Rolf Clement: Herr Minister de Maizière, die Außenminister der NATO haben sich diese Woche mit Libyen befasst, es gab in Doha eine Konferenz. Man hat nicht das Gefühl, als ob das Bündnis einig da steht. Man hat gesagt, dass die Bundeswehr sich unter Umständen an einer humanitären Aktion beteiligen kann, um Hilfsgüter ins Land zu bringen und um Flüchtlinge vielleicht aus dem Land zu bringen. Was muss man sich konkret vorstellen, wie kann ein solcher Einsatz der Bundeswehr aussehen?
Thomas de Maizière: Im Moment prüft die Europäische Union die Optionen, auch die NATO prüft eine Option. Letztlich fußt alles auf einer Anfrage der Vereinten Nationen, und diese Anfrage wird zur Zeit nicht für wahrscheinlich gehalten. Die UNO sagt selbst, dass humanitäre Einsätze ein überwiegend friedliches Umfeld brauchen, einen Waffenstillstand oder ein Einvernehmen von beiden Seiten, dass man dort rein kann. Im Moment besteht für das Rote Kreuz und den Roten Halbmond Zugang, auch zur Versorgung. Dessen ungeachtet wird geprüft, ob nach einer Anfrage der Vereinten Nationen die Begleitung oder die Durchführung und gegebenenfalls die Sicherung einer solchen Hilfslieferung in einem überwiegend friedlichen Umfeld erfolgen kann. Die Operationspläne sind noch nicht abgeschlossen, deswegen kann ich es konkreter jetzt noch nicht sagen.
Clement: Aber das setzt auf jeden Fall einen Waffenstillstand voraus?
de Maizière: Nun, die UNO oder die Regeln sprechen von einem eher friedlichen Umfeld, die jetzige Lage wäre für diese Option zu riskant. Für ein friedliches Umfeld, was einen formellen Waffenstillstand oder ein Einverständnis beider Seiten voraussetzt - etwa dass ein Schiff landen kann -, so weit ist es nur ausnahmsweise mal gekommen. Insgesamt liegen die Voraussetzungen dafür nicht vor. Wichtig ist, dass der Maßstab für humanitäre Hilfsaktionen ist, dass man nicht den Eindruck erwecken darf, man würde Partei. Und deswegen muss dafür das entsprechende Umfeld geschaffen sein, nicht erst werden.
Clement: Herr Minister, gehen wir mal zu einem anderen Einsatzgebiet oder zu einem Einsatzgebiet der Bundeswehr. Sie waren unlängst in Afghanistan. Hat sich durch die Reise nach Afghanistan Ihr Bild von diesem Einsatz verändert?
de Maizière: Nun, ich war etwa zeitgleich ein Jahr vorher in Afghanistan als Bundesinnenminister. Dort habe ich die Polizisten besucht, hatte natürlich einen anderen Blick auf die Dinge als jetzt. Aber insgesamt ist mein Blick durch die Reise besser geworden. Vor einem Jahr war es doch ziemlich schwierig. Es gab keine klare Strategie, die gewonnenen Geländegewinne wurden nach Einsätzen wieder preisgegeben. Es gab keine rechte Kooperation mit den Sicherheitsbehörden nach Abschluss der Ausbildung. All das hat sich geändert. Es gibt eine Strategie, es gibt das Partnering, es gibt gesicherte Geländegebiete, und all das stimmt mich insgesamt zuversichtlich - mit einem kleinen "Aber": Wir müssen jetzt den Frühling und den Sommer abwarten. Es sickern auch Aufständische zurück von Pakistan, wie erfolgreich sie sind, werden wir sehen. Und die Taliban verlegen sich wieder auf asymmetrische Bedrohungen, also nicht dass sie Gebiete zu versuchen zu erobern und zu dominieren, sondern mit Einzelschlägen, wie wir gesehen haben - entweder durch U-Boote in den Sicherheitsbehörden der Afghanen oder durch Anschläge auch mit afghanischen Opfern versuchen sie, zu verunsichern. Das darf nicht zum Erfolg führen.
Clement: Bleibt die Abzugsperspektive bestehen aus Ihrer Sicht?
de Maizière: Ja, wir haben ja erst vor einigen Monaten die entsprechenden Beschlüsse gefasst und die Strategie versucht, umzusetzen. Es bleibt dabei, dass wir beginnen, 2011/2012 nach der Bonn-Konferenz rund um die Mandatsverlängerung mit dem Abzug beginnen wollen, wenn es die Umstände zulassen, und dann auch bis 2014 die bisherigen Einsatzformen beenden wollen, wenn es die Lage zulässt. Ich will aber keinen Zweifel daran lassen, dass es ein Engagement der Internationalen Völkergemeinschaft auch nach 2014 durch Beratung, durch Ausbildung, durch politische Kontakte, auch durch Finanzhilfe, durch Sicherung des bis dahin hoffentlich Erreichten geben wird. Und das wird sicher nicht ganz unerheblich sein.
Clement: Das ist sehr stark gekoppelt an die Entwicklung vor Ort. Man hat oft so den Eindruck, dass Ereignisse in den Entsendeländern, denken Sie zum Beispiel an den Präsidentschaftswahlkampf in den USA, für eine solche Abzugsperspektive auch nicht ganz unwichtig sind. Manchmal hat man im Moment den Eindruck, dass die Diskussion ein bisschen weicher wird bezüglich des Abzugs. Auch General Petraeus hat ja gesagt: Übergabe an Sicherheit in Regionen "ja", aber die Soldaten bräuchte er anderswo. Ist das eine richtige Beobachtung?
de Maizière: Na ja, das müssen die Amerikaner diskutieren. Dass innenpolitische Aspekte bei Einsätzen im Ausland immer eine Rolle spielen, ist richtig und notwendig in Demokratien. Man muss auch immer um Zustimmung werben. Aber die außenpolitische Betrachtung und die Sicherheitslage vor Ort muss das Dominierende bei der Beurteilung der Lage sein. Ich will jetzt amerikanische Befindlichkeiten nicht kommentieren, ich werde darüber selbst Gespräche führen, weil ich in wenigen Tagen zu meiner Antrittsreise als Verteidigungsminister nach Washington aufbrechen werde.
