Dirk Müller: Zu Angela Merkel gibt es in der Union offenbar keine Alternative. Die Roland Kochs haben die politische Bühne längst verlassen. Auch wenn die Abwahl der CDU im CDU-Stammland Baden-Württemberg nach 58 Jahren Regierungsbeteiligung eine historische Zäsur ist, bleibt es in der Union erstaunlich ruhig. Auch die 180-Grad-Wende in der Atompolitik und die umstrittene Haltung in der Libyen-Politik sorgt höchstens bei einer Handvoll Unions-Parlamentariern für Kopfschütteln, öffentlich zumindest. Nur der Wähler stellt Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit christdemokratischer Politik zunehmend infrage. Jetzt erhöht sich noch der Druck auf die Union, durch den Koalitionspartner FDP. Generalsekretär Christian Lindner fordert, die acht abgeschalteten Atommeiler für immer abzuschalten. – Am Telefon ist nun der CDU-Politiker Christian von Boetticher, Partei- und Fraktionschef in Schleswig-Holstein. Guten Morgen!
Christian von Boetticher: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Herr von Boetticher, wird die Union jetzt von den Liberalen gejagt?
von Boetticher: Also es ist schon im Augenblick sehr abenteuerlich, was in diesem Bereich geschieht. Vielleicht müssen alle mal in Ruhe wieder zur Besinnung kommen und nachdenken. Ich war damals jemand, der Herrn Röttgen sehr unterstützt hat, der ja eine deutlich kürzere Laufzeitverlängerung vorgesehen hat. Warum? - ... , weil Herr Röttgen der einzige war, der sich mal konzeptionelle Überlegungen gemacht hat, wie das gehen soll. Ich habe seitdem viele Zahlen auf dem Markt gesehen. Die Laufzeitverlängerung, die schließlich beschlossen worden ist, war ja eine, die vor allen Dingen aus Süden stammt, herausgehandelt worden ist vor allen Dingen von Herrn Söder und Herrn Mappus. Es ist erstaunlich, was sich dort jetzt bewegt hat. Ich bin auch dafür, möglichst schnell aus der Kernenergie auszusteigen, aber das muss natürlich konzeptionell belegt werden. Wir brauchen dann ein echtes Umstiegs-Szenario und es reicht nicht, wenn man einfach mal Zahlen in die Welt setzt, oder wenn man jetzt sagt, wir müssen schnell Meiler abschalten. Dann machen wir es nicht besser als die Grünen, denen wir immer vorgeworfen haben, dass sie gegen eine Technologie sind, aber nicht sagen, wie man vernünftig umsteigt und mit welchen Szenarien man das tut.
Müller: Aber wenn Sie, Herr von Boetticher, damals Norbert Röttgen unterstützt haben, dann hat Christian Lindner jetzt recht?
von Boetticher: Nein! Christian Lindner hat deswegen nicht recht, weil die Zahl der pauschalen Abschaltungen aus dem Bauch heraus gewählt ist. Sie ist nicht konzeptionell unterlegt. Das ist das, was wir jetzt ganz eindeutig auch von unserer Bundesregierung erwarten, dass dieses Moratorium genutzt wird, um das Konzept, was Herr Röttgen damals erstellt hat, wieder rauszuholen und konzeptionell zu verbessern, denn auch damals gab es natürlich Dinge, die man besser machen kann. Ich sage Ihnen mal, wenn man Windkraft will – und wir an der Küste, in Schleswig-Holstein, wir sind ein Windenergieland, wir wollen das auch weiter ausbauen -, aber dann muss man sagen, wie der Strom abfließen soll. Wir haben keine Netze. Schleswig-Holstein braucht rund 500 Kilometer Netze, einige neu, einige in der Erneuerung, und das ist bisher nicht konzeptionell unterlegt worden, beziehungsweise hier ist der Netzausbau massiv ins Stocken gekommen. Hier brauchen wir dringend Schritte, wie das beseitigt wird, wie wir diesen Netzausbau vorantreiben können. Und solange das nicht belegt ist, solange das nicht unterlegt ist, wie man das macht, ist das alles eine schöne Zahlenspielerei, ist im Augenblick auch ein bisschen politische Effekthascherei. Wir brauchen wirklich grundlegende vernünftige Umstiegskonzepte, und auf die setzen wir jetzt.
Müller: Wenn ich das richtig verstanden habe, ist Christian Lindner also jetzt populistisch?
von Boetticher: Im Augenblick ist nicht nur Christian Lindner populistisch, im Augenblick geschieht viel – und wir haben das vor der Wahl ja auch gesehen - ...
