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"Wir müssen legale Einwanderung nach Europa ermöglichen"

Das Leid der afrikanischen Flüchtlinge vor der Insel Lampedusa sei nicht hinnehmbar, kritisiert die Grünen-Chefin im EU-Parlament, Rebecca Harms. Europäische Staaten müssten mehr Flüchtlinge aufnehmen und ihnen ermöglichen, zu arbeiten.

Rebecca Harms im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Von der Handy-Affäre haben natürlich auch die Staats- und Regierungschefs gehört, die in Brüssel beim EU-Gipfel zusammensitzen. Sie beraten unter anderem über die Bankenunion, über die Stärkung der europäischen Internet-Branche, heute wollen sie über die Lage im Mittelmeer und auf der italienischen Insel Lampedusa sprechen, dem Schauplatz des letzten Flüchtlingsdramas. Anfang dieses Monats starben über 400 Menschen, als ein Schiff sank. In der Nacht übrigens wurden abermals mehr als 800 Bootsflüchtlinge aus Afrika vor der italienischen Küste aufgegriffen. – Wir wollen darüber sprechen mit Rebecca Harms, der Vorsitzenden der Fraktion der Grünen im Europäischen Parlament. Guten Morgen.

    Rebecca Harms: Guten Morgen.

    Heinemann: Frau Harms, eins der dringendsten Probleme: Wie legt man den Schleppern, den Menschenhändlern das Handwerk?

    Harms: Das ist nicht einfach, auch wenn die allgemeine Empörung über das, was da passiert, und auch die Scham, die viele von uns empfinden, wenn das natürlich doch beeindruckt in den letzten Wochen. Wir haben da viel vor uns. Wir müssen mehr dafür tun, dass wir in akuten Situationen wirklich retten können. Wir brauchen funktionierendes Asylrecht. Das heißt, wir müssen dafür sorgen, dass Gesetze in allen europäischen Staaten gleich und verlässlich umgesetzt werden. Die haben wir eigentlich, die werden nicht umgesetzt. Wir müssen Einwanderung, legale Einwanderung nach Europa ermöglichen und wir müssen uns um Afrika ganz anders kümmern und bemühen, um seine Entwicklung bemühen, als das bisher der Fall gewesen ist.

    Heinemann: Legale Einwanderung, sagen Sie. Wo sollen die Flüchtlinge untergebracht werden?

    Harms: Es ist so, dass wir wirklich für diejenigen, die aus höchster Not und aus Elend sich in reichere Länder der Welt flüchten müssen – und für Europa gilt das im Moment ganz besonders -, von Afrika aus nach Europa flüchten, wir müssen für diese Menschen Möglichkeiten schaffen, einzuwandern. Ich habe immer wieder gesehen, dass in Spanien illegal Afrikaner beschäftigt werden in den großen Plantagen in Südspanien. Da können Sie an den Flüchtlingscamps morgens beobachten, wie die eingesammelt werden und zur Arbeit geschaffen werden. Das sind aber illegal Beschäftigte. Wir brauchen Leute, die in Europa arbeiten, das wird sehr oft erklärt, und wir müssen diese Beschäftigten nicht illegal beschäftigen, sondern wir müssen dafür sorgen, dass sie legal nach Europa einwandern können.

    Heinemann: Das hieße dann auf Deutschland runtergebrochen, mit Mindestlohn in Zukunft 8,50 Euro pro Stunde?

    Harms: Das bedeutet auch, dass wir uns dann an die Standards halten müssen, die gelten. Aber wir können nicht einerseits diese große Katastrophe …

    Heinemann: Entschuldigung! Was heißt Standards? Das habe ich nicht verstanden. Was heißt das, dass wir uns an die Standards halten?

    Harms: Bisher gilt ja in Europa, gilt ja in Deutschland … In fast ganz Europa haben wir Mindestlöhne. Wir haben in Deutschland jetzt die Auseinandersetzung. Ich hoffe, dass die so abgeschlossen wird, wie das in den Koalitionsverhandlungen läuft.

    Heinemann: Entschuldigung! Das hieße dann, dass Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, auch 8,50 Euro pro Stunde bekommen?

