Archiv


"Wir haben keine gute Erfahrung gemacht mit der Großen Koalition"

Die SPD wolle nicht in eine Regierung flüchten, sagt Ralf Stegner im Hinblick auf eine Große Koalition. Es ginge um die Glaubwürdigkeit der SPD und um die Inhalte, für die man im Wahlkampf gestritten habe, unterstreicht der SPD-Chef in Schleswig-Holstein, der auch Mitglied im Parteivorstand ist.

Ralf Stegner im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Die SPD bleibt niedergeschlagen. Ganze 25 Prozent, das zweitschlechteste Ergebnis seit 1949. Ein Kandidat, der nicht angekommen ist beim Wähler, Peer Steinbrück. Kein Glücksbringer für die Sozialdemokraten. Wer zieht jetzt den Karren aus dem Dreck? – Am Telefon ist nun SPD-Vorstandsmitglied und Partei- und Fraktionschef in Schleswig-Holstein, Ralf Stegner. Guten Morgen!

    Ralf Stegner: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Stegner, wie frustrierend ist das Ganze?

    Stegner: Ach, schon ziemlich. 25,7 Prozent, das ist ein sehr schlechtes Ergebnis. Wir hatten uns deutlich mehr erhofft und da muss man seine Enttäuschung, glaube ich, hier nicht wegreden. Das ist schon so. Wir hatten gedacht, wir kriegen das hin. Wir haben für einen Politikwechsel gekämpft und Frau Merkel hat buchstäblich alle anderen überrannt. Das muss man einfach so sagen. Dabei ist die FDP komplett auf der Strecke geblieben, aber wir haben auch nicht gut abgeschnitten, und das muss man auch nicht beschönigen.

    Müller: Was ist denn da schief gelaufen?

    Stegner: Es ist natürlich relativ schwierig, kurz nach so einer Wahl schon die Analysen fertig zu haben. Dass in der Kampagne nicht alles optimal lief, insbesondere am Anfang, das ist schon so. Aber ich glaube, es ist einfach so:

    Frau Merkel ist es letztlich gelungen, dann doch dem Land irgendwie weiß zu machen, da ginge es gar nicht um Schwarz-Gelb gegen Rot-Grün, sondern als wenn da sozusagen eine Bundespräsidentin im Amt der Bundeskanzlerin sei, die die Zustimmung von allen kriegen kann, und das ist ihr gelungen mit den hohen Sympathiewerten, mit der Kampagne, die die Union gemacht hat. Das muss man neidlos anerkennen. Das haben die erfolgreich betrieben und da sind wir nicht gegen angekommen, auch wenn wir uns verbessert haben. Und auch wenn man wirklich sagen muss, woran es nun nicht gelegen hat, war unser Programm.

    Wir haben, glaube ich, ein sehr gutes Regierungsprogramm gehabt. Der Kanzlerkandidat Peer Steinbrück ist geschlossen von der Partei unterstützt worden, in einer Geschlossenheit, wie ich sie seit 20 Jahren nicht mehr erlebt habe. Das war es, glaube ich, nicht, und deswegen ist es auch klug, wenn wir uns dieses Wahlergebnis jetzt sehr sorgfältig analysieren und gucken, wie wir das hinkriegen.

    Müller: Aber, Herr Stegner, wenn ich Sie unterbrechen darf? Sie sagen das jetzt so. Ich habe das gestern oder wir haben das gestern auch von Peer Steinbrück gehört, wir haben es auch von Sigmar Gabriel gehört: Wir haben einen tollen Wahlkampf gemacht, wir haben gerade einen Endspurt in den vergangenen Wochen noch auf die Reihe gebracht und wir haben ein gutes Programm, ein tolles Programm. Das haben wir jedenfalls gehört. So gut ist es ja zumindest nicht angekommen. Nur Angela Merkel kann doch nicht der Grund sein?

    Stegner: Nein. Ich glaube auch, dass natürlich ein Problem ist, dass wir eine Zersplitterung haben auf der linken. Ich glaube, dass eine Mehrheit links von der Union immer noch zu mobilisieren ist. Ich glaube, es wird der letzte Wahlkampf gewesen sein, wo wir sagen, mit denen oder jenen nicht, außer mit rechten. Das geht natürlich nicht. Aber alles andere wird in Zukunft möglich sein müssen. Sie sehen aber natürlich, bei allem Triumph, den Frau Merkel jetzt eingefahren hat:

