Archiv


"Wir hätten tatsächlich einen Impfstoff haben können auch ohne solchen Zusatz"

Die Diskussion über die Impfungen gegen die Schweinegrippe läuft, die Verwirrung in Deutschland über unterschiedliche Präperate ist groß. "Man hätte noch umsteuern können", sagt Christian Floto, Leiter der Abteilung Wissenschaft und Bildung im Deutschlandfunk. Dennoch spricht er von einer "klugen Überlegung" hinter der Entscheidung.

Christian Floto im Gespräch mit Bettina Klein |
    Bettina Klein: Die Impfungen gegen die Schweinegrippe laufen in wenigen Tagen an und zu einer bereits identifizierten Impfmüdigkeit hierzulande gesellte sich in den vergangenen Tagen eine gewisse Verunsicherung, angesichts verschiedener Impfstoffe, die einerseits für die breite Bevölkerung, andererseits zum Beispiel für Mitglieder der Bundesregierung gedacht sind. Jenseits der Diskussion um eine sogenannte Zwei-Klassen-Medizin, was ja sehr schnell von Kritikern zurückgewiesen wurde, bleiben einige Fragen offen, die wir jetzt klären wollen im Gespräch mit Christian Floto, Leiter der Abteilung Wissenschaft und Bildung im Deutschlandfunk. Schönen guten Morgen!

    Christian Floto: Guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Lassen Sie uns einige Punkte durchgehen. Was heißt es von der Politik, keine Qualitätsunterschiede bei den beiden Impfstoffen, die jetzt in Rede stehen? Es ist aber ja doch offensichtlich, dass es sich wirklich um unterschiedliche Präparate handelt.

    Floto: Das ist klar, es gibt unterschiedliche Präparate. Es handelt sich da beispielsweise um Ausschnitte von Viren, die dem Organismus angeboten werden, damit er Antikörper dagegen bildet, und es gibt auch einen Impfstoff, der einen abgetöteten kompletten Virus anbietet. Das ist kein neues Prinzip, das gab es schon in den 50er-Jahren, 60er-Jahren, das ist ein altes Prinzip und man weiß, dass das auch funktioniert. Insofern ist es zu erwarten, dass da in der Qualität, im Ergebnis in der Antikörperbildung keine Unterschiede entstehen, aber Qualität ist ja nicht die Diskussion, sondern es ist das Problem, was für unerwünschte Wirkungen damit noch in Verbindung stehen können, durch Zusatzstoffe, nicht durch den Impfstoff selber.

    Klein: War die Entscheidung, jenen Impfstoff, der ja offensichtlich mehr Nebenwirkungen nach sich zieht, für die Allgemeinheit zu bestellen, alternativlos?

    Floto: Wir müssen den Zeitpunkt sehen. Wir betrachten das im Moment ja eher vom Ende her, von der jetzigen Situation. Am Anfang stellte sich die Situation dramatisch dar. Es war ein sehr ernst zu nehmender Erreger, einfach von der Geschichte der Entstehung her, und er konnte damals wirklich eine erhebliche Bedrohung sein. Dass man da sehr schnell reagiert hat und dass man dort auf einen Plan zurückgekommen ist, der eine sehr schnelle Zulassung eines Impfstoffes in Europa auch ermöglicht, das war eine kluge Überlegung. Allerdings hat sich ja dann gezeigt, dass die Erkrankung nicht so schwerwiegend ist, wenn man mal von einigen ganz bestimmten Punkten absieht, dass sie nämlich möglicherweise Schäden in sehr viel tieferen Etagen des Lungengewebes bei einigen machen kann und da große Probleme hervorrufen kann, so dass zum späteren Zeitpunkt diese Entscheidung nicht mehr alternativlos war. Man hätte da noch umsteuern können, denn warum haben wir beispielsweise in den USA einen Impfstoff ohne solche Zusätze.

    Klein: Warum?