Clement: Ist das Einsatzszenario, das, was man in Afghanistan braucht, ist das, wie die Bundeswehr sich dort gibt, welche Aufträge sie dort wahrnimmt, das Grundmodell für die künftige Bundeswehrreform?
de Maizière: Nein, die Neuausrichtung der Bundeswehr ist ja aus vielen Gesichtspunkten heraus erforderlich geworden. Die Veränderungen in der Welt sind gewaltig, wir erleben ja nahezu alle zehn Jahre eine erhebliche Veränderung: 1989/90 das Ende des Kalten Krieges, gut zehn Jahre später - der 11. September mit dem Terrorismus, der weltweit eine neue Zäsur gesetzt hat, und jetzt im Jahr 2011 die Veränderungen in der arabischen Welt. Relativ wenig war davon vorhergesehen, und deswegen ist es und wäre es ganz falsch, die Neuausrichtung der Bundeswehr auf bestehende Einsätze so aufzusetzen, als würden sie eine Blaupause für die Zukunft bilden. Was wir brauchen, ist eine Bestimmung über die Größenordnung von den Soldaten, die wir der internationalen Völkergemeinschaft, wenn wir das wollen, als dauerhaft im Einsatz mögliche Soldaten anbieten. Die Zahl wird festzulegen sein, die muss dann durchhaltefähig sein, also auch über einen längeren Einsatz. Es wird sicher auch mehrere Einsätze gleichzeitig geben wie jetzt auch. Ob sie dann alle so hart sind wie in Afghanistan oder so, das werden wir sehen, weil wir die Zukunft nicht kennen. Aber vielleicht könnt man sagen: Wir müssen imstande sein, ein oder zwei größere und mehrere kleinere Einsätze gleichzeitig durchzuführen. - mit einer Obergrenze, über die noch zu reden sein wird.
Clement: Einsätze können ja völlig anders unterschiedlich strukturiert sein. Deswegen kann man ja im Prinzip mit dem Begriff "Einsatz" noch keine Aufgabenbeschreibungen verbinden oder auch keine Struktur.
de Maizière: Nein, Einsatz ist eigentlich alles das, was Soldaten außerhalb der Landesverteidigung machen. Das kann ein Einsatz in einer nationalen Katastrophe sein, das sind Einsätze, die laufend stattfinden, etwa auf hoher See. Die Marine ist mehr oder weniger immer im Einsatz, auch in Aufklärungseinsätzen oder Ausbildungseinsätzen. Die Luftwaffe ist, wenn sie den Luftraum beschützt, auch ohne das klassische Element der Landesverteidigung im Einsatz. Aber das Heer, wenn es außerhalb Deutschlands eingesetzt wird im Rahmen internationaler Mandate, dann ist es schon etwas anderes als wenn man in Deutschland ist. Ja, der Begriff des Einsatzes ist sehr unterschiedlich, wird sehr unterschiedlich sein. Deswegen können wir uns auf nichts sehr konkret, aber auf möglichst viel möglichst konkret vorbereiten. Das ist die Aufgabe.
Clement: Welche Fixpunkte haben Sie denn bei der Reform?
de Maizière: Na ja, die Aufgabe, die sich ergibt, etwa aus der Frage, wie viel soll dauerhaft im Einsatz sein können, daraus ergibt sich dann mit anderen Umständen, die hinzukommen, eine Art Obergrenze für die Berufs- und Zeitsoldaten. Dann gibt es natürlich Schätzungen und Planungen über die freiwillig Wehrdienstleistenden. Und wenn man das - ich nenne mal das Bild von unten nach oben - errechnet oder schätzt, dann muss man Zweitens einen Quervergleich machen und sehen: Wie stehen wir international da, wie ist es etwa bei den Briten, bei den Franzosen, bei anderen vergleichbaren Staaten? Und dann muss man Drittens sagen: Was davon ist finanzierbar? Eine Neuausrichtung der Bundeswehr kann weder nur nach dem zur Verfügung stehenden Geld bemessen werden, umgekehrt kann auch nicht alles das, was sich jemand wünscht, einfach bezahlt werden. Das ist ein Prozess, wo man sich aufeinander zubewegt.
Clement:Das Bundeskabinett hat im Dezember beschlossen, 185.000 Soldaten. . .
de Maizière:. Nein.
Clement:. bis zu, bis zu . . .
de Maizière:. . . bis zu 185.000
Clement: Ja, ja. Ist das eine Zahl, die im Prinzip noch Bestand hat?
de Maizière: In der Zahl "bis zu 185.000" ist alles enthalten - in diesen drei Wortbestandteilen: Bis zu 185.000. Und zu mehr werden Sie ich jetzt auch nicht locken.
