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"Wir sind die Augen und Ohren von Kofi Annan"

Im Januar 2005 haben die Rebellen im Süden des Sudans, die SPLA und die Regierung in Khartum einen Friedensvertrag unterzeichnet - nach 21 Jahren Bürgerkrieg. Die Parteien haben sich auch darauf geeinigt, dass die Vereinbarung international - also von den Vereinten Nationen - militärisch überwacht werden soll. Auch die Bundesregierung hat zugesagt, sich an dem Einsatz zu beteiligen.

Von Meike Scholz |
    Von den 50 versprochenen Militärbeobachtern sind inzwischen mindestens 28 im Land. Die Bundeswehrsoldaten überwachen dabei die Vereinbarungen aus dem Friedensvertrag, dem so genannten Comprehensive Peace Agreement. Im Moment geht es dabei vor allem um die Umstrukturierung der beiden Armeen - sowohl der aus dem Norden als auch der aus dem Süden. In der Region um Malakal, einer Stadt in der Provinz Upper Nile im Südsudan hat unsere Reporterin Meike Scholz zwei Bundeswehrsoldaten getroffen und sie bei ihrer Arbeit als Militärbeobachter begleitet.

    Draußen am Fluss, am Ufer des Sobat, haben sich mehrere hundert Soldaten der SSDF, der Milizentruppe des ehemaligen Rebellenführers Riek Machar, versammelt. Früher haben sie gegen ihre Brüder im Süden gekämpft. Jetzt wollen sie zurück - in die Reihen der SPLA. Hauptmann Dirk Schluckebier beobachtet den Aufmarsch. Er selbst ist seit gut sechs Wochen im Sudan.

    " Wir sind die Augen und Ohren von Kofi Annan. Wir gucken und beobachten."

    Kapitel sechs der UN Charta - es bildet die Grundlage dieses Einsatzes. Das bedeutet: Die Militärbeobachter sind allesamt unbewaffnet.

    " Ich muss sagen, ich fühle mich ohne Waffe eigentlich sicherer als mit Waffe. Und wenn uns einer etwas will, dann können wir mit dieser einen Waffe auch nichts ausüben."

    Trotzdem: Die Sicherheitsbedenken bleiben. Die Vereinten Nationen haben deshalb eine Schutztruppe geschickt. Meistens sind es Soldaten aus Indien oder Bangladesch, die ihre UN-Kollegen verteidigen sollen - wenn es nötig wird. Darauf vertraut auch Hauptmann Kai Stecklum:

    " Am Anfang dachte ich, oh in den Einsatz ohne Waffe, komisch und eigentlich will ich das nicht, aber mittlerweile denke ich, das ist okay so, das ist gut so."

    Dann kramt der 31-Jährige in seiner Tasche und grinst:

    " Ein Taschenmesser und eine Kamera, das war's ja."

    Einige Meter weiter, sitzt Generalmajor Obuto Mamutere von der SPLA an einem Tisch unter einem Baum, dort also wo sonst die Kinder der Dorfschule lesen und schreiben lernen. Umringt von seinen Leibwächtern, mit dem Maschinengewehr auf dem Schoß und den Munitionsschachteln in der Weste, überwacht Generalmajor Mamutere das Geschehen:

    " Wir haben diesen Friedensvertrag in Anwesenheit der Vereinten Nationen unterschrieben. Jetzt sollen sie sehen, wie ernst wir es damit meinen. Deshalb habe ich sie eingeladen."

    Generalmajor Mamutere nippt an seinem warmen Bier. Einen ganzen Kasten kann er davon trinken, prahlt er in der Runde. Doch wenn er an den Krieg denkt, wird er wieder ernst.

    " Wir haben uns doch selbst zerstört. Für nichts und wider nichts. Wir haben unsere Kinder in den Krieg geschickt. Ich selbst habe sie eingesammelt. Die eigenen Kinder. Was haben wir nur getan?"

    Dann wendet sich der SPLA-General an die Militärbeobachter. Der Friedensvertrag wird umgesetzt, erklärt er ihnen. Bald wird es nur noch zwei Armeen im Sudan geben - eine im Norden, eine im Süden. De vielen Milizengruppen müssen sich deshalb für eine Seite entscheiden - aus Feinden müssen Verbündete werden - so steht es auf dem Papier. Doch das ist bekanntlich geduldig, sagt Mamutere:

    " Die, die uns geglaubt haben, die, die hart gekämpft haben, wie erklären wir ihnen, dass wir jetzt mit dem Kämpfen aufhören müssen? Dass wir uns stattdessen für die Einheit des Sudans einsetzen, dass wir also unsere Unterschiede nutzen müssen, um dieses Land wieder aufzubauen? Unseren neuen Sudan?"

