 152 der Universität Bochum. Thomas Hörbrand betrachtet mit einer Lichtlupe sieben Mücken, so winzig wie Kommas, die in einer Petrischale aus Plastik treiben. Mit einer Pinzette schiebt der Biologe die Tierchen in den Fokus. Hörbrand ist einer von über 50 Teilnehmern, die auf dem Workshop der "Deutschen Gesellschaft für Medizinische Entomologie und Acarologie" lernen, Gnitzenarten, also winzige Stechmücken auseinanderzuhalten. Die kleinen Blutsauger übertragen in unseren Breiten die Blauzungenkrankheit, die seit gut einem Jahr unter Rindern, Schafen und Ziegen grassiert. Kursleiterin Doreen Werner vom Deutschen Entomologischen Institut in Müncheberg schaut Hörbrand über die Schulter.

    "”Na? – Sollen da jetzt welche dabei sein hier?"

    "Ja.""

    Hörbrand arbeitet an dem Überwachungsprogramm für Gnitzen mit, das das Bundeslandwirtschaftsministerium kurz nach Auftreten der Blauzungenkrankheit vor einem Jahr eilig auf die Beine gestellt hat. Auf 90 Bauernhöfen im gesamten Bundesgebiet fangen Wissenschaftler mit Lichtfallen Insekten. Ursprünglich dachten sie, das aus Südafrika stammende Virus sei mit der tropischen Imicula-Gnitze in unsere Breiten eingewandert. Diese Mücke überträgt in Afrika und an der europäischen Mittelmeerküste den Erreger. Aber Imicula suchten sie bisher vergeblich unter den Mückenhorden, die ihnen in die Falle gegangen sind. Darum staunten die Forscher nicht schlecht, dass Tests am Friedrich-Löffler-Institut für Tiergesundheit den Erreger in der heimischen Obsoletus-Gnitze nachgewiesen haben, sagt Professor Heinz Mehlhorn, der das Institut für Parasitologie an der Universität Düsseldorf leitet und das Gnitzenmonitoring koordiniert.

    "Das Wichtige, und warum es wahrscheinlich auch funktioniert, ist, dass diese Art Culicoides obsoletus ein paar Besonderheiten hat. Nämlich: Sie fliegt, das wissen wir, von März bis Dezember, sie lebt individuell auch zwei Mal so lang oder auch dreimal so lange wie die normalen Gnitzenarten, so dass also wir hier bei dieser Art die Chance vorfinden, dass es längere Zeit hat, das Virus, sich zu vermehren und dann natürlich auch eben, weil sie länger lebt, diese Mücke, eben es auf weitere Wirte zu bringen."

    Das weniger als einen Millimeter kleine Insekt richtet besonders bei Viehzüchtern riesigen wirtschaftlichen Schaden an – und die Wissenschaft weiß nur wenig über Gnitzen. Mehlhorn:

    "Wir wissen ja noch nicht mal 100 Prozent wo brüten diese Tierchen? Gesicherte Erkenntnisse beziehen sich alle nur auf echte Untersuchungen in den 30er, 40er Jahren und wenige nach dem Zweiten Weltkrieg, weil man eigentlich hier keinen Erreger sah, der in Europa aktiv wird und durch diese Gnitzen übertragen wird. Deswegen hat man die einfach vernachlässigt."

    Dabei haben Entomologen schon vor Jahren auf die Gefahr hingewiesen, dass heimische Insekten nach Deutschland eingeschleppte Viren übertragen könnten. Doch Forschungsanträge dazu wurden abgelehnt. Auch an den Hochschulen verschlechtert sich die Situation für die Forschung: Der Nachwuchs ist zwar interessiert an diesen Themen. Allerdings strichen die Universitäten Stellen für Forscher. Auf dem Workshop erklärt Doreen Werner, wie sich die einzelnen Arten unterscheiden. Vor allem Flügel und Geschlechtsteile müssen die Wissenschaftler studieren. Werner:

    "Es ist schon kompliziert, Gnitzen wirklich zuverlässig zu bestimmen, weil sie auf der einen Seite mit Kriebelmücken leicht zu verwechseln sind und auf der anderen auch mit Zuckmücken, die im Feld auch diese Tanzschwärme vollziehen können wie Gnitzen."

    Thomas Hörbrand hat seine Gnitzen bestimmt und legt die Pinzette zur Seite.

    "OK, Ergebnis ist klar, aber werden wir die Großmeisterin mal fragen."