Clement: Sie wollen vorschalten vor die Bundeswehrplanung so etwas wie konzeptionelle Leitlinien - wie immer die denn heißen mögen, aber ein Überbau von Aufgaben. Können Sie uns schon ein bisschen davon teilhaben lassen, was da drin stehen könnte?
de Maizière: Dabei geht es um zwei Dinge. Das, was man auch international zeigen kann und muss und darstellen muss, das bündelt sich in sogenannten verteidigungspolitischen Richtlinien, VPR. Die hat es unter dem Verteidigungsminister Volker Rühe gegeben, die hat es unter dem Verteidigungsminister Peter Struck im Jahre 2003 gegeben, und an denen arbeiten wir jetzt auch. Das wird im Zuge der Neuausrichtung der Bundeswehr auch zu erarbeiten sein. Und schließlich möchte ich gerne auch - das ist aber keine Frage, die man in einem Dokument niederlegt - wir brauchen noch eine geistige, eine politische und eine ethische Debatte über die Rolle der Bundeswehr in der Gesellschaft, die keine Landesverteidigungsarmee im klassischen Sinne ist und die keine Wehrpflichtarmee ist. Wir müssen die Frage beantworten, mit welcher Motivation und mit welcher Sprache wollen wir junge Menschen dazu bringen, ein Jahr zur Bundeswehr zu gehen oder bis zu 23 Monaten, ohne Zeit- oder Berufssoldat werden zu wollen. Warum soll er zu uns kommen und nicht einen freiwilligen Dienst beim Roten Kreuz oder in einem Krankenhaus oder in einem Hospiz machen oder warum soll er nicht zum technischen Hilfswerk und zur freiwilligen Feuerwehr gehen? Warum kommt er zu uns? Was ist daran reizvoll, was ist daran verantwortungsvoll und mit welcher Sprache können wir da attraktiv sein? Und das ist ein Prozess, den wir jetzt dringend beginnen müssen. Das ist genauso wichtig wie Werbeanzeigen, Gehaltsfragen, Attraktivitätsfragen, so wichtig wie das alles ist. Wir müssen auch darüber hinaus eine, wenn Sie so wollen, theoretische Begründung liefern können.
Clement: Was würden Sie einem jungen Mann sagen, der Sie heute fragt, wo soll ich hin gehen? Warum soll er zur Bundeswehr kommen?
de Maizière: Wenn er gesund ist - das ist natürlich schon auch die Voraussetzung -, dann rate ich ihm, seine Freiwilligenzeit bei der Bundeswehr zu verbringen als junger Mann oder auch als junge Frau. Wir haben etwa zehn Prozent junge Frauen bei den Soldaten auf Zeit. Warum soll uns das nicht auch bei den freiwillig Wehrdienstleistenden so gehen? Weil er dort etwas für sein Land tut, weil er nicht schlecht verdient nach dem Schulabschluss, weil er eine soziale Kompetenz erwirbt, quer durch alle Schichten dieser Gesellschaft hinaus, die er nirgendwo anders erwerben kann, weil er Deutschlands Rolle in der Welt versteht und vertritt nach außen, wenn er in Einsätze geht, und weil ich fest davon überzeugt bin, dass mit diesem Rüstzeug, auch dem ethischen Rüstzeug, er für Arbeitgeber interessant ist und er oder sie für sein Leben etwas mitbekommt.
Clement: Im Interview der Woche im Deutschlandfunk Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière. Herr Minister, können Sie sich vorstellen, dass die Bundeswehr Spezialfähigkeiten übernimmt, die sie dann der NATO zur Verfügung stellt, der EU, für andere Länder auch für Einsätze?
de Maizière: Das gibt es ja schon in Form von gemischten Systemen. AWACS ist ein solches System. Und da auch alle eine Haushaltsreduzierung haben, wird man über diese Spezialisierungen auch reden. Wir sind dazu bereit. Allerdings haben die letzten Wochen da auch ein gewisses Maß an Ernüchterung gebracht. Wir haben eben ein Zielkonflikt - das muss man offen aussprechen - zwischen dem, was wir national wollen, was andere Staaten national wollen, was Parlamente wollen und dem, was gemischt international, multilateral, auch was die zeitlichen Abläufe angeht, geboten ist. Und die ganze Euphorie, dass wir alles multilateral erledigen können, insbesondere in der EU, zeigt sich eben in der Realität doch ziemlich nüchtern. Mann will dann doch entscheiden, ob man dabei ist, man will doch entscheiden, ob man dieses oder jenes Flugzeug zur Verfügung stellt. Deswegen ist gut, das zu betreiben, aber mit Augenmaß.
Clement: Auf Souveränitätsverzicht beim Einsatz würden Sie noch nicht eingehen?
de Maizière: Na ja, wir verzichten ja auf Souveränität im Einsatz. Wenn also ein deutscher Soldat einem internationalen Kommando unterstellt ist, dann entscheidet der internationale Kommandeur, welche Nationalität er auch immer hat. Das ist, wenn Sie so wollen, ein Souveränitätsverzicht. Allerdings, die Hineingabe in diesen Souveränitätsverzicht, die bleibt ein Akt der Souveränität. Das ist so, das ist verfassungsrechtlich so vorgegeben, es ist die Tradition unserer Parlamentsarmee. Allerdings dürfen wir deswegen nicht handlungsunfähig werden. Wir müssen auch in einer parlamentarischen Sommerpause, die drei Monate dauert, handlungsfähig bleiben, mit Sondersitzungen oder in anderer Weise. Und wenn wir zu schnelleren Entscheidungen international gezwungen werden, was sein könnte, dann müssen wir sicher auch über das konstruktive Zusammenspiel von Exekutive und Legislative neu nachdenken.
Clement: Aber eine Unterstellung schon prophylaktisch in einem gemeinsamen Verband, wo die NATO dann sagt - in der NATO muss die Bundesregierung ja auch zustimmen, bevor die NATO überhaupt etwas machen kann, da gilt das Einstimmigkeitsprinzip, dass man sagt, in dem Moment, wo man die Truppen dort zur Verfügung gestellt hat, AWACS als Beispiel, dann ist es, wenn die NATO zustimmt, auch so, dass das einsetzbar ist.
de Maizière: Das ist mit unserer Verfassungslage und dem Parlamentsbeteiligungsgesetz nicht vereinbar und ich sehe auch keine Mehrheit, das zu ändern. Das ist in anderen Staaten übrigens durchaus ähnlich.