Müller: Also auch in Ihrer Partei?
von Boetticher: Natürlich, auch in meiner Partei. - ... viel aus dem Bauch heraus. Ich war immer für einen schnellen Atomausstieg. Ich bin auch heute noch dafür, schnell regenerative Energien auszubauen. Ich kenne aus der Praxis heraus in Schleswig-Holstein auch die Probleme. Wir haben eine totale Überförderung in der Biomasse gehabt. Überall sind Biomasse-Anlagen entstanden, nur auf Mais-Basis. Die haben die Landschaft verändert, die verändern die Fruchtfolge in der Landwirtschaft, die zerstören die Einkommensmöglichkeiten gerade auch in Schleswig-Holstein von gut aufgestellten Betrieben. Und wir brauchen in bestimmten Bereichen auch eine kritische Überprüfung. Wir haben das beim Solarstrom gemacht; nicht alles, was in der Solarwirtschaft erfolgte, gerade in der Förderungshöhe, war am Ende vernünftig. Und darum lohnt es sich, es lohnt sich wirklich, ein wenig Auszeit zu nehmen, um das zu analysieren, um sich genau anzugucken, wo haben wir Fehl-Allokation, wo haben wir Fehlsteuerung, wo müssen wir was anders machen. Wir brauchen mehr Geld für Netze, wir brauchen andere Verfahren im Netzausbau. Das heißt, es gibt eine ganze Menge zu tun. Das alles zu ignorieren und alles zu reduzieren auf die Frage, wie viele Meiler schalte ich aus und wie schnell schalte ich aus, ist in meinen Augen viel politische Effekthascherei. Wir brauchen wieder mehr konzeptionelle Arbeit, auch in der Union, und weniger schnelle Antworten aus dem Bauch heraus.
Müller: Schauen wir auf den niedersächsischen Regierungschef, David McAllister. Der hat ja auch gestern klar gemacht, er will schneller aussteigen als die Kanzlerin. War das auch aus dem Bauch heraus?
von Boetticher: Nein! David McAllister kennt die Potenziale, die wir im Norden haben, gerade im Ausbau der Windenergie, sehr genau. Er hat auch immer dafür plädiert, dass wir diesen Netzausbau vorantreiben. Das ist wichtig, das ist ein gemeinsamer Erfahrungswert, den wir mit Niedersachsen haben. Und darum glaube ich, dass er das auch sehr bewusst gesagt hat. Die Möglichkeiten gibt es ja auch. Ich sage noch mal: Wenn man die Fehlsteuerung von viel, viel Geld im Bereich der Förderung der erneuerbaren Energien umsteuert in Netzausbau, dann bin ich der Meinung, dass man in der Tat schneller aus Kernenergie aussteigen kann. Aber man muss das nachweisen, man muss es berechnen, und wenn am Ende der Strompreis viel teurer werden würde, dann hätten wir insgesamt allen einen Bärendienst getan, weil daran auch viele deutsche Arbeitsplätze hängen. Auch das ist natürlich ein Punkt, den man in einem Gesamtkonzept berechnen muss und den man den Menschen klar machen muss. Und ich glaube, dass, wenn das konzeptionell belegt ist, man auch viele auf diesem Kurs mitnehmen kann, viele, die heute noch vielleicht in der Hoffnung sind, über Kernenergie einen billigen Strom zu haben. Aber ich muss sie konzeptionell mitnehmen, ich muss sagen, dass das eben auch Lasten mit sich bringt. Neue Leitungen gehen an Städten vorbei, gehen über Dörfer hinweg. All das muss doch mit den Menschen gemeinsam vereinbart werden. Die Chance haben wir.
Müller: Herr von Boetticher, wenn ich Sie richtig verstanden habe, sagen Sie ganz klar, die Kanzlerin hat einen großen Fehler gemacht mit der Laufzeitverlängerung?