    Harms: Das sind dann nicht Flüchtlinge, sondern Einwanderer. Das ist der große Unterschied. Wir brauchen legale Einwanderung und dafür müssen die Europäer sorgen. Das ist in den USA der Fall.

    Heinemann: In welcher Größenordnung?

    Harms: Das ist ja etwas, was dann festgelegt werden muss. Da muss es Quoten geben. Länder, die funktionierende Einwanderungssysteme haben – das ist zum Beispiel in den USA der Fall -, die haben da Quoten, die werden jedes Jahr erfüllt, und so muss das auch in Europa sein.

    Heinemann: Und wenn mehr Menschen kommen, als die Quoten vorsehen?

    Harms: Ja das ist das große Problem, dass immer mehr Menschen kommen, weil große Teile Afrikas immer ärmer werden und Europa nicht ärmer wird, sondern reicher wird.

    Heinemann: Und wie geht man mit denen dann um?

    Harms: Ich glaube, wir müssen dafür sorgen, dass diejenigen, die jetzt in großer Not in Ländern des Nordens Afrikas leben, und dass diejenigen, die südlich der Sahara in Lagern leben in unvorstellbaren Bedingungen – das sind Lager, da sind 500.000 und eine Million Menschen zum Teil -, dass diejenigen, die da sind, dass es denen auch dort besser geht. Das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen setzt sich dafür seit Langem ein, dass Flüchtlinge auch dort Schutz finden, wo sie noch in der Nähe ihrer Heimat sind. Das ist wirklich etwas, das passieren muss. Sie erinnern sich: Horst Köhler wurde für wenig gelobt, aber als Bundespräsident für seine Afrikapolitik immer.

    Heinemann: Das ist genau das, was die Bundesregierung auch sagt. Das heißt, man muss die Lebensbedingungen dort vor Ort verbessern und die Leute eben nicht hierher locken, nämlich, indem man ihnen verspricht, dass sie hier arbeiten können und so weiter.

    Harms: Ich glaube nicht, dass das wirklich verlockend ist, im Mittelmeer zu ertrinken, oder in Lampedusa oder in Griechenland in einem dieser Abschiebelager dann zu sitzen. Es ist einfach so, dass die Verhältnisse dort so schlecht sind, dass die Afrikaner sagen, etwas besseres als den Tod finden wir vielleicht dann in Europa. Und da muss man ran!

    Heinemann: Bleibt das Problem, das wir gerade angesprochen haben. Wenn Sie sagen, wir brauchen Einwanderer, oder wir akzeptieren Flüchtlinge als Einwanderer, und es trotzdem mehr Einwanderer gibt oder mehr Menschen zu uns kommen als Quoten vorsehen, was machen wir mit denen, die dann jenseits dieser Quoten noch zu uns kommen?

    Harms: Wissen Sie, wir reden darüber, wenn wir diese Einwanderung organisiert haben, weil ich wirklich davon überzeugt bin, dass die Armut in einigen Teilen der Welt so groß ist, dass die Leute flüchten werden. Wenn man nicht das legal ermöglicht, einzuwandern, dann werden die es trotzdem immer versuchen, irgendwo reinzukommen. Wenn man die Türen zuschließt, dann werden die Leute versuchen, durchs Fenster zu klettern. Wenn man das Fenster zumacht, versuchen sie, über den Zaun zu klettern. Das ist doch die Situation, die sich entwickelt hat. Deswegen muss man wirklich mit klaren Ansagen deutlich machen in der Einwanderungspolitik, was geht in Europa, und man darf sich nicht gleichzeitig aus allen Zusagen, die man für die Entwicklungspolitik in Afrika gemacht hat, herausstehlen. Man muss die konsequent umsetzen, und zwar nicht nur als Trostpflaster für Afrikaner.

    Heinemann: Wie groß ist die Gefahr, dass bei einer solchen Politik in Deutschland Zustände einkehren wie in Frankreich, wo inzwischen eine rechtspopulistische oder rechtsextreme Partei die stärkste geworden ist – in den Umfragen zumindest?

    Harms: Ich glaube, dass das auch damit zu tun hat, statt dass alles gut geregelt ist und man vernünftig Einwanderung organisiert und gleichzeitig auch für Integration sorgt, dass man das sich selber überlässt.

    Heinemann: Rebecca Harms, die Vorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Harms: Auf Wiederhören!


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