Clement: Das heißt also, dass eine zu richtigen Einsparungen führende Aufgabenverteilung im Prinzip nicht möglich ist?
de Maizière: Es kann schon sein, dass man auf bestimmte Waffensysteme verzichtet. Die Niederländer haben jetzt in ihrer Neuausrichtung der niederländischen Armee beschlossen, auf Kampfpanzer komplett zu verzichten. Wenn es also einen Einsatz gäbe, wo auch niederländische Soldaten von Kampfpanzern zu schützen wären, dann wären die Niederländer auf andere Hilfe angewiesen. So etwas kann es geben. Aber ein Vorab-Souveränitätsverzicht durch eine Vorab-Zurverfügungstellung von Soldaten für ein Mandat, was auch immer kommen mag, was dann nur durch die Exekutive im NATO-Rat oder in den EU-Gremien beschlossen wird, das sehe ich nicht.
Clement: Wie wollen Sie die Soldaten, wie wollen Sie die Öffentlichkeit bei diesem Reformprozess mitnehmen?
de Maizière: Die Entscheidungen, wenn sie zu treffen sind, werden natürlich in großer Weise diskutiert. Die Neuausrichtung der Bundeswehr ist ein Prozess, der die Bundeswehr selbst hauptsächlich betrifft und die sie durchführen muss. Und das wird auch schmerzhaft sein. Aber diese Neuausrichtung wird nur gelingen, wenn die Öffentlichkeit das mitmacht. Wir können noch so gute Werbebroschüren schreiben, wir können noch so gut ethisch begründen, warum man Soldat werden soll, wir können noch so gut bezahlen, wenn Freunde und Eltern und Arbeitgeber sagen, Junge oder Mädchen, geh da nicht hin, dann wird es keinen Erfolg haben. Wenn wir noch so gut Staatsbürger in Uniform sein wollen und uns der Gesellschaft öffnen und die Gesellschaft zeigt uns als Bundeswehr die kalte Schulter, dann wird die Neuausrichtung der Bundeswehr nicht gelingen. Ob also nach der Abschaffung, nach der Aussetzung der Wehrpflicht die Bundeswehr ein Staat im Staate werden könnte, was wir alle verhindern mögen, liegt nur zur Hälfte an der Bundeswehr, zur anderen Hälfte an der Gesellschaft. Und dass dieser Prozess genau so etwas ist, was die Gesellschaft unter sich und mit der Bundeswehr diskutiert und nicht nur die Bundeswehr unter sich, dafür will ich allerdings auch in den nächsten Wochen sehr offensiv werben.
Clement: Sie müssen in diesem Jahr auch noch ein Stationierungskonzept erarbeiten und vorlegen. Gibt es bei Ihnen einen Zusammenhang zwischen Nachwuchsgewinnung und Stationierung? Wenn man sich gewisse Bereiche anguckt, wo die Bundeswehr stark verankert ist, kann sie in dem Bereich auch leicht Leute rekrutieren. Wenn sie sich da zurückzöge, wäre es wahrscheinlich problematisch, weil die Mobilität unter den jungen Leuten, wenn man aus anderen Bereichen weiß, meistens nicht besonders groß ist. Gibt es diesen Zusammenhang zwischen Nachwuchsgewinnung und Stationierungsdebatte?
de Maizière: Es gibt diesen Zusammenhang, aber es gibt ihn nicht so einfach, wie Sie ihn jetzt in Ihrer Frage unterstellen. Wenn man nur dort erfolgreich Nachwuchs gewinnen könnte, wo jetzt viele Soldaten sind, dann würden wir ja auch von der Mentalität einer Armee heraus uns vielleicht verengen. Wenn man also etwa sagt, wir können im dünn besiedelten ländlichen Raum, wo die Bundeswehr der einzige Arbeitgeber ist, da können wir gut werben, dann verzichten wir ja für die Nachwuchsgewinnung auf urbane Schichten. Das wollen wir natürlich nicht. Das heißt, natürlich werden wir dort hingehen, wo wir stark sind, aber wir müssen dringend auch Nachwuchswerbung dort machen, wo wir schwach bisher sind. Allerdings will ich auch gerne folgendes sagen: Nachwuchsgewinnung war bisher so, dass die jungen Männer über die Kreiswehrersatzämter irgendwie zur Bundeswehr kamen. Es kommt jetzt keiner mehr, sondern wir müssen zu den Menschen hin. Und das sind die Schulen, das sind die Sportvereine, das ist die Freiwillige Feuerwehr, das sind alle möglichen Einrichtungen. Also kommt es jetzt gar nicht mehr so darauf an, wo der Schreibtisch steht, von wo man Nachwuchswerbung macht, sondern wo die geeigneten jungen Männer und Frauen sind, die wir ansprechen wollen. Und das ist eine ganz neue Fragestellung und geht weit über die Frage, wo ist eigentlich der Sitz eines Amtes für Nachwuchsgewinnung oder wie man es in Zukunft auch immer nennen mag. Das ist eigentlich die wichtigere Frage, wie machen wir das, nicht die Frage, von wo aus machen wir das.
Clement: Herr Minister, 8,3 Milliarden stehen in den nächsten Jahren zur Einsparung an. Glauben Sie, dass Sie an der Zahl noch etwas verändern können durch Gespräche mit dem Finanzminister?
de Maizière: Die Gespräche mit dem Finanzminister führe ich jedenfalls gerne nicht über die Presse, wenn Ihnen diese Andeutung auch zu anderen Themen etwas sagt. Und das ist etwas, was Herr Schäuble schätzt und was ich auch schätze.
Clement: Macht Ihnen Ihr neues Amt eigentlich Spaß?
de Maizière: Ja. Ich bin natürlich, wie Sie wissen, sehr gerne Innenminister gewesen. Nun stehe ich hier und bin von der Bundeskanzlerin hierhin gestellt worden. Ich bin sehr gerne aufgenommen worden. Und das ist eine herausfordernde Aufgabe, die aber auch Freude macht. Und die wächst mit jedem Tag.
