Dirk-Oliver Heckmann: Der Protest gegen Stuttgart 21, er hat neben dem Atomunglück von Fukushima maßgeblich zu dem historischen Wahlsieg der Grünen im Südwesten beigetragen. Doch jetzt könnte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann und seiner grün-roten Landesregierung das Thema auf die Füße fallen, denn Bahnchef Grube hatte angekündigt, von heute an die Bauarbeiten wieder aufzunehmen und Aufträge zu vergeben, weil ansonsten Schäden in dreistelliger Millionenhöhe drohten. Jetzt bot er an, den Baustopp ein letztes Mal bis Mitte Juli zu verlängern, aber er stellt Bedingungen. Wie man darauf reagieren soll, darüber haben am Abend die Spitzen der grün-roten Koalition beraten. Mit dabei Winfried Hermann von Bündnis 90/Die Grünen, Minister für Verkehr und Infrastruktur in Baden-Württemberg. Schönen guten Morgen, Herr Hermann.
Winfried Hermann: Guten Morgen, Herr Heckmann.
Heckmann: Herr Hermann, zu den Bedingungen zählt, dass der gerade laufende sogenannte Stresstest beschleunigt wird. Die Ergebnisse sollen noch vor dem 15. Juli präsentiert werden. Und die Stadt Stuttgart solle auf Schadenersatzforderungen in Höhe von 33 Millionen Euro verzichten. Ist das also ein Angebot?
Hermann: Also natürlich haben wir erst mal erfreut zur Kenntnis genommen, dass sich die Bahn bemüht, ein Angebot zu machen. Allerdings waren wir dann doch etwas überrascht, wie die Bahn rechnet, zu welchen Fristen sie kommt. Sie deutet darauf hin, dass solche Verzögerungen um vier Wochen insgesamt eine Bauverzögerung von einem Jahr ausmachen würde und dass dies dann in der Summe etwa etwas über 56 Millionen Kosten verursachen würde, und Ähnliches. Damit will ich nur sagen, dass wir das Angebot sorgfältig prüfen werden, aber wir haben wie schon in der letzten Woche erhebliche Zweifel, wir haben Fragen, wie die Bahn rechnet. Es ist zum Teil nicht nachvollziehbar. Stellen Sie sich einfach mal vor: Die Bahn hat jetzt von sich aus ja sich auf das Schlichtungsverfahren eingelassen, sie hat bis zur Wahl sich zurückgehalten beim Bauen, man könnte auch sagen, sie hat für den ehemaligen Ministerpräsidenten Mappus den Bau unterbrochen, und das war kostenlos, und jetzt ist es doch erstaunlich, dass jetzt ein Monat nicht-weiter-bauen über 50 Millionen kostet, und wenn man noch etwas länger zuwartet, wie etwa bis zum Volksentscheid, dann soll das über 400 Millionen kosten. Das ist nicht sehr nachvollziehbar und deswegen pochen wir darauf, dass die Bahn jetzt das irgendwie plausibilisiert.
Heckmann: Würde Ihnen persönlich denn ein Baustopp bis zum 15. Juli reichen, oder plädieren Sie dafür, fordern Sie, dass ein Baustopp dann bis zur Volksabstimmung im Oktober durchgezogen wird?
Hermann: Wir haben uns ja im Koalitionsvertrag verständigt, dass wir der Bahn sagen, dass wir erwarten, dass sie keine Maßnahmen ergreift, die einem Volksentscheid zuwiderläuft oder ihn sozusagen verunmöglicht, indem sie Tatsachen durch Baumaßnahmen schafft, die nicht reversibel sind. Und wir haben auch deutlich signalisiert, dass das natürlich immer ein hohes Risiko ist weiterzubauen, wenn man weiß, dass es einen Volksentscheid gibt und der womöglich auch so ausfällt, wie sich die Bahn das vielleicht gar nicht wünscht.
Heckmann: Aber Fakt ist auch, Herr Hermann, dass die Landesregierung einen Vertrag unterzeichnet hat, an den auch Sie gebunden sind. Verkehrsminister Ramsauer, der hat im aktuellen Spiegel jetzt mit Blick auf Kretschmann gesagt, als grüner Spitzenkandidat könne man ja gern gegen Stuttgart 21 demonstrieren, als grüner Ministerpräsident aber muss man sich an Verträge halten.
