Die Aussagen von Stephen Emmott sind knapp, prägnant, eindeutig. Die Menschheit steht vor dem Abgrund. So könnte man das mit Bildern und Diagrammen reich illustrierte Buch zusammenfassen: Smog in Hongkong, Berge von Autoleichen, durch Bergbau vernarbte Erdoberfläche, brennende Reifenhalden. All das erinnert an Apokalypse. Keine göttliche, sondern eine von Menschen gemachte, wie Stephen Emmott nicht müde wird zu betonen.
"In zehn Milliarden geht es um uns. Es geht darum, wie wir all unsere globalen Probleme selbst vorantreiben. Darum, wie jedes dieser Probleme drängender wird, indem wir einfach weitermachen und wachsen."
Mit zahlreichen Daten und Fakten untermauert Stephen Emmott seine These: Bisher sind weltweit 2,6 Milliarden Autos produziert worden, bis 2050 werden – geht es nach den Prognosen der Internationalen Automobilherstellervereinigung – weitere vier Milliarden vom Band rollen. Allein seit 2005 ist der Kohleverbrauch – ebenso wie der motorisierte Verkehr eine der Hauptquellen der weltweiten CO²-Emissionen – um ein Drittel gestiegen. Das Ziel der internationalen Staatengemeinschaft, dafür zu sorgen, dass sich das Klima maximal um zwei Grad erwärmen soll, kann schon gar nicht mehr gehalten werden. Davon ist Emmott überzeugt. Vier bis sechs Grad seien realistisch. Mit unabsehbaren Folgen. Aber schon jetzt steht fest: Die Häufigkeit extremer Wetterereignisse hat durch die Klimaerwärmung in den vergangenen Jahren bereits drastisch zugenommen, wie Stephen Emmott anhand verschiedener Datenquellen belegt. Seine kurzen Rundumschläge stellen Zusammenhänge her, die in der Medienberichterstattung höchstens am Rande zur Sprache kommen.
"Während der russischen Hitzewelle 2010 verhängte der Kreml ein Exportverbot für Getreide; Chaos an den Rohstoffmärkten und ein beispielloser Anstieg der Preise von Grundnahrungsmitteln waren die Folgen. Im Anschluss kam es in Asien und Afrika zu Hungerrevolten - Unruhen, aus denen die Aufstände hervorgingen, die wir heute unter dem Namen "Arabischer Frühling" kennen."
Bisweilen reduziert Stephen Emmott multiple Ursachen gesellschaftlicher Entwicklungen. Auch seine Quellen haben unterschiedliche Aussagekraft: Sie reichen von seriösen Wissenschaftsinstituten bis hin zu Lobbyorganisationen der Wirtschaft. An einigen Stellen erweckt er den Eindruck, als suche er sich die passenden Zahlen aus einem Potpourri zusammen. Aber die Trends, die er skizziert, sind dennoch nicht von der Hand zu weisen: Zum Beispiel, dass das Auftauen der Permafrostböden in Alaska und Sibirien weitere fossile Energiequellen und Rohstoffe zugänglich machen wird. Das wird die Anreicherung der Atmosphäre mit Treibhausgasen wiederum beschleunigen.
"Unsere vorhandenen Erdöl-, Kohle- und Gasreserven sind mehrere Billionen Dollar wert. Werden unsere Regierungen und die großen Öl-, Kohle- und Gasfirmen dieser Welt – die zu den einflussreichsten Konzernen überhaupt gehören – sich wirklich dafür entscheiden, das Geld einfach im Boden liegen zu lassen, während die Nachfrage nach Energie unaufhörlich steigt? Ich bezweifle es."
Stephen Emmott deutet hier zwar an, dass ein System, das gesellschaftlichen Fortschritt mit Profitmaximierung gleichsetzt, nicht dazu geeignet ist, die anstehenden Probleme zu lösen. Auch kritisiert er, dass die externen Kostenfaktoren – sprich die Umweltschäden, die durch industrielle Produktionen entstehen – den Unternehmen nicht in Rechnung gestellt werden und die wohlfeilen Selbstverpflichtungserklärungen der Konzerne kaum das Papier wert sind, auf dem sie geschrieben stehen. Aber eine explizite Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise ist nicht die Sache von Stephen Emmott. Stattdessen bemüht er immer wieder die These von der Überbevölkerung.
"Wir können unserem Planeten nichts Schlimmeres antun, als weiterhin so viele Kinder zu bekommen, wie wir es gegenwärtig im globalen Durchschnitt tun. ( ... ) Nur ein Schwachkopf würde leugnen, dass nicht unendlich viele Menschen auf diesem Planeten leben können. Die Frage ist nur, wo die Grenze liegt: bei sieben Milliarden (also der aktuellen Weltbevölkerung)? Bei zehn Milliarden? Bei 28 Milliarden? Ich glaube, wir haben diese Grenze bereits überschritten, und zwar deutlich."