Clement: Herr Minister, wir bedanken uns für das Gespräch.
de Maizière:Sehr gerne.
Thomas de Maizière: Im Moment prüft die Europäische Union die Optionen, auch die NATO prüft eine Option. Letztlich fußt alles auf einer Anfrage der Vereinten Nationen, und diese Anfrage wird zur Zeit nicht für wahrscheinlich gehalten. Die UNO sagt selbst, dass humanitäre Einsätze ein überwiegend friedliches Umfeld brauchen, einen Waffenstillstand oder ein Einvernehmen von beiden Seiten, dass man dort rein kann. Im Moment besteht für das Rote Kreuz und den Roten Halbmond Zugang, auch zur Versorgung. Dessen ungeachtet wird geprüft, ob nach einer Anfrage der Vereinten Nationen die Begleitung oder die Durchführung und gegebenenfalls die Sicherung einer solchen Hilfslieferung in einem überwiegend friedlichen Umfeld erfolgen kann. Die Operationspläne sind noch nicht abgeschlossen, deswegen kann ich es konkreter jetzt noch nicht sagen.
Clement: Aber das setzt auf jeden Fall einen Waffenstillstand voraus?
de Maizière: Nun, die UNO oder die Regeln sprechen von einem eher friedlichen Umfeld, die jetzige Lage wäre für diese Option zu riskant. Für ein friedliches Umfeld, was einen formellen Waffenstillstand oder ein Einverständnis beider Seiten voraussetzt - etwa dass ein Schiff landen kann -, so weit ist es nur ausnahmsweise mal gekommen. Insgesamt liegen die Voraussetzungen dafür nicht vor. Wichtig ist, dass der Maßstab für humanitäre Hilfsaktionen ist, dass man nicht den Eindruck erwecken darf, man würde Partei. Und deswegen muss dafür das entsprechende Umfeld geschaffen sein, nicht erst werden.
Clement: Herr Minister, gehen wir mal zu einem anderen Einsatzgebiet oder zu einem Einsatzgebiet der Bundeswehr. Sie waren unlängst in Afghanistan. Hat sich durch die Reise nach Afghanistan Ihr Bild von diesem Einsatz verändert?
de Maizière: Nun, ich war etwa zeitgleich ein Jahr vorher in Afghanistan als Bundesinnenminister. Dort habe ich die Polizisten besucht, hatte natürlich einen anderen Blick auf die Dinge als jetzt. Aber insgesamt ist mein Blick durch die Reise besser geworden. Vor einem Jahr war es doch ziemlich schwierig. Es gab keine klare Strategie, die gewonnenen Geländegewinne wurden nach Einsätzen wieder preisgegeben. Es gab keine rechte Kooperation mit den Sicherheitsbehörden nach Abschluss der Ausbildung. All das hat sich geändert. Es gibt eine Strategie, es gibt das Partnering, es gibt gesicherte Geländegebiete, und all das stimmt mich insgesamt zuversichtlich - mit einem kleinen "Aber": Wir müssen jetzt den Frühling und den Sommer abwarten. Es sickern auch Aufständische zurück von Pakistan, wie erfolgreich sie sind, werden wir sehen. Und die Taliban verlegen sich wieder auf asymmetrische Bedrohungen, also nicht dass sie Gebiete zu versuchen zu erobern und zu dominieren, sondern mit Einzelschlägen, wie wir gesehen haben - entweder durch U-Boote in den Sicherheitsbehörden der Afghanen oder durch Anschläge auch mit afghanischen Opfern versuchen sie, zu verunsichern. Das darf nicht zum Erfolg führen.
Clement: Bleibt die Abzugsperspektive bestehen aus Ihrer Sicht?
de Maizière: Ja, wir haben ja erst vor einigen Monaten die entsprechenden Beschlüsse gefasst und die Strategie versucht, umzusetzen. Es bleibt dabei, dass wir beginnen, 2011/2012 nach der Bonn-Konferenz rund um die Mandatsverlängerung mit dem Abzug beginnen wollen, wenn es die Umstände zulassen, und dann auch bis 2014 die bisherigen Einsatzformen beenden wollen, wenn es die Lage zulässt. Ich will aber keinen Zweifel daran lassen, dass es ein Engagement der Internationalen Völkergemeinschaft auch nach 2014 durch Beratung, durch Ausbildung, durch politische Kontakte, auch durch Finanzhilfe, durch Sicherung des bis dahin hoffentlich Erreichten geben wird. Und das wird sicher nicht ganz unerheblich sein.
Clement: Das ist sehr stark gekoppelt an die Entwicklung vor Ort. Man hat oft so den Eindruck, dass Ereignisse in den Entsendeländern, denken Sie zum Beispiel an den Präsidentschaftswahlkampf in den USA, für eine solche Abzugsperspektive auch nicht ganz unwichtig sind. Manchmal hat man im Moment den Eindruck, dass die Diskussion ein bisschen weicher wird bezüglich des Abzugs. Auch General Petraeus hat ja gesagt: Übergabe an Sicherheit in Regionen "ja", aber die Soldaten bräuchte er anderswo. Ist das eine richtige Beobachtung?
de Maizière: Na ja, das müssen die Amerikaner diskutieren. Dass innenpolitische Aspekte bei Einsätzen im Ausland immer eine Rolle spielen, ist richtig und notwendig in Demokratien. Man muss auch immer um Zustimmung werben. Aber die außenpolitische Betrachtung und die Sicherheitslage vor Ort muss das Dominierende bei der Beurteilung der Lage sein. Ich will jetzt amerikanische Befindlichkeiten nicht kommentieren, ich werde darüber selbst Gespräche führen, weil ich in wenigen Tagen zu meiner Antrittsreise als Verteidigungsminister nach Washington aufbrechen werde.
