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Wir sind nicht allein: Vom Menschen und seinen Bewohnern

Der menschliche Körper besteht aus ungefähr 10 Milliarden Zellen und es leben schätzungsweise zehnmal mehr Bakterien auf und im Menschen. Wir sind nicht allein – soviel ist sicher. Denn nicht nur Bakterien haben im "Lebensraum Mensch" eine gemütliche Heimstatt gefunden. In unserem Mundraum vergnügen sich winzige Amöben und Viren lassen sich in unserem Blut oder Körperzellen nachweisen. Spinnentierchen bevölkern die Poren unserer Haut. Die seltsamsten Würmer und Egel verstecken sich in den verschiedenartigsten Organen - und das nicht nur in den Tropen. Auch hierzulande erlebt der Fuchsbandwurm ein Comeback im Menschen. Ungefähr die Hälfte aller Deutschen trägt sogar in ihrem Gehirn eine Mikrobe: den winzige Einzeller "Toxoplasma". Er bevorzugt Nervenzellen als Schlafzimmer.

Von Kristin Raabe | 11.04.2004
    Die meisten unserer Besiedler sind harmlose Gesellen – im Laufe von Millionen von Jahren haben sie sich an uns und wir uns an sie gewöhnt. Viele sind sogar nützlich. Ohne unsere Darmbakterien wäre unsere Versorgung mit Vitamin K kaum gesichert und mit der Verdauung mancher Zucker hätten wir Probleme. Wenn uns Mikroben oder Parasiten tatsächlich krank machen – so ist das nichts weiter als ein Begleitsymptom einer unvollständigen Anpassung des Parasiten an seinen Lebensraum: den Menschen. Egal ob SARS, Malaria, Elefantiasis oder Tuberkulose - der Parasit ob Virus, Einzeller, Wurm oder Bakterium hat kein Interesse seinen Wirt zu töten. Denn ohne den Menschen kann er nicht. Aber auch der Mensch würde ohne seine vielen - größtenteils harmlosen - Bewohner ein trostloses Dasein fristen.

    Antoni van Leeuwenhoek:
    Nun mein lieber Schreiberling, dann wollen wir mal wieder den eingebildeten Herren Professoren von der "Royal Society" berichten. Die werden staunen, wenn sie hören, welche Welten meine Augen dieses mal wieder erblickt haben. Und zwar nur meine.
    Sie übersetzen, das doch hoffentlich alles ganz richtig?


    Schreiberling:
    Aber Mijnherr van Leeuwenhoek hatten sie jemals den Eindruck, dass die Herren Wissenschaftler in London sie nicht verstanden haben?

    Leeuwenhoek:
    In der Tat: den Eindruck habe ich gelegentlich. Aber das mag nicht an Ihnen liegen. Denn selbst die eitlen Gelehrten der "Royal Society" können nicht verstehen, was ich erblickt habe. Nicht ein Mensch unter tausend ist zu solchen Studien fähig, denn man benötigt viel Zeit und Geld dazu, und man muss ständig über diese Dinge nachdenken, wenn man irgendwelche Ergebnisse erzielen will. Vor allen Dingen aber sind die meisten Menschen nicht wissbegierig genug.
    So und nun Schluss, wir haben einen Brief zu schreiben.


    Schreiberling:
    Selbstverständlich Herr van Leeuwenhoek.

    Leeuwenhoek:
    Anrede und den ganzen förmlichen Kladderadatsch können Sie ja viel besser als ich. Wir kommen gleich zum Wesentlichen:
    Dieses mal, meine hochverehrten Herren von der "Royal Society", erblickte ich gar eckelhafte Bestien, eine Zeichnung davon lege ich bei. Ich sah diese Animalcula in einer Probe, die ich meinem eigenen Zahnbelag entnahm. Ob sie es glauben oder nicht: In meinem Mund gibt es mehr Lebewesen als Menschen in den Niederlanden.


    Da staunten die eitlen Herren von der Royal Society nicht schlecht als sie 1683 den Brief des niederländischen Tuchhändlers Antoni van Leeuwenhoek erhielten. Der Hobbyforscher war akademisch völlig ungebildet. Im Herstellen von Linsen erreichte er allerdings eine unglaubliche Meisterschaft. Aus den Linsen baute er Mikroskope, die ihm einen Blick auf den Mikrokosmos eröffneten - und zwar nur ihm. Denn durch sein bestes Mikroskop durfte niemand, außer ihm selbst schauen. Antoni van Leeuwenhoek war der erste Mensch, der jemals ein Bakterium erblickte.
    Bakterien sind überall man kann sie gar nicht genug überschätzen. Es gibt so Zahlen, dass der Mensch aus 1000 Milliarden Zellen besteht und dass zehnmal mehr Bakterien im und auf dem Menschen leben. Also, vielleicht 10 000 Milliarden Bakterien pro Mensch.