von Boetticher: Ich glaube, es war ein Fehler, am Ende in der Verhandlung auf diese Laufzeitverlängerung zu kommen, weil sie in der Tat das Ergebnis einer Verhandlung war, aber kein Ergebnis, was alleine dazu führte, dass wir sofort in den Ausbau erneuerbarer Energien gehen. Natürlich gab es ein Konzept, natürlich gab es ein Konzept dahinter. Ich habe am Ende auch gesagt, okay, es ist ein Umstiegskonzept, weil es zum ersten Mal im übrigen einen vernünftigen konzeptionellen Ansatz gab, in diese Leitungsnetze zu investieren. Den hat Rot-Grün nie geliefert! Das war immer unser Ärgernis. Rot-Grün hat nur gesagt, was sie nicht wollen, nämlich keine Kernenergie, hat aber vergessen, ein Konzept zu machen, wie man zu erneuerbaren Energien kommt. Stattdessen wurden in Deutschland 40 neue Kohlemeiler geplant, die dann wieder für die nächsten 30, 40 Jahre gelaufen wären. Und ich glaube, da hat die CDU jetzt eine große Chance, eine wirklich große Chance. Wir haben die große Chance, dieses Konzept vorzulegen.
Müller: Herr von Boetticher, ich muss Sie noch mal unterbrechen, das tut mir leid, weil ich habe noch einige Fragen auf dem Herzen.
von Boetticher: Ja, sehr gerne!
Müller: Jetzt sagen Sie, es muss alles konzeptionell unterfüttert werden und wir müssen schneller aussteigen. Jetzt gibt es viele im Wirtschaftsflügel der Union, die sagen, das kann ja nicht wahr sein, dass das alles so schnell gehen soll. Die sagen auch, wir haben kein Konzept. Wie stark beschädigt das die Glaubwürdigkeit und die Verlässlichkeit der Union?
von Boetticher: Nein, überhaupt nicht. Norbert Röttgen hat damals an den Plänen gearbeitet, er hat auch viel kommuniziert ...
Müller: Aber er ist ja abgeschmettert worden!
von Boetticher: Ja, aber noch mal: Das ist doch gerade jetzt die Chance, die wir haben. Natürlich muss das Konzept wirtschaftlich sein. Ich bin der letzte, der sich hier hinstellen würde und sagt, wir machen ein Konzept, womit wir alle Blütenträume bedienen, und am Ende kommt ein Strom heraus, der nicht sicher Grundlast und Spitzenlast abdeckt. Das wäre verheerend für die deutsche Wirtschaft, das wäre verheerend für deutsche Arbeitsplätze. Aber ich bin sehr sicher, dass wir die beiden Komponenten, Versorgungssicherheit, auch Preisstabilität, unter einen Deckel bekommen können mit dem Ausbau erneuerbarer Energien. Nicht von heute auf morgen! Das Wort Brückentechnologie, das jetzt so eingefeindet wird für die Kernkraft, ist ja eigentlich ein richtiges Wort, denn auch bei Rot-Grün wäre es eine Brückentechnologie gewesen. _99, 2000 hat man vereinbart, dass die Kernenergie für weitere 20 Jahre lang ein Teil unseres Strommixes ist. Ja was ist das anderes als eine Brücke! Bei der Union wäre in der Tat die Brücke länger gewesen. Und jetzt sage ich: wenn man sie wirklich kurz halten will, dann muss man das unterlegen. Und ich glaube, am Ende wird man mit einem solchen Konzept auch die noch Kritiker auf der Unions-Seite mitnehmen können, die noch deutlich länger an Kernenergie festhalten wollen.
Müller: Wir müssen aber noch einmal auf Herrn Lindner zurückkommen. Der sagt ja, die acht abgeschalteten sollen für immer abgeschaltet bleiben. Halten Sie das für politisch opportun und überhaupt für politisch durchsetzbar, das ganze noch mal ans Netz zu bringen?
von Boetticher: Also am Ende muss doch ein Konzept ergeben, ob das geht und wie das geht.
Müller: Also Sind Sie dafür, die Atommeiler noch mal anzuschalten?
von Boetticher: Wissen Sie, was Sie jetzt machen? Sie versuchen, mich genau auf die Schiene zu setzen, die ich bisher an anderen kritisiert habe, und zwar ein Ergebnis vorwegzunehmen, bevor man sich überhaupt konzeptionelle Gedanken darüber gemacht hat.
Müller: Also ohne Konzept gehen Sie wieder ans Netz?
von Boetticher: Nein! Es wird ein Konzept geben! Ich muss mir hier keine großen Gedanken, glaube ich, darüber machen, weil ich weiß, dass es ein Konzept geben wird und auch geben kann, das rechnerisch dazu führt. Nur immer die Ergebnisse vorwegzunehmen, weil man gedrängt wird, weil, entschuldigen Sie, aber Journalisten fragen, was macht ihr denn jetzt ganz schnell, ihr müsst doch jetzt eine schnelle Antwort haben, das mag schön sein. Vielleicht kommt man dann in der Presse auch mal einen Tag gut raus. Aber es ersetzt nicht die konzeptionelle Arbeit, die ich einfach bei Norbert Röttgen in guten Händen weiß.