Clement: Ist das Einsatzszenario, das, was man in Afghanistan braucht, ist das, wie die Bundeswehr sich dort gibt, welche Aufträge sie dort wahrnimmt, das Grundmodell für die künftige Bundeswehrreform?
de Maizière: Nein, die Neuausrichtung der Bundeswehr ist ja aus vielen Gesichtspunkten heraus erforderlich geworden. Die Veränderungen in der Welt sind gewaltig, wir erleben ja nahezu alle zehn Jahre eine erhebliche Veränderung: 1989/90 das Ende des Kalten Krieges, gut zehn Jahre später - der 11. September mit dem Terrorismus, der weltweit eine neue Zäsur gesetzt hat, und jetzt im Jahr 2011 die Veränderungen in der arabischen Welt. Relativ wenig war davon vorhergesehen, und deswegen ist es und wäre es ganz falsch, die Neuausrichtung der Bundeswehr auf bestehende Einsätze so aufzusetzen, als würden sie eine Blaupause für die Zukunft bilden. Was wir brauchen, ist eine Bestimmung über die Größenordnung von den Soldaten, die wir der internationalen Völkergemeinschaft, wenn wir das wollen, als dauerhaft im Einsatz mögliche Soldaten anbieten. Die Zahl wird festzulegen sein, die muss dann durchhaltefähig sein, also auch über einen längeren Einsatz. Es wird sicher auch mehrere Einsätze gleichzeitig geben wie jetzt auch. Ob sie dann alle so hart sind wie in Afghanistan oder so, das werden wir sehen, weil wir die Zukunft nicht kennen. Aber vielleicht könnt man sagen: Wir müssen imstande sein, ein oder zwei größere und mehrere kleinere Einsätze gleichzeitig durchzuführen. - mit einer Obergrenze, über die noch zu reden sein wird.
Clement: Einsätze können ja völlig anders unterschiedlich strukturiert sein. Deswegen kann man ja im Prinzip mit dem Begriff "Einsatz" noch keine Aufgabenbeschreibungen verbinden oder auch keine Struktur.
de Maizière: Nein, Einsatz ist eigentlich alles das, was Soldaten außerhalb der Landesverteidigung machen. Das kann ein Einsatz in einer nationalen Katastrophe sein, das sind Einsätze, die laufend stattfinden, etwa auf hoher See. Die Marine ist mehr oder weniger immer im Einsatz, auch in Aufklärungseinsätzen oder Ausbildungseinsätzen. Die Luftwaffe ist, wenn sie den Luftraum beschützt, auch ohne das klassische Element der Landesverteidigung im Einsatz. Aber das Heer, wenn es außerhalb Deutschlands eingesetzt wird im Rahmen internationaler Mandate, dann ist es schon etwas anderes als wenn man in Deutschland ist. Ja, der Begriff des Einsatzes ist sehr unterschiedlich, wird sehr unterschiedlich sein. Deswegen können wir uns auf nichts sehr konkret, aber auf möglichst viel möglichst konkret vorbereiten. Das ist die Aufgabe.
Clement: Welche Fixpunkte haben Sie denn bei der Reform?
de Maizière: Na ja, die Aufgabe, die sich ergibt, etwa aus der Frage, wie viel soll dauerhaft im Einsatz sein können, daraus ergibt sich dann mit anderen Umständen, die hinzukommen, eine Art Obergrenze für die Berufs- und Zeitsoldaten. Dann gibt es natürlich Schätzungen und Planungen über die freiwillig Wehrdienstleistenden. Und wenn man das - ich nenne mal das Bild von unten nach oben - errechnet oder schätzt, dann muss man Zweitens einen Quervergleich machen und sehen: Wie stehen wir international da, wie ist es etwa bei den Briten, bei den Franzosen, bei anderen vergleichbaren Staaten? Und dann muss man Drittens sagen: Was davon ist finanzierbar? Eine Neuausrichtung der Bundeswehr kann weder nur nach dem zur Verfügung stehenden Geld bemessen werden, umgekehrt kann auch nicht alles das, was sich jemand wünscht, einfach bezahlt werden. Das ist ein Prozess, wo man sich aufeinander zubewegt.
Clement:Das Bundeskabinett hat im Dezember beschlossen, 185.000 Soldaten. . .
de Maizière:. Nein.
Clement:. bis zu, bis zu . . .
de Maizière:. . . bis zu 185.000
Clement: Ja, ja. Ist das eine Zahl, die im Prinzip noch Bestand hat?
de Maizière: In der Zahl "bis zu 185.000" ist alles enthalten - in diesen drei Wortbestandteilen: Bis zu 185.000. Und zu mehr werden Sie ich jetzt auch nicht locken.
Clement: Sie wollen vorschalten vor die Bundeswehrplanung so etwas wie konzeptionelle Leitlinien - wie immer die denn heißen mögen, aber ein Überbau von Aufgaben. Können Sie uns schon ein bisschen davon teilhaben lassen, was da drin stehen könnte?