Stephen Emmott lässt bei der Frage - wie viel kann man diesem Planeten zumuten - gravierende Faktoren aus: Der Ressourcen- und Energieverbrauch pro Kopf ist sehr unterschiedlich: Ein US-Amerikaner verbraucht mehr als zehn Mal so viel Energie wie ein Inder. Und die Tatsache, dass zum Beispiel in China Unterhaltungselektronik – von Hifi bis Smartphone – für den Konsum in Japan, den USA und der EU produziert wird, relativiert die absoluten Zahlen des bevölkerungsreichsten Landes in Bezug auf den ökologischen Fußabdruck zusätzlich. Immerhin richtet Stephen Emmott seinen Aufruf zum Konsumverzicht am Ende des Buches nicht an die arme Bevölkerung des globalen Südens, die zur Verwüstung des Planeten bisher wenig beigetragen hat.
"An dieser Stelle sollte man darauf hinweisen, dass mit "wir" diejenigen gemeint sind, die im Westen und Norden unseres Planeten leben. Es gibt nämlich anderswo drei Milliarden Menschen, für die es derzeit lebenswichtig wäre, mehr zu konsumieren, vor allem mehr Wasser, Nahrungsmittel und mehr Energie."
Unsere Lebens- und Produktionsweise stellt Stephen Emmott - wie bereits erwähnt - nicht grundsätzlich infrage. So ist es auch nur folgerichtig, dass er ausgerechnet der Atomenergie eine unverzichtbare Rolle als Übergangstechnologie zuweist. Gegenüber neuen Technologien ist er jedoch skeptisch.
"Wir haben die Möglichkeit, etwas an unserer Lage zu ändern. Wahrscheinlich nicht mithilfe neuer Technologien, sondern indem wir unser Verhalten radikal ändern."
Die radikalen Veränderungen bleiben bei Stephen Emmott weitgehend abstrakt, nicht viel mehr als Schlagworte. Ganz anders als seine Zustandsbeschreibung der Welt, die sehr konkret und ungeschminkt daherkommt. Sie bietet einen zugespitzten Überblick und will zu Recht wach rütteln. Jedoch lässt der Weckruf Leserinnen und Leser etwas ratlos zurück. Ganz wie Stephen Emmott.
"Ich bin nicht optimistisch was die Zukunft anbelangt, wenn ich ehrlich bin. Wissenschaftler legen sich bei den großen Fragen ungern fest, aber ich glaube, es ist Zeit, dass Wissenschaftler Stellung beziehen. Und ich persönlich glaube: Wir sind erledigt."
Dieses "Wir" bedarf einer weiteren Präzision: Die heute beruflich und politisch aktive Generation wird allenfalls einen Vorgeschmack bekommen. Die Suppe auslöffeln müssen die nächsten Generationen.
Stephen Emmott: "Zehn Milliarden", Suhrkamp, 206 Seiten, Preis: 14,95
Euro, ISBN: 978-3-518-42385-1
"In zehn Milliarden geht es um uns. Es geht darum, wie wir all unsere globalen Probleme selbst vorantreiben. Darum, wie jedes dieser Probleme drängender wird, indem wir einfach weitermachen und wachsen."
Mit zahlreichen Daten und Fakten untermauert Stephen Emmott seine These: Bisher sind weltweit 2,6 Milliarden Autos produziert worden, bis 2050 werden – geht es nach den Prognosen der Internationalen Automobilherstellervereinigung – weitere vier Milliarden vom Band rollen. Allein seit 2005 ist der Kohleverbrauch – ebenso wie der motorisierte Verkehr eine der Hauptquellen der weltweiten CO²-Emissionen – um ein Drittel gestiegen. Das Ziel der internationalen Staatengemeinschaft, dafür zu sorgen, dass sich das Klima maximal um zwei Grad erwärmen soll, kann schon gar nicht mehr gehalten werden. Davon ist Emmott überzeugt. Vier bis sechs Grad seien realistisch. Mit unabsehbaren Folgen. Aber schon jetzt steht fest: Die Häufigkeit extremer Wetterereignisse hat durch die Klimaerwärmung in den vergangenen Jahren bereits drastisch zugenommen, wie Stephen Emmott anhand verschiedener Datenquellen belegt. Seine kurzen Rundumschläge stellen Zusammenhänge her, die in der Medienberichterstattung höchstens am Rande zur Sprache kommen.
"Während der russischen Hitzewelle 2010 verhängte der Kreml ein Exportverbot für Getreide; Chaos an den Rohstoffmärkten und ein beispielloser Anstieg der Preise von Grundnahrungsmitteln waren die Folgen. Im Anschluss kam es in Asien und Afrika zu Hungerrevolten - Unruhen, aus denen die Aufstände hervorgingen, die wir heute unter dem Namen "Arabischer Frühling" kennen."
Bisweilen reduziert Stephen Emmott multiple Ursachen gesellschaftlicher Entwicklungen. Auch seine Quellen haben unterschiedliche Aussagekraft: Sie reichen von seriösen Wissenschaftsinstituten bis hin zu Lobbyorganisationen der Wirtschaft. An einigen Stellen erweckt er den Eindruck, als suche er sich die passenden Zahlen aus einem Potpourri zusammen. Aber die Trends, die er skizziert, sind dennoch nicht von der Hand zu weisen: Zum Beispiel, dass das Auftauen der Permafrostböden in Alaska und Sibirien weitere fossile Energiequellen und Rohstoffe zugänglich machen wird. Das wird die Anreicherung der Atmosphäre mit Treibhausgasen wiederum beschleunigen.