Müller: Heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk der CDU-Politiker Christian von Boetticher, Partei- und Fraktionschef in Schleswig-Holstein. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Kiel.
von Boetticher: Herzlichen Dank, Herr Müller.
Atomkraft (dradio.de-Sammelportal)
Christian von Boetticher: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Herr von Boetticher, wird die Union jetzt von den Liberalen gejagt?
von Boetticher: Also es ist schon im Augenblick sehr abenteuerlich, was in diesem Bereich geschieht. Vielleicht müssen alle mal in Ruhe wieder zur Besinnung kommen und nachdenken. Ich war damals jemand, der Herrn Röttgen sehr unterstützt hat, der ja eine deutlich kürzere Laufzeitverlängerung vorgesehen hat. Warum? - ... , weil Herr Röttgen der einzige war, der sich mal konzeptionelle Überlegungen gemacht hat, wie das gehen soll. Ich habe seitdem viele Zahlen auf dem Markt gesehen. Die Laufzeitverlängerung, die schließlich beschlossen worden ist, war ja eine, die vor allen Dingen aus Süden stammt, herausgehandelt worden ist vor allen Dingen von Herrn Söder und Herrn Mappus. Es ist erstaunlich, was sich dort jetzt bewegt hat. Ich bin auch dafür, möglichst schnell aus der Kernenergie auszusteigen, aber das muss natürlich konzeptionell belegt werden. Wir brauchen dann ein echtes Umstiegs-Szenario und es reicht nicht, wenn man einfach mal Zahlen in die Welt setzt, oder wenn man jetzt sagt, wir müssen schnell Meiler abschalten. Dann machen wir es nicht besser als die Grünen, denen wir immer vorgeworfen haben, dass sie gegen eine Technologie sind, aber nicht sagen, wie man vernünftig umsteigt und mit welchen Szenarien man das tut.
Müller: Aber wenn Sie, Herr von Boetticher, damals Norbert Röttgen unterstützt haben, dann hat Christian Lindner jetzt recht?
von Boetticher: Nein! Christian Lindner hat deswegen nicht recht, weil die Zahl der pauschalen Abschaltungen aus dem Bauch heraus gewählt ist. Sie ist nicht konzeptionell unterlegt. Das ist das, was wir jetzt ganz eindeutig auch von unserer Bundesregierung erwarten, dass dieses Moratorium genutzt wird, um das Konzept, was Herr Röttgen damals erstellt hat, wieder rauszuholen und konzeptionell zu verbessern, denn auch damals gab es natürlich Dinge, die man besser machen kann. Ich sage Ihnen mal, wenn man Windkraft will – und wir an der Küste, in Schleswig-Holstein, wir sind ein Windenergieland, wir wollen das auch weiter ausbauen -, aber dann muss man sagen, wie der Strom abfließen soll. Wir haben keine Netze. Schleswig-Holstein braucht rund 500 Kilometer Netze, einige neu, einige in der Erneuerung, und das ist bisher nicht konzeptionell unterlegt worden, beziehungsweise hier ist der Netzausbau massiv ins Stocken gekommen. Hier brauchen wir dringend Schritte, wie das beseitigt wird, wie wir diesen Netzausbau vorantreiben können. Und solange das nicht belegt ist, solange das nicht unterlegt ist, wie man das macht, ist das alles eine schöne Zahlenspielerei, ist im Augenblick auch ein bisschen politische Effekthascherei. Wir brauchen wirklich grundlegende vernünftige Umstiegskonzepte, und auf die setzen wir jetzt.
Müller: Wenn ich das richtig verstanden habe, ist Christian Lindner also jetzt populistisch?
von Boetticher: Im Augenblick ist nicht nur Christian Lindner populistisch, im Augenblick geschieht viel – und wir haben das vor der Wahl ja auch gesehen - ...