    Wir sind nicht nur nicht allein, sondern auch noch deutlich in der Unterzahl. Das beeindruckt den Molekularbiologen Jörg Hacker jedoch kaum. Er leitet das Institut für molekulare Infektionsbiologie in Würzburg. Auf Bakterien würde er nie verzichten, und das nicht nur als Wissenschaftler sondern vor allem als Mensch:

    Es würde keinen Menschen geben ohne seine Bakterien, da bin ich ganz sicher. Wir können nicht auf sie verzichten. Sie leben auf der Haut und schützen die Haut vor Krankheitserregern, machen die Haut auch flexibel. Sie leben im Darm, sind für die Verdauung unersetzbar. Es sind einige Bakterien, die im Nasen, im Rachenraum leben. Und fast alle diese Bakterien sind ja gutartig. Sie haben sich sozusagen mit dem Menschen arrangiert und der Mensch hat sich mit ihnen arrangiert.

    Auf einem Quadratzentimeter unserer Haut leben mehr Bakterien als Menschen auf dem gesamten Erdball. Im Dickdarm machen die Bakterien gut ein Drittel des Stuhlgewichts aus. Währen Sie nicht so winzig klein, die Menschheit hätte ihre wichtigsten Helfer kaum solange ignorieren können. Selbst heute zu Zeiten der Molekularbiologie wissen wir so gut wie nichts von der geheimnisvollen Welt in uns. Schätzungsweise 99 Prozent der Bakterien im und auf dem Menschen sind bislang unbekannt. Immerhin kennen Wissenschaftler heute die grundlegenden Eigenschaften der Bakterien ganz gut und wissen in der Regel wonach sie Ausschau halten müssen:

    Das Bakterium

    Aussehen:
    Kugel, Spirale oder Stäbchen sind die häufigsten Formen.

    Größe:
    Ungefähr ein tausendstel eines Millimeters. In der Welt der Winzlinge also von mittlerer Größe. Um ein vielfaches größer als ein Virus aber ungefähr 100 mal kleiner als eine große Amöbe.

    Kleidung:
    Alle Bakterien hüllen sich in einen Sack, den so genannten Mureinsacculus. Er besteht aus einem einzigen großen Molekül und macht die Bakterien extrem widerstandsfähig.

    Vermehrung:
    Bakterien teilen sich - und das ziemlich rasch, bei guten Bedingungen einmal in 20 Minuten.

    Essgewohnheiten:
    Es gibt kaum etwas, das irgendeine Bakterienart nicht doch verdauen könnte, inklusive Erdöl und Arsen.

    Lebensraum:
    Heiße Quellen am Meeresgrund und das Eis der Arktis sind bei Bakterien genauso beliebt, wie außerirdische Meteoriten oder der menschliche Darm.

    Besondere Merkmale:
    Kein Zellkern. Ihr Erbmaterial tragen Bakterien gewöhnlich in einem ringförmigen Chromosom lose in ihrem Inneren mit sich herum. Außerdem verfügen sie über so genannte Plasmide. Das sind kleine Ringe aus Erbsubstanz. Die tauschen sie manchmal auch untereinander aus.

    Der Mensch ist für viele Bakterien ein anheimelnder Lebensraum. Dass auch wir die Bakterien brauchen, war lange umstritten:

    Pasteur:
    Na mein Guter Metschnikow, trinkst Du schon wieder diese widerliche Sauermilch.

    Metschnikow:
    Bei allem Respekt, hochverehrter Monsieur le Directeur, indem dieser Keim die Säure der sauren Milch erzeugt, verscheucht er die giftgeladenen wilden Bazillen aus dem Darme.

    Pasteur:
    Ach Metschnikow, wie kommst Du nur darauf, dass ausgerechnet die Bakterien in deinem Darm so gefährlich sind.

    Metschnikow:
    Professor Pasteur: Warum glauben sie mir nur nicht: Wir alle vergiften uns selbst durch die wilden Bazillen, die in unserem langen Gedärmen verwesen, das ist sicherlich eine Ursache verfrühter Arterienverkalkung und vorzeitigen Alterns.

    Pasteur:
    Ein Elefant hat einen viel längeren Darm als wir Menschen und kann dennoch 100 Jahre alt werden. Ich bin sicher Du bist im Unrecht: Ohne Mikroben wäre das Leben nicht mehr lange möglich.

