Christiane Kaess: Am Telefon ist jetzt Stefan Sell, er ist Sozialwissenschaftler an der Fachhochschule Koblenz. Guten Tag, Herr Sell!
Stefan Sell: Guten Tag!
Kaess: Herr Sell, die deutsche Ärzteschaft kritisiert die Bürgerversicherung als Turbolader für Zweiklassenmedizin. Was ist Ihrer Meinung nach da dran?
Sell: Also ich glaube, man muss an dieser Stelle - ganz, ganz wichtig ist mir das - hervorheben, das ist nicht die deutsche Ärzteschaft. Alle Meldungen heute sagen: "Die Ärzte sind gegen die Bürgerversicherung." Also man muss da schon klarstellen, das sind die Ärztefunktionäre, die jetzt auf dem deutschen Ärztetag da tagen. Das gibt sicherlich ganz, ganz viele Ärztinnen und Ärzte, die das ganz anders sehen, aber die sind ja alle Zwangsmitglieder in den Ärztekammern, und letztendlich sind das hier die Funktionäre, die diese Positionen vertreten. Das ist deswegen so problematisch, weil natürlich der normale Bürger, wenn er jetzt diese Zeitung, diese Schlagzeilenmeldungen hört und liest, denkt: Oh Gott, sein Hausarzt oder sein Facharzt um die Ecke, die sind jetzt alle gegen die Bürgerversicherung. Das ist sicherlich nicht der Fall.
Kaess: Aber noch mal zurück zu der Frage, was ist dran an dem Argument, die Bürgerversicherung beschleunige die Zweiklassenmedizin?
Sell: Also das ist insofern teilweise richtig, weil diese Entwicklung hin in eine Zweiklassenmedizin würde man - und die hat man in allen Systemen, in denen es eine einheitliche Grundversorgung gibt, eine einheitliche Versorgungsstruktur gibt, das ist natürlich da, wo die Leute sich mit Geld zusätzliche Leistungen kaufen können, werden Sie grundsätzlich diese Differenzierung nicht aufhalten können. Aber es ist ja nicht so, als hätten wir heute in unserem dualen System sozusagen keine Zweiklassenmedizin. Natürlich haben wir die, schon allein durch die Existenz der privaten und der gesetzlichen Krankenversicherung.
Kaess: Aber Sie sagen, wenn ich Sie richtig verstehe, es ist durchaus berechtigt die Sorge, dass sich bei einer Bürgerversicherung nur die Reicheren dann die Zusatzleistungen leisten können werden.
Sell: Ja, weil das grundsätzliche Problem ist natürlich, dass in dem Moment, wo man Zusatzleistungen einkaufen kann - also wenn wir alle in einer einheitlichen integrierten Krankenversicherung sind -, wenn wir uns dann Zusatzleistungen kaufen können, zum Beispiel Einbettzimmer und so weiter, dann ist das natürlich einkommensabhängig. Das wäre ja jetzt dann sehr naiv zu glauben, dass ein Hartz-IV-Empfänger sich dann dieses Paket kaufen kann. Das werden natürlich nur die Leute machen können, die auch über das Einkommen verfügen.
Kaess: Dem gegenüber steht ja die Kopfpauschale, die auch die CDU eigentlich gar nicht mehr will, aber dieses Modell - jeder zahlt den gleichen Beitrag, und die Ärmeren bekommen einen Solidarausgleich -, ist das die bessere Alternative?
Sell: Nein, das ist eigentlich sehr erstaunlich, dass dieser alte Schinken jetzt noch mal ausgegraben worden ist von der Spitze der Bundesärztekammer, weil eigentlich ist die Diskussion ja schon viel weiter. Wir haben ja ... dieser Tage wurde von der Bertelsmann-Stiftung und den Verbraucherzentralen, da wurde ein gemeinsames Reformmodell einer integrierten Krankenversicherung vorgestellt der Öffentlichkeit, und da sagt man zum Beispiel, bei der Finanzierung - und das scheint mir auch der richtigere Weg zu sein -, dass sie sagen, wir müssen die Finanzierung dann auf mehrere Säulen stellen, denn bisher basiert die ja vor allem auf den Beiträgen aus den Löhnen, und die sagen: Wir brauchen nicht nur Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, sondern wir brauchen auch eine verlässlichere Steuerfinanzierung für die vielen Versicherungsrentenleistungen, die da drin sind.
Und man muss auch darüber nachdenken, wie das tatsächlich bei der Bürgerversicherung durchaus passiert, dass man eben auch selbstständige oder Kapitaleinkünfte stärker an der Finanzierung der Gesundheitsversorgung beteiligt, damit der Faktor Arbeit, legale Arbeit nicht zu stark belastet wird, aber das Modell der Kopfpauschale in diesem ... das ist eigentlich schon vor einigen Jahren dann beerdigt worden. Und das verwundert schon ein bisschen, dass das jetzt noch mal so eine Renaissance bekommt.
Kaess: Die Einschätzungen von Stefan Sell, er ist Sozialwissenschaftler an der Fachhochschule Koblenz. Danke für das Gespräch heute Mittag!