Müller: Also auch in Ihrer Partei?
von Boetticher: Natürlich, auch in meiner Partei. - ... viel aus dem Bauch heraus. Ich war immer für einen schnellen Atomausstieg. Ich bin auch heute noch dafür, schnell regenerative Energien auszubauen. Ich kenne aus der Praxis heraus in Schleswig-Holstein auch die Probleme. Wir haben eine totale Überförderung in der Biomasse gehabt. Überall sind Biomasse-Anlagen entstanden, nur auf Mais-Basis. Die haben die Landschaft verändert, die verändern die Fruchtfolge in der Landwirtschaft, die zerstören die Einkommensmöglichkeiten gerade auch in Schleswig-Holstein von gut aufgestellten Betrieben. Und wir brauchen in bestimmten Bereichen auch eine kritische Überprüfung. Wir haben das beim Solarstrom gemacht; nicht alles, was in der Solarwirtschaft erfolgte, gerade in der Förderungshöhe, war am Ende vernünftig. Und darum lohnt es sich, es lohnt sich wirklich, ein wenig Auszeit zu nehmen, um das zu analysieren, um sich genau anzugucken, wo haben wir Fehl-Allokation, wo haben wir Fehlsteuerung, wo müssen wir was anders machen. Wir brauchen mehr Geld für Netze, wir brauchen andere Verfahren im Netzausbau. Das heißt, es gibt eine ganze Menge zu tun. Das alles zu ignorieren und alles zu reduzieren auf die Frage, wie viele Meiler schalte ich aus und wie schnell schalte ich aus, ist in meinen Augen viel politische Effekthascherei. Wir brauchen wieder mehr konzeptionelle Arbeit, auch in der Union, und weniger schnelle Antworten aus dem Bauch heraus.
Müller: Schauen wir auf den niedersächsischen Regierungschef, David McAllister. Der hat ja auch gestern klar gemacht, er will schneller aussteigen als die Kanzlerin. War das auch aus dem Bauch heraus?
von Boetticher: Nein! David McAllister kennt die Potenziale, die wir im Norden haben, gerade im Ausbau der Windenergie, sehr genau. Er hat auch immer dafür plädiert, dass wir diesen Netzausbau vorantreiben. Das ist wichtig, das ist ein gemeinsamer Erfahrungswert, den wir mit Niedersachsen haben. Und darum glaube ich, dass er das auch sehr bewusst gesagt hat. Die Möglichkeiten gibt es ja auch. Ich sage noch mal: Wenn man die Fehlsteuerung von viel, viel Geld im Bereich der Förderung der erneuerbaren Energien umsteuert in Netzausbau, dann bin ich der Meinung, dass man in der Tat schneller aus Kernenergie aussteigen kann. Aber man muss das nachweisen, man muss es berechnen, und wenn am Ende der Strompreis viel teurer werden würde, dann hätten wir insgesamt allen einen Bärendienst getan, weil daran auch viele deutsche Arbeitsplätze hängen. Auch das ist natürlich ein Punkt, den man in einem Gesamtkonzept berechnen muss und den man den Menschen klar machen muss. Und ich glaube, dass, wenn das konzeptionell belegt ist, man auch viele auf diesem Kurs mitnehmen kann, viele, die heute noch vielleicht in der Hoffnung sind, über Kernenergie einen billigen Strom zu haben. Aber ich muss sie konzeptionell mitnehmen, ich muss sagen, dass das eben auch Lasten mit sich bringt. Neue Leitungen gehen an Städten vorbei, gehen über Dörfer hinweg. All das muss doch mit den Menschen gemeinsam vereinbart werden. Die Chance haben wir.
Müller: Herr von Boetticher, wenn ich Sie richtig verstanden habe, sagen Sie ganz klar, die Kanzlerin hat einen großen Fehler gemacht mit der Laufzeitverlängerung?
von Boetticher: Ich glaube, es war ein Fehler, am Ende in der Verhandlung auf diese Laufzeitverlängerung zu kommen, weil sie in der Tat das Ergebnis einer Verhandlung war, aber kein Ergebnis, was alleine dazu führte, dass wir sofort in den Ausbau erneuerbarer Energien gehen. Natürlich gab es ein Konzept, natürlich gab es ein Konzept dahinter. Ich habe am Ende auch gesagt, okay, es ist ein Umstiegskonzept, weil es zum ersten Mal im übrigen einen vernünftigen konzeptionellen Ansatz gab, in diese Leitungsnetze zu investieren. Den hat Rot-Grün nie geliefert! Das war immer unser Ärgernis. Rot-Grün hat nur gesagt, was sie nicht wollen, nämlich keine Kernenergie, hat aber vergessen, ein Konzept zu machen, wie man zu erneuerbaren Energien kommt. Stattdessen wurden in Deutschland 40 neue Kohlemeiler geplant, die dann wieder für die nächsten 30, 40 Jahre gelaufen wären. Und ich glaube, da hat die CDU jetzt eine große Chance, eine wirklich große Chance. Wir haben die große Chance, dieses Konzept vorzulegen.
