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"Wir brauchen eine diplomatische Lösung" in Syrien

Wenn das syrische Regime zu Verhandlungen bereit sei, müsse das Angebot zumindest geprüft werden, meint SPD-Politiker Rolf Mützenich. Es müsse alles unternommen werden, dass innerhalb der internationalen Gemeinschaft auch mit einer deutschen Außenpolitik eine Lösung im verheerenden Syrien-Konflikt erreicht werde.

Rolf Mützenich im Gespräch Silvia Engels | 07.10.2013
    Silvia Engels: Auch an diesem Wochenende wurde in Syrien gekämpft. Täglich sterben Menschen im Bürgerkrieg. Um die öffentliche Deutungshoheit über Kriegsverbrechen in seinem Land zu gewinnen, gibt der syrische Machthaber Baschar al-Assad westlichen Medien regelmäßig Interviews. So auch an diesem Wochenende im Magazin "Der Spiegel". Darin weist er einmal mehr die Verantwortung für Giftgaseinsätze zurück und er bringt Deutschland als Konfliktvermittler ins Gespräch. Die Bundesregierung wies das umgehend zurück. Unabhängig davon begannen internationale Chemiewaffen-Experten mit der Sichtung und Zerstörung syrischer Giftgasbestände.

    Am Telefon mitgehört hat der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich. Guten Morgen!

    Rolf Mützenich: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Nun ist es also losgegangen: UN-Inspektoren beziehungsweise organisierte Experten haben am Wochenende angefangen, in Syrien Giftwaffen zu untersuchen und offenbar auch zu zerstören. Rechnen Sie mit schnellen Ergebnissen?

    Mützenich: Nein. Ich glaube, das wird ein sehr langwieriger Prozess sein, weil wahrscheinlich auch bei der zukünftigen Praxis sich herausstellen wird, dass das eine oder andere, was an chemischen Kampfstoffen vorhanden ist, auch schwer zu zerstören sein wird. Aber es ist wichtig, dass der Prozess beginnt, und auf dem muss sich jetzt langsam auch ein diplomatischer Prozess aufbauen, zu dem auch alle Parteien bereit sein müssen.

    Engels: Bleiben wir zunächst bei der praktischen Umsetzung. Die Hauptinformationen über das Chemiewaffen-Programm hält ja weiter Assads Regime in Händen. Fürchten Sie da keine Verschleppung?

    Mützenich: Es ist zumindest Transparenz verlangt, sowohl von der Resolution des Sicherheitsrates als auch von den entscheidenden Parteien, nämlich den USA und Russland, die es letztlich auch werden umsetzen müssen auch in dem zukünftigen Prozess. Es wird wahrscheinlich Verschleppungen geben und möglicherweise weiß auch das Regime als solches nicht in allen Einzelheiten über das Chemiewaffen-Programm bescheid. Also es wird schon in den nächsten Wochen darauf ankommen, dass diese Transparenz auch mit der Realität abgeglichen werden kann. Das ist sehr notwendig und da muss die internationale Gemeinschaft auch sehr gemeinsam dran arbeiten.

    Engels: Am Rande des APEC-Gipfels auf Bali hat sich US-Außenminister Kerry sehr optimistisch geäußert. Man solle Assad die Möglichkeit geben, die UN-Resolution umzusetzen. Sind Sie ähnlich optimistisch, dass das jetzt weiter zügig geht?

    Mützenich: Man muss auf jeden Fall genau hinschauen, in der Tat. Auch am Wochenende war ich in Washington gewesen und sowohl bei der Regierung, aber auch beim Kongress wurde gerade diese diplomatische Initiative, die jetzt auch Gestalt annimmt, durchaus gewürdigt und man hofft, auch ohne Gewalteinwirkung noch zusätzlich von außen diesen Prozess zu befördern. Und ganz wichtig ist – und ich glaube, daran sollte auch Europa mitwirken -, dass das Vertrauensverhältnis, was sich gerade auch wieder im Aufbau befindet, zwischen Russland und den USA gestützt wird.

    Engels: Im November, so haben Kerry und Lawrow gerade am Rande des APEC-Gipfels verkündet, soll es Überlegungen für eine Syrien-Konferenz geben. Ist das nicht auf der anderen Seite ein Beleg dafür, dass Syriens Machthaber es geschafft hat, einen Militärschlag abzuwenden und diplomatische Lösungen doch auf die lange Bank zu schieben?

    Mützenich: Nun, er hat es abgewendet, indem er eben auch gezwungen wurde, dieses Chemiewaffen-Potenzial offenzulegen und auch zu zerstören und sich einem ganz wichtigen internationalen Vertrag, nämlich dem Chemiewaffen-Übereinkommen, anzuschließen. Jetzt haben wir noch sieben Länder, die sich abseits halten. Das ist schon sehr wichtig, internationale Standards letztlich auch umzusetzen. Und in der Tat: Jetzt kommt es darauf an, diese Chance zu nutzen und möglicherweise über diplomatische Schritte genau das zu erreichen, was wir brauchen, nämlich zum Beispiel eine Waffenruhe, um humanitäre Maßnahmen gegenüber der Zivilbevölkerung auch endlich in Gesamt-Syrien umsetzen zu können.

    Engels: Aber gerade hier sieht sich die syrische Opposition ja im Stich gelassen vom Westen, da der Druck auf Machthaber Assad erheblich nachgelassen habe.

    Mützenich: Ich glaube, der Druck ist noch da, und das haben ja auch die Gesprächspartner in den USA letztlich vermittelt, und auch der Wille sowohl im Kongress als auch in der Regierung, an diesem Doppelansatz letztlich festzuhalten, und ich glaube, auch Russland hat ein sehr großes Interesse, dass auf der einen Seite die Chemiewaffen zerstört werden und auf der anderen Seite auch der Prozess erfolgt, weil es wird keinen militärischen Gewinn von irgendeiner Seite in Syrien geben. Wir brauchen eine diplomatische Lösung.

