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"Wir sind angewiesen auf Expertise von außerhalb"

Plagiate gibt es nicht nur bei Doktorarbeiten. Die Internetplattform "LobbyPlag" deckt auf, wie Gesetzesentwürfe teilweise wörtlich aus Lobby-Unterlagen übernommen werden. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse betont, Lobbyismus sei nicht per se unanständig. Die Einflussnahme müsse aber transparent sein.

Wolfgang Thierse im Gespräch mit Peter Kapern |
    Peter Kapern: Was ist lukrativer als ein Sechser im Lotto mit Zusatzzahl? – Klarer Fall: Die Gelegenheit, ein Gesetz zu schreiben, das dann vom Europaparlament oder vom Bundestag verabschiedet wird, ein Gesetz, das haargenau auf die eigenen Geschäftsinteressen zugeschnitten ist und das sich wie eine Dauerlizenz zum Gelddrucken auswirkt, wenn es dann erst einmal im Amtsblatt gestanden hat. – Gibt es nicht, so was, meinen Sie? Vielleicht müssen wir da umdenken, vielleicht kommt das gar nicht so selten vor. Es gibt jedenfalls Anhaltspunkte dafür: im Bundestag, wo die Versicherungslobby offensichtlich die Vorlagen für ein Gesetz geliefert hat, das Besitzer von Lebensversicherungen teuer zu stehen kommen würde, und im Europaparlament, wo die Netzindustrie offenbar federführend Gesetze über den künftigen Datenschutz formuliert. Das Verfahren ist dasselbe wie bei getürkten Doktorarbeiten: Copy and Paste, Passagen aus den Texten von Lobbygruppen werden annähernd eins zu eins in Gesetzestexte eingefügt.
    Bei uns am Telefon ist der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Wolfgang Thierse von der SPD. Guten Morgen, Herr Thierse!

    Wolfgang Thierse: Guten Morgen, Herr Kapern.

    Kapern: Herr Thierse, wie ist das im Bundestag? Die Abgeordneten, schreiben die Gesetze, oder schreiben die Gesetze ab?

    Thierse: Also in den meisten Fällen kommen ja Gesetzentwürfe aus der Regierung - die haben ja einen riesigen Beamtenapparat mit sehr viel Expertise – und in einer geringeren Anzahl kommen sie aus dem Bundestag selber. Aber sie werden natürlich einer intensiven Diskussion unterzogen vor einer Verabschiedung.

    Kapern: Das klingt so, als würden Sie kein Problem darin erkennen, dass ganze Textpassagen aus Texten von Lobbyorganisationen eins zu eins übernommen werden?

    Thierse: Nein, darin sehe ich ein erhebliches Problem. Ich will grundsätzlich sagen: Lobbyismus per se ist nicht unanständig. In einer offenen Gesellschaft mit unterschiedlichen Interessen und Meinungen ist es ganz selbstverständlich, dass auch das Parlament mit den Interessen und Meinungen unterschiedlichster Personen, Institutionen und Verbände und Initiativen beschäftigt wird. Das ist auch in Ordnung so, unter ein paar einfachen Voraussetzungen. Erstens: Es darf sich nicht um versteckte Einflussnahme handeln, also Transparenz ist ein wichtiges Kriterium. Zweitens: Es darf kein Geld fließen, also Bestechung darf nicht erlaubt sein. Und es wäre wichtig, sage ich auch als einzelner Abgeordneter, wenn man jeweils erkennen kann, ob und wie Einfluss genommen worden ist und was im Ergebnis davon in einem Gesetz dann sich wiederfindet. Auch das ist nicht sofort schlecht, denn natürlich haben doch Institutionen, Vereinigungen, Unternehmen, Gewerkschaften, Kirchen sehr viel Fachwissen, das sie auch in vernünftiger Weise einbringen können. Aber es ist wichtig, dass man das weiß, worum es geht, und damit man darüber befinden kann, dass hier eine bestimmte Meinung, ein bestimmtes Interesse fachlich versiert vorgetragen ist und aus nachvollziehbaren Gründen Eingang gefunden hat in ein Gesetz.

    Kapern: Lassen Sie mich noch mal einen Begriff aufgreifen, den Sie gerade benutzt haben: den Begriff der Transparenz, dass also klar ist, von wem beigesteuert wurde zu einer Gesetzesvorlage beispielsweise. Um diese Transparenz scheint es ja überhaupt nicht gut bestellt zu sein, wenn es Initiativen wie LobbyPlag geben muss, wenn man also Gesetzestexte untersuchen muss wie Doktorarbeiten?

