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"Wir erinnern an die Verstrickung normaler deutscher Bürger"

Hartmut Topf, Urenkel der Firmeninhaber von Topf & Söhne, will mit der Erinnerungsstätte "Die Ofenbauer von Ausschwitz" in Erfurt an die schuldhafte Zusammenarbeit seiner Vorfahren mit dem NS-Regime erinnern.

Hartmut Topf im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 27.01.2011
    Tobias Armbrüster: Am Telefon kann ich darüber jetzt mit Hartmut Topf sprechen. Er ist der Urenkel des Firmengründers von Topf & Söhne. Schönen guten Morgen, Herr Topf.

    Hartmut Topf: Ja, guten Morgen!

    Armbrüster: Was ist denn in dieser Ausstellung zu sehen?

    Topf: Man wird zeigen, was in der Wanderausstellung ja auch schon war, noch ausführlicher natürlich mit mehr Platz: die Geschichte der Firma, das heißt die Gründung von einem Bierbrauer und Feuerungsmeister, der mit seinen Söhnen die Firma gegründet hatte und dann auch bis zu einem gewissen Weltruhm geführt hat. Da war ich als Kind immer sehr stolz, dass ich diesen Namen hatte. Die bauten vor allen Dingen große Mälzereianlagen für Brauereien, die bauten dann aber auch Feuerungen für alle möglichen Technologien, Industriefeuerungen, und als das dann aufkam in den Städten so nach und nach Krematorien für etliche Städte. Das war ja eine schwer durchzusetzende Bewegung am Anfang, so etwa um den Ersten Weltkrieg oder davor schon. Das war eine Kompetenz in der Firma, die war nicht sehr entwickelt, nicht sehr groß, aber sie hatte ihre Standards, ihre ethischen Normen, die auch später Gesetz wurden. Leichenverbrennung muss pietätvoll sein und so weiter.

    Armbrüster: Herr Topf, Sie haben jetzt gerade schon gesagt, sie waren als Kind stolz auf diese Firma. Wann ist Ihnen zum ersten Mal klar geworden, mit welchem Unternehmen Sie da familiär verbunden sind?

    Topf: Dass ich mit diesem Unternehmen familiär verbunden bin, das wusste ich früh, obwohl unsere Familienzweige wenig Kontakt miteinander hatten, aber ich habe dann nach dem Krieg, vielleicht zwei, drei Jahre nach Kriegsende, in einem Kino in Wochenschau-Aufnahmen gesehen, nicht nur was die Konzentrationslager waren und was sie hinterließen, sondern dann zeigte man auch plötzlich mit der Kamera dieses Firmenschild, diesen Firmennamen, und da ging natürlich bei mir das Licht auf. Ich musste fragen, es war bloß keiner da in meiner Umgebung, den ich wirklich hätte präzise fragen können, was diese spezielle Geschichte betraf.

    Armbrüster: Warum war niemand mehr da?

    Topf: Mein Vater und auch sein ältester Bruder, unsere Nachbarn hier in der Nähe von Berlin, die waren inzwischen im NKWD-Lager. Mein Vater war Blockleiter bei der NSDAP gewesen, war aus der Kriegsgefangenschaft schon entlassen worden, ging guten Gewissens, naiv vielleicht sogar zum Verhör und kam nie wieder. Mein Onkel Hans war verletzt im Volkssturmeinsatz und der ist auch in Sachsenhausen gestorben. Kurz und gut: da war niemand und meine Mutter war mit diesen Dingen nicht beschäftigt, nicht bekannt, die war auch viel zu jung, und nach Erfurt konnte ich damals ja noch nicht wieder. Und in Erfurt haben mir später Verwandte geholfen, ein bisschen den Spuren nachzugehen, aber das war dann auch nicht einfach in der DDR und die DDR hatte ich verlassen, als ich 16 war, 1950.

    Armbrüster: Als Sie nun den Spuren von Topf & Söhne nachgegangen sind, was haben Sie da herausgefunden über den Umfang dieses Geschäftes? Wie groß war dieses Geschäft mit den Verbrennungsöfen für Konzentrationslager?