Hermann: Ja, wir wollen ja auch als neue Landesregierung nicht Verträge brechen, sondern natürlich pochen wir auch auf Verträge, und zu diesen Verträgen und zu diesen Vereinbarungen gehört es ja auch zum Beispiel, dass man einen Lenkungskreis hat, der dieses Bauprojekt begleiten wird und muss, und das hat er auch in der vergangenen Zeit gemacht. Allerdings haben wir jetzt bei der Sichtung der Unterlagen, die wir jetzt erst zugänglich haben, feststellen müssen, dass die Bahn die Projektpartner, also sowohl das Land als auch die Stadt als auch die Region, in der Vergangenheit nicht wirklich gut informiert hat. Wir wissen bis zum heutigen Tage nicht durch Nachrichten, die wir seitens der Bahn bekommen haben, wie die Bauentwicklung ist, wie die Baukostenrisikoentwicklung ist, wie überhaupt Risiken beim Bauen zu beurteilen sind. Da haben die meisten Projektpartner die besten Informationen aus den Medien, zum Beispiel aus dem Stern, und das ist auch nicht so wie vereinbart. Deswegen haben wir auch im letzten Lenkungskreis vereinbart, dass die Bahn uns ein Verfahren vorlegt, wie sie sich eine ordentliche Information der Projektträger vorstellt, und wir haben angemahnt, dass endlich mal auch dargelegt wird, wie ist der Baufortschritt, wo klemmt es, wo fehlt eigentlich Baurecht, denn man tut so, als hätte man überall Baurecht und könnte gleich loslegen, aber es sind zahlreiche Änderungen vorgenommen und es bedarf auch dafür einer Genehmigung. Sie sehen also: Es gibt eine Menge Fragen zu klären und wir sind einfach nicht zufrieden mit dem, wie die Bahn die Projektpartner informiert.
Heckmann: Wenn die Bedingungen nicht erfüllt werden, die Bahnchef Grube genannt hat, dann kann es sein, dass die Bau- und Vertragsvergabe heute wieder aufgenommen werden. Das hat Herr Grube angekündigt. Und das wiederum ruft die Gegner von Stuttgart 21 auf den Plan, die massiven Protest angekündigt haben. Wird die grün-rote Landesregierung im Notfall auch gewaltsam gegen Demonstranten vorgehen, wie die Vorgängerregierung Mappus, und was hätte das für politische Folgen?
Hermann: Zunächst muss man sagen, wir hoffen doch sehr, dass der Bahnvorstand weiß, was er tut, und dass es natürlich von den Gegnern als große Provokation empfunden würde, wenn jetzt einfach weitergebaut würde, ohne den Stresstest abzuwarten, obwohl man doch eigentlich signalisiert hat, der Stresstest ist wichtig, wir prüfen und erst, wenn wir wissen, was da herauskommt, können wir wirklich entscheiden, wie es weitergeht und wie die Kosten sind. Insofern werden wir sicherlich alles tun, dass es so weit nicht kommt. Ansonsten kann ich nur sagen, wir werden seitens der Landesregierung das unsere dazu tun, dass diese Proteste, die sicherlich nachvollziehbar sind, aber die halt sich im Rahmen der Gesetze halten müssen, und wir werden auch unsere Freundinnen und Freunde, die uns ja auch unterstützt haben, dazu aufrufen, dass das alles gewaltfrei geschieht, dass das wirklich im Rahmen der Gesetze geschieht, sodass wir nicht in die Situation kommen, die Sie eben beschrieben haben.
Heckmann: Und wenn nicht?
Hermann: Wir werden natürlich als Landesregierung selbstverständlich uns an Recht und Gesetz halten. Wir sind ja auch dem Recht und dem Gesetz verpflichtet und haben darauf einen Eid geschworen, und deswegen wird natürlich auch die Polizei zum Einsatz kommen, wenn Rechte verletzt werden, oder wenn gewaltsam protestiert wird. Das ist überhaupt gar keine Frage. Aber wie gesagt, wir werden alles tun, dass es so weit nicht kommt, und die Besonderheit des Stuttgarter Protestes gegen diesen Bahnhof ist ja, dass es nicht nur sehr viele Menschen sind, sehr unterschiedliche Menschen sind, dieser Protest ist kreativ und er hat sich immer an die Regeln gehalten der Demokratie, es ist ein sehr ziviler Protest und das werden wir befördern und wir werden versuchen, alle anderen Formen des unlegitimen und auch des gewaltsamen Protestes zu unterbinden.
Heckmann: Der Minister für Verkehr und Infrastruktur in Baden-Württemberg, Winfried Hermann von Bündnis 90/Die Grünen. Herr Hermann, danke Ihnen für das Gespräch und einen schönen Tag noch!