Sell: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Stefan Sell: Guten Tag!
Kaess: Herr Sell, die deutsche Ärzteschaft kritisiert die Bürgerversicherung als Turbolader für Zweiklassenmedizin. Was ist Ihrer Meinung nach da dran?
Sell: Also ich glaube, man muss an dieser Stelle - ganz, ganz wichtig ist mir das - hervorheben, das ist nicht die deutsche Ärzteschaft. Alle Meldungen heute sagen: "Die Ärzte sind gegen die Bürgerversicherung." Also man muss da schon klarstellen, das sind die Ärztefunktionäre, die jetzt auf dem deutschen Ärztetag da tagen. Das gibt sicherlich ganz, ganz viele Ärztinnen und Ärzte, die das ganz anders sehen, aber die sind ja alle Zwangsmitglieder in den Ärztekammern, und letztendlich sind das hier die Funktionäre, die diese Positionen vertreten. Das ist deswegen so problematisch, weil natürlich der normale Bürger, wenn er jetzt diese Zeitung, diese Schlagzeilenmeldungen hört und liest, denkt: Oh Gott, sein Hausarzt oder sein Facharzt um die Ecke, die sind jetzt alle gegen die Bürgerversicherung. Das ist sicherlich nicht der Fall.
Kaess: Aber noch mal zurück zu der Frage, was ist dran an dem Argument, die Bürgerversicherung beschleunige die Zweiklassenmedizin?
Sell: Also das ist insofern teilweise richtig, weil diese Entwicklung hin in eine Zweiklassenmedizin würde man - und die hat man in allen Systemen, in denen es eine einheitliche Grundversorgung gibt, eine einheitliche Versorgungsstruktur gibt, das ist natürlich da, wo die Leute sich mit Geld zusätzliche Leistungen kaufen können, werden Sie grundsätzlich diese Differenzierung nicht aufhalten können. Aber es ist ja nicht so, als hätten wir heute in unserem dualen System sozusagen keine Zweiklassenmedizin. Natürlich haben wir die, schon allein durch die Existenz der privaten und der gesetzlichen Krankenversicherung.
Kaess: Aber Sie sagen, wenn ich Sie richtig verstehe, es ist durchaus berechtigt die Sorge, dass sich bei einer Bürgerversicherung nur die Reicheren dann die Zusatzleistungen leisten können werden.
Sell: Ja, weil das grundsätzliche Problem ist natürlich, dass in dem Moment, wo man Zusatzleistungen einkaufen kann - also wenn wir alle in einer einheitlichen integrierten Krankenversicherung sind -, wenn wir uns dann Zusatzleistungen kaufen können, zum Beispiel Einbettzimmer und so weiter, dann ist das natürlich einkommensabhängig. Das wäre ja jetzt dann sehr naiv zu glauben, dass ein Hartz-IV-Empfänger sich dann dieses Paket kaufen kann. Das werden natürlich nur die Leute machen können, die auch über das Einkommen verfügen.
Kaess: Dem gegenüber steht ja die Kopfpauschale, die auch die CDU eigentlich gar nicht mehr will, aber dieses Modell - jeder zahlt den gleichen Beitrag, und die Ärmeren bekommen einen Solidarausgleich -, ist das die bessere Alternative?
Sell: Nein, das ist eigentlich sehr erstaunlich, dass dieser alte Schinken jetzt noch mal ausgegraben worden ist von der Spitze der Bundesärztekammer, weil eigentlich ist die Diskussion ja schon viel weiter. Wir haben ja ... dieser Tage wurde von der Bertelsmann-Stiftung und den Verbraucherzentralen, da wurde ein gemeinsames Reformmodell einer integrierten Krankenversicherung vorgestellt der Öffentlichkeit, und da sagt man zum Beispiel, bei der Finanzierung - und das scheint mir auch der richtigere Weg zu sein -, dass sie sagen, wir müssen die Finanzierung dann auf mehrere Säulen stellen, denn bisher basiert die ja vor allem auf den Beiträgen aus den Löhnen, und die sagen: Wir brauchen nicht nur Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, sondern wir brauchen auch eine verlässlichere Steuerfinanzierung für die vielen Versicherungsrentenleistungen, die da drin sind.
Und man muss auch darüber nachdenken, wie das tatsächlich bei der Bürgerversicherung durchaus passiert, dass man eben auch selbstständige oder Kapitaleinkünfte stärker an der Finanzierung der Gesundheitsversorgung beteiligt, damit der Faktor Arbeit, legale Arbeit nicht zu stark belastet wird, aber das Modell der Kopfpauschale in diesem ... das ist eigentlich schon vor einigen Jahren dann beerdigt worden. Und das verwundert schon ein bisschen, dass das jetzt noch mal so eine Renaissance bekommt.
Kaess: Die Einschätzungen von Stefan Sell, er ist Sozialwissenschaftler an der Fachhochschule Koblenz. Danke für das Gespräch heute Mittag!
Sell: Danke Ihnen!
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