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"Wir brauchen Klarheit in dieser Frage"

Die Bundesregierung plant, den deutschen Afghanistan-Einsatz bis 2012 zu verlängern. Wenn die Sicherheitslage es zulasse, könnten erste Soldaten schon dieses Jahr zurückkehren. Gernot Erler von der SPD bekräftigt die Forderung der Oppositon nach einem verbindlichen Zeitplan für den Truppenabzug.

Gernot Erler im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: Mitgehört hat Gernot Erler, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag. Einen guten Morgen auch Ihnen.

    Gernot Erler: Guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Der Abzug der deutschen Soldaten aus Afghanistan soll noch 2011 beginnen. Für die SPD ist das ja die zentrale Bedingung in der Diskussion um eine weitere Verlängerung des Mandats. Jetzt empfiehlt der Parteivorstand der SPD einstimmig, dem Beschluss der Bundesregierung zuzustimmen. Hören wir uns also den wichtigsten Satz aus diesem Beschluss zunächst einmal an.

    "Die Bundesregierung ist zuversichtlich, im Zuge der Übergabe der Sicherheitsverantwortung die Präsenz der Bundeswehr ab Ende 2011 reduzieren zu können, und wird dabei jeden sicherheitspolitisch vertretbaren Spielraum für eine frühestmögliche Reduzierung nutzen, soweit die Lage dies erlaubt, ohne dadurch unsere Truppen oder die Nachhaltigkeit des Übergabeprozesses zu gefährden."

    Barenberg: Ein Ungetüm, Herr Erler, wie denn ein Satz. Können Sie uns den Inhalt in wenigen Worten zusammenfassen?

    Erler: Das ist eine Zusammensetzung aus eigentlich zwei verschiedenen Positionen. Im ersten Teil haben wir eine ganz klare Festlegung auf das politische Ziel, schon in diesem Jahr mit ersten Reduzierungen der Soldaten vor Ort zu beginnen. Im zweiten Teil haben wir eine Konditionierung. Das heißt, da wird auf die Sicherheitslage abgehoben und auf eine eigentliche Selbstverständlichkeit, nämlich dass mit einer solchen Reduzierung keine Gefährdung der eigenen Soldaten verbunden sein darf.

    Barenberg: Die Regierung legt sich also fest, wann der Abzug beginnt. Ist das Ihre Interpretation?

    Erler: Die Regierung legt sich eindeutig fest, und so ist das auch in der Öffentlichkeit verstanden worden.

    Barenberg: Es heißt aber in dem Zitat, was wir ja auch eben noch mal gehört haben, "soweit die Lage dies erlaubt", und das hat auch gerade General Fritz im Gespräch gesagt. Haben Sie das übersehen?

    Erler: Nein, das haben wir überhaupt nicht übersehen. Ich denke, wir alle kennen die Situation vor Ort und wissen, dass eine Gefährdung der eigenen Soldaten nicht infrage kommt. Ich sage noch mal, das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Uns stört auch nicht dieser Satz. Dieser Satz nimmt das auf, was wir schon im Januar letzten Jahres gefordert haben mit einem Zeitplan für den Afghanistan-Einsatz, wobei ja das wichtigste dabei ist, dass die internationale Gemeinschaft sich interessanterweise im Laufe des letzten Jahres auf dieses Datum 2014 festgelegt hat. Bis dahin sollen alle Aufgaben der Sicherheit in die Hände der afghanischen Sicherheitskräfte übergehen und keine Kampftruppen mehr vor Ort sein. Aus dieser Logik ergibt sich aber für uns, dass man irgendwann mal mit diesem Prozess auch anfangen muss, und da in diesem Jahr schon Fortschritte erzielt werden sollen – das ist unmittelbar bevorstehend, dass in bestimmten einzelnen Regionen und Distrikten diese Sicherheitsverantwortung schon in afghanische Hände übergehen soll -, ist es auch logisch, dass man dann mit einer ersten Reduzierung von den eigenen Kräften vor Ort beginnt.

    Barenberg: Das heißt aber auch, am Ende wird die militärische Lage entscheiden, und zwar nicht nur mit Blick auf die Gefährdung der Soldaten, sondern die militärische Lage insgesamt. Das heißt, der Verteidigungsminister zu Guttenberg, er hat ein Vetorecht, er hat das letzte Wort?

    Erler: Wissen Sie, weil Sie jetzt gerade ihn nennen, das Problem ist, dass eindeutig der Außenminister Guido Westerwelle sich festgelegt hat auf dieses Datum und gesagt hat, wir werden alles tun, damit das auch tatsächlich umgesetzt wird. Auf der anderen Seite aber macht Herr zu Guttenberg völlig andere, zum Teil provokative Äußerungen. Er hat zum Beispiel sehr schnodderig in der Öffentlichkeit gesagt, mir ist das völlig Wurst, wann die Soldaten abziehen, wann da eine Festlegung stattfindet, ob 2004, 2011 oder 2014, und er hat von leichtsinnigen, leichtfertigen Fristfestlegungen gesprochen. Das heißt, hier haben wir die Situation, dass in der Bundesregierung zwei völlig verschiedene Auffassungen zu diesem Thema öffentlich bekundet werden. Das führt natürlich zu einer Verunsicherung der Soldaten vor Ort. Aber das ist auch ein Problem für uns, für die Opposition insgesamt, aber eben auch für die SPD, dass hier die Bundesregierung nicht mit einer Position sich äußert, sondern mit zwei verschiedenen.

    Barenberg: Und deswegen frage ich ja auch, Herr Erler, wieso die SPD unter diesen Bedingungen und mit dieser Formulierung dann zustimmen kann?

    Erler: Wir haben uns ja noch gar nicht festgelegt. Wir haben zwar schon in der Sache diskutiert, sehr intensiv, wir haben ja auch am 14. Dezember letzten Jahres unsere zweite große Afghanistan-Konferenz in Berlin veranstaltet mit über 400 Teilnehmern. Wir sind in diesem Prozess noch drin, aber wir haben heute die erste Lesung - wir haben ja immer Gesetze zu verabschieden, was diese Mandate angeht – und wir werden jetzt hören, was wir dort zu hören bekommen in dieser Debatte. Wir brauchen Klarheit in dieser Frage. Wir brauchen eine klare Position der Bundesregierung und nicht eine, die von einem Minister immer wieder infrage gestellt wird und wovon Verunsicherung ausgeht.

    Barenberg: Viele in der SPD-Fraktion haben Bauchschmerzen. Mit wie vielen Neinstimmen rechnen Sie?

    Erler: Das ist eben jetzt abhängig von den nächsten Tagen, von der heutigen Debatte und von den Signalen, die wir bekommen. Aber eines ist klar: Ich habe den Eindruck, dass der Außenminister ein deutliches Interesse daran hat, dass es auch eine Zustimmung zumindest einer großen Mehrheit der SPD zu der Fortsetzung des Mandats gibt, während mir überhaupt völlig unklar ist, was Herr zu Guttenberg mit seinen Äußerungen bezweckt.

    Barenberg: …, sagt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, Gernot Erler. Herr Erler, danke für das Gespräch.

    Erler: Danke Ihnen.