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Wir alle sind Stadt

In seinem neuen Buch "Replay City" macht sich Dell Gedanken über die Stadt von heute. Er sieht den Stadtraum nicht als eine Form, die man nur füllen müsse. Stadt ist für Dell nicht planbar. Wir alle sind die Stadt und gestalten sie mit unserem Alltag und unserem Input.

Von Florian Fricke |
    Christopher Dell gehört zu der aussterbenden Spezies der Universalgelehrten. Nach Philosophie, Kommunikationswissenschaft und Musik studierte er auch noch Architektur. Er gründete das Institut für Improvisationstechnik, sozusagen ein Ein-Mann-Think-Tank für Architekturtheorie und Stadtplanung. Denn Dell fordert für die seiner Ansicht nach erstarrte Stadtplanung der Gegenwart neuen Mut zum Improvisieren, zu einem konstruktiven Umgang mit Chaos in Gemeinschaft.

    "Improvisation ist Müll. Das ist so ein Restbestand der Moderne, ein Restbestand der industriellen Gesellschaft. Immer wenn etwas schief läuft, dann müssen wir improvisieren, so ist es ja auch in unserem Wortbestand eingeschrieben. Nur wenn wir jetzt in einer urbanen Gesellschaft leben, dann dreht sich die Sache rum, weil so viel nicht mehr mit Planung, also mit so einem Vorher-nachher- Lösungsmechanismus zu lösen ist, dass die Improvisation immer wichtiger wird für die Fähigkeit, sozusagen konstruktiv mit Unordnung umzugehen."

    In seinem neuen Buch "Replay City" macht sich Dell Gedanken über die Stadt von heute. Er sieht den Stadtraum nicht als eine Form, die man nur füllen müsse. Stadt ist für Dell nicht planbar. Wir alle sind die Stadt und gestalten sie mit unserem Alltag und unserem Input. Es ist unmöglich sich aus dem Stadtraum herauszuhalten, ihn nicht zu produzieren. Für Dell heißt das auch Verantwortung zu übernehmen

    "Man kann auch nicht sagen: heute ging's schief, aber morgen habe ich halt noch ein besseren Plan. Sondern man ist fast schon gezwungen sich in die Prozesse der Stadt hineinzubegeben und dort zu schauen, wie man an diesen Prozessen mit anderen zusammen so arbeiten kann, dass andere Kohärenzformen entstehen als diejenigen, die man noch hatte in der sogenannten industriellen Gesellschaft. Das ist ja noch Teil von uns, dass wir immer denken: ach ja, wenn nur alle richtig planen, wenn man die richtigen Experten zusammensucht, dann wird es schon klappen."

    Berlin, Potsdamer Platz oder der Wiederaufbau des Stadtschlosses: für Christopher Dell sind dies monumentale Beispiele für eine rückwärts gerichtete Stadtplanung, die einer Art absolutistischem Geniekult frönt: der Stararchitekt als Retter der Stadt. Einem modernen Bürgermodell wird dieser Ansatz nicht gerecht. Improvisierenden Charakter hat da schon eher so etwas wie urban gardening, wie es gerade in vielen Städten praktiziert wird. Oder die Zwischennutzungen, die die Berliner Kulturlandschaft seit der Wende bereichern, wenn also alte Industriestandorte zu Tanz- oder Kunsttempeln verwandelt werden. Doch Dell ist vor allem Theoretiker, der ungern konkret wird, wenn es an die Umsetzung seiner Ideen geht. Da muss jeder selber ran. Was aber nicht heißen soll, dass alle nun wild drauf los improvisieren sollen.

    "Dann würde irgendwas gegeneinander ausgespielt wie wir es in der Bildung kennen: das Informelle gegen die Disziplin. Und das, kann man Jogi Löw fragen, ist vollkommen falsch. In der Fußballnationalmannschaft weiß jeder, was zu tun ist. Der kann improvisieren als Technologie, so wie der Thomas Müller. Raum deuten, wo niemand einen Raum sieht, aus der Bewegung heraus. Trotzdem würde Jogi Löw immer sagen: höchschte Disziplin. Und das ist genau der Punkt auch für die Architektur. Die Architektur hat eine ganz hohe Fähigkeit ausgebildet, Objekte zu gestalten. Nur ist jetzt diese Form der Objektgestaltung und der Form, die da dahinterliegt auf ein nächstes Level zu heben insofern, als dass man die Recherche selbst zum Produkt macht, bevor man zum Objekt kommt."

    Was Architektur von der improvisierten Musik, diesen Ausdruck zieht Dell dem Begriff Jazz vor, lernen kann, das demonstriert er in seinem Kreuzberger Atelier-Loft an seinem Vibrafon. Die strukturelle Raumanordnung eines Michel Foucault vergleicht er dabei mit der strukturellen Lehre des Avantgardekomponisten Pierre Boulez. Boulez ersetzte das abendländische Harmonieverständnis, auf den Tonleitern basierend, mit einem System aus Tonreihen. Ein Ton wird jetzt zu seinem Ausgangs- und damit auch Zielpunkt ins Verhältnis gesetzt:

    "In der Musik fangen die Zahlen an zu wandern. Das heißt, ein a kann, wenn ich in f denke, eine drei sein, wenn ich in g denke, die zwei sein, und wenn ich des denke, die b13 sein. Wenn man improvisieren will, dann muss man diese ganzen Strukturen zum Wandern bringen."

    Und dann wandert Christopher Dell musikalisch...

    Das Gleiche kann man auch mit Grundrissen machen. Das hat der Mies van der Rohe schon gezeigt, und das zeigen auch heute Architekturbüros wie Lacaton & Vassal oder Bernd Kniess. Das kann man alles schaffen. Das ist bloß eine ganz andere Form mit den Objekten umzugehen, und das kostet auch wenig Geld.