    Metschnikow:
    Ach was, ohne einen Bakteriengefüllten Dickdarm könnte ich 150 Jahre alt werden. Und wenn die Milchsäurebakterien aus diesem Glas Sauermilch die schädlichen Darmbakterien vertrieben haben, dann werden sie schon sehen – falls sie lange genug leben.
    Was ich selbstverständlich wünschen würde Monsieur le Directeur.


    Nun, der geniale Louis Pasteur überlebte seinen Mitarbeiter Ilja Iljitsch Metschnikow nicht. Der ukrainische Bakteriologe wurde sogar sein Nachfolger, als Direktor des Institut Pasteur. Die letzten zwanzig Jahre seines Lebens ernährte Metschnikow sich praktisch ausschließlich von Sauermilch - und wurde damit gerade mal 71 Jahre alt.
    Heute bezweifelt kein Wissenschaftler, dass ein Leben ohne Bakterien ziemlich trostlos wäre. Das beweisen Experimente mit keimfrei aufgezogenen Ratten. Bei ihnen ist der Blinddarm krankhaft vergrößert. Angefüllt mit Schleim, den normalerweise Mikroben abbauen würden. Im gesunden Menschen gibt es nur wenige keimfreie Regionen: Die Fruchtblase gehört dazu. Ein Baby ist im Mutterleib also noch steril. Aber schon bei der Geburt nimmt es die ersten Bakterien auf, wie der Molekularbiologe Jörg Hacker weiß:

    Das Neugeborene ...wird langsam besiedelt. Im Wesentlichen rekrutieren sich diese Bakterien aus den Bakterien der Mutter. Und es gibt solche Studien, die zeigen, dass es nach und nach sich besiedelt, das es seine eigene Flora ausbildet. Die Muttermilch ist ja sehr stark mit antibakteriellen Stoffen gefüllt, so dass nicht alle Bakterien sich sofort im Neugeborenen ansiedeln können. Sondern das ist ein langsamer Prozess, dauert wahrscheinlich ein Viertel Jahr oder länger bis sich so eine Flora vollständig entwickelt hat.

    Bei einem Baby, das gestillt wird überwiegen die so genannten Bifidobakterien. Später kommen noch viele andere dazu. Welche das sind, hängt von der Ernährung ab: Vegetarier haben mehr Milchsäurebakterien als Fleischesser, bei denen die so genannten Bacteroidesarten überwiegen.

    Jeder Mensch hat seine eigene bakterielle Flora, also wie wir unsere eigenen Fingerabdruck haben,.... so unterscheiden wir uns auch von den Bakterien, die im Menschen auf dem Menschen leben und die sind auch relativ stabil.

    Und die Bakterienflora erfüllt die unterschiedlichsten Aufgaben. Denn, was ein Bakterium kann, das können noch lange nicht alle anderen.

    Bei den Darmbakterien ist es so, dass sie bestimmte Zucker produzieren können, die wieder zerlegt werden, weiterverarbeitet werden. Sie können Aminosäuren produzieren, die zu Eiweißen weiterverarbeitet werden können. Können aber auch wieder solche Eiweiße aufnehmen und sie kaputtmachen und dann die Einzelteile verwenden. Sie sind also sehr flexibel. Und auch hier ist es so, dass diese physiologischen Eigenschaften nicht festgelegt sind, sie können also auch hier über Gentaustausch diese Eigenschaften unterschiedlich verwenden, sie können sogar Stoffe, die für den Menschen giftig sind kaputtmachen. Das nützt man zum Beispiel in bestimmten Bereichen der Umweltbiologie.

    Bakterien sind also raffinierte chemische Fabriken, auf die die Biochemiker mit Neid blicken. Schließlich verstehen sie nur wenige Stoffwechselprozesse, der erfindungsreichen Alleskönner. Immerhin ist es den Gentechnikern gelungen, Bakterien so zu manipulieren, dass sie gezielt bestimmte Stoffe produzieren, menschliches Insulin zum Beispiel.

    Die Bakterien auf und in unserem Körper nutzen uns nicht nur, indem sie beispielsweise Vitamin K produzieren oder uns beim Abbau bestimmter Zucker helfen. Der Mediziner Klaus-Peter Schaal, Direktor des Bonner Instituts für medizinische Mikrobiologie, kennt noch andere Vorzüge der Bakterienflora:

    Die Darmflora nutzt im wesentlichen oder auch die Mundflora nutzt im wesentlichen dadurch, dass sie einfach einen Platz besetzt, einen Platz der sonst von anderen schädlichen Bakterien besiedelt werden könnte. Die sind in dem Sinne gar nicht so wirklich nützlich, aber sie besetzten den Platz, so dass andere, die wirklich gefährlich werden könnten, sich dort gar nicht ansiedeln können, weil das sozusagen schon alles vergeben ist.