    Die Probleme auf der politischen rechten fangen allmählich auch an, sich bemerkbar zu machen. Auch da gibt es Zersplitterung mit der AfD, die fast reingekommen wäre. Übrigens hängt das auch damit zusammen, dass über die Europainhalte nicht vernünftig geredet worden ist. Frau Merkel ist im Triumph, aber Triumphe haben immer auch Nebenwirkungen, nämlich von dort an geht’s bergab. Das wird auch so sein und insofern: Wir können nicht zufrieden sein, aber wir sollten auch nie falsche Schlussfolgerungen ziehen, und die falschen Schlussfolgerungen ziehen hieße zum Beispiel, dass wir von unserem guten Programm wieder weggehen. Das ist schon dazu geeignet, glaube ich, eine Mehrheit zu gewinnen. In dieser Kampagne ist uns das leider nicht gelungen.

    Müller: Ist das gut, wenn Peer Steinbrück sich jetzt zurückzieht?

    Stegner: Peer Steinbrück hat ja klar gesagt, dass er nur zur Verfügung steht als Kanzler einer rot-grünen Koalition. Ein Mann, ein Wort, und was vor der Wahl gesagt worden ist, muss auch danach gelten. Das gilt ja auch dafür, dass wir gesagt haben, wir machen nicht Rot-Rot-Grün nach der Wahl. Das gilt für dieses Mal auch: vor der Wahl gesagt, nach der Wahl getan. Allerdings sage ich noch mal: Das wird das letzte Mal gewesen sein. Ich glaube, wir werden uns da anders orientieren müssen.

    Müller: Das haben Sie gerade gesagt, das war ein interessanter Punkt. Sie haben gesagt, in Zukunft wird das nicht mehr gehen. Das heißt, jetzt fängt immer noch nicht die Zukunft an?

    Stegner: Doch, die Zukunft fängt schon an. Aber man kann nicht direkt nach der Wahl das Gegenteil dessen tun, was man vorher klar gesagt hat. Das würde unsere Glaubwürdigkeit sehr erschüttern. Aber ich glaube, auf Sicht gesehen werden wir uns mit der Lage beschäftigen müssen. Im Osten ist es anders als im Westen.

    Im Osten ist die Linkspartei eine ganz normale Partei, im Westen ist sie das nicht. Da muss man versuchen, sich die Mitglieder und die Wähler der Linkspartei deutlich schärfer in den Fokus zu nehmen und zu versuchen, dass wir da mehr erreichen, als uns das bisher gelungen ist.

    Müller: Über Peer Steinbrück haben wir kurz geredet. Sigmar Gabriel, ein Parteichef, der dieses desolate Ergebnis mit zu verantworten hat. Soll er weitermachen?

    Stegner: Sigmar Gabriel hat vor allen Dingen Verdienst dafür, dass die Partei sich erholt hatte nach 2009, dass wir so ein gutes Regierungsprogramm haben, dass innerparteiliche Demokratie zugenommen hat, dass die SPD wieder selbstbewusster geworden ist, und es gibt überhaupt niemanden, der ihn da infrage stellt. Im Übrigen gewinnt man gemeinsam und man verliert auch gemeinsam. Natürlich sind wir enttäuscht, aber am Parteivorsitzenden hat es nun wirklich nicht gelegen, und ich rate uns dringend ab, solche Debatten miteinander zu führen. Aber ich sage halt auch:

    Die SPD wollte einen Politikwechsel und deswegen können wir jetzt auch nicht darüber reden zu sagen, dass wir nun möglichst schnell irgendwie in eine Regierung gehen. Ohne Politikwechsel kann es keine Regierungsbeteiligung der SPD geben und deswegen sind all die Schlussfolgerungen, jetzt käme da eine Große Koalition, weitaus übereilt.

    Müller: Aber ist das nicht absurd, Ralf Stegner? Wenn Sie jetzt eine Große Koalition nicht ausschließen und sagen, das darf nicht so schnell gehen, heißt das, wir lassen uns jetzt eine Schamfrist einräumen, ein paar Wochen Zeit, damit das nicht so schnell aussieht, dass wir einknicken?

    Stegner: Nein, nein, darum geht es nicht. Es geht um eine selbstbewusste SPD. Wir haben für einen Politikwechsel geworben, für ganz andere Verhältnisse bei Arbeit, flächendeckende Mindestlöhne, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, wir haben dafür geworben, dass wir mehr Steuern brauchen für gerechte Bildung, wir haben komplett andere Konzepte als Schwarz-Gelb und wir verschwinden jetzt nicht eben mal in die Regierung und verabschieden uns von unseren Inhalten. Das würden uns nicht nur unsere Mitglieder, sondern auch unsere Wähler übel nehmen.