    Floto: Weil dort ein Impfstoff mit Zusätzen gar nicht zugelassen ist und insofern sich die Pharmaindustrie gleich darauf einstellen musste, dass sie dorthin gar nicht so etwas liefern kann. Außerdem gab oder gibt es auch dort ein System einer ganz schnellen Zulassung. Eigentlich hatte man gesagt, das dauert ja alles furchtbar lange in den USA; tatsächlich impfen die bereits jetzt. Sie sind schneller fertig geworden und sie haben diese Probleme mit dem Impfstoff nicht. Das heißt, wir müssen in der Nachhut, im Nachhutgefecht jetzt mal gucken: was lernen wir daraus? ... , dass wir zu einem bestimmten Zeitpunkt möglicherweise hätten umsteuern müssen, mit der Pharmaindustrie reden und sagen, das brauchen wir jetzt nicht angesichts der Entwicklung, was wir über die Erkrankung wissen. Wir hätten tatsächlich dann einen Impfstoff haben können auch ohne solchen Zusatz, oder, wie in den USA, der Zusatz wird separat gestellt und kann immer noch eingesetzt werden.

    Klein: Und nun ist das Kind im Brunnen, weil man vertraglich gebunden ist?

    Floto: So scheint es zu sein, ja.

    Klein: Müssen wir es dennoch hinnehmen, dass man sagt, für die breiten Bevölkerungsschichten, die auch weiterhin aufgerufen werden, sich impfen zu lassen, wird eben dieser Wirkstoff verabreicht, von dem man damals dachte, man braucht ihn, um genügend Dosen zu haben für sehr große Teile der Bevölkerung?

    Floto: Richtig. Er wurde gestreckt.

    Klein: Jetzt ist der Impfstoff bestellt. Dennoch muss es jetzt ja nicht so sein, dass man sagt, ihr müsst euch weiter dem beugen und diese Nebenwirkungen in Kauf nehmen, die dadurch entstehen, weil so gefährlich ist das eigentlich gar nicht.

    Floto: Das ist ja jetzt ein Produktionsproblem und Verteilungsproblem. Sie haben jetzt diese Impfdosen in dieser Kombination nun einmal beisammen. Das sieht so aus, dass sie auf der einen Seite die Impfdosen haben, die weniger Antigen-Material haben. Das ist deutlich weniger. Da ist das Verhältnis ein zu vier. Aus einem früheren oder normalen Impfstoff kann man heute vier machen, dank dieser Zusätze, und sie müssen diesen Impfstoff jetzt mischen mit diesem Zusatz, und das ist das, was in Deutschland nun überwiegend zur Verfügung steht, und was anderes gibt es nicht.

    Klein: Haben Sie eine Erklärung dafür, weshalb man nicht rechtzeitig umgesteuert hat?

    Floto: Offensichtlich hat man bis zu einem sehr späten Zeitpunkt diese Entwicklung als nicht falsch und auch als so weiter zu verfolgen auch eingeschätzt, so dass wir sagen müssen, es ist so wie es ist und nun müssen wir mal gucken, was wir daraus machen. Auf jeden Fall gibt es natürlich viel Erfahrung jetzt mit solchen Zusatzstoffen: was macht das bei bestimmten Patientengruppen. Wenn Sie so wollen, ist es wie bei der Einführung eines jeglichen neuen Medikamentes. Es kommt jetzt die Phase 4 einer solchen Einführung. Das heißt, breite Anwendung und man guckt, was da passiert. Wenn Sie so wollen, sind wir auch "Versuchstiere" oder Subjekte. Wir sind letztlich Anwendungsbeispiele, die auch weltweit dann natürlich Erkenntnisse mit zeitigen.

    Klein: Und dem müssen wir uns fügen?

    Floto: Sie brauchen sich ja nicht impfen zu lassen. Das ist eine freiwillige Entscheidung.

    Klein: Manche sagen jetzt, Nebenwirkungen müssen wir in Kauf nehmen. Da spricht bei einer normalen Grippeschutz-Impfung auch niemand davon, dass es gewisse Rötungen, Schwellungen, kurzzeitig auch Fieber gibt. Kann man das vergleichen?

    Floto: Nein, das würde ich nicht. Sie müssen ja schon gucken, welche unerwünschten Wirkungen sind dem Impfstoff selber geschuldet und welche sind dort der Beimischung geschuldet. Es gibt eine Musterzulassung, deshalb dieses beschleunigte Verfahren. Man hat also einen solchen, mit Zusätzen versehenen Impfstoff erprobt. Und da muss man fragen: an welchen Gruppen ist das erprobt worden? Sind das besondere Patientengruppen auch gewesen? Das ist ja nicht der Fall, dass man da bei ganz speziell chronisch Erkrankten besonders geschaut hat. Das weiß man nicht. Aber allein bei denen, wo man das schon geschaut hat, gibt es eine ganze Reihe von unerwünschten Wirkungen. Man hat da solche Einteilungen auch nach Häufigkeiten. Sehr häufig sind Kopfschmerzen, Gliederschmerzen, Muskelschmerzen, aber immerhin auch noch häufig, das heißt mehr als einer von 100, ist Schüttelfrost, grippeartige Symptome. Das ist doch überwiegend oder sehr viel stärker noch diesen Zusatzstoffen geschuldet, die ja noch mal einen zweiten Eingriff ins Immunsystem darstellen. Jede Impfung ist ein Eingriff ins Immunsystem und ein solcher Verstärker, der das Immunsystem noch mal kitzeln soll, ist ein weiterer Eingriff, den sie machen.

