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"Wir müssen die Wertschätzung der Familie fördern"

Albin Nees, Präsident des Deutschen Familienverbandes, hat davor gewarnt, die leichte Zunahme der Geburtenrate überzubewerten. Zwar ermutige das Elterngeld Menschen zum Kinderkriegen, andererseits hätten Familien immer noch eine große Last zu tragen. Der Übergang von der Elternzeit zurück in die Berufstätigkeit sei immer noch mit vielen Nachteilen verbunden, sagte Nees.

Albert Nees im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Heinemann: Iren und Franzosen auf dem Treppchen, Spanier, Italiener und Deutsche halten die rote Laterne. So lässt sich der demographische Medaillenspiegel in der europäischen Gegenwart beschreiben. Die rechnerischen Folgen für kommende Generationen kann man genau beziffern, denn Demographie kennt kaum Überraschungen. Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung hat heute eine Studie zur demographischen Zukunft Europas vorgestellt, einen Tag nach den Meldungen des Statistischen Bundesamtes, das eine leicht höhere Geburtenrate in Deutschland signalisierte.

    Wenn wir aus der europäischen Perspektive am Objektiv drehen und Deutschland jetzt ins Visier nehmen, so ist eine Zahl meldepflichtig. Die Geburtenrate hierzulande steigt. 1,37 Kinder pro Frau hat das Statistische Bundesamt im Jahr 2007 gezählt. 2006 waren es 1,33.

    Wie viel Politik steckt in dieser Momentaufnahme? - Am Telefon ist Albin Nees, der Präsident des Deutschen Familienverbandes. Guten Tag!

    Nees: Guten Tag, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Nees, beflügelt Elterngeld zum Beispiel die Bereitschaft, Kinder zu bekommen?

    Nees: Das ist zu vermuten, und zwar deswegen, weil ja der Anstieg irgendwie erklärt werden muss. Das Elterngeld ist angekündigt worden Mitte 2006 als verlässlich kommende neue familienpolitische Leistung. Deswegen kann man davon ausgehen, dass viele junge Menschen sich entschieden haben, jetzt im Hinblick auf dieses Elterngeld Kinder zu bekommen.

    Heinemann: Dort, wo mehr Mütter arbeiten, gibt es mehr Kinder. Was folgt aus dieser Einsicht, die wir gerade eben gehört haben?

    Nees: Wenn mehr Mütter arbeiten, gibt es dann mehr Kinder, wenn die Verhältnisse im Beruf die Familie berücksichtigen und die Familienpflichten berücksichtigen. Allerdings sehen wir dort noch gewaltige Defizite. Ich meine, wenn jemand bereit ist, Familienpflichten zu übernehmen, dann darf das nirgendwo zu Benachteiligungen im Beruf führen.

    Heinemann: Was heißt das konkret?

    Nees: Das heißt konkret: wenn jemand eine Zeit lang Familienzeit nimmt und beruflich eine Zeit lang aussteigt, dann muss er nach der Elternzeit sehr schnell wieder eingegliedert werden und darf nicht sich irgendwo hinten anstellen müssen, sondern er muss so weitermachen wie jemand, der keine Elternzeit hatte. Also es muss sogar ein Prä ihm gegeben werden, denn er hat ja auch zusätzliche Qualifikationen erlernt.

    Heinemann: Und darum tobt ja in Deutschland quasi ein Kulturkampf, um die Frage: Soll man länger aussetzen für die Familie, oder sollen Frauen möglichst schnell wieder in den Beruf zurückkehren. Welche ist Ihre Position?

    Nees: Meine Position ist, den Eltern das Wahlrecht zu geben. Das Verfassungsrecht sieht vor, dass Eltern selbst entscheiden können, ob sie ihre Kinder persönlich erziehen, oder ob sie für ihre Erziehungspflicht andere in Anspruch nehmen, also zum Beispiel eine Kinderkrippe oder einen Kindergarten. Der Mensch muss frei entscheiden können.

    Heinemann: Besteht dieses Wahlrecht heute?

    Nees: Es besteht in der Theorie, in der Praxis nicht.

    Heinemann: Inwiefern?