    Währenddessen, etwas abseits, zwischen den Lehmhütten der umliegenden Dörfer, marschieren die Milizionäre auf. Mehr als 1000 Soldaten sind schon da -weitere sollen noch kommen.

    Simon Doskuan steht daneben - mit ernster Mine schaut er zu. Er ist groß und hat Falten im Gesicht - er ist ein alter Haudegen würden man sagen, wenn man nicht wüsste, was er alles erlebt hat.

    "21 Jahre lang habe ich für die SPLA im Busch gekämpft. Ohne Schule, ohne ausreichend zu Essen, ich habe Gras gegessen, so wie die Tiere. Ich habe mich unter den Bäumen versteckt. So wie die Tiere. Nicht wie ein Mensch."

    Jetzt herrscht Frieden, doch Simon Doskuan traut ihm nicht. Er will er auch weiterhin seiner Heimat dienen. Man weiß ja nie, was kommt.

    " Wir beobachten die, die gekommen sind, um uns den Frieden zu bringen. Aber wenn sie nichts Gutes für uns ausrichten können, wenn sie scheitern, dann ziehen wir wieder in den Krieg."

    Simon Doskuan ist einer von vielen Südsudanesen, die so denken. Sein halbes Leben lang hat er für die Freiheit gekämpft. Jetzt wartet er auf das versprochene Referendum. In fünf Jahren sollen die Südsudanesen abstimmen dürfen, ob sie beim Norden bleiben oder unabhängig werden wollen. Simon Doskuan hat dabei seinen Entschluss schon längst gefasst.

    " Ich will keine Einheit. Schauen sie sich doch nur einmal um. Die Kinder hier haben nicht die gleichen Chancen wie im Norden. Dort gibt es Schulen, Krankenhäuser und Straßen. Hier gibt es nichts."

    Simon Doskuan zeigt auf die vielen Kinder, die zwischen den Soldaten herumrennen. Mit verrotzten Nasen und zerfetzten T-Shirts. Mit dünnen Ärmchen und dicken Bäuchen. Sie alle haben Würmer. Doch wenn die Fremden kommen, wenn sie Hauptmann Dirk Schluckebier sehen, dann kreischen sie und scharen sich neugierig um ihn.

    " Für mich ist es eine Situation, die ich so noch nie erlebt habe. Das ist ein Land, in dem ich noch nie war, und was ich auch so noch nie gesehen habe, es ist also kein Touristenort, kein Urlaubsort, wo man sagen kann, ach ich fahre mal nach Afrika und gucke mir die Gegend an, das ist hier nicht so, hier ist das Leben und hier kann man wirklich sehen, dass mehr als 20 Jahre Krieg in diesem Land waren."

    Schließlich ist es soweit. Der General ruft zum Appell. In Reih und Glied stehen die Soldaten stramm. Kriegsversehrte - ohne Arme oder Beine, Frauen - mit Rock und Kopftuch, und einige junge Männer, die stolz ihre Kalaschnikows und Panzerfäuste präsentieren. Die Militärbeobachter schauen zu und machen sich ihre Notizen. Die beiden Deutschen. Ein Kollege aus Ruanda. Einer aus Sri Lanka. Die UN-Truppe ist international, sagt Hauptmann Kai Stecklum.

    " Es ist das Schwierigste auf der einen, aber auch das Spannende auf der anderen Seite. Und die UNO - ich sage mal, da ist halt viel Bürokratie mit drin."

    Hauptmann Dirk Schluckebier nickt. Und ergänzt: Auch die Lebensumstände sind anders.

    " Dies ist kein behüteter Einsatz, wo man ins Camp geht, wo der Spieß quasi auf einen wartet und sagt, das ist euer Container, da könnt ihr essen, und da sind die Betreuungseinrichtungen, sondern hier steigt man aus dem Flugzeug aus und dann sucht man sich eine Unterkunft."

    Dirk Schluckebier hat seine Unterkunft gefunden. In einer Lehmhütte. Mit Wellblechdach und Plumpsklo. Sechs Monate nennt er sie sein zu Hause. Aber auch daran gewöhnt man sich, sagt er. Erstaunlich schnell.