Hermann: Ich bedanke mich auch. Schönen Tag!
Zum Thema auf dradio.de:
Kein schlichtes Ende für "Stuttgart 21" - Nach dem Schlichterspruch beharren die Parteien auf ihren ursprünglichen Positionen
Geißler für "Stuttgart 21 plus" - Schlichter spricht sich für Weiterbau des Bahnhofsprojekts in Stuttgart aus
Winfried Hermann: Guten Morgen, Herr Heckmann.
Heckmann: Herr Hermann, zu den Bedingungen zählt, dass der gerade laufende sogenannte Stresstest beschleunigt wird. Die Ergebnisse sollen noch vor dem 15. Juli präsentiert werden. Und die Stadt Stuttgart solle auf Schadenersatzforderungen in Höhe von 33 Millionen Euro verzichten. Ist das also ein Angebot?
Hermann: Also natürlich haben wir erst mal erfreut zur Kenntnis genommen, dass sich die Bahn bemüht, ein Angebot zu machen. Allerdings waren wir dann doch etwas überrascht, wie die Bahn rechnet, zu welchen Fristen sie kommt. Sie deutet darauf hin, dass solche Verzögerungen um vier Wochen insgesamt eine Bauverzögerung von einem Jahr ausmachen würde und dass dies dann in der Summe etwa etwas über 56 Millionen Kosten verursachen würde, und Ähnliches. Damit will ich nur sagen, dass wir das Angebot sorgfältig prüfen werden, aber wir haben wie schon in der letzten Woche erhebliche Zweifel, wir haben Fragen, wie die Bahn rechnet. Es ist zum Teil nicht nachvollziehbar. Stellen Sie sich einfach mal vor: Die Bahn hat jetzt von sich aus ja sich auf das Schlichtungsverfahren eingelassen, sie hat bis zur Wahl sich zurückgehalten beim Bauen, man könnte auch sagen, sie hat für den ehemaligen Ministerpräsidenten Mappus den Bau unterbrochen, und das war kostenlos, und jetzt ist es doch erstaunlich, dass jetzt ein Monat nicht-weiter-bauen über 50 Millionen kostet, und wenn man noch etwas länger zuwartet, wie etwa bis zum Volksentscheid, dann soll das über 400 Millionen kosten. Das ist nicht sehr nachvollziehbar und deswegen pochen wir darauf, dass die Bahn jetzt das irgendwie plausibilisiert.
Heckmann: Würde Ihnen persönlich denn ein Baustopp bis zum 15. Juli reichen, oder plädieren Sie dafür, fordern Sie, dass ein Baustopp dann bis zur Volksabstimmung im Oktober durchgezogen wird?
Hermann: Wir haben uns ja im Koalitionsvertrag verständigt, dass wir der Bahn sagen, dass wir erwarten, dass sie keine Maßnahmen ergreift, die einem Volksentscheid zuwiderläuft oder ihn sozusagen verunmöglicht, indem sie Tatsachen durch Baumaßnahmen schafft, die nicht reversibel sind. Und wir haben auch deutlich signalisiert, dass das natürlich immer ein hohes Risiko ist weiterzubauen, wenn man weiß, dass es einen Volksentscheid gibt und der womöglich auch so ausfällt, wie sich die Bahn das vielleicht gar nicht wünscht.
Heckmann: Aber Fakt ist auch, Herr Hermann, dass die Landesregierung einen Vertrag unterzeichnet hat, an den auch Sie gebunden sind. Verkehrsminister Ramsauer, der hat im aktuellen Spiegel jetzt mit Blick auf Kretschmann gesagt, als grüner Spitzenkandidat könne man ja gern gegen Stuttgart 21 demonstrieren, als grüner Ministerpräsident aber muss man sich an Verträge halten.