    Thierse: Ja! Deswegen ist es sehr verdienstvoll, was da mit LobbyPlag passiert. Als einzelner Abgeordneter kann man ja nicht immer nachvollziehen und herausfinden, was da an Einfluss stattgefunden hat und Eingang gefunden hat in einen Gesetzentwurf. Also ich glaube auch, dass wir noch einmal – darüber haben wir ja schon im Bundestag diskutiert vor zwei Jahren – eine neue Regelung brauchen für mehr Transparenz im Lobbyismus. Also: ein verbindliches Lobbyregister schaffen, Regeln dafür schaffen, ob und in welchem Umfang und nach welchen klar definierten Regeln externe Personen, externe Mitarbeiter in Ministerien arbeiten können und an Gesetzentwürfen mitarbeiten dürfen. Da, glaube ich, gibt es eine Grauzone, die wir uns nicht mehr gefallen lassen dürfen.

    Kapern: Zählt zu dem, was da unternommen werden muss, auch so etwas wie eine Verpflichtung, die Quellen der zusammengebastelten Gesetzestexte anzugeben?

    Thierse: Das wäre, glaube ich, ganz vernünftig, was leichter gefordert ist als erfüllt, denn wenn man eine Idee, die von außen kommt – wie gesagt: das ist zunächst mal eine neutrale Betrachtung -, eine Idee, die von außen kommt, wenn man sie aufnimmt, umformuliert, zu etwas eigenem macht, ist sie ja nicht mehr die Idee. Aber ich glaube nicht, dass es jemandem schadet, wenn man sagt, dieser und dieser Vorschlag ist von daher gekommen. Das kann man doch in einem Annex in einem Gesetzentwurf durchaus mitteilen im Begründungszusammenhang. Jedes Gesetz, jeder Gesetzentwurf hat eine ausführliche Begründung. Da kann das durchaus einen Ort finden und ist dann Teil der Debatte, die wir über das Gesetz führen. Wie gesagt: ohne sofort moralische Schuldzuweisungen zu erheben, denn es kann doch eine sehr intelligente Idee sein, die da vorgeschlagen wird, eine wirklich überzeugende Lösung, die da in ein Gesetz eingearbeitet wird.

    Kapern: Diese intelligente Idee könnte den Abgeordneten aber auch in einem etwas schrägen Licht dastehen lassen, nämlich dass ihm so etwas Intelligentes selbst nicht einfällt.

    Thierse: Wissen Sie, den Eindruck sollten Abgeordnete überhaupt nicht machen, dass sie die Weltgeister sind, absolute Genies. Wir sind angewiesen auf Expertise von außerhalb. Deswegen haben wir doch eine Menge Instrumente, dieses Fachwissen, die Kenntnisse, die Interessen anderer kennenzulernen. Wir machen Anhörungen, wir holen Fachleute heran, von denen wir uns beraten lassen. Das ist doch in Ordnung so. Alles andere wäre doch fatal, wenn wir nur in unser geniales Gehirn oder auf unseren Bauch schauen. Also das finde ich in Ordnung!

    Kapern: Sie sagen, die Politik sei angewiesen auf die Expertise von außerhalb. Ist denn eigentlich die Chance, diese Expertise geltend zu machen, Politiker beraten zu können, ihnen Ideen unterbreiten zu können, ist diese Chance eigentlich gleichermaßen über die Gesellschaft verteilt?

    Thierse: Da muss man genau hinsehen. Aber jedenfalls haben zunächst einmal alle die gleichen Chancen. Es sind ja nicht nur Unternehmen, Unternehmerverbände und Unternehmerinstitutionen zu Gange, sondern auch Gewerkschaften, die Kirchen, viele andere. Also das ist ja der Sinn eines, wie ich finde, verbindlicher zu machenden Lobbyistenregisters, dass man erkennt, wer alles am Ort des Parlamentes, am Ort der Regierung seine Interessen vertritt. Und als Abgeordneter haben wir darauf zu achten, dass da Fairness waltet. Man kann das auch sehen. Da wo wir das unmittelbar selber tun, bei Anhörungen in den Ausschüssen, sind ja die unterschiedlichen Fraktionen daran beteiligt auszuwählen, welcher Fachmann, welcher Interessenvertreter zu dieser Anhörung eingeladen wird, und da einigt man sich auch immer darauf, unterschiedliche Interessen, unterschiedliche Ansichten und unterschiedliches Fachwissen zu Worte kommen zu lassen.

    Kapern: Wolfgang Thierse, der Vizepräsident des Deutschen Bundestages. Herr Thierse, ich bedanke mich für das Gespräch und wünsche Ihnen einen schönen Tag.

    Thierse: Ebenfalls! – Danke!


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