    Wer seine Haut mit Desinfektionsmitteln gezielt von allen dort heimischen Bakterien reinigt, bekommt zu spüren, was die Platzhalter Bakterien auf seiner Haut für ihn tun. Auf der desinfzierten Haut siedeln sich schnell unangenehme Pilze an. Keimfreiheit ist also alles andere als erwünscht:

    Wenn man einen gesund geborenen Keimfrei aufziehen würde, dann würde sich das extrem bemerkbar machen, dass das Immunsystem nicht trainiert wird und dann kann es zum Beispiel passieren, dass das Immunsystem, weil es menschlich gesprochen nichts mit sich anzufangen weiß, Unfug macht. Zum Beispiel dann anstatt Gefahren, Krankheitserreger abzuwehren, körpereigene Zellen angreift und damit eine allergische Krankheit auslöst.

    Nur weil unsere Welt so hygienisch sauber ist, leiden immer mehr Menschen unter Krankheiten, die ihr eigenes Immunsystem verursacht hat. Aber dagegen gibt es möglicherweise eine Waffe – das glaubt jedenfalls Jörg Hacker:

    Wir wissen auch, dass man mit bestimmten Infektionen allergische Prozesse auch wieder zurückführen kann. Es ist an Tieren gezeigt worden, dass Infektionen, wenn sie mild und wenn sie planmäßig gesetzt worden sind, dass dann Allergien zurückgeführt werden können. Und möglicherweise ist das auch eine Strategie, wie beim Menschen Allergien behandelt werden können.

    Bakterien als Therapie – das ist eigentlich nichts neues. Bereits 1892 setzte der New Yorker Chirurg William B. Coley einen Cocktail aus verschiedenen abgetöteten Bakterien ein, um Krebspatienten zu behandeln. Angeblich soll "Coleys Toxine" 66 von 104 Patienten geheilt haben – nachdem der Bakteriencocktail heftigen Schüttelfrost und bis zu 40 Grad Fieber hervorgerufen hatte.
    Das Beispiel zeigt eins ganz deutlich – gut und böse liegt bei Bakterien oft dicht beieinander.

    Theodor von Escherich
    Mein hoch verehrtes Publikum, ich möchte ihnen hier über eine Entdeckung berichten, auf die ich im Stuhl von Säuglingen gestoßen bin: Dieses Bakterium kommt beinah bei jedem Kind vor. Ich habe es deswegen auch Bacterium Coli communale genannt. Ich bin sicher, dass es den Kindern bei der Verdauung recht hilfreich ist.

    Zuhörer:
    Seid Ihr sicher, dass diese Mikrobe nicht doch gefährliche Durchfälle verursacht?

    Escherich:
    Nun ich muss zugeben, das Bild ist nicht ganz eindeutig. Ganz ähnlich – ja nahezu die gleichen Bakterien – scheinen auch bei schweren Durchfällen vorzukommen.

    Warum seine Bakterien manchmal auch krank machen, konnte sich Theodor von Escherich 1886 noch nicht erklären. Später erhielt das Bakterium, dass er im Stuhl von Kindern entdeckt hatte seinen Namen: Escherichia coli. Es ist mit Sicherheit auch das am besten untersuchte Bakterium der Welt. Und heute verstehen Molekularbiologen wie Jörg Hacker, warum die an sich harmlosen E. coli Bakterien manchmal eben doch ganz schön gefährlich sein können:

    Bakterien produzieren bestimmte krank machende Stoffe. Als Wissenschaftler nennen wir das Pathogenitätsfaktoren. Also Faktoren, die zu diesen Krankheitsprozessen beitragen. Escherichia Coli ist ein gutes Beispiel. Die normalen Escherichia Coli Bakterien, die vermehren sich im Darm, ohne dass sie bestimmte Krankheitsprozesse induzieren. Aber wenn jetzt solche Bakterien jetzt zusätzlich besonders gut haften können im Darm und dann noch Giftstoffe produzieren, dann kommt es zu solchen Krankheitsprozessen und dann müssen gar nicht so viele Bakterien da sein. Die Vermehrung muss gar nicht so riesengroß sein. Allein die Tatsache, dass sie sehr potente Giftsstoffe produzieren führt dann zu solchen Erkrankungen.