    Topf: Das Geschäft war so höchstens zwei Prozent ihres Umsatzes, aber das habe nicht ich herausgefunden, sondern das hat Annegret Schüle herausgefunden. Das ist ja die Historikerin, die sich nun seit vielen Jahren, seitdem es auch Geld von der Bundeskulturstiftung dafür gab, forschend damit beschäftigt hat, die ihr Buch auch vorgestellt hat, die die Konzeption der Ausstellung und auch jetzt die pädagogische Betreuung dieses Ortes in Erfurt in den Händen hat. Annegret Schüle hat anhand von Bilanzen, von Dokumenten, die auch sehr spät noch gefunden wurden, zum Teil vergraben waren sogar in Erfurt, sehr genau rekonstruieren können, wie groß der Umsatz war. Ich glaubte auch erst, die seien durch die Nazis in schmutziger Weise auch noch reich geworden. Das stimmte nicht, aber sie haben das Geschäft mit den Nazis gemacht. Sie waren die Fachleute, sie waren keine Nazis, sie waren keine Antisemiten, sie hatten sogar Leute, die durchaus von der anderen politischen Seite waren, in ihrer Firma, aber sie haben das Geschäft gemacht, sie sind schuldhaft verstrickt in die Sache, und da kann man reden so viel wie man will, das sind einfach die Fakten. Sie haben geliefert und sie haben versucht, ihre Ingenieure vor allem, es technisch immer noch weiter voranzutreiben, noch perfekter. Sie haben der SS Vorschläge gemacht, wie man es effizienter machen kann. Also das ist eigentlich die ärgerliche und schreckliche Geschichte daran.

    Armbrüster: Was wussten denn die Mitarbeiter genau über die Gaskammern und über die Ermordungen in Konzentrationslagern?

    Topf: Ich denke mir, diejenigen, die direkt damit beschäftigt waren, also die Krematoriumsgruppe unter dem Oberingenieur Prüfer, die wussten sehr genau bescheid, denn die mussten das ja an Ort und Stelle nicht nur einrichten, sondern mussten auch zusehen und ausprobieren und Wartungsarbeiten machen und verbessern. Diese Leute waren oft wochenlang und sehr oft in den Konzentrationslagern. Die wussten das sehr gut. Wie weit das sich im Betrieb herumgesprochen hat, weiß ich nicht. Einer der Monteure hat ja mal durch einen Bericht, dass er ein bestimmtes Messgerät brauchte zum Messen des Gases, den Hinweis auf die Gaskammern gegeben und der ist wahrscheinlich von seinen Chefs auch noch zusammengestaucht worden, das hat doch hier keiner zu wissen, das muss man doch nicht erzählen. Aber das ist Tatsache. Es gab dann sogar diesen industriellen Verbund, hier Gaskammer, da Körperwärme, da Freisetzung des Giftgases durch sogar die Körperwärme der toten und der Kandidaten, und dann gleich Krematorium und Gaskammer, das ging Hand in Hand - leider.

    Armbrüster: Gibt es denn irgendwelche Anzeichen dafür, dass in dem Unternehmen während des Dritten Reiches auch mal Kritik geäußert wurde an diesen Geschäften mit den Konzentrationslagern?

    Topf: Das glaube ich nicht. Ich weiß nur von einem Papier, das wir auch sehr spät gefunden haben - das war vergraben -, das ist ein mit Schreibmaschine geschriebenes Blatt und da schreibt - es ist nicht gezeichnet und hat kein Datum, aber ganz sicher, weil es bei diesen Dingen war - der eine der beiden Inhaber, der Ludwig Topf, der sich dann 1945 auch umbrachte, konsequenterweise, der hat gesagt, Deutschland hat Auf und Ab erlebt in seiner Geschichte, aber jetzt haben wir seit fünf Jahren die braune Klicke an der Macht und wir brauchen nicht einen solchen und einen solchen, er nennt auch Namen. Das war für uns alle erstaunlich, aber das war zwischen tausend anderen Blättern, Bilanzen, Abrechnungen und Erbschaftsgeschichten. Die Stadt Erfurt wollte dieses Erbe ja zunächst nicht einmal antreten, weil sie glaubten, sie müssten irgendwo dann Steuern bezahlen, also gleich nach 1945, und einer der Prokuristen hat ja auch noch ziemlich lange dafür arbeiten dürfen, der alles wusste, der Herr Machemehl. Der hat aber erst noch um diese mögliche Vererbung der Sachen an die Stadt nachgedacht. Und ich bin erst darüber gestolpert, als es angeheiratete oder entfernte Verwandte, Nachkommen der anderen Linie gab, die glaubten, hier sei noch etwas zu erben, und dagegen habe ich mich öffentlich empört 1994 und das hat die Sache in Erfurt eigentlich losgetreten.

    Armbrüster: Wenn wir noch mal weiter zurückgehen, was ist unmittelbar nach dem Krieg aus diesem Unternehmen Topf & Söhne geworden?

