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"Wir müssen nicht alles tun, was sie wollen"

Trotz Lobes in der EU und von Obama: Der G20-Gipfel brachte nicht die erhoffte Regulierung der Finanzmärkte. Bleibt der Schuldenabbau, doch da gibt es deutsch-amerikanische Differenzen. Hans-Werner Sinn warnt vor zu viel Demut gegenüber den - nicht mehr so wirtschaftsmächtigen - USA.

    Dirk Müller: Die Kanzlerin hatte bereits im Vorfeld allzu große Erwartungen gedämpft, indem sie eine mögliche Einigung als sehr unwahrscheinlich bezeichnete. So sind sie wieder einmal zusammengekommen, die Staats- und Regierungschefs der führenden Industrienationen, diesmal in Kanada. Doch weder bei der Frage der Transaktionssteuer, der Bankenabgabe, wie auch bei der Finanzmarktregulierung haben sie einen Kompromiss finden können. Zu groß sind die inhaltlichen Differenzen alleine schon zwischen den USA und Europa – bis auf das gemeinsame Bekenntnis zum Schuldenabbau.
    Die Politiker sind also zufrieden, die meisten Beobachter jedoch nicht mit dem Verlauf und mit dem Abschluss des G-20-Gipfels. Darüber sprechen wollen wir nun mit Professor Hans-Werner Sinn, Chef des Münchener ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung. Guten Morgen!

    Hans-Werner Sinn: Guten Morgen.

    Müller: Herr Sinn, hat die internationale Politik erneut versagt?

    Sinn: Ja. Wir hatten natürlich gehofft, dass es zu einer Regulierung der Banken kommt, die ihnen mehr Eigenkapital abverlangt, damit eben ein größerer Puffer in Krisenzeiten da ist und auch im Vorhinein nicht so stark gezockt wird, sagen wir mal, damit man eben auch mehr verlieren kann, wenn es schiefgeht. Aber das ist nicht gekommen. Nun hofft jeder auf den Gipfel in Seoul im November. Da sollen diese Dinge besprochen werden.
    Aber aus deutscher Sicht war es natürlich so, dass man befürchtete, hier in die Bredouille zu kommen, weil Deutschland die Neuverschuldung abbaut und Obama das noch nicht kann und nicht will, sodass es also von amerikanischer Seite und von anderer Seite zu einem erheblichen Druck auf Deutschland gekommen wäre. Das konnte zum Glück abgewiegelt werden. Die Länder haben sich verständigt auf eine Verlängerung der Nettoneuverschuldung.

    Müller: Aber solange wir immer hoffen, Herr Sinn, passiert ja nichts in der Realität?

    Sinn: Ja, gut. Zumindest ist den einzelnen Ländern jetzt die Freiheit gegeben zu sparen, und Deutschland tut dies. Nun gut, Sparen ist übertrieben. Der Staat verschuldet sich natürlich immer weiter. Auch was Frau Merkel gesagt hat, dass es zu einer Halbierung der Schulden kommen wird in drei Jahren, ist so natürlich nicht gemeint, sondern eine Halbierung des Zuwachses der Schulden. Wir bleiben immer vorläufig noch im Bereich, wo die Schulden immer größer werden. Aber immerhin dieser Zuwachs soll halbiert werden und Deutschland ist hier auf besonders gutem Wege. Die Zeit ist auch gekommen. Wir haben einen tollen Konjunkturaufschwung. Wann, wenn nicht jetzt, soll man die Neuaufnahme von Schulden reduzieren?

    Müller: Deswegen muss ich noch mal nachfragen, Herr Sinn. Ist das wirklich ein Erfolg, wenn Deutschland jetzt sparen darf?

    Sinn: Ja! Die Hetzjagd, die im Vorfeld des Gipfels stattgefunden hatte, von amerikanischen Ökonomen, allen voran Paul Krugman, haben Sie vielleicht noch im Ohr, dass es heißt, Deutschland stößt sich gesund zulasten der Weltwirtschaft und tut nicht genug für den Aufschwung. Das habe ich alles nicht für richtig gefunden, denn der Aufschwung ist ja da. Aber in Amerika gibt es halt große Probleme, das müssen Sie sehen. Die amerikanische Wirtschaft hängt am Tropf des Staates mit 12,5 Prozent Defizitquote bezüglich des Bruttoinlandsproduktes in diesem Jahr. Der gesamte Immobilienverbriefungsmarkt von privater Seite jedenfalls ist zusammengebrochen und heute werden 95 Prozent der Immobilienkredite von drei staatlichen Institutionen realisiert, Fannie Mae, Freddie Mac und Ginnie Mae. Also das ist schon etwas, was nach einer Lösung sucht, und die Amerikaner flüchten sich im Moment in die riesige Staatsverschuldung und werden in einem Jahr, in eineinhalb Jahren bei 100 Prozent sein. Italien lässt grüßen!

    Müller: Aber wenn wir diese Daten zugrunde legen, dann ist Amerika, wenn ich Sie richtig verstanden habe, auch nicht viel besser als Griechenland?

    Sinn: So ist es. Amerika hatte eine überbordende Konjunktur, die mit fremdem Geld finanziert war. Sie hatten ein Leistungsbilanzdefizit, einen Kapitalimport, was dasselbe ist, von etwa fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts in den letzten Jahren, oder in der Größenordnung 800 Milliarden Dollar. So viele Wertpapiere wurden von den Amerikanern in die westliche Welt verkauft, um die Einnahmen zu haben, mithilfe derer man die schönen Porsches und Mercedes und so weiter kaufen konnte und sich ein schönes Leben machen konnte. Dieser amerikanische Traum, der mit fremdem Geld geträumt wurde, der ist nun wohl zu Ende, man ist in der Wirklichkeit aufgewacht.