    Bakterien machen also krank, weil sie giftige Stoffe produzieren. Bleibt nur die Frage woher sie diese unangenehme Eigenschaft haben:

    Bakterien, sind Krankheitserreger, wenn sie dorthin kommen, wo sie nicht hingehören. Sie sind aber auch manchmal Krankheitserreger, wenn sie zusätzlich Gene aufnehmen. Das passiert in der Umwelt ständig. Bakterien sind ja keine abgeschlossenen Container, sondern die Leben mit ihrer Umwelt zusammen, die reagieren und die tauschen Gene aus, mit anderen Bakterien, manchmal sogar mit Zellen, die gar keine Bakterien sind, sondern Protozooen oder Pilze und diese Escherichia Coli-Bakterien, die jetzt Durchfälle auslösen können, die haben Gene aufgenommen, die für Giftstoffe codieren können. Unsere normale Bakterien tragen diese Gene nicht, aber bestimmte Varianten tragen diese Gene und die können dann zu diesen Durchfällen führen oder können auch zu Nieren- und Blasenentzündungen führen. In der Regel ist es so, dass diese Krankmachenden Bakterien sich unterscheiden von den gesunden oder denen, die wir im Labor verwenden.

    Für den Genaustausch untereinander haben Bakterien einen besonderen Mechanismus entwickelt. Sie bilden eine Art Verbindungsschlauch aus. Dadurch kann dann die Erbsubstanz von einem Bakterium ins andere gelangen. Manchmal entsteht auf diese Weise dann ein gefährlicher Krankheitserreger. Aber selbst harmlose Bakterien können gefährlich sein – ganz ohne Giftstoffe. Nämlich dann, wenn sie dorthin gelangen, wo sie eigentlich nicht hinsollen. Das Hautbakterium Staphylococcus epidermidis beispielsweise, fühlt sich auch auf anderen Oberflächen wohl. Es besiedelt immer mal wieder auch Katheter, Herzschrittmacher oder künstliche Hüftgelenke und löst so gefährliche Infektionen aus. In der Regel wird unser Immunsystem auch mit dem ein oder anderen ausgebüchsten Bakterium fertig. Aber es gibt immer mehr Menschen, die unter einer Abwehrschwäche leiden: Aidskranke, Krebspatienten nach einer Chemotherapie und Organtransplantierte, bei denen das Immunsystem künstlich unterdrückt wird. Für sie ist so ein Bakterium auf Abwegen eine gefährliche Bedrohung. Aber selbstverständlich gibt es auch Bakterien, die den Menschen nur gelegentlich infizieren und ihn dann mit relativer Sicherheit krank machen. Dass ist allerdings eine Erkenntnis, die sich auch unter Forschern erst allmählich durchsetzte:

    Koch:
    Pettenkofer, tun Sie’s nicht, ich appeliere zum letzten mal. Trinken sie die giftige Brühe nicht.

    Pettenkofer:
    Sie fanatischer Jungspund, Sie, Sie lassen mir ja keine Wahl. Seit nun fast zehn Jahren ärgern Sie mich nun schon, mit ihrem obskuren Cholerabazillus. Und das schlimmste: Alle Welt schenkt nur Ihnen, dem berühmten Robert Koch, Gehör. Aber wenn ich diese Brühe, angefüllt mit den angeblich so todbringenden Cholerabazillen trinke und überlebe – dann endlich wird die Welt sehen, was für ein Scharlatan sie sind.

    Koch:
    Ihnen ist wahrlich nicht zu helfen.

    Pettenkofer:
    Hilfe brauche ich in der Tat nicht. Aber die vielen kranken Menschen dort draußen, die sterben an der schlechten Luft, dem dreckigen Wasser und den Ausdünstungen des Bodens und nicht an ihren lächerlichen Bazillen. Die sind doch überall, wenn die so gefährlich wären, dann gäbe es auf dieser Erde kaum noch einen Menschen. So und nun...

    Koch:
    Ich weiß doch selbst, dass zur Krankheit mehr beitragen muss, als bloß die Infektion. Aber jeder – ohne Unterschied – jeder Cholerakranke, trägt den Bazillus in sich. Und wenn ich ein Tier damit infiziere, dann fällt es alsbald ebenfalls der Seuche anheim. Genau wie Sie, wenn Sie diese Brühe trinken. Dies Glas enthält Millionen gefährlicher Cholerabazillen. Sie werden eines qualvollen Todes sterben. Und ich kann es nicht verhindern, weil sie ein so verdammter sturer Bock sind.

    Pettenkofer:
    So ein Schmarrn, hören sie endlich auf mit ihrem Gequatsche. So, und nun lassen sie mich der Welt beweisen, welchen Irrglauben sie ihretwegen solange anhing.