    Nees: Weil viele Nachteile entgegennehmen müssen. Wenn sie sich so entschieden haben, dann gibt es eine bestimmte Leistung - zum Beispiel das vorgesehene Elterngeld oder beziehungsweise die staatlichen Leistungen für die Kinderkrippe - wo im Monat ohne weiteres 700 Euro vom Steuerzahler hingelegt werden. Und wenn jemand dieses Kind selber betreut, weil es seinem Wunsch entspricht, weil er meint, es sei für seine Verhältnisse, vor allem für sein Kind das Bessere, dann gibt es noch nicht einmal ein Betreuungsgeld und das, was vorgesehen ist, steht auch nur auf dem Papier für das Jahr 2013.

    Heinemann: Nun argumentiert die Bundesfamilienministerin, die Frage stelle sich nicht, ob Frauen arbeiten werden, sondern die Frage stelle sich, ob sie Kinder bekommen. Und das stützt ja eben das, was wir gehört haben, das eine tun, ohne das andere zu lassen. Ist die richtige Konsequenz nicht eben der Ausbau der Krippenplätze?

    Nees: Das was von der Bundesregierung geplant ist, betrifft ein Drittel Versorgung für die Kinder. Das heißt also, wenn wir 700.000 Geburten haben, können von denen nur diese 210.000 - das wäre ein Drittel - eine Kinderkrippe besuchen. Was ist denn mit den zwei Dritteln? - Das heißt, man unterstellt von Vornherein, dass die Eltern zu einem Großteil bei ihrem Kind bleiben wollen. Da sagen einfach viele Mütter, dass sie diese Entwicklung des Kindes miterleben wollen. Dieser Wunsch muss respektiert werden und wenn er respektiert wird, dann geschieht das dadurch, dass man auch entsprechende Leistungen in dieser Zeit gewährt.

    Heinemann: Andererseits scheint Geld doch nicht die einzige Rolle zu spielen. Wenn man überlegt: die Pendlerpauschale wurde abgeschafft, die Eigenheimzulage wurde abgeschafft, die Mehrwertsteuer erhöht, hohe Energie-, hohe Lebensmittelpreise. Das engt sicherlich den Spielraum der Familien ein, stört aber offenbar (siehe die Zahlen) nicht bei der Familienplanung. Also spielt Geld eine so wichtige Rolle?

    Nees: Geld spielt eine wichtige Rolle, aber nicht die einzige. Wir müssen eine Wertschätzung der Familie fördern, in ideeller Hinsicht und in materieller Hinsicht. Aber wir dürfen aus diesen kurzfristigen Zahlen von 1,33 auf 1,37 - das sind Bewegungen im Hundertstelbereich - nicht die Schlussfolgerung ziehen, als sei schon alles in Ordnung. Sie müssen mal überlegen. Wenn Sie jetzt hochrechnen: für eine Geburtenrate, die demographisch ausreichend wäre, bräuchten wir 2,1 Kinder je Frau. Und wenn wir jetzt einmal rechnen: in diesem Jahr 2007 gab es 12.000 Kinder mehr als 2006. Wenn sich dieser Trend Jahr für Jahr fortsetzt, jedes Jahr 12.000 Kinder mehr als im jeweiligen Vorjahr, dann dauert es immer noch 30 Jahre, bis wir die bestandserhaltende Geburtenzahl erreicht haben.

    Heinemann: Her Nees, die "Süddeutsche Zeitung" schreibt heute, "die Art, wie über eine Geburtenrate geredet werde, verrate über ein Land mehr als die Zahlen". Welche Aufschlüsse birgt die Familiendebatte in Deutschland für Sie?

    Nees: Ich glaube, dass das auch ein bisschen eine Ausweichdebatte ist, wenn wir nur über die Statistik reden. Wir müssen darüber reden, dass für die Familie gerechte Verhältnisse geschaffen werden, also zum Beispiel, dass die Übernahme von Elternverantwortung steuerrechtlich besser anerkannt wird und dass sozialrechtlich die Kinder mehr berücksichtigt werden - jetzt bei der Beitragsgestaltung, später bei eventuellen Leistungen, die jemand bezieht -, denn alle, die Kinder erziehen, garantieren die Verlässlichkeit des sozialen Netzes. Das muss anerkannt werden.

    Heinemann: Albin Nees, der Präsident des Deutschen Familienverbandes. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Nees: Gerne geschehen. Auf Wiederhören!