    Müller: Aber dann wäre es doch töricht, wenn die Deutschen zukünftig noch auf die Amerikaner hören würden?

    Sinn: Ja nun, was heißt "hören würden"? Wir müssen natürlich schon hören auf sie, aber wir müssen nicht alles tun, was sie wollen.

    Müller: Gehen wir noch einmal auf den Schuldenabbau ein. Sie haben zurecht gesagt, es geht ja darum, das Defizit zu verringern und nicht die Schulden zu halbieren, wie das teilweise ja heute Morgen auch in der Presse ventiliert wird. Ist das tatsächlich politische Kunst, eine Rekordverschuldung um wenige Prozentpunkte pro Jahr herunterzufahren?

    Sinn: Na ja, das ist ja immer verbunden mit entweder Steuererhöhungen, oder Kürzungen bei den Sozialtransfers. Es ist schon sehr schwierig für die Staaten, das zu bewerkstelligen, und Sie sehen das ja auch an der deutschen Diskussion. Aber wann, wenn nicht jetzt, sollte das passieren? Der Ifo-Konjunkturindikator ist am letzten Wochenende zum ersten Mal seit zweieinhalb Jahren wieder in den Boom-Bereich gesprungen. Die Wirtschaft zieht an, die Kräfte kommen diesmal nicht aus Amerika, sondern aus Asien. Deutschland ist über den Export sehr stark dabei. Der Arbeitsmarkt war in Deutschland sowieso in dieser schwierigen Krise der Weltwirtschaft kaum betroffen. Das ist etwas, was als Wunder fast angesehen werden sollte.

    Müller: Herr Sinn, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann brauchen wir über Steuererhöhungen in Wirklichkeit gar nicht zu diskutieren?

    Sinn: Ja. Die Steuereinnahmen werden auch wieder munterer fließen, das ist schon richtig. Ich weiß auch nicht, wieso man die Steuern jetzt erhöhen will. Jedenfalls aus Gerechtigkeitsgründen scheint mir das nicht angebracht zu sein. Wir haben ja in den letzten beiden Jahren zusammengenommen, wenn ich 2009 und die Prognose für 2010 nehme, einen Rückgang der Leistungseinkommen etwa von 3 Prozent, während die Sozialeinkommen konstant geblieben sind. Jetzt zu sagen, dass die Steuern, die mit den Leistungseinkommen auch zurückgegangen sind, absolut erhöht werden müssen durch eine Erhöhung der Sätze, halte ich nicht für richtig. Wenn also die Wirtschaft in einer schwierigen Zeit war, aus der sie nun in den nächsten Jahren allmählich herauswachsen wird, dann müssen eigentlich auch die Nutznießer der staatlichen Ausgabenprogramme letztlich einen Teil der Lasten tragen. Ich sehe nicht ein, wieso dieses jetzt ein Rezept für Steuererhöhungen sein soll.

    Müller: Sie sagen, Steuererhöhungen wären nicht gerecht. Sind die sozialen Kürzungen, die geplant sind, gerecht?

    Sinn: Was die Regierung hier vorgelegt hat, halte ich für angemessen. Man kann eben immer nur das an sozialen Ausgaben sich leisten, was man auch eingenommen hat, was die Leistungsträger aus den Leistungseinkommen hier abgeschöpft haben. Und wenn die Leistungseinkommen wie gesagt eben über diese zwei Jahre netto um 3 Prozent gefallen sind und die Steuern deswegen gefallen sind, kann man nun nicht sagen, der Rest der Gesellschaft bleibt völlig ungeschoren.

    Müller: Das heißt in der Praxis, diejenigen, die weniger haben, haben in Zukunft noch weniger?

    Sinn: Nun ja, es sind hier Maßnahmen ergriffen worden, die kann man also doch im einzelnen durchaus verstehen. Wieso muss ein Hartz-IV-Empfänger das Elterngeld kriegen? Das ist ja etwas, was ein Ersatz für wegfallendes Arbeitseinkommen sein soll, und wenn man sowieso nicht arbeitet, braucht man eigentlich diesen Ersatz nicht. Wenn Sie mal im Detail schauen, sind das schon ganz vernünftige Maßnahmen.

    Müller: Brauchen gut verdienende Eltern Elterngeld?

    Sinn: Der Punkt ist ja nicht, dass man diesen Eltern was zukommen lassen will, sondern man will sie bewegen, Eltern zu werden.

    Müller: Das kostet aber viel Geld!

    Sinn: Das ist aber begrenzt bis 2.000 Euro. Insofern sehe ich das nicht. Die Gutverdienenden kriegen das Elterngeld ja nicht anteilig.

    Müller: Nicht die Gutverdienenden?

    Sinn: Nein! Das ist ja nach oben hin gedeckelt. Das heißt, je mehr man verdient, desto weniger anteilig kriegt man das Elterngeld. Das Elterngeld ist nur im unteren Einkommensbereich ein Ersatz für das wegfallende Lohneinkommen.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk Professor Hans-Werner Sinn, Chef des Münchener ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Sinn: Auf Wiederhören.

    <u>Zum G8-/G20-Gipfel auf dradio.de:</u>

    Verhaltene Erwartungen -
    Treffen der Mächtigen beim G8- und G20-Gipfel