    Max von Pettenkofer trank am 7. Oktober 1892 tatsächlich das Glas mit der Brühe aus Cholerabakterien, die er aus einem Leichnam isoliert hatte. Einen Tag später schmerzte sein Bauch und er litt unter einem heftigen Durchfall. Ernsthaft erkrankt ist der 74jährige allerdings nie. Trotzdem: Sein gewagter Selbstversuch, brachte ihm nicht die erwartete Publicity. Im Gegenteil: Man bezichtigte ihn des Betrugs. Pettenkofer verzweifelte darüber und nahm sich schließlich das Leben. Als einer seiner Mitarbeiter seinen Selbstversuch wiederholte, starb er an der Cholera. Pettenkofer hatte vermutlich vor allem Glück - und für so einen alten Herrn ein ziemlich intaktes Immunsystem.

    Robert Koch, den Pettenkofer so verzweifelt bekämpfte, hat nie bezweifelt wie wichtig die hygienischen Maßnahmen sind, die der bayrische Professor eingeführt hatte. Er wusste, dass er seine Erkenntnisse über die bakteriellen Ursachen von Erkrankungen nur durchsetzen könnte, wenn er wissenschaftlich fundierte Beweise vorlegt. Die Regeln dafür hat er 1884 in den Mittheilungen des kaiserlichen Gesundheitsamtes selbst formuliert. Die Kochschen Postulate gelten noch heute:

    Koch:
    .. so müssen sich jene drei Postulate erfüllen lassen, deren Erfüllung für den stricten Beweis der parasitären Natur einer jeden derartigen Krankheit unumgänglich nothwendig ist:

    1.) Es müssen constant in den lokal erkrankten Partien Organismen in typischer Anordnung nachgewiesen werden.

    2.) Die Organismen, welchen nach ihrem Verhalten zu den erkrankten Theilen eine Bedeutung für das Zustandekommen dieser Veränderung beizulegen wäre, müssen isolirt und rein gezüchtet werden.

    3.) Mit den Reinculturen muss die Krankheit experimentell wieder erzeugt werden können.


    Robert Koch entdeckte den Erreger der Tuberkulose, das Tuberkelbakterium, den Cholerabazillus, den Erreger der Pest und noch viele andere Krankheitserreger von Mensch und Tier. Außerdem entwickelte er einen zuverlässigen Test zum Nachweis einer Tuberkulose und eine Methoden, um Bakterien in Kulturen zu züchten. Auch seine Maßnahmen zur Behandlung und Eindämmung von Seuchen waren in der Regel sehr effektiv. Immer wieder wurde er in entfernte Erteile gerufen, um dort die verschiedensten Infektionskrankheiten zu bekämpfen. Niemand hat jemals so vielen Menschen das Leben gerettet wie Robert Koch. Ein Glück für die Menschheit also, dass er sich gegen seinen Widersacher Max Pettenkofer durchsetzen konnte. Auf ähnlichen Widerstand wie Robert Koch treffen Bakteriologen mitunter auch 100 Jahre später noch. Barry Marshall und Robin Warren veröffentlichten 1982 einen spektakulären Fund. Das Bakterium Helicobacter Pylori sollte angeblich die Ursache von Magengeschwür und Magenschleimhautentzündung sein. Ein Bakterium im Magen – das galt Anfang der achtziger Jahre noch als unmöglich. Heute wissen Bakteriologen, wie Klaus Peter Schaal sogar, mit welchen Tricks Helicobakter Pylori es sich im Magen gemütlich macht.

    Natürlich hat niemand gedacht, dass in dem extrem sauren Magen, wo nun wirklich keine besonders bakterienfreundlichen Bedingungen herrschen, ein Bakterium überleben kann, aber das hat sozusagen alle Raffinesse genutzt, die der Natur zur Verfügung steht, um das doch zu können, es hat sich unter die Schleimschicht begeben, der Magenschleimhaut, die Magenschleimschicht dient ja dazu die Magenzellen selber vor der Säure zu schützen. Also dort drunter ist das Bakterium gegangen. Und es hat zweitens ein Enzym produziert oder es produziert dieses Enzym, das extrem schnell Harnstoff abbaut, der immer im Blut kreist, in geringer Menge, bis er von der Niere ausgeschieden wird. Und dieser Harnstoff, wenn er zerfällt, dabei entsteht Kohlendioxid und Ammoniak. Und dieser Ammoniak alkalisiert, das heißt der neutralisiert die Säure des sauren Magensaftes, so dass die Säurereste die dort bis auf die Schleimhautzellen, wo der Erreger sitzt hinkommen, die werden durch diese Urease, so heißt das Enzym wissenschaftlich, das Enzym, dass Harnstoff abbaut, neutralisiert und damit kann dieses Bakterium, obwohl es selber überhaupt nicht widerstandsfähig ist gegen Säure, wenn man es herausreißt aus seinem natürlichen Lebensbereich, dann ist das ganz empfindlich gegenüber saurer Umgebung aber dort, wo es sich versteckt schützt es sich.