Hermann: Ja, wir wollen ja auch als neue Landesregierung nicht Verträge brechen, sondern natürlich pochen wir auch auf Verträge, und zu diesen Verträgen und zu diesen Vereinbarungen gehört es ja auch zum Beispiel, dass man einen Lenkungskreis hat, der dieses Bauprojekt begleiten wird und muss, und das hat er auch in der vergangenen Zeit gemacht. Allerdings haben wir jetzt bei der Sichtung der Unterlagen, die wir jetzt erst zugänglich haben, feststellen müssen, dass die Bahn die Projektpartner, also sowohl das Land als auch die Stadt als auch die Region, in der Vergangenheit nicht wirklich gut informiert hat. Wir wissen bis zum heutigen Tage nicht durch Nachrichten, die wir seitens der Bahn bekommen haben, wie die Bauentwicklung ist, wie die Baukostenrisikoentwicklung ist, wie überhaupt Risiken beim Bauen zu beurteilen sind. Da haben die meisten Projektpartner die besten Informationen aus den Medien, zum Beispiel aus dem Stern, und das ist auch nicht so wie vereinbart. Deswegen haben wir auch im letzten Lenkungskreis vereinbart, dass die Bahn uns ein Verfahren vorlegt, wie sie sich eine ordentliche Information der Projektträger vorstellt, und wir haben angemahnt, dass endlich mal auch dargelegt wird, wie ist der Baufortschritt, wo klemmt es, wo fehlt eigentlich Baurecht, denn man tut so, als hätte man überall Baurecht und könnte gleich loslegen, aber es sind zahlreiche Änderungen vorgenommen und es bedarf auch dafür einer Genehmigung. Sie sehen also: Es gibt eine Menge Fragen zu klären und wir sind einfach nicht zufrieden mit dem, wie die Bahn die Projektpartner informiert.
Heckmann: Wenn die Bedingungen nicht erfüllt werden, die Bahnchef Grube genannt hat, dann kann es sein, dass die Bau- und Vertragsvergabe heute wieder aufgenommen werden. Das hat Herr Grube angekündigt. Und das wiederum ruft die Gegner von Stuttgart 21 auf den Plan, die massiven Protest angekündigt haben. Wird die grün-rote Landesregierung im Notfall auch gewaltsam gegen Demonstranten vorgehen, wie die Vorgängerregierung Mappus, und was hätte das für politische Folgen?
Hermann: Zunächst muss man sagen, wir hoffen doch sehr, dass der Bahnvorstand weiß, was er tut, und dass es natürlich von den Gegnern als große Provokation empfunden würde, wenn jetzt einfach weitergebaut würde, ohne den Stresstest abzuwarten, obwohl man doch eigentlich signalisiert hat, der Stresstest ist wichtig, wir prüfen und erst, wenn wir wissen, was da herauskommt, können wir wirklich entscheiden, wie es weitergeht und wie die Kosten sind. Insofern werden wir sicherlich alles tun, dass es so weit nicht kommt. Ansonsten kann ich nur sagen, wir werden seitens der Landesregierung das unsere dazu tun, dass diese Proteste, die sicherlich nachvollziehbar sind, aber die halt sich im Rahmen der Gesetze halten müssen, und wir werden auch unsere Freundinnen und Freunde, die uns ja auch unterstützt haben, dazu aufrufen, dass das alles gewaltfrei geschieht, dass das wirklich im Rahmen der Gesetze geschieht, sodass wir nicht in die Situation kommen, die Sie eben beschrieben haben.
Heckmann: Und wenn nicht?
Hermann: Wir werden natürlich als Landesregierung selbstverständlich uns an Recht und Gesetz halten. Wir sind ja auch dem Recht und dem Gesetz verpflichtet und haben darauf einen Eid geschworen, und deswegen wird natürlich auch die Polizei zum Einsatz kommen, wenn Rechte verletzt werden, oder wenn gewaltsam protestiert wird. Das ist überhaupt gar keine Frage. Aber wie gesagt, wir werden alles tun, dass es so weit nicht kommt, und die Besonderheit des Stuttgarter Protestes gegen diesen Bahnhof ist ja, dass es nicht nur sehr viele Menschen sind, sehr unterschiedliche Menschen sind, dieser Protest ist kreativ und er hat sich immer an die Regeln gehalten der Demokratie, es ist ein sehr ziviler Protest und das werden wir befördern und wir werden versuchen, alle anderen Formen des unlegitimen und auch des gewaltsamen Protestes zu unterbinden.
Heckmann: Der Minister für Verkehr und Infrastruktur in Baden-Württemberg, Winfried Hermann von Bündnis 90/Die Grünen. Herr Hermann, danke Ihnen für das Gespräch und einen schönen Tag noch!
Hermann: Ich bedanke mich auch. Schönen Tag!
Zum Thema auf dradio.de:
Kein schlichtes Ende für "Stuttgart 21" - Nach dem Schlichterspruch beharren die Parteien auf ihren ursprünglichen Positionen
Geißler für "Stuttgart 21 plus" - Schlichter spricht sich für Weiterbau des Bahnhofsprojekts in Stuttgart aus