"Unsere vorhandenen Erdöl-, Kohle- und Gasreserven sind mehrere Billionen Dollar wert. Werden unsere Regierungen und die großen Öl-, Kohle- und Gasfirmen dieser Welt – die zu den einflussreichsten Konzernen überhaupt gehören – sich wirklich dafür entscheiden, das Geld einfach im Boden liegen zu lassen, während die Nachfrage nach Energie unaufhörlich steigt? Ich bezweifle es."
Stephen Emmott deutet hier zwar an, dass ein System, das gesellschaftlichen Fortschritt mit Profitmaximierung gleichsetzt, nicht dazu geeignet ist, die anstehenden Probleme zu lösen. Auch kritisiert er, dass die externen Kostenfaktoren – sprich die Umweltschäden, die durch industrielle Produktionen entstehen – den Unternehmen nicht in Rechnung gestellt werden und die wohlfeilen Selbstverpflichtungserklärungen der Konzerne kaum das Papier wert sind, auf dem sie geschrieben stehen. Aber eine explizite Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise ist nicht die Sache von Stephen Emmott. Stattdessen bemüht er immer wieder die These von der Überbevölkerung.
"Wir können unserem Planeten nichts Schlimmeres antun, als weiterhin so viele Kinder zu bekommen, wie wir es gegenwärtig im globalen Durchschnitt tun. ( ... ) Nur ein Schwachkopf würde leugnen, dass nicht unendlich viele Menschen auf diesem Planeten leben können. Die Frage ist nur, wo die Grenze liegt: bei sieben Milliarden (also der aktuellen Weltbevölkerung)? Bei zehn Milliarden? Bei 28 Milliarden? Ich glaube, wir haben diese Grenze bereits überschritten, und zwar deutlich."
Stephen Emmott lässt bei der Frage - wie viel kann man diesem Planeten zumuten - gravierende Faktoren aus: Der Ressourcen- und Energieverbrauch pro Kopf ist sehr unterschiedlich: Ein US-Amerikaner verbraucht mehr als zehn Mal so viel Energie wie ein Inder. Und die Tatsache, dass zum Beispiel in China Unterhaltungselektronik – von Hifi bis Smartphone – für den Konsum in Japan, den USA und der EU produziert wird, relativiert die absoluten Zahlen des bevölkerungsreichsten Landes in Bezug auf den ökologischen Fußabdruck zusätzlich. Immerhin richtet Stephen Emmott seinen Aufruf zum Konsumverzicht am Ende des Buches nicht an die arme Bevölkerung des globalen Südens, die zur Verwüstung des Planeten bisher wenig beigetragen hat.
"An dieser Stelle sollte man darauf hinweisen, dass mit "wir" diejenigen gemeint sind, die im Westen und Norden unseres Planeten leben. Es gibt nämlich anderswo drei Milliarden Menschen, für die es derzeit lebenswichtig wäre, mehr zu konsumieren, vor allem mehr Wasser, Nahrungsmittel und mehr Energie."
Unsere Lebens- und Produktionsweise stellt Stephen Emmott - wie bereits erwähnt - nicht grundsätzlich infrage. So ist es auch nur folgerichtig, dass er ausgerechnet der Atomenergie eine unverzichtbare Rolle als Übergangstechnologie zuweist. Gegenüber neuen Technologien ist er jedoch skeptisch.
"Wir haben die Möglichkeit, etwas an unserer Lage zu ändern. Wahrscheinlich nicht mithilfe neuer Technologien, sondern indem wir unser Verhalten radikal ändern."
Die radikalen Veränderungen bleiben bei Stephen Emmott weitgehend abstrakt, nicht viel mehr als Schlagworte. Ganz anders als seine Zustandsbeschreibung der Welt, die sehr konkret und ungeschminkt daherkommt. Sie bietet einen zugespitzten Überblick und will zu Recht wach rütteln. Jedoch lässt der Weckruf Leserinnen und Leser etwas ratlos zurück. Ganz wie Stephen Emmott.
"Ich bin nicht optimistisch was die Zukunft anbelangt, wenn ich ehrlich bin. Wissenschaftler legen sich bei den großen Fragen ungern fest, aber ich glaube, es ist Zeit, dass Wissenschaftler Stellung beziehen. Und ich persönlich glaube: Wir sind erledigt."
Dieses "Wir" bedarf einer weiteren Präzision: Die heute beruflich und politisch aktive Generation wird allenfalls einen Vorgeschmack bekommen. Die Suppe auslöffeln müssen die nächsten Generationen.
Stephen Emmott: "Zehn Milliarden", Suhrkamp, 206 Seiten, Preis: 14,95
Euro, ISBN: 978-3-518-42385-1