    Von Schamfrist kann keine Rede sein. Die Hürde für eine Regierungsbeteiligung der SPD wäre extrem hoch und im Übrigen muss Frau Merkel jetzt sehen – sie hat ja so toll abgeschnitten -, wie sie sich ihre Mehrheit besorgt im Deutschen Bundestag. Da gibt es ja außer uns auch noch die Grünen. Also da gibt es überhaupt keinen Grund, dass wir jetzt hier so tun, als ob das, was wir unseren Wählern versprochen haben, heute nichts mehr wert ist.

    Müller: Jetzt tun Sie ja dennoch so, als sei das eine Riesenstrafe, in eine Große Koalition zu gehen, und auf der anderen Seite suggerieren Sie, dass die SPD sich durchsetzen wird in diesen möglichen Koalitionsverhandlungen. Angela Merkel hat es doch nach dem Ergebnis gar nicht nötig, große Zugeständnisse zu machen, geschweige denn Politikwechsel.

    Stegner: Was Frau Merkel nötig hat oder nicht, das werden wir sehen. Wir haben doch keine Monarchie, sie muss sich ihre Mehrheit im Parlament besorgen und ich habe überhaupt nicht gesagt, was dabei am Ende herauskommt. Ich habe nur gesagt, wir haben für Politikwechsel gestritten und das ist unsere Glaubwürdigkeit, die daran hängt, dass es um die Inhalte geht und nicht darum, ob man ein paar Regierungsposten bekommt oder nicht.

    Wir haben keine gute Erfahrung gemacht mit der Großer Koalition. Vor allen Dingen sage ich aber auch: Eine SPD gibt es nur selbstbewusst. Wir wollen nicht irgendwie in eine Regierung flüchten. Wir haben wirklich was zu verlieren. Wir haben ja mühsam uns hochgerappelt von 2009 und wenn wir uns verabschieden von dem, worauf viele Menschen setzen, auf eine gerechte Rente, auf bezahlbare Mieten, auf ordentliche Löhne, von denen man leben kann, auf, sagen wir, ein Bildungssystem, das gleiche Chancen vermittelt, wenn wir das alles nicht machen würden, nur um Regierungssitze zu bekommen, dann können wir doch einpacken. Und ich stehe dafür, dass die SPD eine linke Volkspartei ist, die Alternative ist zur Union und nicht irgendwie braver Juniorpartner. So was können wir uns überhaupt nicht wünschen, das will in der SPD niemand.

    Müller: Wer muss denn, Ralf Stegner, aus den Ländern jetzt dazu kommen, mehr Verantwortung übernehmen, klar signalisieren, jetzt komme ich in den nächsten Jahren?

    Stegner: Ich glaube, auch da sind wir klug beraten, bei den Inhalten anzufangen und die Mitglieder mitzunehmen und jetzt nicht schon wieder die Posten zu verteilen. Wer das mit der Frage diskutiert, was wird eigentlich aus mir, der hat, glaube ich, die falsche Priorität. Wir haben gestern ein schlechtes Wahlergebnis erzielt und das müssen wir analysieren, warum das so ist, wie wir mit unseren Inhalten besser rüberkommen und wie wir dann auch bessere Ergebnisse erzielen können. In den Ländern ist das ja gelungen.

    Es ist ein schwacher Trost, dass Schwarz-Gelb nicht mehr zustande gekommen ist. Das war ja eines unserer Ziele. Aber zu sagen, jetzt melden wir mal an, wer welche Positionen einnehmen will, das finde ich den fünften Schritt vor dem Ersten getan.

    Müller: Sie sind ja ein Parteilinker, Ralf Stegner. Das sagen Sie ja auch offen. Ich muss das vielleicht auch für unsere Nachrichten am Ende noch mal festhalten. Auch Ralf Stegner schließt Rot-Rot-Grün aus?

    Stegner: Wir haben vor der Wahl gesagt, dass wir das nicht tun. Dann können wir nach der Wahl nicht das Gegenteil tun. Ich sage aber noch mal: Es wird das letzte Mal gewesen sein. Wir wollen, dass sich andere Parteien an uns orientieren und nicht wir an anderen Parteien. Ich bin für eine selbstbewusste SPD mit guten Inhalten und hoffentlich bald wieder auch besseren Ergebnissen.

    Müller: Danke nach Berlin! – Ralf Stegner, SPD-Vorstandsmitglied und Partei- und Fraktionschef in Schleswig-Holstein. Auf Wiederhören, schönen Tag.

    Stegner: Auf Wiederhören!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Deutschlandfunkblog zur Bundestagswahl 2013