    Inzwischen wissen Ärzte, dass das spiralförmige Bakterium sogar Magenkrebs verursachen kann. Ein Umstand, der den Molekularbiologen Jörg Hacker fasziniert:

    Also es macht nur bei wenigen Menschen Krebs, aber Helicobakter hat so einen Apparat, mit dessen Hilfe es Eiweiße in die menschliche Zelle hineinschießen kann. Wie so eine Harpune. Es gibt so Vorstellungen, dass das vielleicht eine Rolle spielt bei der Krebsentstehung, mit Hilfe dieser Harpune kann auch Erbsubstanz also DNS, übertragen werden. Es gibt im Moment noch keine Hinweise, dass das bei Helicobakter der Fall ist, aber man kann sich vorstellen, dass Helicobakter schädliche DNS in die menschliche Zelle transportiert unter bestimmten Bedingungen. Und Helicobakter ist weiter in der Lage sich sehr spezifisch im Menschen zu bewegen. Es ist also ganz stark adaptiert. Es gibt ganz andere Helicobakter-Arten, die an der Katze an der Maus oder an anderen Tieren sich mit diesen eingelassen haben und auch nur diese besiedeln können. Es ist eine sehr intime Partnerschaft zwischen dem Menschen und Helicobakter Pylori.

    Für den Menschen ist das leider eine Partnerschaft mit gewissen Nachteilen. Ungefähr jeder Zweite hat das Bakterium in seinem Magen. Aber nur 10 Prozent davon erkranken tatsächlich. Warum Helicobacter Pylori bei manchen Menschen Geschwüre, Entzündungen oder Krebs hervorruft, ist für die Mediziner bislang ein Rätsel. Aber zum Glück lassen sich die raffinierten Bakterien bekämpfen. Eine Kombination aus zwei Antibiotika ist ziemlich effektiv. Magengeschwüre und Magenschleimhautentzündung verschwinden mit Helicobacter. Dass heutzutage viele Bakterielle Infektionskrankheiten relativ problemlos geheilt werden können ist einem Zufall zu verdanken.

    Alexander Flemming:
    Was haben wir denn da, so ein Ärger. Wer hat hier wieder unsauber gearbeitet? Diese Kultur ist ruiniert!

    Assistent:
    Verzeihung Professor Fleming, aber wir alle arbeiten hier so sauber und gründlich wie nur irgend möglich. Irgendein Keim aus der Luft, muss die Kultur verunreinigt haben.

    Fleming:
    So so ein "Keim" aus der Luft. Wohl eher eine Spore, das sieht mir ganz nach einem Schimmelpilz aus. Mmh, mh

    Das ist ja interessant..

    Assistent:
    Professor Fleming, es tut mir wirklich sehr leid, aber ich kann mir nicht erklären, wie dieser Schimmelpilz, in die Kultur gekommen ist.

    Flemming:
    Schon gut, schon gut. Ist auch egal, vielleicht haben wir bei dieser Kultur sogar etwas wichtiges entdeckt.

    Assistent:
    Eine Entdeckung, in einer verunreinigten Kultur?

    Flemming:
    Sehen sie hier, um den Schimmelpilz herum wachsen keine Bakterien mehr. Der "Schimmelsaft" kann also Bakterien töten. Faszinierend, faszinierend.

    Was Alexander Fleming im September 1928 auffiel, war in der Tat eine Weltsensation, die ihm den Adelstitel "Sir" und den Nobelpreis einbrachte. Der Bakterientötende "Schimmelsaft" war nämlich nichts anderes als die Substanz, die wir heute als Penicillin bezeichnen. Benannt ist sie nach dem Pilz, der sie produziert: Penicillium notatum. Leider gelang es Alexander Fleming nie, das Penicillin in großen Mengen herzustellen. Es dauerte noch weitere 10 Jahre bis Ernst Boris Chain und Walter Florey seine Arbeiten fortsetzten und den Grundstein für eine industrielle Penicillinproduktion legten. Aber schon Alexander Fleming viel auf, dass das Penicillin nicht bei allen Bakterien wirkt. Der Molekularbiologe Jörg Hacker weiß warum:

    Mikroorganismen sind viel trickreicher als die Mikrobiologen. Die Mikrobiologen können immer nur reagieren auf diese Mikroorganismen. Und die Medikamente sind zum Teil effizient. Aber viele Mikroorganismen haben gelernt mit diesen Medikamenten umzugehen. Also Penicillin ist das bekannteste Antibiotikum, dass auf die Zellwand von Bakterien einwirkt und dann diese Zellwand zerstört. Nun haben Bakterien sehr schnell gelernt so ein bisschen zu verändern und umzubauen, dass das Penicillin nicht mehr wirken kann. Bei anderen Bakterien ist das so, dass die einfach Antibiotika wieder rausschaufeln aus der Zelle. Die kommen rein aber werden auch gleich wieder raus transportiert. Oder Bakterien haben den Angriffsort für die Antibiotika so verändert, so dass sie nicht mehr wirken können. Das sind alles genetische Prozesse, die mit der großen Wandelbarkeit der Erbusbstanz zu tun haben und diese Bakterien sind so wandelbar, dass sie sich immer ganz schnell auf so neue Medikamente einstellen. Und es gibt eigentlich kein Antibiotikum, wo nicht recht schnell eine Resistenz mit aufgetreten ist.

    In den letzten Jahren haben immer mehr Bakterienarten Resistenzen gegen die unterschiedlichsten Antibiotika entwickelt. Dabei kommt ihnen eine Eigenschaft besonders zu gute, wie Klaus Peter Schaal weiß:
    Man muss sich ja mal überlegen, dass sind Lebewesen, die sich im Vergleich zu uns Menschen unglaublich schnell vermehren. Unter optimalen Bedingungen in einer Zeit von zwanzig Minuten teilt sich ein Bakterium, also aus einem werden zwei, und weitere zwanzig Minuten später werden daraus vier und weitere acht, und so weiter. So dass in fünf Stunden, ein bisschen mehr als fünf Stunden aus einem einzigen Bakterium 5 Millionen geworden sind.

    Während sie sich vermehren, entwickeln die Bakterien nicht aus Absicht Resistenzen gegenüber einem Antibiotikum. Diese Mutationen entstehen rein zufällig:

    Die meisten dieser Mutation sind schädlich für das Bakterium, und das führt dazu, dass das Bakterium abstirbt oder die Zelle abstirbt, dass es abstirbt oder dass die Nachkommen schlecht sind und nicht lange überleben können. Einzelne dieser Zufallsmutationen haben an dem gerade vorhandenen Ort unter den Lebensbedingungen gegebenenfalls bieten einen Vorteil und ein solches Bakterium wird sich gegenüber seinen Brüder und Schwestern, die diesen Vorteil nicht haben, durchsetzten können und sich schneller vermehren und damit den Lebensraum besetzten können. Und das passiert natürlich laufend und das ist im Laufe der Evolution auf unserem Planeten milliardenfach passiert. Und das ist ja auch den höheren Lebewesen passiert, nur da dauert es viel länger, weil die sich eben nicht alle zwanzig Minuten vermehren, sondern nur alle paar Jahre.

    Der Masse der Bakterien haben wir Menschen nicht viel entgegenzusetzen. Wir können nur hoffen, das bei unserer langsamen Vermehrung, alle paar Jahre so ein brillianter Kopf wie Louis Pasteur, Robert Koch oder Alexander Fleming dabei ist. Nur dann haben es die Bakterien auch in Zukunft schwer:

    Stoßseufzer des Bacillchen
    Meine Ruh ist hin,
    Mein Dasein schwer,
    Es plagen die Menschen
    Mich immermehr.

    Wenn Einer was
    Entdecken will
    Und nichts entdeckt:
    Ist es ein Bacill

    Steht der Verstand 'mal
    Dem Forscher still,
    So fragt er grimmig :
    Où est la Baccille?

    Nach mir schaut er
    In's Microscop,
    Und wenn er nichts findet,
    Nennt er's Microb.

    Meine Ruh' ist hin,
    Mein Dasein schwer,
    Es plagen die Menschen
    Mich immermehr.

    Doch hoff' ich noch
    Trotz Ach und Weh,
    Ein Forscher wird fassen
    Eine neue Idee:

    Der Menschheit Leiden
    Schiebt in die Schuh'
    Er and'ren Thierchen, -
    Dann hab' ich Ruh.


    Von diesen "and’ren Tierchen erzählen wir morgen. Freuen sich auf spannende Geschichten von unsichtbaren Manipulatoren – den Einzellern.