de Maizière: Dabei geht es um zwei Dinge. Das, was man auch international zeigen kann und muss und darstellen muss, das bündelt sich in sogenannten verteidigungspolitischen Richtlinien, VPR. Die hat es unter dem Verteidigungsminister Volker Rühe gegeben, die hat es unter dem Verteidigungsminister Peter Struck im Jahre 2003 gegeben, und an denen arbeiten wir jetzt auch. Das wird im Zuge der Neuausrichtung der Bundeswehr auch zu erarbeiten sein. Und schließlich möchte ich gerne auch - das ist aber keine Frage, die man in einem Dokument niederlegt - wir brauchen noch eine geistige, eine politische und eine ethische Debatte über die Rolle der Bundeswehr in der Gesellschaft, die keine Landesverteidigungsarmee im klassischen Sinne ist und die keine Wehrpflichtarmee ist. Wir müssen die Frage beantworten, mit welcher Motivation und mit welcher Sprache wollen wir junge Menschen dazu bringen, ein Jahr zur Bundeswehr zu gehen oder bis zu 23 Monaten, ohne Zeit- oder Berufssoldat werden zu wollen. Warum soll er zu uns kommen und nicht einen freiwilligen Dienst beim Roten Kreuz oder in einem Krankenhaus oder in einem Hospiz machen oder warum soll er nicht zum technischen Hilfswerk und zur freiwilligen Feuerwehr gehen? Warum kommt er zu uns? Was ist daran reizvoll, was ist daran verantwortungsvoll und mit welcher Sprache können wir da attraktiv sein? Und das ist ein Prozess, den wir jetzt dringend beginnen müssen. Das ist genauso wichtig wie Werbeanzeigen, Gehaltsfragen, Attraktivitätsfragen, so wichtig wie das alles ist. Wir müssen auch darüber hinaus eine, wenn Sie so wollen, theoretische Begründung liefern können.
Clement: Was würden Sie einem jungen Mann sagen, der Sie heute fragt, wo soll ich hin gehen? Warum soll er zur Bundeswehr kommen?
de Maizière: Wenn er gesund ist - das ist natürlich schon auch die Voraussetzung -, dann rate ich ihm, seine Freiwilligenzeit bei der Bundeswehr zu verbringen als junger Mann oder auch als junge Frau. Wir haben etwa zehn Prozent junge Frauen bei den Soldaten auf Zeit. Warum soll uns das nicht auch bei den freiwillig Wehrdienstleistenden so gehen? Weil er dort etwas für sein Land tut, weil er nicht schlecht verdient nach dem Schulabschluss, weil er eine soziale Kompetenz erwirbt, quer durch alle Schichten dieser Gesellschaft hinaus, die er nirgendwo anders erwerben kann, weil er Deutschlands Rolle in der Welt versteht und vertritt nach außen, wenn er in Einsätze geht, und weil ich fest davon überzeugt bin, dass mit diesem Rüstzeug, auch dem ethischen Rüstzeug, er für Arbeitgeber interessant ist und er oder sie für sein Leben etwas mitbekommt.
Clement: Im Interview der Woche im Deutschlandfunk Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière. Herr Minister, können Sie sich vorstellen, dass die Bundeswehr Spezialfähigkeiten übernimmt, die sie dann der NATO zur Verfügung stellt, der EU, für andere Länder auch für Einsätze?
de Maizière: Das gibt es ja schon in Form von gemischten Systemen. AWACS ist ein solches System. Und da auch alle eine Haushaltsreduzierung haben, wird man über diese Spezialisierungen auch reden. Wir sind dazu bereit. Allerdings haben die letzten Wochen da auch ein gewisses Maß an Ernüchterung gebracht. Wir haben eben ein Zielkonflikt - das muss man offen aussprechen - zwischen dem, was wir national wollen, was andere Staaten national wollen, was Parlamente wollen und dem, was gemischt international, multilateral, auch was die zeitlichen Abläufe angeht, geboten ist. Und die ganze Euphorie, dass wir alles multilateral erledigen können, insbesondere in der EU, zeigt sich eben in der Realität doch ziemlich nüchtern. Mann will dann doch entscheiden, ob man dabei ist, man will doch entscheiden, ob man dieses oder jenes Flugzeug zur Verfügung stellt. Deswegen ist gut, das zu betreiben, aber mit Augenmaß.
Clement: Auf Souveränitätsverzicht beim Einsatz würden Sie noch nicht eingehen?
de Maizière: Na ja, wir verzichten ja auf Souveränität im Einsatz. Wenn also ein deutscher Soldat einem internationalen Kommando unterstellt ist, dann entscheidet der internationale Kommandeur, welche Nationalität er auch immer hat. Das ist, wenn Sie so wollen, ein Souveränitätsverzicht. Allerdings, die Hineingabe in diesen Souveränitätsverzicht, die bleibt ein Akt der Souveränität. Das ist so, das ist verfassungsrechtlich so vorgegeben, es ist die Tradition unserer Parlamentsarmee. Allerdings dürfen wir deswegen nicht handlungsunfähig werden. Wir müssen auch in einer parlamentarischen Sommerpause, die drei Monate dauert, handlungsfähig bleiben, mit Sondersitzungen oder in anderer Weise. Und wenn wir zu schnelleren Entscheidungen international gezwungen werden, was sein könnte, dann müssen wir sicher auch über das konstruktive Zusammenspiel von Exekutive und Legislative neu nachdenken.
Clement: Aber eine Unterstellung schon prophylaktisch in einem gemeinsamen Verband, wo die NATO dann sagt - in der NATO muss die Bundesregierung ja auch zustimmen, bevor die NATO überhaupt etwas machen kann, da gilt das Einstimmigkeitsprinzip, dass man sagt, in dem Moment, wo man die Truppen dort zur Verfügung gestellt hat, AWACS als Beispiel, dann ist es, wenn die NATO zustimmt, auch so, dass das einsetzbar ist.
de Maizière: Das ist mit unserer Verfassungslage und dem Parlamentsbeteiligungsgesetz nicht vereinbar und ich sehe auch keine Mehrheit, das zu ändern. Das ist in anderen Staaten übrigens durchaus ähnlich.