    Engels: Aber wenn der Westen hier Zeit gibt, kann der konventionelle Krieg in Syrien andauern.

    Mützenich: Er findet in der Tat weiterhin statt. Deswegen ist es umso notwendiger, auf der Sicherheitsratsresolution jetzt aufzubauen und zum Beispiel auch die Frage einer Waffenruhe viel stärker jetzt in den Vordergrund zu stellen. Humanitäre Maßnahmen in Syrien, aber auch weiterhin in den Nachbarländern die Flüchtlingspolitik ist notwendig und ich glaube, es ist weiterhin eine Chance da. Zumindest müssen wir noch stärker daran arbeiten.

    Engels: Nun hat am Wochenende Machthaber Assad dem Magazin "Der Spiegel" ein ausführliches Interview gegeben. Er stellt sich dort als demokratisch orientierter Staatsmann dar, der gegen Terroristen kämpft. Er hat einmal mehr Verantwortung für Giftgas-Angriffe zurückgewiesen. Kann er es auch auf diesem Weg schaffen, sich nach und nach wieder gegenüber dem Westen als Verhandlungspartner zu etablieren?

    Mützenich: Er wird es natürlich versuchen, aber das, was zum Beispiel die Inspekteure über die Chemiewaffen herausgefunden haben, zeigt doch sehr deutlich auf das Regime, auf Teile auch dieses Regimes, die ohne Vorbehalte solche Waffen auch bereit waren einzusetzen. Das muss natürlich weiterhin auch im Vordergrund letztlich stehen. Natürlich versucht Assad, über solche Interviews eine Deutungshoheit zu gewinnen, aber es ist natürlich Skepsis auf der einen Seite angesagt. Auf der anderen Seite, wenn er eben auch will, dass Staaten zum Beispiel schauen, ob sie weiterhin vermitteln können, muss man sich das anhören. Man sollte es nicht sofort zur Seite legen.

    Engels: Ist es denn eine denkbare Position, dass man mit Assad dahin gehend verhandelt, dass ein friedlicher Konflikt, eine politische Lösung in Syrien gefunden wird, auch mit Zustimmung des Westens, in der Assad dann auch weiter herrschen kann?

    Mützenich: Ich glaube, die Argumentation findet doch mehr und mehr Anhalt, auch in den Ländern, die sich sehr stark in diesen Konflikt eingemischt haben, dass es keinen militärischen Sieg in Syrien geben wird. Das Land zerfällt, die humanitäre Katastrophe sehen wir ja tagtäglich in den Bildern, aber auch in den Berichten. Deswegen brauchen wir eine diplomatische Lösung und da müssen natürlich alle Akteure in Syrien auch eingebunden werden. Es ist ja auch nicht so, dass es innerhalb der sogenannten syrischen Opposition eine einheitliche Linie gibt. Auch hier ist eine Menge Arbeit noch erforderlich.

    Engels: Das klingt aber so, als ob sich die deutsche Außenpolitik mittelfristig eine Zusammenarbeit mit Assad durchaus wieder vorstellen kann?

    Mützenich: Es geht nicht um eine Zusammenarbeit, sondern ich glaube, es geht jetzt darum, diesen Krieg zu beenden, diesen Bürgerkrieg auch von den Gewaltakteuren von außen so gut wie möglich fernzuhalten, und dafür ist eine diplomatische Arbeit notwendig. Und wenn eben das syrische Regime zu Verhandlungen bereit ist, muss man das auch zumindest prüfen.

    Engels: Das klingt also nicht ganz abwehrend. Nun hat Baschar al-Assad in dem Gespräch mit dem "Spiegel" auch Deutschland für eine Vermittlerrolle in dem Konflikt vorgeschlagen. Der scheidende Außenminister Westerwelle hat das umgehend zurückgewiesen. Ein richtiger Schritt?

    Mützenich: Ich glaube, es ist richtig gewesen vom Außenminister, insbesondere auf die Rolle von Brahimi, dem Beauftragten des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, hinzuweisen. Aber man muss schon zuhören, und wenn jetzt einzelne Länder genannt werden, die möglicherweise im Bereich der zivilen, auch der politischen Erörterungen hilfreich sein können, sollte man schon versuchen, das Gespräch zu finden und auch den Generalsekretär der Vereinten Nationen bei seiner diplomatischen Rolle zu unterstützen.

    Engels: Sollte ein SPD-Politiker Außenminister werden, bleibt er dann bei dieser Syrien-Linie, die Sie skizzieren?

    Mützenich: Ich glaube, es ist sehr unumstritten, auch im Deutschen Bundestag zwischen den Fraktionen gewesen, dass Diplomatie eine wichtige Rolle spielen muss. Da waren wir uns auch mit der Bundesregierung einig gewesen. Jetzt muss alles unternommen werden, dass innerhalb der internationalen Gemeinschaft auch mit einer deutschen Außenpolitik eine Lösung im verheerenden Syrien-Konflikt erreicht wird.

    Engels: Das heißt, unter Umständen auch mit Assad?

    Mützenich: Es geht insbesondere darum, alle Gewaltgruppen – und dazugehört eben auch das Regime Assad – an den Verhandlungstisch in Genf zu bringen, und dort, wo wir hilfreich sein können, müssen wir das tun.

    Engels: Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich. Vielen Dank für das Gespräch.

    Mützenich: Sehr gerne, Frau Engels. Vielen Dank für die Einladung.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.