Müller: Herr von Boetticher, ich muss Sie noch mal unterbrechen, das tut mir leid, weil ich habe noch einige Fragen auf dem Herzen.
von Boetticher: Ja, sehr gerne!
Müller: Jetzt sagen Sie, es muss alles konzeptionell unterfüttert werden und wir müssen schneller aussteigen. Jetzt gibt es viele im Wirtschaftsflügel der Union, die sagen, das kann ja nicht wahr sein, dass das alles so schnell gehen soll. Die sagen auch, wir haben kein Konzept. Wie stark beschädigt das die Glaubwürdigkeit und die Verlässlichkeit der Union?
von Boetticher: Nein, überhaupt nicht. Norbert Röttgen hat damals an den Plänen gearbeitet, er hat auch viel kommuniziert ...
Müller: Aber er ist ja abgeschmettert worden!
von Boetticher: Ja, aber noch mal: Das ist doch gerade jetzt die Chance, die wir haben. Natürlich muss das Konzept wirtschaftlich sein. Ich bin der letzte, der sich hier hinstellen würde und sagt, wir machen ein Konzept, womit wir alle Blütenträume bedienen, und am Ende kommt ein Strom heraus, der nicht sicher Grundlast und Spitzenlast abdeckt. Das wäre verheerend für die deutsche Wirtschaft, das wäre verheerend für deutsche Arbeitsplätze. Aber ich bin sehr sicher, dass wir die beiden Komponenten, Versorgungssicherheit, auch Preisstabilität, unter einen Deckel bekommen können mit dem Ausbau erneuerbarer Energien. Nicht von heute auf morgen! Das Wort Brückentechnologie, das jetzt so eingefeindet wird für die Kernkraft, ist ja eigentlich ein richtiges Wort, denn auch bei Rot-Grün wäre es eine Brückentechnologie gewesen. _99, 2000 hat man vereinbart, dass die Kernenergie für weitere 20 Jahre lang ein Teil unseres Strommixes ist. Ja was ist das anderes als eine Brücke! Bei der Union wäre in der Tat die Brücke länger gewesen. Und jetzt sage ich: wenn man sie wirklich kurz halten will, dann muss man das unterlegen. Und ich glaube, am Ende wird man mit einem solchen Konzept auch die noch Kritiker auf der Unions-Seite mitnehmen können, die noch deutlich länger an Kernenergie festhalten wollen.
Müller: Wir müssen aber noch einmal auf Herrn Lindner zurückkommen. Der sagt ja, die acht abgeschalteten sollen für immer abgeschaltet bleiben. Halten Sie das für politisch opportun und überhaupt für politisch durchsetzbar, das ganze noch mal ans Netz zu bringen?
von Boetticher: Also am Ende muss doch ein Konzept ergeben, ob das geht und wie das geht.
Müller: Also Sind Sie dafür, die Atommeiler noch mal anzuschalten?
von Boetticher: Wissen Sie, was Sie jetzt machen? Sie versuchen, mich genau auf die Schiene zu setzen, die ich bisher an anderen kritisiert habe, und zwar ein Ergebnis vorwegzunehmen, bevor man sich überhaupt konzeptionelle Gedanken darüber gemacht hat.
Müller: Also ohne Konzept gehen Sie wieder ans Netz?
von Boetticher: Nein! Es wird ein Konzept geben! Ich muss mir hier keine großen Gedanken, glaube ich, darüber machen, weil ich weiß, dass es ein Konzept geben wird und auch geben kann, das rechnerisch dazu führt. Nur immer die Ergebnisse vorwegzunehmen, weil man gedrängt wird, weil, entschuldigen Sie, aber Journalisten fragen, was macht ihr denn jetzt ganz schnell, ihr müsst doch jetzt eine schnelle Antwort haben, das mag schön sein. Vielleicht kommt man dann in der Presse auch mal einen Tag gut raus. Aber es ersetzt nicht die konzeptionelle Arbeit, die ich einfach bei Norbert Röttgen in guten Händen weiß.
Müller: Heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk der CDU-Politiker Christian von Boetticher, Partei- und Fraktionschef in Schleswig-Holstein. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Kiel.
von Boetticher: Herzlichen Dank, Herr Müller.
Atomkraft (dradio.de-Sammelportal)