    Klein: Jetzt gibt es einen Einwand, dass diese besagten Nebenwirkungen bei dem Präparat mit dem Wirkstoffverstärker in der Weise gar nicht erwiesen sind und dass es zu viele selbst erklärte Experten gibt, sage ich mal salopp, die dies behaupten würden. Stimmt das?

    Floto: Das würde ich nicht so sehen. Das Prinzip an sich ist ja überzeugend und wird ja auch schon bei bereits etablierten Impfungen genutzt. Dass man jetzt hier umswitcht und so einen Impfstoff streckt, macht ja auch Sinn im Hinblick auf eine ganz plötzliche Pandemie. Hier war es jetzt nicht angezeigt, so zu verfahren, aus dem Erkenntnisverlauf oder Erkenntnisgewinn, den wir mittlerweile dort haben. Diese selbst erklärten Experten, das ist in der Tat so etwas. Wen hören wir denn jetzt eigentlich als Experten? Wir haben auf der einen Seite die Politiker; die haben Schwierigkeiten im Moment mit Kommunikation und Organisation. Das haben sie auch gehabt. Schon die föderale Situation war ja schwierig. Dann haben wir die Experten, die reden, die ja sehr viel von Grundlagenforschung verstehen, die aus Fächern wie Biologie, Biochemie und dergleichen dort kommen, die aber - und das müssen wir auch lernen zu verstehen - nie einen Patienten gesehen haben, die nicht wissen, wie dieses Generalitäts-, Individualitätsdilemma der Medizin, was passiert beim einzelnen Patienten, überhaupt nicht näher aus eigener Anschauung kennen. Und dann gibt es natürlich Ärztinnen und Ärzte, die wirklich dann im Einzelfall dem Patienten gegenübersitzen, der nun fragt, soll ich mich nun impfen lassen oder nicht.

    Klein: Die Politiker verweisen genau darauf und sagen, fragen sie den Arzt ihres Vertrauens, lassen sie sich beraten, ob für sie eine Schweinegrippe-Impfung angezeigt wäre oder nicht. Was wäre Ihr Rat? Ich gehe zu meinem Arzt, lasse mich beraten und vertraue dann diesem Urteil?

    Floto: Meine Einschätzung ist, dass die Ärztinnen und Ärzte durch die Informationen jetzt innerärztlich ziemlich gut informiert sind, so dass man dort sicherlich sich ganz gezielt auch hinwenden kann. Das Problem ist, dass heute die Allgemeinmedizin darauf setzt, eine gemeinsame Entscheidung mit dem Patienten zu treffen. Man spricht ja da von "Share Decision Making", eine gemeinsame Entscheidung dort zu machen. Das ist nicht leicht, denn letztlich muss der Patient entscheiden. Es gibt die große Gruppe der nicht vorgeschädigten Menschen, die nun sagen müssen, gehen sie dort ein unerwünschtes Wirkungsrisiko mit ein, wollen sie das haben, oder setzen sie darauf, dass es einen relativ leichten Verlauf gibt. Auf jeden Fall würde ich den Rat aber geben: Wenn jemand sich nicht impfen lässt, es auch keine breite Empfehlung dafür gibt, sich impfen zu lassen, dann auf jeden Fall in einem Erkrankungsfall ganz eng ärztlich sich betreuen zu lassen, um rechtzeitig diese Komplikationen im Lungenbereich zu erkennen. Das können dann manchmal Stunden nur sein und da muss ärztlicher Rat sehr, sehr schnell dabei sein.

    Klein: Die Einschätzung unseres Kollegen Christian Floto, Leiter der Abteilung Wissenschaft und Bildung im Deutschlandfunk. Ich bedanke mich für das Gespräch und Ihren Besuch im Studio.