Clement: Das heißt also, dass eine zu richtigen Einsparungen führende Aufgabenverteilung im Prinzip nicht möglich ist?
de Maizière: Es kann schon sein, dass man auf bestimmte Waffensysteme verzichtet. Die Niederländer haben jetzt in ihrer Neuausrichtung der niederländischen Armee beschlossen, auf Kampfpanzer komplett zu verzichten. Wenn es also einen Einsatz gäbe, wo auch niederländische Soldaten von Kampfpanzern zu schützen wären, dann wären die Niederländer auf andere Hilfe angewiesen. So etwas kann es geben. Aber ein Vorab-Souveränitätsverzicht durch eine Vorab-Zurverfügungstellung von Soldaten für ein Mandat, was auch immer kommen mag, was dann nur durch die Exekutive im NATO-Rat oder in den EU-Gremien beschlossen wird, das sehe ich nicht.
Clement: Wie wollen Sie die Soldaten, wie wollen Sie die Öffentlichkeit bei diesem Reformprozess mitnehmen?
de Maizière: Die Entscheidungen, wenn sie zu treffen sind, werden natürlich in großer Weise diskutiert. Die Neuausrichtung der Bundeswehr ist ein Prozess, der die Bundeswehr selbst hauptsächlich betrifft und die sie durchführen muss. Und das wird auch schmerzhaft sein. Aber diese Neuausrichtung wird nur gelingen, wenn die Öffentlichkeit das mitmacht. Wir können noch so gute Werbebroschüren schreiben, wir können noch so gut ethisch begründen, warum man Soldat werden soll, wir können noch so gut bezahlen, wenn Freunde und Eltern und Arbeitgeber sagen, Junge oder Mädchen, geh da nicht hin, dann wird es keinen Erfolg haben. Wenn wir noch so gut Staatsbürger in Uniform sein wollen und uns der Gesellschaft öffnen und die Gesellschaft zeigt uns als Bundeswehr die kalte Schulter, dann wird die Neuausrichtung der Bundeswehr nicht gelingen. Ob also nach der Abschaffung, nach der Aussetzung der Wehrpflicht die Bundeswehr ein Staat im Staate werden könnte, was wir alle verhindern mögen, liegt nur zur Hälfte an der Bundeswehr, zur anderen Hälfte an der Gesellschaft. Und dass dieser Prozess genau so etwas ist, was die Gesellschaft unter sich und mit der Bundeswehr diskutiert und nicht nur die Bundeswehr unter sich, dafür will ich allerdings auch in den nächsten Wochen sehr offensiv werben.
Clement: Sie müssen in diesem Jahr auch noch ein Stationierungskonzept erarbeiten und vorlegen. Gibt es bei Ihnen einen Zusammenhang zwischen Nachwuchsgewinnung und Stationierung? Wenn man sich gewisse Bereiche anguckt, wo die Bundeswehr stark verankert ist, kann sie in dem Bereich auch leicht Leute rekrutieren. Wenn sie sich da zurückzöge, wäre es wahrscheinlich problematisch, weil die Mobilität unter den jungen Leuten, wenn man aus anderen Bereichen weiß, meistens nicht besonders groß ist. Gibt es diesen Zusammenhang zwischen Nachwuchsgewinnung und Stationierungsdebatte?
de Maizière: Es gibt diesen Zusammenhang, aber es gibt ihn nicht so einfach, wie Sie ihn jetzt in Ihrer Frage unterstellen. Wenn man nur dort erfolgreich Nachwuchs gewinnen könnte, wo jetzt viele Soldaten sind, dann würden wir ja auch von der Mentalität einer Armee heraus uns vielleicht verengen. Wenn man also etwa sagt, wir können im dünn besiedelten ländlichen Raum, wo die Bundeswehr der einzige Arbeitgeber ist, da können wir gut werben, dann verzichten wir ja für die Nachwuchsgewinnung auf urbane Schichten. Das wollen wir natürlich nicht. Das heißt, natürlich werden wir dort hingehen, wo wir stark sind, aber wir müssen dringend auch Nachwuchswerbung dort machen, wo wir schwach bisher sind. Allerdings will ich auch gerne folgendes sagen: Nachwuchsgewinnung war bisher so, dass die jungen Männer über die Kreiswehrersatzämter irgendwie zur Bundeswehr kamen. Es kommt jetzt keiner mehr, sondern wir müssen zu den Menschen hin. Und das sind die Schulen, das sind die Sportvereine, das ist die Freiwillige Feuerwehr, das sind alle möglichen Einrichtungen. Also kommt es jetzt gar nicht mehr so darauf an, wo der Schreibtisch steht, von wo man Nachwuchswerbung macht, sondern wo die geeigneten jungen Männer und Frauen sind, die wir ansprechen wollen. Und das ist eine ganz neue Fragestellung und geht weit über die Frage, wo ist eigentlich der Sitz eines Amtes für Nachwuchsgewinnung oder wie man es in Zukunft auch immer nennen mag. Das ist eigentlich die wichtigere Frage, wie machen wir das, nicht die Frage, von wo aus machen wir das.
Clement: Herr Minister, 8,3 Milliarden stehen in den nächsten Jahren zur Einsparung an. Glauben Sie, dass Sie an der Zahl noch etwas verändern können durch Gespräche mit dem Finanzminister?
de Maizière: Die Gespräche mit dem Finanzminister führe ich jedenfalls gerne nicht über die Presse, wenn Ihnen diese Andeutung auch zu anderen Themen etwas sagt. Und das ist etwas, was Herr Schäuble schätzt und was ich auch schätze.
Clement: Macht Ihnen Ihr neues Amt eigentlich Spaß?
de Maizière: Ja. Ich bin natürlich, wie Sie wissen, sehr gerne Innenminister gewesen. Nun stehe ich hier und bin von der Bundeskanzlerin hierhin gestellt worden. Ich bin sehr gerne aufgenommen worden. Und das ist eine herausfordernde Aufgabe, die aber auch Freude macht. Und die wächst mit jedem Tag.
Clement: Herr Minister, wir bedanken uns für das Gespräch.
de Maizière:Sehr gerne.