    Topf: Die Krematoriumsabteilung ist verlagert worden, die kam dann innerhalb des Kombinatsnetzwerks nach Zwickau. Die haben sogar noch geworben mit der bewährten Topf-Technologie, was ja für zivile Krematorien durchaus stimmte. Und ansonsten haben sie große Mälzereianlagen gebaut, haben Reparaturarbeiten gemacht, haben überlebt und wurden volkseigener Betrieb. Eine Zeit lang hießen sie Nikos Belojannis nach einem griechischen kommunistischen Widerstandskämpfer und dann einfach Erfurter Mälzerei- und Speicherbau. Das war der Name, den sie bis zur Wende hatten und auch danach, und nach der Wende ging es dann aber durch falsche Produkte einfach steil bergab. Es war eine verkommene Industriebrache und als wir anfingen, in Erfurt darüber nachzudenken, was machen wir damit, erinnern wir an diesen authentischen Ort der Verstrickung normaler deutscher Bürger, die Ingenieure waren, Kaufleute, Buchhalter, was man will, da ist das dann runtergegangen und in den 90er-Jahren, Mitte der 90er, war auch dann Schluss mit diesem VEB und der Nachfolge. Es war noch Geld reingesteckt worden, vergeblich, und von ein paar hundert Beschäftigten waren vielleicht noch 30 oder 60 da. Das ging also dann einfach Schluss aus und die Stadt wollte sich auch erst gar nicht kümmern mit der Ausrede, na das ist ja Privatbesitz, da können wir ja nichts machen. Unser kleiner Förderkreis, der damals entstand und sich schön entwickelte bis hin zur ernsthaften Forschung nun, der hat beharrlich darauf bestanden, das muss passieren, es muss an diesen Ort erinnert werden, es war schließlich der Hoflieferant. Es gab hier in Berlin noch eine kleine andere Firma, Kori, die haben, aus der Abfallverwertung, Abfallverbrennung kommend, auch für KZs gebaut, Krematorien gebaut, aber die haben so nicht aufgearbeitet, da hat auch niemand in die Akten geguckt, während die Topf-Geschichte ja auch zum Skandal wurde, weil der zweite Inhaber ja nach Westdeutschland ging und die Firma da noch mal aufgerichtet hat, mit wenig Erfolg zwar, aber da wurde eben ein scheußliches Patent noch mal öffentlich gemacht, das sie den Nazis angedient hatten zur kontinuierlichen Leichenverbrennung. Das ist nie gebaut worden, aber das war eine idiotische Geschichte, so hoch wie ein Wohnhaus. Dort sollten die Leichen durch schräge Rutschen abwärts und mit wenig Energie. Das hat so ein Ingenieur tatsächlich noch mal zum Bundespatent anmelden wollen, dann natürlich für Kadaver und Schlachtvieh-Abfälle und so was, aber trotz allem. Das Ding war bekannt und da ging auch ein Aufschrei los. Und dann, als Anfang der 1990er-Jahre Jean-Claude Pressac sein Buch veröffentlichte - das war ein Revisionist, der durch Einsicht in die Dinge seine Meinung völlig geändert hat -, der war erst ein Auschwitz-Leugner, der hat dann geschrieben "Les Crématoires d'Auschwitz", die Krematorien von Auschwitz, das ist in Deutschland erschienen, dann schrieben die Zeitungen darüber. Also man wusste, Öffentlichkeit konnte wissen, aber es gab eben viele Leute, die von all den Dingen nichts wissen wollten. Das war ja leider in Deutschland lange, lange so.

    Armbrüster: Und in Erfurt wird nun heute der Erinnerungsort Topf & Söhne nach jahrelanger Vorbereitungszeit eröffnet, eine Dauerausstellung über genau jenes Unternehmen, das im Dritten Reich die Verbrennungsöfen für zahlreiche Konzentrationslager konzipiert und hergestellt hat. Wir sprachen darüber mit Hartmut Topf, dem Urenkel des Firmengründers. Vielen Dank für das Interview, Herr Topf, und einen schönen Tag noch.

    Topf: Gerne, ja. Danke.
    Die Erinnerungsstätte "Die Ofenbauer von Auschwitz" im ehemaligen Firmengebäude von Topf & Söhne in Erfurt
    Die Erinnerungsstätte "Die Ofenbauer von Auschwitz" im ehemaligen Firmengebäude von Topf & Söhne in Erfurt (dapd)